30Vom Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für den drittstaatsangehörigen Elternteil
Vom Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für den drittstaatsangehörigen Elternteil
Unter Beachtung des gem Art 24 Abs 2 Grundrechtecharta (GRC) grundrechtlich gesicherten Kindeswohls ist – einzelfallbezogen – davon auszugehen, dass die Tochter der Kl im hier zu beurteilenden Zeitraum als (damals noch) Kleinkind besonders auf den Verbleib der sie tatsächlich betreuenden Kl im Unionsgebiet angewiesen war, und daher bei der für die Kl erforderlichen Ausreise aus dem Unionsgebiet de facto (also: tatsächlich) gezwungen gewesen wäre, sie zu begleiten. Gerade bei einem Kleinkind steht die grundsätzliche Möglichkeit der „Auslagerung“ der Betreuung während der gesamten Vollzeitarbeitsfähigkeit des Elternteils regelmäßig das Kindeswohl entgegen.
Die Tochter der Kl wurde am 17.4.2012 in Thailand geboren. Die Kl ist thailändische Staatsbürgerin. Ihre Tochter und der Vater des Kindes, der Lebensgefährte der Kl, sind österreichische Staatsbürger. Die Kl reiste am 1.9.2013 nach Österreich ein. Sie verfügte zu diesem Zeitpunkt über ein Visum D für den Zeitraum von 30.8.2013 bis 28.2.2014. Ab 3.9.2013 lebte die Kl gemeinsam mit ihrer Tochter und dem Vater des Kindes an zwei Adressen in Wien, an denen alle drei auch behördlich gemeldet waren. Der Vater des Kindes bezog von 3.9.2013 bis 31.1.2014 Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30 + 6 in Höhe von 14,53 € täglich. Am 3.2.2014 beantragte die Kl die Erteilung eines Aufenthaltstitels beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Am 2.3.2015 wurde der Kl ein Aufenthaltstitel „Angehöriger“ für den Zeitraum von 16.2.2015 bis 16.2.2016 erteilt und sie beantragte am 6.11.2014 Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30 + 6. Mit Bescheid vom 7.4.2015 wies die bekl Wiener Gebietskrankenkasse diesen Antrag ab.
Mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Kl die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 6.5.2014 bis 16.3.2015. Sie habe sich seit 1.9.2013 rechtmäßig in Österreich aufgehalten und einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung bereits am 3.2.2014 gestellt. Auch bis zur Entscheidung über diesen Antrag habe sich die Kl rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Die tatsächlich erst am 16.2.2015 erfolgte – positive – Entscheidung über diesen Antrag wirke zurück. Da die Kl ihr Kind betreuen musste, habe sie auch ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gehabt. Die Bekl wandte im Wesentlichen ein, dass sich die Kl nach Ablauf der Gültigkeit ihres Einreisevisums D und bis zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung, daher im Zeitraum 1.3.2014 bis 15.2.2015, nicht rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, sodass gem § 2 Abs 1 Z 5 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe. Der verbleibende Zeitraum bis zum 16.3.2015 begründe, weil er entgegen § 5 Abs 4 KBGG weniger als zwei Monate betrage, keinen Anspruch.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Kl habe im hier zu beurteilenden Zeitraum ihre zweijährige Tochter betreut, während der Vater des Kindes für den gemeinsamen Unterhalt gesorgt habe. Wäre der Kl der Aufenthalt in Österreich verweigert worden, hätte dies faktisch dazu geführt, dass ihre Tochter mit der Mutter das Unionsgebiet verlassen hätte müssen. Die Tochter der Kl wäre damit im Kernbestand ihres Rechts der Unionsbürgerschaft beeinträchtigt worden. Aus der Unionsbürgerschaft ihrer Tochter leite sich unionsrechtlich ein Aufenthaltsrecht der Kl ab. Dieses bestehe aufgrund Art 20 AEUV ex lege und hänge nicht von einer Dokumentation iSd § 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Kl habe einen Erstantrag, nicht aber einen Verlängerungsantrag gem § 2 Abs 1 Z 11 NAG gestellt, sodass dieser gem § 20 Abs 2 NAG erst ab dem Ausstellungsdatum und daher nur für die Zukunft wirke. Die Kl könne sich auch nicht auf ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen. Ein solches ließe sich nach der Rsp des EuGH nämlich nur begründen, wenn ihre Tochter de facto gezwungen wäre, das Unionsgebiet gemeinsam mit der Kl zu verlassen, falls der Kl keine Aufenthaltsberechtigung zukäme. Dies sei hier nicht der Fall, weil der Vater der Tochter der Kl ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft habe und sich hier aufhalte.
Der OGH ließ die Revision wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Rsp zu den hier entscheidungswesentlichen Fragen zu und hielt diese auch für berechtigt. Das Verfahren war zwischenzeitlich jedoch vom OGH wegen einem anhängigen Vorabentscheidungsersuchen hinsichtlich der Fragen zur Auslegung des Art 20 AEUV, denen auch für das vorliegende Verfahren Bedeutung zukommt, unterbrochen wor-42den. Der EuGH hat nunmehr mit Urteil vom 10.5.2017, C-133/15, Chavez Vilchez ua, über die ihm vom Centrale Raad van Beroep (Niederlande) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen entschieden, sodass der OGH das unterbrochene Revisionsverfahren mit Beschluss von Amts wegen fortgesetzt hat.
„[…]
1.2 […] Dass die Gewährung von Sozialleistungen an Unionsbürger, die wirtschaftlich nicht aktiv sind, vom Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat abhängig gemacht wird, widerspricht nicht dem Unionsrecht (EuGHC-308/14, Kommission/Vereinigtes Königreich Rn 68 mwH,; kritisch Felten, DRdA 2017/9, 97 [100]). […]
1.3 Die Klägerin verfügte infolge des von ihr gestellten Erstantrags (§ 21 NAG) über einen befristeten Aufenthaltstitel als Angehörige im Sinn des § 8 Abs 1 NAG ab 16.2.2015. Bereits nach dem Wortlaut des § 20 Abs 2 NAG beginnt die Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels mit dem Ausstellungsdatum. Eine rückwirkende Erteilung eines Aufenthaltstitels ist nach dieser Bestimmung rechtlich nicht zulässig, wenn der Fremde bisher – wie die Klägerin – keinen anknüpfbaren ablaufenden Aufenthaltstitel im Sinn des § 8 NAG innehatte […].
1.4 […] Die Verlängerung einer bereits zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis unterliegt günstigeren Voraussetzungen als die Neuerteilung (Kind, NAG § 24 Rz 1). Die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels beginnt nämlich gemäß § 20 Abs 2 NAG bereits mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag. Sie wirkt daher nur insofern ,in die Vergangenheit‘, als die Verlängerung des Aufenthaltstitels auch für Zeiten nach der Antragstellung in Betracht kommt (Kind, NAG § 24 Rz 2). Damit übereinstimmend ordnet § 24 Abs 1 Satz 3 NAG an, dass der Antragsteller nach Stellung eines Verlängerungsantrags – unbeschadet der Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist. Im Fall eines Verlängerungsantrags wird dem Antragsteller daher bis zur Entscheidung über diesen Antrag dieselbe Rechtsposition eingeräumt, die er nach dem Inhalt des letzten Aufenthaltstitels innehatte (10 ObS 8/16y mH auf VwGH2007/09/0002 ua).
1.5 Eine dem § 24 Abs 1 Satz 3 NAG vergleichbare Regelung fehlt für Fälle der Erstantragstellung. Dies steht im Einklang mit der Grundkonzeption des Gesetzgebers, wonach Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 21 Abs 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen sind. Zwar sieht § 21 Abs 2 NAG in den dort genannten Ausnahmefällen eine Erstantragstellung im Inland vor: Die bloße Antragstellung verschafft dem Fremden jedoch auch in diesen Fällen kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht in Österreich (VwGH Zl 2012/22/0206; Kind, NAG § 21 Rz 14 und 19 mwH). […]
7.1 In der jüngst ergangenen Entscheidung C-133/15, Chavez Vilchez ua, hatte sich der Gerichtshof der Europäischen Union (Große Kammer) mit den Anträgen von drittstaatsangehörigen Müttern von minderjährigen Kindern, die niederländische Staatsangehörige sind, und für die sie die tägliche und elterliche Sorge wahrnehmen, auf Zuerkennung von Sozialhilfe und Kindergeld nach niederländischem Recht auseinanderzusetzen. In allen Fällen hatten die Kinder mit niederländischer Staatsangehörigkeit einen Vater, der ebenfalls die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt. Alle Kinder sind von ihren Vätern anerkannt worden, leben aber hauptsächlich bei ihren drittstaatsangehörigen Müttern.
7.2 Der Gerichtshof entwickelte seine oben dargestellte Rechtsprechung weiter und setzte sich insbesondere mit dem Umstand auseinander, dass in den ihm vorgelegten Sachverhalten die Väter der Kinder über eine Unionsbürgerschaft verfügten und die rechtliche, finanzielle oder affektive Sorge für die Kinder zumindest wahrnehmen konnten bzw teilweise auch (mehr oder weniger vollständig) wahrnahmen (zB im Fall der Antragstellerin Enowassam, C-133/15, Rn 27).[…]
9.1 Es ist nach der dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union daher Sache des nationalen Gerichts, die Voraussetzungen für das Vorliegen eines unionsrechtlich abgeleiteten Aufenthaltsrechts eines Drittstaatsangehörigen in einem Fall wie dem vorliegenden zu prüfen. Ausgehend von der Entscheidung des EuGHC-133/15, Chavez Vilchez ua, kann die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Tochter im hier dargestellten Sinn schon deshalb verneint werden kann, weil der Vater österreichischer Staatsbürger sei, im konkreten Fall nicht geteilt werden.
9.2 Entgegen der von der Beklagten in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht war die Klägerin sehr wohl gezwungen, nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihr erteilten Einreisevisums D das Bundesgebiet zu verlassen; darauf, ob die Gefahr einer Ausweisung der Klägerin aus Österreich tatsächlich bestand, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Vielmehr wurde bereits ausgeführt, dass auch die Berechtigung, einen Erstantrag auf Ertei-43lung einer Aufenthaltsberechtigung im Inland zu stellen, kein über den erlaubten (hier:) visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht schafft (§§ 21 Abs 6, 11 Abs 1 Z 5 NAG). Nach Ablauf des erlaubten visumpflichtigen Aufenthalts ist daher die Ausreise erforderlich und das Verfahren im Ausland abzuwarten (VwGH Zl 2012/22/0206; Zl 2007/18/0015). Die Klägerin wäre daher mit Ablauf des 28.2.2014 zur Ausreise verpflichtet gewesen. […]
9.4 Der Umstand, dass der Vater der Tochter nach den Feststellungen in der Lage und bereit war, die finanzielle Sorge für die Tochter zu tragen, bildet wie ausgeführt lediglich einen Gesichtspunkt von Bedeutung, der aber für sich allein noch nicht die Verneinung eines Abhängigkeitsverhältnisses der Tochter zur Klägerin im dargestellten Sinn rechtfertigen kann (C-133/15, Rn 71). Dazu sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls (Art 24 Abs 2 GRC, C-133/15, Rn 70, 71) zu berücksichtigen.
9.5 Im hier eröffneten Anwendungsbereich des Unionsrechts ist zu beachten, dass das unionsrechtliche Grundrecht des Kindeswohls gemäß Art 24 Abs 2 GRC bei allen das Kind betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen immer eine vorrangige Erwägung sein muss. Maßnahmen betreffen dann die Kinder, wenn sie ihrer Natur nach allein oder im Wesentlichen bei Kindern zur Anwendung kommen. […] Träger des Grundrechts gemäß Art 24 Abs 2 GRC ist das Kind, hier also die Tochter der Klägerin (Fuchs in
In der vorliegenden E hatte der OGH über die Frage des rechtmäßigen Aufenthalts der Kl als Drittstaatsangehörige iSd §§ 8 oder 9 des NAG für den Zeitraum vom 6.5.2014 bis 16.3.2015 gem § 2 Abs 1 Z 5 KBGG zu entscheiden. Sämtliche anderen Voraussetzungen für den Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld wurden durch die Kl erfüllt.
Die Kl verfügte infolge des von ihr gestellten Erstantrags (§ 21 NAG) über einen befristeten Aufenthaltstitel als Angehörige iSd § 8 Abs 1 NAG. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Bundesgebiet iSd § 2 Abs 1 Z 5 KBGG war jedoch die Antwort auf die Frage ausschlaggebend, ob die Aufenthaltserlaubnis in zeitlicher Hinsicht auf den Antragszeitpunkt zurückwirkt oder auf den Gewährungszeitpunkt abzustellen ist. Dazu führt der OGH aus, dass die Verlängerung einer bereits zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis günstigeren Voraussetzungen als die Neuerteilung unterliegt. Die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels beginne nämlich gem § 20 Abs 2 NAG bereits mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag. Sie wirke daher nur insofern „in die Vergangenheit“, als die Verlängerung des Aufenthaltstitels auch für Zeiten nach der Antragstellung in Betracht kommt. Damit übereinstimmend ordnet § 24 Abs 1 Satz 3 NAG an, dass der Antragsteller nach Stellung eines Verlängerungsantrags – unbeschadet der Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist. Im Fall eines Verlängerungsantrags werde dem Antragsteller daher bis zur Entscheidung über diesen Antrag dieselbe Rechtsposition eingeräumt, die er nach dem Inhalt des letzten Aufenthaltstitels innehatte.
Zu § 24 Abs 1 Satz 3 NAG führt der OGH aus, dass eine vergleichbare Regelung für Fälle der Erstantragstellung fehlt. Dies stehe im Einklang mit der Grundkonzeption des Gesetzgebers, wonach Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem § 21 Abs 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Vertretungsbehörde im Ausland einzubringen sind. Zwar sieht § 21 Abs 2 NAG in den dort genannten Ausnahmefällen auch eine Erstantragstellung im Inland vor. Die bloße Antragstellung verschafft dem Fremden jedoch auch in diesen Fällen kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht in Österreich.
In Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht gelangt der OGH daher zum Ergebnis, dass für den hier zu beurteilenden Zeitraum kein rechtmäßiger Aufenthalt der Kl gem § 8 NAG iSd § 2 Abs 1 Z 5 KBGG vorliegt. Dennoch bejaht er bemerkenswerterweise, dem Standpunkt der Kl folgend, dass der Kl ein von ihrer Tochter abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, das sich aus dem unionsrechtlichen Recht auf Familienzusammenführung ergebe. In seiner Begründung stützt sich der OGH im Wesentlichen auf die stRsp des EuGH (die er in dieser E zusammenfassend darstellt) sowie des VwGH (24.4.2012, 2012/09/0003).
In Anlehnung der dargestellten Rsp sowie ausgehend von der jüngst ergangenen E des EuGH Rs Chavez Vilchez ua führt der OGH aus, dass44es Sache des nationalen Gerichts ist, die Voraussetzungen für das Vorliegen eines unionsrechtlich abgeleiteten Aufenthaltsrechts eines Drittstaatsangehörigen in einem Fall wie dem vorliegenden zu prüfen. Er teilt die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ausdrücklich nicht, wonach ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Kl und ihrer Tochter im hier dargestellten Sinn schon deshalb verneint werden kann, weil der Vater österreichischer Staatsbürger sei.
Nach den Feststellungen betreute die Kl ihre Tochter im hier zu beurteilenden Zeitraum tatsächlich und täglich, während dessen der Vater des Kindes weit überwiegend vollzeitbeschäftigt war. Insofern übte die Kl die maßgebliche tatsächliche Sorge („rechtliche, finanzielle oder affektive Sorge“) für die Tochter aus. Der Umstand, dass der Vater der Tochter in der Lage und bereit war, die finanzielle Sorge für die Tochter zu tragen, ist zwar von Bedeutung, kann aber für sich allein noch nicht die Verneinung eines Abhängigkeitsverhältnisses der Tochter zur Kl im dargestellten Sinn rechtfertigen (vgl auch EuGH Rs Chavez Vilchez ua, Rn 71). Dazu sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls zu berücksichtigen.
Es sei zu beachten, dass das unionsrechtliche Grundrecht des Kindeswohls gem Art 24 Abs 2 GRC bei allen das Kind betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen immer eine vorrangige Erwägung sein muss. Nach den Feststellungen sei die Tochter der Kl im hier zu beurteilenden Zeitraum erst zwei Jahre alt gewesen, und der Vater war wegen seiner Vollzeitbeschäftigung – auch unter Berücksichtigung der kurzen Unterbrechungen der Arbeitstätigkeit – nicht in der Lage, das Kind täglich und tatsächlich zu betreuen. Unter Beachtung des gem Art 24 Abs 2 GRC grundrechtlich gesicherten Kindeswohls sei daher – einzelfallbezogen – davon auszugehen, dass die Tochter der Kl im hier zu beurteilenden Zeitraum als (damals noch) Kleinkind besonders auf den Verbleib der sie tatsächlich betreuenden Kl im Unionsgebiet angewiesen war. Daher wäre auch die Tochter im Falle der gebotenen Ausreise der Mutter de facto gezwungen gewesen, diese zu begleiten. Gerade bei einem Kleinkind steht die grundsätzliche Möglichkeit der „Auslagerung“ der Betreuung während der gesamten Vollzeitarbeitsfähigkeit des Elternteils regelmäßig dem Kindeswohl entgegen.
Aus diesen Überlegungen bejaht der OGH im konkreten Fall zur Wahrung der aus der Unionsbürgerschaft resultierenden Rechte der Tochter der Kl für den hier zu beurteilenden Zeitraum 6.5.2014 bis 16.3.2015 ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht der Kl. Der OGH hat daher der Revision Folge gegeben und das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt.
Der vorliegenden E kommt eine klarstellende und insofern wegweisende Bedeutung zu, weil der OGH seine E an die bisherige Judikatur des EuGH anlehnt.