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Entgeltansprüche eines Betriebsrats bei Dienstfreistellung und vorheriger Überstundenleistung

MANFREDTINHOF

Waren die für die Entgeltberechnung während einer Dienstfreistellung gem § 1155 ABGB zu berücksichtigenden Überstunden erheblichen Schwankungen unterworfen, erweist sich ein einjähriger Beobachtungszeitraum als angemessen.

Soweit Zeitguthaben durch Zeitausgleich unter Anrechnung auf die Normalarbeitszeit verbraucht wurden, liegen keine Überstunden vor. Eine Berücksichtigung dieser bereits ausgeglichenen Arbeitsstunden bei der Bemessung des Entgelts für die Dienstfreistellung kommt somit grundsätzlich nicht in Betracht. Auch für eine „Neutralisierung“ von Nichtarbeitszeiten (Urlaub, Krankheit) bei der Entgeltberechnung nach § 1155 ABGB besteht – sofern sie im Beobachtungszeitraum nicht in einem atypischen Ausmaß entstanden sind – keine Veranlassung.

SACHVERHALT

Eine im Unternehmen der Bekl geltende BV ermöglicht es den Mitarbeitern, Arbeitsbeginn und Arbeitsende innerhalb eines festgelegten Zeitraums (Montag bis Freitag, 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr) selbst zu bestimmen. Die tatsächliche Arbeitszeit der Mitarbeiter wird durch ein Zeiterfassungssystem dokumentiert. Über- und Unterschreitungen der täglichen Sollarbeitszeit werden innerhalb des (drei Monate betragenden) Durchrechnungszeitraums ausgeglichen; jeweils am Ende dieses Zeitraums wird eine verbleibende Differenz einem Zeitkonto gutgeschrieben. Mitarbeiter, deren Zeitsaldo über 20 Stunden liegt, haben die Möglichkeit, sich Gutstunden auszahlen zu lassen.

Der Kl ist Mitglied des BR. Am 30.1.2014 stellte ihn die Bekl dienstfrei und brachte eine Klage auf Zustimmung zu seiner Entlassung ein; diese Klage wurde schließlich rechtskräftig abgewiesen. Der Kl erbrachte regelmäßig Mehrleistungen, welche er teilweise in Zeit konsumierte. Er ließ sich die Gutstunden aber auch teilweise auszahlen. Im Jahr vor seiner Dienstfreistellung wurden dem Kl jeweils über dessen Wunsch zehn Überstunden für Jänner, sechs Überstunden für Februar, 5,79 Überstunden für April, zehn Überstunden für Oktober und 8,05 Überstunden für November ausbezahlt; für Jänner 2014 erhielt der Kl 26,68 Überstunden bezahlt.

Der Kl begehrte von der Bekl Entgeltdifferenzen für den Zeitraum Februar 2014 bis Februar 2016, die sich daraus ergeben, dass die Bekl seiner Meinung nach bei der Berechnung des ihm für die Zeit der Dienstfreistellung gebührenden Entgelts den Durchschnitt der Überstunden unrichtig ermittelt habe. Die Bekl sei dabei von einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr ausgegangen, während richtigerweise der Durchschnitt der in den letzten 13 Wochen vor der Dienstfreistellung geleisteten Überstunden heranzuziehen sei. Des Weiteren seien nicht alle geleisteten, sondern nur die ausbezahlten Überstunden berücksichtigt worden. Außerdem habe die Bekl Nichtarbeitszeiten im Beobachtungszeitraum (Urlaub, Krankenstand) zu Unrecht nicht „neutralisiert“. Richtigerweise errechne sich daher ein Durchschnitt von 9,72 Überstunden monatlich, während die Bekl nur 3,32 Überstunden pro Monat angerechnet habe.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Kl unterlag in sämtlichen Instanzen. Der OGH erachtete die Revision des Kl zwar zur Klarstellung für zulässig, jedoch nicht für berechtigt.75

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Gemäß § 1155 Abs 1 erster Halbsatz ABGB erhält der Arbeitnehmer sein Entgelt auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seiten des Arbeitgebers liegen, daran verhindert worden ist. Die Bestimmung des § 1155 ABGB beruht auf dem Lohnausfallsprinzip. Danach gebührt dem Arbeitnehmer bei Vorliegen der geforderten Voraussetzungen jenes Entgelt, das er bekommen hätte, wenn er wie bisher weiter gearbeitet hätte (8 ObA 75/08z; Spenling in KBB5 § 1155 Rz 8; Rebhahn in ZellKomm2 § 1155 ABGB Rz 46 uva). Davon sind auch die Entgelte für regelmäßig geleistete Überstunden umfasst (RIS-Justiz RS0028112).

Bei schwankendem Entgelt führt in der Regel die Berechnung nach dem Jahresdurchschnitt zu einem einigermaßen befriedigenden Ergebnis (vgl RIS-Justiz RS0027935; RS0043295; zuletzt 9 ObA 12/15b). Richtig ist, dass die Rechtsprechung – allerdings im Zusammenhang mit § 6 Abs 3 UrlG bzw mit § 8 Abs 1 AngG – bei Überstunden als Beobachtungszeitraum die letzten 13 Wochen zugrunde gelegt hat; reicht aber unter den im konkreten Fall gegebenen Umständen dieser Dreizehnwochenzeitraum für die Beurteilung nicht aus, wurde – um dem Gedanken der Kontinuität Rechnung zu tragen – auch in diesem Zusammenhang von einem längeren (in der Regel von einem einjährigen) Beobachtungszeitraum ausgegangen (RIS-Justiz RS0064288; zuletzt 9 ObA 12/15b). Da – wie die Vorinstanzen überzeugend begründet haben – die anzurechnenden Überstunden des Klägers erheblichen Schwankungen unterworfen waren, erweist sich der hier zugrunde gelegte einjährige Beobachtungszeitraum als zutreffend.

2. Auch die Frage, ob bei der Ermittlung der anrechenbaren Überstunden von den tatsächlich geleisteten ‚Überstunden‘ oder von den ausbezahlten Überstunden auszugehen ist, haben die Vorinstanzen richtig gelöst. Der Abbau von Zeitguthaben durch Zeitausgleich hat keinen Entgeltcharakter; er führt vielmehr zu einer anderen Verteilung der Arbeitszeit (RIS-Justiz RS0051784; 8 ObA 64/15t). Soweit Zeitguthaben durch Zeitausgleich unter Anrechnung auf die Normalarbeitszeit verbraucht wurden, liegen daher keine Überstunden vor. Eine Berücksichtigung dieser (bereits ausgeglichenen) Stunden kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht (in diesem Sinn bereits 9 ObA 213/88; vgl auch RIS-Justiz RS0051781). Die Vorinstanzen haben daher zutreffend nur die dem Kläger ausgezahlten Überstunden in die Berechnung seines Anspruchs nach § 1155 ABGB einbezogen.

3. Schließlich besteht auch für die vom Kläger geforderte ‚Neutralisierung‘ von Nichtarbeitszeiten (Urlaub, Krankheit) keine Veranlassung. Mangels jeglichen Vorbringens, dass für den Kläger im Beobachtungszeitraum solche Nichtarbeitszeiten in einem atypischen Ausmaß entstanden wären, kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger auch dann, wenn er während der (insgesamt zweijährigen) Dienstfreistellung gearbeitet hätte, in (annähernd) gleichem Ausmaß Urlaube konsumiert und Krankenstandszeiten gehabt hätte. Diese Annahme haben die Vorinstanzen der Berechnung zugrunde gelegt.

Aus der vom Kläger für die Neutralisierung von Nichtarbeitszeiten ins Treffen geführten Rechtsprechung zu § 6 UrlG ist für den hier zu beurteilenden Fall nichts zu gewinnen: Es trifft zu, dass nach dieser Bestimmung der Arbeitnehmer während seines Urlaubs grundsätzlich jenes Entgelt zu erhalten hat, das er verdient hätte, wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte (also nicht auf Urlaub gewesen wäre). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass bei der hier maßgebenden Beurteilung nach § 1155 ABGB und einem einjährigen Beobachtungszeitraum zu unterstellen wäre, dass der Kläger im gesamten Jahr keinen Urlaub verbraucht (und daher ohne Unterbrechungen Überstunden geleistet) hätte. Dass der Kläger auch während des Urlaubs die von ihm regelmäßig geleisteten Überstunden weitergezahlt erhalten hat, obwohl er sie nicht geleistet hat, trifft zu. Das bedeutet aber nicht, dass die von ihm nicht geleisteten Überstunden nun nach § 1155 ABGB ein zweites Mal abgegolten werden müssten.“

ERLÄUTERUNG

Der OGH hatte sich im gegenständlichen Fall mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit Arbeitsstunden, die über die geltende kollektivvertragliche Arbeitszeit hinaus geleistet wurden, im Entgelt für den Zeitraum der Dienstfreistellung eines BR zu berücksichtigen sind. Dabei ist vorweg festzuhalten, dass sich diese Überlegungen nicht nur auf die Dienstfreistellung eines unwirksam entlassenen BR (wie hier; siehe zum Verfahren wegen Zustimmung zur Entlassung DRdA-infas 2015, 240) anwenden lassen, sondern auch auf diejenige eines nach § 117 ArbVG freigestellten BR. Nach Abs 1 dieser Bestimmung sind – je nach Anzahl der AN im Betrieb – Mitglieder des BR von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Entgelts freizustellen. Aber auch für die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Dienstfreistellungen von AN für die Dauer der Kündigungsfrist nach Ausspruch von AG-Kündigungen sind die hier vom OGH angestellten Ausführungen von Bedeutung.

Der Entgeltanspruch eines freigestellten AN wird nach der „Sphärentheorie“ (§ 1155 ABGB) sowie dem „Ausfallprinzip“ ermittelt: Wenn die Arbeitsleistung aus einem Grund entfällt, der in der Sphäre des AG gelegen ist – wie eben bei der Dienstfreistellung –, so gebührt dem AN das Entgelt für diesen Zeitraum, wenn er zur Leistung76der Dienste bereit war. Für die Höhe des Entgelts ist nach der Rsp das Ausfallprinzip heranzuziehen: Der an der Dienstleistung gehinderte AN ist so zu stellen, wie wenn er gearbeitet hätte und somit die Arbeitsleistung nicht ausgefallen wäre. Dabei sind auch regelmäßig geleistete Überstunden zu berücksichtigen.

Der OGH musste sich im Revisionsverfahren unter Beachtung dieser Grundsätze mit folgenden drei Fragen auseinandersetzen: Welcher Durchrechnungszeitraum ist zur Ermittlung der „regelmäßig geleisteten“ Überstunden heranzuziehen? Sind sämtliche geleistete Überstunden im Entgelt für die Dienstfreistellung zu berücksichtigen oder nur die ausbezahlten? Sind Urlaubs- und Krankenstandszeiten aus dem Durchrechnungszeitraum herauszunehmen?

Üblicherweise ist nach stRsp der Beobachtungszeitraum zur Ermittlung des Entgelts für eine Dienstverhinderung mit den letzten 13 Wochen vor Eintritt dieser Dienstverhinderung anzusetzen. Sollte dieser Zeitraum für eine angemessene Beurteilung jedoch nicht ausreichen, so ist die Heranziehung eines längeren Zeitraums (hier: ein Jahr) erforderlich, um die Kontinuität zu wahren. Diese Vorgangsweise ist vor allem bei stark schwankendem Entgelt zu beachten. Im vorliegenden Fall konnte der Kl selbst bestimmen (vorausgesetzt der Zeitsaldo lag über 20 Stunden), wann und wie viele Überstunden er sich auszahlen lassen möchte und tat dies auch in unregelmäßigen Abständen in unterschiedlichem Ausmaß. Da er in den letzten 13 Wochen vor der Dienstfreistellung eine betragsmäßig höhere Auszahlung von Überstunden veranlasst hatte, strebte er einen kurzen Durchrechnungszeitraum an. Der OGH folgte jedoch der Bekl, welche der Berechnung den Jahresschnitt zugrunde legte.

Der OGH hielt an seiner Rsp fest, wonach der Abbau von Zeitguthaben keinen Entgeltcharakter habe und demnach Überstunden, die in Form von Zeitausgleich konsumiert werden, beim Entgelt für eine Dienstverhinderung nicht zu berücksichtigen sind. Diese Ansicht entspricht auch dem Ausfallprinzip: Der Kl hätte auch ohne Dienstfreistellung keinen finanziell höheren Verdienst erworben, weil anzunehmen ist, dass er auch weiterhin Überstunden teilweise in Zeit konsumiert hätte.

Gegen Ende der E erwähnt der OGH, dass die Bekl die vom Kl regelmäßig geleisteten (bezahlten) Überstunden auch während seines Urlaubs weitergezahlt hat (was gem § 6 UrlG auch verpflichtend ist). Unter dieser Prämisse hielt es der OGH für korrekt, diese Abwesenheitszeiten nicht zu „neutralisieren“ (vgl dazu auch 9 ObA 20/99b = infas 1999 A 92). Allerdings wäre man auch beim „Herausnehmen“ dieser Zeiträume wohl nicht zu einem wesentlich anderen Ergebnis gelangt, weil sich dadurch auch der Durchrechnungszeitraum um diese Zeiten verkürzt hätte, dieser also etwa bei einem Urlaub von einem Monat nur elf Monate betragen hätte.