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Mindestgröße von 1,70 cm als Auswahlkriterium stellt eine unzulässige Diskriminierung auf Grund des Geschlechts dar

THOMASKALLAB
RL 76/207/EWG idF RL 2002/73/EG und RL 2006/54/EG
EuGH 18.10.2017, C-409/16, Ypourgos Esoterikon, Ypourgos Ethnikis paideias kai Thriskevmaton

Das vorliegende Auslegungsersuchen eines griechischen Gerichts an den EuGH erging in einem Rechtsstreit der Frau Maria-Eleni Kalliri gegen griechische Ministerien. Frau Kalliri war im Einklang mit griechischen Vorschriften der Zugang zur Schule für Offiziere und Polizisten verweigert worden, weil sie die Mindestgröße von 170 cm (sondern bloß 168 cm) nicht erreichte.

Gegenstand des Ersuchens ist die Auslegung der RL 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die RL 2002/73/EG geänderten Fassung (im Folgenden: RL 76/207) und der RL 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen.

Gem Art 2 dieser Richtlinie darf keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgen. Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Der EuGH hält zunächst fest, dass das vorlegende Gericht im Vorlagebeschluss selbst festgestellt hat, dass eine höhere Zahl von Frauen als von Männern weniger als 1,70 m groß ist, so dass Frauen nach dieser Regelung im Vergleich zu Männern in Bezug auf die Zulassung zum Auswahlverfahren für den Zugang zur Schule für Offiziere und Polizisten der griechischen Polizei sehr deutlich benachteiligt werden. Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung zu einer mittelbaren Diskriminierung führt. Diese kann gerechtfertigt werden, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Die griechische Regierung hat im vorliegenden Fall als Rechtfertigung vorgetragen, dass es Ziel der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung sei, die wirksame Erfüllung der Aufgabe der griechischen Polizei zu ermöglichen, und dass der Besitz gewisser besonderer physischer Eignungen, wie eine Mindestkörpergröße, eine erforderliche und angemessene Bedingung für die Erreichung dieses Ziels sei.

Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass das Bemühen, die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizei zu gewährleisten, grundsätzlich ein rechtmäßiges Ziel iSd Gleichbehandlungs-RL darstellt. Allerdings ist zu prüfen, ob ein Mindestgrößenerfordernis geeignet ist, die Erreichung des mit dieser Regelung angestrebten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hierfür Erforderliche hinausgeht.

In diesem Zusammenhang hält der EuGH fest, dass zwar die Ausübung von Tätigkeiten der Polizei wie der Schutz von Personen und Sachen, die Festnahme und Ingewahrsamnahme von Straftätern sowie der präventive Streifendienst die Anwendung körperlicher Gewalt erfordern und besondere körperliche Fähigkeiten erforderlich machen kann. Dennoch gibt es ebenso bestimmte Polizeiaufgaben, wie der Beistand für den Bürger und die Verkehrsregelung, die offenkundig keinen hohen körperlichen Einsatz voraussetzen.

Darüber hinaus sei, selbst wenn im Übrigen angenommen werden sollte, dass alle von der griechischen Polizei ausgeübten Aufgaben eine besondere körperliche Eignung erfordern, nicht ersichtlich, dass eine solche Eignung zwangsläufig mit dem Besitz einer Mindestkörpergröße verbunden ist und dass kleinere Personen darüber von Natur aus nicht verfügen.

Der EuGH kommt daher zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die fragliche griechische Regelung mangels sachlicher Rechtfertigung eine unzulässige Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bewirkt.25