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Gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung – Entlohnung nach dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes

MANFREDTINHOF
28 SWÖ-KollV (vormals: BAGS-KollV)

Bei Vereinbarung der Anwendbarkeit des BAGS-KollV (nunmehr: SWÖ-KollV) auf ein Beschäftigungsverhältnis zu einem gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen hat ein Transitmitarbeiter gem § 28 BAGS-KollV Anspruch auf Entlohnung nach dem KollV des Beschäftigerbetriebes. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob ein reguläres Arbeitsverhältnis vorliegt bzw das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) zur Anwendung gelangt.

SACHVERHALT

Der Kl war beim Bekl, einem gemeinnützigen Verein, vom 6.7. bis 5.10.2015 als Transitmitarbeiter beschäftigt. Er ist ausgebildeter CNC-Fräser bzw CNC-Programmierer und war in die-21sem Beruf zwölf Jahre tätig. Außerdem arbeitete er in der Vergangenheit als Mechaniker. Ab 2011 war er rund vier Jahre lang durchgehend arbeitslos, bis er über das AMS an den Bekl vermittelt wurde.

Der Kl unterfertigte eine vom AMS konzipierte „Vereinbarung über die Begründung eines Dienstverhältnisses“ mit dem definierten Aufgabenbereich der Park- und Grünraumpflege. Er erhielt einen Dienstzettel, in dem der KollV der Sozialwirtschaft Österreichs (BAGS-KollV) als anzuwendender KollV genannt ist. Er wurde bei der Holding Graz als Arbeiter eingesetzt. Soweit diese ihren jeweils in den Sommermonaten bestehenden Arbeitsbedarf nicht über Transitmitarbeiter des Bekl decken könnte, müsste sie Saisonarbeiter beschäftigen. Der Kl war in einem Team mit zwei bis vier weiteren Arbeitern eingeteilt, unterstand der Weisung von Mitarbeitern der Holding und war grundsätzlich auch an deren Dienstzeiten gebunden.

Der Kl begehrte Entgeltdifferenzen, die sich aus dem Unterschied zwischen einer Entlohnung nach dem KollV der Holding und dem mit der Bekl vereinbarten Lohn ergeben. Er habe für die Zeit seiner Überlassung nach dem BAGS-KollV Anspruch auf jenes kollektivvertragliche Mindestentgelt, das im Beschäftigerbetrieb gezahlt werde. Die Bekl wandte ein, der Kl sei kein DN iSd § 1151 ABGB und des § 1 Abs 1 ArbVG gewesen, sondern Teilnehmer eines sozialen Projekts. Er sei weder dem BAGS-KollV unterlegen, noch habe er Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Beschäftigten der Holding. Es liege keine Arbeitskräfteüberlassung vor, jedenfalls aber komme die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG zum Tragen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bei der Vereinbarung der Streitteile handle es sich ungeachtet der Bezeichnung um keinen Arbeitsvertrag. Es sei Absicht der Parteien gewesen, die Anwendung des BAGS-KollV nur hinsichtlich der Entlohnung zu vereinbaren, die übrigen Bestimmungen seien nicht anwendbar. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Kl Folge und änderte die E im klagsstattgebenden Sinn ab. Die Vertragsbeziehung sei nicht in erster Linie durch das Interesse des Kl, überhaupt zu arbeiten, geprägt gewesen, sondern es sei insgesamt von einem Arbeitsverhältnis auszugehen, auf das der BAGS-KollV anzuwenden sei. Der OGH erachtete die Revision des Bekl als zulässig, jedoch nicht als berechtigt sowie die Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes zumindest im Ergebnis für zutreffend.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Der im Zulassungsausspruch in den Raum gestellte und in den Revisionsausführungen behauptete Widerspruch der Entscheidung des Berufungsgerichts zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung über die fehlende Arbeitnehmereigenschaft von psychosozial beeinträchtigten Personen, die in einer geschützten Werkstätte arbeiten, besteht insofern nicht, als den zitierten Entscheidungen ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Der Beschäftigerbetrieb in jenen Verfahren verfolgte zwar wie die hier Beklagte keinen eigenständigen Erwerbszweck, hinzu kam aber, dass die dortigen Kläger in ihrer Arbeitsfähigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt nicht konkurrenzfähig gewesen wären und deren unbefristete Tätigkeit in erster Linie ihrem eigenen Interesse an einer Beschäftigung diente (9 ObA 105/09w; 8 ObA 48/09f). Dies trifft auf die hier klagende Partei, die grundsätzlich arbeitsfähig ist, jahrelang berufstätig war und deren Defizite im Rahmen der Maßnahme für behebbar erachtet wurden, nicht zu.

Der Kläger war im Rahmen eines befristeten Projekts auf einem Arbeitsplatz mit kommunalen Dienstleistungen beschäftigt, die andernfalls von Saisonarbeitnehmern, wenn auch unter anderen Bedingungen, erbracht worden wären. Andererseits konnte ihm als ausgebildetem CNC-Fräser und CNC-Programmierer eine Tätigkeit als Grünraumpfleger keine beruflichen Zusatzqualifikationen vermitteln, vielmehr war der vornehmliche Zweck dieser von psychosozialer Betreuung begleiteten Beschäftigung, ihn nach langer Arbeitslosigkeit wieder an eine reguläre Arbeit zu gewöhnen.

Ob bei dieser Beschäftigung letztlich doch der Fürsorgecharakter überwogen hat oder, wie das Berufungsgericht bejaht hat, ein reguläres Arbeitsverhältnis anzunehmen ist, kann aber dahingestellt bleiben.

Den Parteien stand es auch im ersteren Fall frei, die Anwendung eines bestimmten Kollektivvertrags auf das Beschäftigungsverhältnis zu vereinbaren. Eine solche Vereinbarung ist dem von beiden Streitteilen unterfertigten ,Dienstzettel‘ unmissverständlich und ohne Einschränkung oder Vorbehalt zu entnehmen; es ist auch nicht festgestellt worden, dass dem Kläger ein vom Vertragstext abweichender Wille der Beklagten (,nur für die Entlohnung‘) erkennbar war.

2. Von dieser Vereinbarung ausgehend sind auf den Entlohnungsanspruch des Klägers die Bestimmungen des § 28 iVm § 2 BAGS-KV anzuwenden. Danach sind Transitmitarbeiter, die im Rahmen von Sozialökonomischen Betrieben und/oder Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten mit der Zielsetzung der (Re-)Integration arbeiten, verpflichtend psychosozial begleitet22und betreut werden, und wenn diese Maßnahmen vom Arbeitsmarktservice, den Ländern und/oder dem Bundessozialamt gefördert sind und das Arbeitsverhältnis mit bzw nach dem 1.1.2007 begonnen hat, während ihres Einsatzes nach der Regelung des § 28 BAGS-KV zu entlohnen.

3. Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte den Anwendungsbereich des § 28 BAGS-KV nur auf Transitmitarbeiterinnen im Rahmen der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung bezieht, sodass es ihrer Ansicht nach darauf ankäme, ob die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Arbeitskräfteüberlassung iSd § 1 AÜG zu qualifizieren war.

Die Revision lässt dabei außer Acht, dass sich § 28 BAGS-KV nicht auf das AÜG bezieht, sondern genau auf den Sonderfall der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung ,im Sinn der Gegenausnahme des § 2 BAGS-KV‘, also Personen, die in bestimmten gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten mit der Zielsetzung der (Re-)Integration arbeiten.

Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Beschäftigungen unter den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG fallen, weil der Kläger seinen Anspruch nicht auf § 10 Abs 1 AÜG stützt.“

ERLÄUTERUNG

Die gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung stellt ein Instrument zur Wiedereingliederung von schwer vermittelbaren Personen in den allgemeinen Arbeitsmarkt dar.

Folgende Fragen treten immer wieder im Zusammenhang mit Beschäftigungsverhältnissen von Transitarbeitskräften bei gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen auf:

1. Handelt es sich dabei um reguläre Arbeitsverhältnisse? 2. Ist das AÜG anwendbar? 3. Welcher KollV ist anwendbar? 4. Ist bei der Entlohnung des Transitmitarbeiters auf das Mindestentgelt des Beschäftiger-KollV Bedacht zu nehmen?

Zu 1. Der OGH zeigt Unterschiede im vorliegenden Sachverhalt zu dem der Vorjudikate 9 ObA 105/09w (= infas 2010 A 49) und vom 18.2.2010, 8 ObA 48/09f, auf. In den zitierten Entscheidungen diente die – anders als im vorliegenden Fall unbefristete – Tätigkeit der Transitmitarbeiter in erster Linie ihrem eigenen Interesse an einer Beschäftigung, während hier der Kl tatsächlich arbeitsfähig ist, auch schon jahrelang berufstätig war und die vorhandenen Defizite als behebbar anzusehen sind. Der OGH vermittelt dem Leser der gegenständlichen Entscheidungen nach diesen Ausführungen somit zunächst den Eindruck, hier von einem regulären Arbeitsverhältnis auszugehen.

Er lässt die Qualifikation des Beschäftigungsverhältnisses aber im Ergebnis offen, weil in der zwischen den Streitteilen vorliegenden Vereinbarung auf die Anwendbarkeit des BAGS-KollV verwiesen wird und dieser, dem Klagebegehren entsprechend, für den Zeitraum der Überlassung eine Entlohnung nach dem Mindestentgelt des Beschäftiger-KollV vorsieht.

Zu 2. Der OGH lässt auch die Frage offen, ob das AÜG hier anwendbar ist, weil der Kl seinen Anspruch gar nicht auf dieses Gesetz stützte. Angesichts der umfassenden Definition von Arbeitskräfteüberlassung in § 1 Abs 1 AÜG sollte am prinzipiellen Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung iSd AÜG aber kein Zweifel bestehen; allenfalls wäre zu prüfen, ob eine der in § 1 AÜG normierten Ausnahmen von der Vollgeltung des AÜG vorliegt. Die vom Bekl ins Treffen geführte Regelung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG, wonach die Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen eines öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten spezifischen beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms vom Geltungsbereich der §§ 10 bis 16a AÜG ausgenommen ist, würde ihrerseits freilich zu keinem anderen Ergebnis führen: Erst diese Ausnahmeregelung ermöglicht letztlich von § 10 AÜG abweichende Entgeltregelungen, wie etwa jener im hier einschlägigen § 28 BAGS-KollV.

Zu 3. Gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung stellt keine gewerbsmäßige Arbeitskräfteüberlassung dar. Daher sind die ansonsten auf Beschäftigungsverhältnisse von Leih-AN anzuwendenden Kollektivverträge für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (Arbeiter) bzw für Handwerk und Gewerbe (Angestellte) nicht beachtlich. Im vorliegenden Fall ist es mittels Dienstzettels zu einer Vereinbarung der Anwendbarkeit des gesatzten BAGS-KollV gekommen. Auch eine Vereinbarung der Anwendung des gesatzten KollV für AN der privaten Bildungseinrichtungen (BABE-KollV), der betreffend Transitmitarbeiter ähnliche Bestimmungen vorsieht, wäre in Frage gekommen.

Zu 4. § 28 des hier anwendbaren BAGS-KollV sieht – so wie auch der BABE-KollV – den Anspruch der im Rahmen der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung beschäftigten Transitmitarbeiter auf jenes kollektivvertragliche Mindestentgelt vor, das im Beschäftigerbetrieb für die ausgeübte Tätigkeit gilt.

Zusammengefasst lässt der OGH somit Fragen offen (siehe 1. und 2.), kommt aber bei der Beurteilung der Fragen 3. und 4. zu einem eindeutigen Ergebnis.23