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Entziehung von zu Unrecht gewährtem Pflegegeld bei Änderung des Pflegebedarfs zulässig

MONIKAWEISSENSTEINER

Die 2014 geborene Kl bezog ab 1.5.2015 Pflegegeld der Stufe 1, das mit Bescheid vom 2.8.2016 entzogen wurde, da der notwendige Pflegeaufwand von Beginn an nicht gegeben war. Strittig im Revisionsverfahren ist, unter welchen Voraussetzungen ein zu Unrecht zuerkanntes Pflegegeld entzogen werden kann. Eine Entziehung oder Neubemessung nach § 9 Abs 4 BPGG setzt eine Änderung des Zustands des Pflegegebedürftigen und eine daraus resultierende Erhöhung oder Verringerung des Pflegebedarfs voraus. Das Unter- oder Überschreiten des für die Pflegegeldeinstufung maßgeblichen Grenzwerts ist nach der Judikatur eine wesentliche Änderung iSd § 9 Abs 4 BPGG.

Im vorliegenden Fall betrug der Pflegebedarf bei der Gewährung nicht mehr als 65 Stunden, weshalb die Voraussetzungen für die Gewährung der Stufe 1 nicht vorlagen. Nach Ansicht des OGH rechtfertigt dies zwar alleine die Entziehung der Leistung nicht. Nach den Feststellungen hat sich der Pflegebedarf aber in zwei Punkten wesentlich reduziert: Der Aufwand für die Zubereitung der Mahlzeiten sank um 25 %, jener für die Blutzuckermessung und Verabreichung von Insulin um 32 %, weshalb sich der Pflegeaufwand insgesamt von 46 auf 40,5 Stunden verringerte.

Auf Grund dieser Änderung des Pflegeaufwandes ist das Pflegegeld nach Ansicht des OGH zu Recht entzogen worden. Er verweist in diesem Zusammenhang auf seine Rsp zur Versehrtenrente. Wird einem Versehrten mit der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 5 bis 10 vH aufgrund einer Fehlbeurteilung eine Dauerrente gewährt, berechtigt auch eine geringfügige Verbesserung seines Zustands, die zu einer etwa im Bereich von rund 5 bis 10 vH liegenden Änderung des Maßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit führt, eine Entziehung der zu Unrecht gewährten Dauerrente. Es sei ein schwer vertretbares Ergebnis, wenn ein Versehrter, dem eine Dauerrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente zu Recht gewährt wurde, bei einer geringfügigen Verbesserung seines Zustands die Entziehung der Rente in Kauf nehmen muss, während einem Versehrten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von lediglich 5 bis 10 vH die aufgrund einer Fehleinschätzung gewährte Dauerrente trotz Vorliegens einer umfänglich gleichen Verbesserung nicht entzogen werden könnte. Dieser Grundsatz der Durchbrechung der Rechtskraftwirkung eines Bescheids, der aufgrund einer Fehleinschätzung zu Unrecht eine Leistung gewährte, in Fällen einer wesentlichen Änderung des Sachverhalts gilt auch für die hier zu beurteilende Entziehung des Pflegegeldes.

Das Pflegegeld war demnach gem § 9 Abs 4 BPGG zu Recht entzogen worden.41