62

Anfall der Versehrtenrente nach Ende des Krankengeldanspruches – kein Ruhen der Versehrtenrente durch Rehabilitationsgeldbezug

FRANJOMARKOVIC

Bei Zusammentreffen eines Anspruchs auf Versehrtenrente mit einem Rehabilitationsgeldanspruch und einem Krankengeldanspruch ruht die Versehrtenrente, sofern die Arbeitsunfähigkeit Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ist, für die Dauer des Bezugs von Krankengeld. Hiebei ist ein ruhender Anspruch auf Krankengeld dem Bezug des Krankengeldes gleichzuhalten (§ 90a ASVG und § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG). Fällt die Versehrtenrente aber erst nach dem Auslaufen des Krankengeldanspruchs (also nach der 52. Woche) an, tritt ein Ruhen der Versehrtenrente wegen des Rehabilitationsgeldbezugs nicht ein.

SACHVERHALT

Der Kl war seit 1991 als KFZ-Mechaniker beschäftigt. Seine Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 11.2. bis 31.12.2013 war Folge der von der Bekl später anerkannten Berufskrankheit. Von 8.5. bis 31.12.2013 bezog der Kl Krankengeld in Höhe von € 87,09 brutto täglich und seit 1.1.2014 Rehabilitationsgeld in derselben Höhe. Nach Beendigung seines Dienstverhältnisses am 30.6.2015 bezog er von Juli bis November 2015 aufgrund der Urlaubsersatzleistung nur € 43,54 täglich an Rehabilitationsgeld. Die Berufskrankheit des Kl wurde erstmals am 23.6.2015 gemeldet.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Bekl anerkannte die Erkrankung des Kl als Berufskrankheit, setzte als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles den 11.2.2013 fest und sprach dem Kl ab 23.6.2015 (Zeitpunkt der Meldung der Berufskrankheit) eine Dauerrente von 100 % der Vollrente samt Zusatzrente sowie ab 1.9.2015 von 50 % samt Zusatzrente zu. Als Ruhensbetrag zog die Bekl das vom Kl bezogene Rehabilitationsgeld mit der Begründung „Barleistung aus der Krankenversicherung“ ab. Der Kl begehrte die Gewährung einer Versehrtenrente von 100 % ab 23.6.2015 sowie von 60 % ab 1.9.2015 jeweils mit Zusatzrente und ohne Abzug eines Ruhensbetrages.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich der Versehrtenrente von 60 % ab 1.9.2015 statt und wies das Mehrbegehren, die Versehrtenrente ohne Abzug eines Ruhensbetrages zu bezahlen, ab. Das Berufungsgericht bestätigte die E der ersten Instanz. Aufgrund der Ähnlichkeit des Rehabilitationsgeldes zum Krankengeld führe der Bezug von Rehabilitationsgeld zum Ruhen der Versehrtenrente.

Der OGH gab der Revision des Kl Folge.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.1 Ein Ausgangspunkt der Ruhensbestimmungen ist ganz allgemein, dass wegen der Gliederung der Sozialversicherung in mehrere selbständige Versicherungszweige Ansprüche auf Leistungen getrennt erwachsen und sich häufen können, die von ihrer Zweckbestimmung her gleich ausgerichtet sind. Eine sich daraus ergebende Kumulierung von Leistungen kann auf der einen Seite dazu dienen, als unzureichend angesehene Leistungen aus einem Bereich durch Leistungen aus einem anderen Bereich auf ein insgesamt ausreichendes Ausmaß aufzustocken. Auf der anderen Seite kann eine Kumulierung aber auch zu einer Gesamthöhe der Bezüge führen, die sozialpolitisch unerwünscht ist, weil der Empfänger weit mehr erhält, als ihm die Sozialversicherung von ihrem Grundgedanken her verschaffen soll. In diesen Fällen dienen die Ruhensbestimmungen der Vermeidung einer sozialpolitisch unerwünschten ‚Übersicherung‘ durch einen Doppelbezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung (10 ObS 56/99d, SSV-NF 13/37).

1.2 Handelt es sich um unterschiedliche Versicherungsfälle, ist grundsätzlich vom Recht auf kumulierten Leistungsbezug auszugehen. So gebühren etwa die Versehrtenrente aus der Unfallversicherung und die (dauernde) Invaliditätspension/Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung nebeneinander.

1.3 Für das Verhältnis von Krankengeld zur Versehrtenrente wird das Kumulierungsprinzip zufolge der Funktionsidentität der Leistungen jedoch nicht aufrechterhalten. So sieht § 90a ASVG109im Deckungsbereich grundsätzlich ein Ruhen vor (Binder, Zusammentreffen von Pensionsleistung und Krankengeld,

). […]

2.3 Die Versehrtenrente ist – wie die übrigen Leistungen der Unfallversicherung – gegenüber den Leistungen der Krankenversicherung nachrangig. Nach § 204 Abs 1 ASVG fällt eine Versehrtenrente aus der Unfallversicherung für eine durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursachte Arbeitsunfähigkeit bei Bestehen eines Krankengeldanspruchs erst nach Wegfall des Krankengeldbezuges, spätestens mit der 27. Woche nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an (Tarmann-Prentner in

Sonntag
, ASVG8 § 204 Rz 1). Erst mit dem Anfall der Versehrtenrente nach einem halben Jahr nach dem Unfallereignis bzw dem Beginn der Berufskrankheit kann es somit zu einem Zusammentreffen von Krankengeld und Versehrtenrente und damit zur Anwendbarkeit der Ruhensbestimmung des § 90a ASVG kommen (Atria in
Sonntag
, ASVG8 § 90a Rz 3; Schramm in SV-Komm [127. Lfg] § 90a ASVG Rz 3).

2.4.1 § 90a Abs 1 ASVG dient dem Zweck, einen Doppelbezug von Krankengeld und Versehrtenrente für den Zeitraum von der 27. bis zur 52. Woche auszuschließen. Trifft nach § 90a Abs 1 ASVG […] der Bezug von Krankengeld […] mit einem Anspruch auf Versehrtenrente aus der Unfallversicherung zusammen, so ruht, wenn die Arbeitsunfähigkeit Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ist, die Versehrtenrente für die weitere Dauer des Bezugs von Krankengeld […] mit dem Betrag des Krankengeldes […]. Hiebei sind der Bezug von Versehrtengeld dem Anspruch auf Versehrtenrente und die Zeit, für die nach § 138 Abs 1 Anspruch auf Krankengeld nicht besteht, sowie ein ruhender Anspruch auf Krankengeld […] dem Bezug des Krankengeldes […] gleichzuhalten (§ 90a Abs 1 zweiter Halbsatz ASVG). Ein Ruhen der Versehrtenrente nach § 90a Abs 1 zweiter Halbsatz ASVG tritt somit auch dann ein, wenn ein Anspruch von Krankengeld aus welchem Grund auch immer – etwa infolge des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung (RIS-Justiz RS0107809) – ruht. […]

2.4.3 Bei einem Zusammentreffen von Pensionsanspruch, Krankengeldbezug und Versehrtenrente kommen die Ruhensbestimmungen des § 90 und des § 90a ASVG nebeneinander zur Anwendung. Gemäß § 95 Abs 2 ASVG ruht bei Vorliegen der normierten Voraussetzungen die Versehrtenrente (§ 90a ASVG) im Ausmaß des Krankengeldbezugs; außerdem kommt es zu einer Kürzung des Pensionsanspruchs (§ 90 ASVG); diese Kürzung (Ruhen) ist jedoch auf den Unterschiedsbetrag zwischen der (ruhenden) Versehrtenrente und dem höheren Krankengeld beschränkt (§ 95 Abs 2 Satzteil 2 ASVG; Schramm in ASVG-Komm [184. Lfg] §§ 96, 97 ASVG Rz 4).

2.5 Für den hier (auch) relevanten Fall des Zusammentreffens eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Krankengeld sieht § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG ein Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit vor. Auch § 90a ASVG und § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG gelangen nebeneinander zur Anwendung, woraus folgt, dass ein Ruhen der Versehrtenrente gemäß § 90a Abs 1 ASVG auch beim Ruhen eines Krankengeldanspruchs wegen eines Rehabilitationsgeldbezugs eintritt. […]

Da der Krankengeldanspruch des Klägers in der (unstrittig gebliebenen) Höchstdauer von 52 Wochen durch den Bezug des Krankengeldes bis 31.12.2013 noch nicht ausgeschöpft war, wurde er durch die Auszahlung des Rehabilitationsgeldes ab 1.1.2014 gemäß § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG zum Ruhen gebracht. Nach § 90a ASVG ist der ruhende Krankengeldanspruch dem Bezug des Krankengeldes gleichzuhalten. Wie sich aus dem Sinnzusammenhang des ersten und zweiten Halbsatzes des § 90a Abs 1 ASVG ergibt, bezieht sich die Gleichhaltung aber lediglich auf die weitere Dauer des Bezugs (bzw des fiktiven Bezugs des ruhenden) Krankengeldes. Im vorliegenden Fall endete der (ruhende) Krankengeldanspruch mit Ablauf der 52. Woche somit jedenfalls noch im Jahr 2014. Demnach konnte im Hinblick auf den Anfall der Versehrtenrente erst mit 23.6.2015 (dem Datum der erstmaligen Meldung der Berufskrankheit § 86 Abs 4 Satz 1 ASVG) mangels zeitlicher Überschneidung bzw Vorhandensein eines Deckungsbereichs ein Ruhen der Versehrtenrente nach § 90a Abs 1 2. Halbsatz ASVG infolge des Bezugs von Krankengeld nicht eintreten. Über die Dauer des mit maximal 52 Wochen befristeten Krankengeldanspruchs hinaus zeitigt die Ruhensbestimmung des § 90a Abs 1 2. Satz ASVG keine Wirkung. Daran ändert auch nichts, dass sich die Bezugsdauer des Krankengeldes anschließend an den Bezug von Rehabilitationsgeld entsprechend verlängert (§ 143a Abs 3 2. Satz ASVG), also nach dem Ende des Rehabilitationsgeldbezugs die restliche Anspruchsdauer weiterläuft, sofern Arbeitsunfähigkeit weiter besteht (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 5).

4. Dem Standpunkt, ein gleichzeitiger Bezug von Rehabilitationsgeld und Versehrtenrente stelle (dennoch) eine vom Gesetzgeber nach § 90a ASVG nicht gewollte Doppelversorgung dar, die zum Ruhen der Versehrtenrente führe, ist entgegenzuhalten, dass keine gesetzliche Regelung besteht, in der ein Ruhen der aus der Unfallversicherung gewährten Versehrtenrente bei Bezug von Rehabilitationsgeld angeordnet wird (ausgenommen bei dadurch bedingtem Ruhen des Krankengeldanspruchs in § 90a Abs 1 ASVG für die Dauer des Krankengeldbezugs – siehe oben Pkt 2.4.1 und 2.4.2).

5. § 90a Abs 1 ASVG kann auch nicht dahin verstanden werden, dass unter den als Ruhenstatbestand genannten Bezug von Krankengeld auch der Bezug von Rehabilitationsgeld (nach Ende eines Krankengeldanspruchs) fällt.110

6.1 Eine über den Wortlaut hinausgehende Anwendung einer Rechtsnorm – im vorliegenden Fall die Anwendung des § 90a ASVG auch auf den Anspruch bzw den Bezug von Rehabilitationsgeld – wäre demnach nur im Wege einer Analogie möglich. Diese setzt eine Lücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung, voraus. […]

6.2 Nach der bisherigen Rechtsprechung verbietet sich jedoch bei Bestimmungen, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruchs anordnen (wie im vorliegenden Fall § 90a ASVG), eine ausdehnende Auslegung (RIS-Justiz RS0086755). Ausnahmebestimmungen sind im Allgemeinen nicht ausdehnend auszulegen (RIS-Justiz RS0008903).

7.1 Ganz allgemein ist hier keine Gesetzeslücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung erkennbar, die erst den Weg zu einer analogen Anwendung des § 90a ASVG auf das Rehabilitationsgeld frei machen würde.

7.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei Zusammentreffen eines Anspruchs auf Versehrtenrente mit einem Rehabilitationsgeldanspruch und einem Krankengeldanspruch die Versehrtenrente – sofern die Arbeitsunfähigkeit Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ist – für die Dauer des Bezugs von Krankengeld ruht. Hiebei ist ein ruhender Anspruch auf Krankengeld dem Bezug des Krankengeldes gleichzuhalten (§ 90a ASVG und § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG). Fällt die Versehrtenrente – wie im vorliegenden Fall – aber erst nach dem Auslaufen des Krankengeldanspruchs (also nach der 52. Woche) an, tritt ein Ruhen der Versehrtenrente wegen des Rehabilitationsgeldbezugs nicht ein.“

ERLÄUTERUNG

Nach § 204 Abs 1 ASVG fällt eine Versehrtenrente nach Wegfall des Krankengeldbezuges spätestens mit der 27. Woche nach dem Eintritt des Versicherfalles an. Erst mit dem Anfall der Versehrtenrente nach einem halben Jahr nach dem Unfallereignis bzw dem Beginn der Berufskrankheit kann es zu einem Zusammentreffen und damit zur Anwendbarkeit der Ruhensbestimmung des § 90a ASVG kommen. Die Bestimmung hat also den Zweck, einen Doppelbezug von Krankengeld und Versehrtenrente für den Zeitraum von der 27. bis zur 52. Woche auszuschließen. Trifft ein Krankengeldanspruch mit einem Anspruch auf Versehrtenrente zusammen, so ruht die Versehrtenrente für die Dauer des Krankengeldbezuges in Höhe des Krankengeldes. Dabei wird ein ruhender Anspruch auf Krankengeld (etwa infolge des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung) dem Bezug des Krankengeldes gleichgehalten. § 143a Abs 3 ASVG bestimmt, dass ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld zum Ruhen des Krankengeldanspruches führt. § 90a ASVG und § 143a Abs 3 ASVG gelangen nebeneinander zur Anwendung, woraus folgt, dass ein Ruhen der Versehrtenrente gem § 90a Abs 1 ASVG auch beim Ruhen eines Krankengeldanspruches wegen eines Rehabilitationsgeldbezuges eintritt.

Nach § 86 Abs 4 Satz 1 ASVG fällt die Versehrtenrente zum Zeitpunkt der erstmaligen Meldung der Berufskrankheit, im konkreten Fall zum 23.6.2015, an. Zu diesem Zeitpunkt war der (ruhende) Anspruch auf Krankengeld bereits beendet. Ein Ruhen der Versehrtenrente konnte somit mangels zeitlicher Überschneidung bzw Vorhandensein eines Deckungsbereichs infolge des Bezugs von Krankengeld nicht eintreten.

Der OGH stellt weiters klar, dass der Bezug von Rehabilitationsgeld mangels gesetzlicher Regelung nicht zum Ruhen der Versehrtenrente führen kann. Eine über den Wortlaut hinausgehende Anwendung des § 90a ASVG wäre nur im Wege einer Analogie möglich, welche eine Gesetzeslücke voraussetzt. Der OGH konnte eine solche nicht erkennen und betont mit Hinweis auf die bisherige Rsp, dass eine ausdehnende Auslegung von Bestimmungen, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruches anordnen, nicht legitim ist.