43Umfang der Bindungswirkung einer gerichtlichen Entscheidung im Vorverfahren gegenüber der IEF-Service GmbH
Umfang der Bindungswirkung einer gerichtlichen Entscheidung im Vorverfahren gegenüber der IEF-Service GmbH
Besteht eine rechtskräftige Entscheidung über die dem AN gegen den AG zustehenden Ansprüche, so ist gem § 7 Abs 1 IESG die Entscheidung des Gerichts für die hier bekl IEF-Service GmbH für die Frage bindend, ob ein und gegebenenfalls welcher Anspruch gegen den AG vorliegt. Maßgebend ist, dass die jeweilige rechtliche Fragestellung Inhalt des kontradiktorischen rechtskräftigen Urteils ist, also vom Gericht im Vorprozess geprüft wurde. In der Beurteilung, ob der Anspruch nach dem IESG gesichert ist, also hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, Anspruchsgrenzen und Anspruchsausschlüsse nach dem IESG, besteht keine Bindung der IEF-Service GmbH.
Die zwölf Kl bildeten eine Bauarbeiterpartie, wobei der Erstkl die Arbeiterpartie organisierte und als deren Gruppensprecher auftrat. Im Juni 2014 vereinbarte der Erstkl mit dem AG, dass mit jedem einzelnen Gruppenmitglied ein Arbeitsvertrag über verschiedene Bauhilfsarbeiten eingegangen wird. Dabei wurde für jeden einzelnen AN ein Lohn von € 15,– netto pro Stunde vereinbart. Auf Basis dieser Vereinbarung arbeiteten die Kl auf verschiedenen Baustellen und erbrachten insgesamt Arbeitsleistungen im Ausmaß von 859,5 Stunden um € 12.892,50. Für die Arbeiten auf einer der Baustellen leistete der AG eine Teilzahlung in Höhe von € 2.000,–. Darüber hinaus vereinbarte der Erstkl für eine andere Baustelle mit dem AG ein (Gruppen-)Arbeitsverhältnis, für das ein Pauschalentgelt von € 8.000,– vereinbart wurde. Der über diese Arbeiten an einer Fassade errichtete Vertrag wurde als „Werkvertrag“ bezeichnet. Dementsprechend wurde auch Umsatzsteuer nach slowakischem Recht in Höhe von € 296,– geltend gemacht.
Da der AG die geltend gemachten Ansprüche nicht beglich, traten die übrigen Mitglieder der Arbeiterpartie ihre Ansprüche an den Erstkl zum Inkasso ab. Der Erstkl erhob am 21.11.2014 Klage beim Arbeits- und Sozialgericht (ASG) Wien über € 19.188,– sA. Hinsichtlich der nach Stunden abgerechneten Leistungen erfolgte eine Zuordnung der Arbeitsstunden auf die einzelnen Gruppenmitglieder. Hinsichtlich des Pauschalentgelts erfolgte keine Aufschlüsselung. Aufgrund der vom AG erhobenen Einrede der sachlichen Unzuständigkeit, der sich der Erstkl unterwarf, wurde das Verfahren an das Handelsgericht Wien überwiesen. Mit Urteil vom 24.11.2015 gab das Handelsgericht Wien im Vorverfahren dem Klagebegehren statt. Dementsprechend wurde der AG verpflichtet, dem Erstkl € 19.188,– samt Zinsen zu bezahlen sowie die mit € 7.381,52 bestimmten Prozesskosten zu ersetzen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.
Mit Beschluss vom 30.11.2015 wurde über das Vermögen des AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Erstkl meldete die Ansprüche im Insolvenzverfahren an. Später zedierte der Erstkl die ihm zuvor zum Inkasso gegen den Schuldner abgetretenen Ansprüche an die übrigen Mitglieder der Arbeiterpartie wieder zurück. In der Folge beantragten die Kl ihre Ansprüche als Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH. Der erwähnte Pauschalbetrag wurde zur Gänze vom Erstkl beantragt. Mit Schreiben vom 17.5.2016 ersuchte die bekl IEF-Service GmbH die Kl um Ergänzungen. Nach Auskunft der Kl, wonach die Antworten auf die gestellten Fragen bereits vorliegen würden, erließ die Bekl – bis zum 10.9.2016 – keinen Bescheid. Daraufhin erhoben die Kl die hier verfahrensgegenständliche Säumnisklage nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG.
Die Kl begehrten jeweils die Abgeltung der nach Stunden abgerechneten Arbeitsleistungen, wobei sie das Bestehen einer Nettolohnvereinbarung behaupteten. Weiters verlangten sie die Zahlung des88vereinbarten Pauschalbetrags. Mit Schriftsatz vom 28.11.2016 brachten sie dazu vor, dass die Pauschale fünf (namentlich bezeichneten) Kl zu gleichen Teilen zustehe, weshalb auf jeden von ihnen ein Betrag von € 1.600,– entfalle. Sie hätten mit dem späteren Schuldner eine echte Nettolohnvereinbarung getroffen. Der Einwand der Bekl, dass die Forderungen im Insolvenzverfahren nicht angemeldet worden seien, sei unzutreffend. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Inkassozession an den Erstkl noch aufrecht gewesen, weshalb nur dieser die im Vorverfahren zugesprochenen Ansprüche im Insolvenzverfahren hätte anmelden können.
Die Bekl entgegnete, dass die Zweit- bis Zwölftkl ihre Forderungen entgegen dem Gebot des § 1 Abs 5 IESG nicht im Insolvenzverfahren angemeldet hätten. Die Ansprüche seien auch deshalb nicht berechtigt, weil der Erstkl kein AN, sondern selbstständiger Unternehmer sei. Die Zweit- bis Zwölftkl seien nicht beim Schuldner, sondern beim Erstkl beschäftigt gewesen. Weiters sei die geltend gemachte slowakische Umsatzsteuer nicht nach dem IESG gesichert.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und ermittelte die Beträge, die den einzelnen Kl für die nach Stunden abgerechneten Arbeitsleistungen gebührten, sprach sie jedoch nur als Bruttobeträge zu. Weiters sprach es dem Erstkl Prozesskosten in Höhe von € 7.381,52 zu. Die darüberhinausgehenden Ansprüche – insb auch der Pauschalbetrag – wurden zur Gänze abgewiesen. Hinsichtlich der Pauschale sei der IESG-Antrag nicht aufgeschlüsselt worden. Ohne Aufschlüsselung und Zuordnung der Beträge zu den einzelnen AN entspreche der IESG-Antrag nicht dem Inhaltserfordernis des § 6 Abs 2 IESG. Die Konkretisierung mit Schriftsatz vom 28.11.2016 (je € 1.600,–) sei verspätet erfolgt, weil die Aufschlüsselung innerhalb von sechs Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens, somit spätestens am 31.5.2016, hätte erfolgen müssen. Zudem wurde das Begehren des Erstkl, ihm die Kosten für den Fortsetzungsantrag vom 28.1.2016 in Höhe von € 450,90 zu ersetzen, abgewiesen. Bei diesen Kosten handle es sich um nachträgliche Kosten, deren Bestimmung innerhalb einer Frist von vier Wochen beim Handelsgericht Wien hätten beantragt werden müssen. Darüber hinaus sei auch die slowakische Umsatzsteuer (€ 296,–) nicht nach § 1 IESG gesichert.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Zur behaupteten Nettolohnvereinbarung sei davon auszugehen, dass der AG mit den Kl eine „Schwarzgeldzahlung“ vereinbart habe. Der Pauschalbetrag hätte bereits im IESG-Verfahren aufgegliedert werden müssen. Die Aufgliederung, welche konkreten AN in diesem Zusammenhang Arbeitsverträge eingegangen und die entsprechenden Arbeitsleistungen erbracht hätten, sei jedoch unterlassen worden. Auch wenn die Forderung aus einem Gruppenarbeitsvertrag eine Gesamthandforderung darstelle, müsse der Antrag auf Insolvenzentgelt den Anforderungen des § 6 IESG entsprechen. Der Pauschalbetrag hätte daher innerhalb der gebotenen Frist aufgeschlüsselt werden müssen. Diesem Inhaltserfordernis habe der Antrag jedoch nicht entsprochen. Dieser Umstand sei von den Kl selbst verschuldet worden. Zum Fortsetzungsantrag fehle eine Kostenbestimmung gem § 54 Abs 2 ZPO durch das HG Wien. Die slowakische Umsatzsteuer stelle keinen gesicherten Anspruch dar.
Der OGH gab der dagegen erhobenen Revision teilweise Folge. Die Urteile der Vorinstanzen wurden – abgesehen vom Zuspruch der Prozesskosten aus dem Vorverfahren in Höhe von € 7.381,52 an den Erstkl und der Abweisung der Kosten des Fortsetzungsantrags vom 28.1.2016 im Vorverfahren in Höhe von € 450,90 – als nichtig aufgehoben. Die Rechtssache wurde in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
„1. Vorweg wird festgehalten, dass es sich bei der zugrunde liegenden Klage um eine Säumnisklage nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG handelt (vgl 10 ObS 202/98x). Die für die Erlassung eines Bescheides eröffnete Frist von sechs Monaten war abgelaufen.
2. Die Kläger beschweren sich darüber, dass die vom Erstgericht nach den konkreten Arbeitsstunden ermittelten Beträge nur brutto zuerkannt wurden und der geforderte Pauschalbetrag unberücksichtigt geblieben ist. Im Vorverfahren sei das Handelsgericht Wien von einer Nettolohnvereinbarung ausgegangen. Dieser Umstand sei von der Bindungswirkung erfasst.
Mit dem behaupteten Verstoß gegen die Bindungswirkung machen die Kläger einen Nichtigkeitsgrund geltend.
3. Im Vorverfahren wurden dem (hier) Erstkläger rechtskräftig 19.188 EUR sA zugesprochen. Laut rechtskräftigem Urteil des Handelsgerichts Wien setzt sich dieser Betrag wie folgt zusammen:
859,5 Stunden á 15 EUR = 12.892,50 EUR abzüglich Teilzahlung 2.000 EUR = 2.000 EUR Pauschalbetrag 8.000 EUR slowakische USt 296 EUR
Dem nach Arbeitsstunden zugesprochenen Betrag von 10.892,50 EUR [12.892,50 minus 2.000], der teilweise an den Kläger zedierte (und später rückzedierte) Forderungen betrifft, liegen – wiederum laut Vorbringen des Klägers im Vorverfahren, dem das Handelsgericht Wien gefolgt ist – folgende Ansprüche zugrunde […]. Bei diesen Beträgen handelt es sich um Nettobeträge. […]
4.1 Besteht eine rechtskräftige Entscheidung über dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber89zustehende Ansprüche, so ist gemäß § 7 Abs 1 IESG die Entscheidung des Gerichts für die hier Beklagte für die Frage bindend, ob ein und gegebenenfalls welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt. Maßgebend ist, dass die jeweilige rechtliche Fragestellung Inhalt des kontradiktorischen rechtskräftigen Urteils ist, also vom Gericht im Vorprozess geprüft wurde (8 ObS 2/17b). In der Beurteilung, ob der Anspruch nach dem IESG gesichert ist, also hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, Anspruchsgrenzen und Anspruchsausschlüsse nach dem IESG, besteht keine Bindung der Beklagten (Gahleitner in ZellKomm2 § 7 IESG Rz 2 f).
Die Reichweite der Bindungswirkung wird grundsätzlich durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen, sodass sich die materielle Rechtskraft auf die Tatsachenfeststellungen insoweit erstreckt, als dies zur Individualisierung des Spruchs notwendig ist. Dies bedeutet, dass die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen sind (RIS-Justiz RS0043259; 8 ObA 76/16h; 8 Ob 26/17g).
4.2 Im Vorverfahren hat der beklagte Arbeitgeber (spätere Schuldner) lediglich den Einwand erhoben, dass die Arbeiten mangelhaft ausgeführt worden seien und diesen kein Wert zugekommen sei. Außerdem seien die Arbeiten nicht ordnungsgemäß abgerechnet worden. Das Handelsgericht Wien ist vom Vorbringen des Klägers (hier Erstklägers) ausgegangen und hat dieses als richtig unterstellt. Dies gilt auch für die behauptete Nettolohnvereinbarung, auf die im Urteil des Handelsgerichts Wien ausdrücklich Bezug genommen wird. Auch diese Behauptung des Klägers hatte der beklagte Arbeitgeber im Vorverfahren nicht bestritten.
4.3 In Bezug auf die Nettolohnvereinbarung sowie in Bezug auf die Berechnung der nach Arbeitsstunden ermittelten Ansprüche der Kläger (soweit diese von der hier erfolgten Darstellung laut Vorprozess abweicht und diese Abweichung nicht nur die Aufrundung der Beträge betrifft) besteht ein Verstoß gegen die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils im Vorprozess.
4.4 Zum Pauschalentgelt wurde im Vorverfahren festgestellt, dass sämtliche der Pauschalvereinbarung zugrunde liegenden Leistungen vom Kläger (hier Erstkläger) erbracht wurden. Da dem Erstkläger im Vorverfahren auch der Pauschalbetrag zuerkannt wurde, ist dieser Zuspruch ebenfalls von der Bindungswirkung erfasst. Der Umstand, dass der dem Pauschalentgelt zugrunde liegende Vertrag als ‚Werkvertrag‘ bezeichnet wurde, bleibt unerheblich, weil es sich dabei um eine bewusste Falschbezeichnung handelte.
5.1 Wird die Bindungswirkung zu Unrecht verneint, so liegt ein Verstoß gegen die Rechtskraft vor, was Nichtigkeit begründet (RIS-Justiz RS0041896). Dies hat zur Folge, dass die vom Nichtigkeitsgrund betroffene Entscheidung, allenfalls samt Verfahren, aufzuheben ist. In der Folge ist die neuerliche Sachentscheidung unter Bindung an die rechtskräftig entschiedene Vorfrage zu treffen (RIS-Justiz RS0074226).
5.2 Der Pauschalbetrag von 8.000 EUR wurde von den Vorinstanzen im hier vorliegenden IESG-Verfahren mit der Begründung nicht zugesprochen, dass die zugrunde liegenden Arbeitsleistungen nicht mehr feststellbare Mitglieder der Arbeiterpartie erbracht hätten und eine Aufschlüsselung hinsichtlich der einzelnen Kläger innerhalb der Sechsmonatsfrist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (bis 31.5.2016) nicht erfolgt sei, weshalb kein iSd § 6 IESG fristgerechter und den Inhalts- und Formerfordernissen entsprechender Antrag gestellt worden sei.
Nach dem bindenden Urteil des Handelsgerichts Wien im Vorverfahren wurden die dem Pauschalentgelt zugrunde liegenden Arbeitsleistungen vom Erstkläger erbracht. Ursprünglich (mit Antrag vom 11.3.2016) hat auch er im IESG-Verfahren diesen Betrag beansprucht. Im Schriftsatz vom 28.11.2016 (ON 5, 6) wurde demgegenüber vorgebracht, dass auf den Erstkläger (für die Zeit vom 23.6. bis 23.7.2014) nur ein Anteil von einem Fünftel (1.600 EUR) entfalle.
5.3 Soweit die in Rede stehenden Arbeitsleistungen von den Vorinstanzen nicht nur dem Erstkläger zugeordnet wurden, liegt ein Verstoß gegen die Bindungswirkung vor. Die Anmeldung des Erstklägers im IESG-Verfahren hat auch die Pauschale beinhaltet. Ihm gegenüber kann daher nicht von einer mangelnden Aufschlüsselung des geltend gemachten Betrags ausgegangen werden. Allerdings will er den aus der Pauschale resultierenden Sicherungsbetrag für sich auf 1.600 EUR begrenzt wissen.
6. Die Kosten für den Fortsetzungsantrag im Vorverfahren (ON 25) wurden dem Erstkläger mangels Kostenentscheidung nicht zugesprochen. Er habe keinen Antrag nach § 54 Abs 2 ZPO gestellt, weshalb die Anspruchsvoraussetzungen fehlten. Der Erstkläger hält dem in der Revision entgegen, dass ein Fortsetzungsantrag kein Ergänzungsantrag sei. Auch Kosten, die in einem nach § 7 IO unterbrochenen Verfahren entstünden, seien gesichert.
Die grundsätzliche Sicherungsfähigkeit der in Rede stehenden Kosten wird von den Vorinstanzen nicht in Abrede gestellt. Nach § 1 Abs 2 Z 4 IESG sind allerdings nur rechtskräftig zugesprochene bzw festgestellte Kosten, sofern eine Kostenentscheidung bzw Kostenbestimmung im gerichtlichen Verfahren in Betracht kommt, gesichert (vgl 8 ObS 9/15d). § 54 Abs 2 ZPO bezieht sich auf nachträgliche Kosten, also auf solche, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden sind. Im Anlassfall hätte somit ein Antrag auf nachträgliche Kostenbestimmung gestellt werden müssen, und zwar entspre-90chend der Beurteilung der Vorinstanzen beim Erstgericht. Entgegen der Argumentation der Kläger hat es im Vorverfahren mangels eines Berufungsverfahrens gar kein (funktionell zuständiges) Berufungsgericht gegeben. Davon abgesehen sind Kostenbestimmungsanträge gemäß § 54 Abs 2 ZPO nach der Rechtsprechung in der Regel generell von der ersten Instanz zu behandeln (RIS-Justiz RS0036076).
7. Zur geltend gemachten slowakischen Umsatzsteuer ist darauf hinzuweisen, dass die Sicherung von Arbeitnehmeransprüchen nach dem IESG sondergesetzlich geregelt ist. Dementsprechend ist zwischen arbeitsrechtlicher, insolvenzrechtlicher und IESG-rechtlicher Beurteilung streng zu unterscheiden (8 ObS 4/17x). Der Zweck des IESG besteht darin, den Arbeitnehmern im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers das Risiko des sofortigen Verlusts der Entgeltansprüche, auf die sie zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen sind, abzunehmen. Mit Rücksicht auf diese Zielsetzung hat der Gesetzgeber bestimmte Kategorien von Ansprüchen als gesicherte Ansprüche anerkannt und in § 1 Abs 2 IESG aufgenommen. Daraus folgt, dass ein geltend gemachter Anspruch einer in § 1 Abs 2 IESG normierten Anspruchsart zugeordnet werden muss; eine Umgehung ist unzulässig (vgl 8 ObS 1/15b).
Wie die Vorinstanzen zutreffend beurteilt haben, stellt die slowakische Umsatzsteuer keinen nach dem IESG gesicherten Anspruch dar. Diese Forderung wurde daher zu Recht abgewiesen. Insoweit ist die Entscheidung der Vorinstanzen zu bestätigen.
8. Der Zuspruch der Prozesskosten aus dem Vorverfahren (7.381,52 EUR) ist von der Nichtigkeit nicht betroffen. Auch in dieser Hinsicht bleibt es bei der Entscheidung der Vorinstanzen.“
Vorab ist festzuhalten, dass es sich bei der vorliegenden Klage um eine Säumnisklage nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG handelt. Eine derartige Klage kann eingebracht werden, wenn die IEF-Service GmbH nicht binnen sechs Monaten über den Antrag auf Insolvenz-Entgelt entscheidet.
Dem gegenständlichen Verfahren, in dem es um die Frage des Bestehens eines Sicherungsanspruches gegenüber der IEF-Service GmbH ging, war allerdings bereits ein anderer Prozess vor dem Handelsgericht Wien vorausgegangen. Auslöser dieses ersten Verfahrens vor dem Handelsgericht Wien waren offene Ansprüche der Bauarbeiterpartie, die klagsweise geltend gemacht wurden. Zu diesem Zweck hatten alle Betroffenen sämtliche Ansprüche sowohl aus der nach Stunden erbrachten Arbeitsleistung als auch jene aus der Pauschalvereinbarung von den AN zunächst zur gerichtlichen Geltendmachung an den Erstkl zediert, sprich übertragen. Dieser brachte dann eine dementsprechende Klage beim ASG ein, die danach – mangels Zuständigkeit des ASG – an das Handelsgericht Wien weitergeleitet wurde. Hinsichtlich der nach Stunden abgerechneten Leistungen erfolgte eine Zuordnung der Arbeitsstunden auf die einzelnen Gruppenmitglieder. Hinsichtlich des Pauschalentgelts erfolgte keine Aufschlüsselung. Das Handelsgericht Wien gab im Vorverfahren dem Klagebegehren statt. Dementsprechend wurde der AG verpflichtet, dem Erstkl € 19.188,– samt Zinsen zu bezahlen sowie die mit € 7.381,52 bestimmten Prozesskosten zu ersetzen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.
Allerdings wurden diese rechtskräftigen Forderungen vom AG nicht beglichen, da er insolvent wurde. Aus diesem Grund hatte der Erstkl die offenen Forderungen bei der IEF-Service GmbH angemeldet. Diese verabsäumte jedoch einen Bescheid zu erlassen, weshalb die streitgegenständliche Säumnisklage beim ASG eingebracht wurde. Nunmehr hatte also das ASG zu entscheiden, ob die geltend gemachten Ansprüche vom IESG erfasst und damit gesichert sind.
Im gegenständlichen Verfahren wurden die nach den konkreten Arbeitsstunden ermittelten Beträge vom Erstgericht jedoch nur brutto zuerkannt, obwohl das Handelsgericht Wien im Vorverfahren von einer Nettolohnvereinbarung ausgegangen war. Der geforderte Pauschalbetrag blieb sogar gänzlich unberücksichtigt, obwohl dieser Anspruch dem Grunde nach vom Handelsgericht Wien bestätigt wurde. Aus diesem Grund legte der Kl Berufung gegen das Urteil des Erstgerichts ein. Er machte geltend, dass die IEF-Service GmbH an das im Vorverfahren erwirkte rechtskräftige Urteil, indem sowohl eine Nettolohnvereinbarung festgestellt als auch der Pauschalbetrag zugesprochen worden war, gebunden sei.
Der OGH bestätigte die Rechtsansicht des Kl. Gem § 7 Abs 1 IESG ist die IEF-Service GmbH bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden sind, gebunden. Das gilt gem § 7 Abs 1 IESG für die Beurteilung der Frage, ob ein und gegebenenfalls welcher Anspruch gegen den AG besteht. Maßgeblich ist daher, ob die jeweilige rechtliche Fragestellung vom Gericht im Vorprozess geprüft wurde.
Im konkreten Fall ist das Handelsgericht Wien dem Vorbringen des Kl (hier Erstkl) gefolgt und hat dessen Vorbringen als zutreffend festgestellt. Dies gilt auch für die behauptete Nettolohnvereinbarung, auf die im Urteil des Handelsgerichts Wien ausdrücklich Bezug genommen wird. Der bekl AG hatte diese Behauptung im Vorverfahren auch nicht bestritten. Das Erstgericht ging hingegen von einer Bruttoberechnung aus. Folglich be-91steht in Bezug auf die Nettolohnvereinbarung sowie in Bezug auf die Berechnung der nach Arbeitsstunden ermittelten Ansprüche der Kl ein Verstoß gegen die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils im Vorprozess.
Das gilt auch für den Anspruch auf Leistung des Pauschalbetrags. Der Pauschalbetrag von € 8.000,– wurde von den Vorinstanzen im hier vorliegenden IESG-Verfahren mit der Begründung nicht zugesprochen, dass nicht mehr feststellbar sei, welche Arbeitsleistungen den einzelnen Mitgliedern der Arbeiterpartie zuzurechnen seien und eine Aufschlüsselung hinsichtlich der einzelnen Kl innerhalb der Sechsmonatsfrist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (bis 31.5.2016) nicht erfolgt sei. Es sei daher kein fristgerechter sowie den Inhalts- und Formerfordernissen des § 6 IESG entsprechender Antrag gestellt worden.
Nach dem bindenden Urteil des Handelsgerichts Wien im Vorverfahren wurden jedoch die dem Pauschalentgelt zugrundeliegenden Arbeitsleistungen vom Erstkl erbracht. Der Erstkl hatte diesen Betrag ursprünglich auch mittels Antrags im IESG-Verfahren für sich beansprucht. Erst mit Schriftsatz vom 28.11.2016 wurde vorgebracht, dass auf den Erstkl nur ein Anteil von einem Fünftel (€ 1.600,–) entfalle. Soweit die in Rede stehenden Arbeitsleistungen von den Vorinstanzen nicht nur dem Erstkl zugeordnet wurden, liegt ein Verstoß gegen die Bindungswirkung vor. Zum Pauschalentgelt wurde im Vorverfahren festgestellt, dass sämtliche der Pauschalvereinbarung zugrundeliegenden Leistungen vom Kl (hier Erstkl) erbracht wurden. Da dem Erstkl im Vorverfahren auch der Pauschalbetrag zuerkannt wurde, ist dieser Zuspruch ebenfalls von der Bindungswirkung erfasst. Der Umstand, dass der dem Pauschalentgelt zugrundeliegende Vertrag als „Werkvertrag“ bezeichnet wurde, bleibt unerheblich, weil es sich dabei um eine bewusste Falschbezeichnung handelte. Die Anmeldung des Erstkl im IESG-Verfahren hat auch die Pauschale beinhaltet. Ihm gegenüber kann daher nicht von einer mangelnden Aufschlüsselung des geltend gemachten Betrags ausgegangen werden. Allerdings hat er selbst mit seinen nachfolgenden Angaben den aus der Pauschale resultierenden Sicherungsbetrag für sich mit € 1.600,– begrenzt.
Wird die Bindungswirkung zu Unrecht verneint, so liegt ein Verstoß gegen die Rechtskraft des Ersturteils vor, der die Nichtigkeit des folgenden Verfahrens begründet. Dies hat zur Konsequenz, dass die vom Nichtigkeitsgrund betroffene Entscheidung aufzuheben ist. In der Folge ist die neuerliche Sachentscheidung unter Bindung an die rechtskräftig entschiedene Vorfrage zu treffen.
Festzuhalten ist jedoch, dass sich die Bindungswirkung ausschließlich auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruches dem Grunde nach bezieht. In der Beurteilung, ob dieser Anspruch nach dem IESG gesichert ist, also hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, Anspruchsgrenzen und Anspruchsausschlüsse nach dem IESG, besteht hingegen keine Bindung der IEF-Service GmbH. Darüber hinaus tritt Bindungswirkung dann nicht ein, wenn der Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist – wie zB bei einem Zahlungsbefehl oder Versäumungsurteil – oder ein bloßes Anerkenntnisurteil gefällt wurde, sofern diese Gerichtsentscheidung vor weniger als sechs Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder vor Erlassung eines gleichzuhaltenden Gerichtsbeschlusses rechtskräftig geworden ist.