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Keine Verjährung der Ansprüche bei Klagseinbringung fünf Monate nach Scheitern mehrjähriger Vergleichsverhandlungen

MANFREDTINHOF

Die von der Kl als Abnahmeschwester in der Blutspendezentrale der Bekl in den Jahren 2005 bis 2010 geleisteten Mehr- und Überstunden wurden nicht zur Gänze bezahlt. In den Jahren 2008 bis 2014 kam es zwischen den Vertretern der AN und der AG-Seite zu wiederholten umfangreichen Verhandlungen über die Frage der korrekten Abrechnung von Mehr- und Überstunden der Mitarbeiter, wobei die für die Bekl auftretenden Personen den Vertretern der AN gegenüber mehrfach ausdrücklich zusicherten, dass – nach Klärung der Rechtslage – sämtliche Mehr- und Überstunden ab 1.3.2005 nachverrechnet würden und die Ansprüche darauf den AN nicht verloren gehen würden. Die Kl erfuhr Anfang Jänner 2015, dass die Vergleichsverhandlungen nun endgültig gescheitert waren und klagte ihre Ansprüche im Juni 2015 ein. Die Bekl wendete Verjährung ein, nachdem sie bereits im September 2014 allfällige Verjährungsverzichtserklärungen widerrufen hatte.

Der OGH beurteilte die E des Berufungsgerichts, nach der hier die gerichtliche Geltendmachung der eingeklagten Ansprüche im Juni 2015 noch als innerhalb angemessener Frist qualifiziert wurde, aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls als nicht unvertretbar und wies die außerordentliche Revision der Bekl zurück.

Verstößt der Verjährungseinwand gegen Treu und Glauben, so kann diesem die Replik der Sittenwidrigkeit entgegengehalten werden. Nach der erkennbaren Aufgabe eines Schuldnerverhaltens, das einen allfälligen Verjährungseinwand sittenwidrig erscheinen lässt, muss vom Gläubiger innerhalb angemessener Frist Klage eingebracht74werden. Dies hat die Kl im vorliegenden Fall getan, weshalb ihre Ansprüche als noch nicht verjährt angesehen wurden.

ANMERKUNG DES BEARBEITERS:
Gem § 1502 ABGB kann auf die Verjährung im Voraus nicht verzichtet werden; ein solcher (an sich unwirksamer) Verjährungsverzicht wird jedoch idR zur Folge haben, dass ein dennoch erhobener Verjährungseinwand wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben unbeachtlich bleibt. Dem Schuldner steht es freilich offen, einen vor Eintritt der Verjährung abgegebenen Verzicht auf Erhebung der Verjährungseinrede zurückzunehmen. Erfolgt die Rücknahme des Verzichts nach Ablauf der Verjährungsfrist, so darf der Gläubiger nicht untätig bleiben, sondern muss, um sich die Replik der Sittenwidrigkeit zu wahren, innerhalb angemessener Frist eine Verjährungsunterbrechung (im Regelfall durch Einbringung der Klage) herbeiführen. Bereits in der E 8 ObA 71/16y (= DRdA-infas 2017, 78)hat der OGH den Verjährungseinwand auch dann als sittenwidrig angesehen, wenn der AG zuvor ein Verhalten gesetzt hat, aufgrund dessen der AN nach objektiven Maßstäben der Auffassung sein konnte, sein Anspruch werde ohne Rechtsstreit befriedigt, sodass er (nur) aus diesen Gründen eine rechtzeitige Klagsführung unterlassen hat. Während in diesem Rechtsstreit zwischen dem Scheitern der ebenfalls mehr als sechs Jahre dauernden Vergleichsverhandlungen und der Klagseinbringung knapp über zwei Monate vergangen waren, erachtet der OGH im nun vorliegenden Judikat in Fortführung seiner Linie aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Beurteilung der Angemessenheit einer Zeitspanne von mehr als fünf Monaten zwischen dem Ende der Verhandlungen und der Klage als nicht unvertretbar.