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Kein Anspruch auf jährliche Anpassung des den Ausgleichszulagenrichtsatz übersteigenden Rehabilitationsgeldes

MONIKAWEISSENSTEINER

Eine jährliche Anpassung des Rehabilitationsgeldes nach § 293 Abs 2 ASVG wurde vom Gesetzgeber aus Gründen der Existenzsicherung offenbar (nur) dann als notwendig erachtet, wenn das Rehabilitationsgeld lediglich die Richtsatzhöhe erreicht, nicht aber bei einem die Richtsatzhöhe übersteigenden Rehabilitationsgeldbezug.

SACHVERHALT

Der 1980 geborene Kl bezog bis 31.7.2014 eine befristete Berufsunfähigkeitspension inklusive Ausgleichszulage. Mit Bescheid vom 16.7.2014 sprach die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) aus, dass weiterhin vorübergehende Berufsunfähigkeit vorliege und Anspruch auf Rehabilitationsgeld bestehe. Mit Bescheid vom 24.4.2015 wurde dem Kl von der Bekl das Rehabilitationsgeld gemäß der Übergangsbestimmung des § 669 Abs 6a ASVG in Höhe von € 31,88 brutto täglich zuerkannt. In der Klage begehrte der Kl, dass das Rehabilitationsgeld jedenfalls unter Anwendung der Regelungen über die Anpassung der Ausgleichszulagenrichtsätze gem § 293 Abs 2 ASVG zu gewähren sei.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht sprach aus, dass eine planwidrige Lücke nicht bestehe und das Rehabilitationsgeld nur eine temporäre Absicherung während der Dauer einer vorübergehenden Invalidität bzw Berufsunfähigkeit darstelle und eine Anpassung vom Gesetzgeber nicht gewollt sei.

Aus Anlass der Berufung stellte der Kl einen Parteiantrag auf Normenkontrolle an den VfGH (6.3.2007, G 1/2016). Auch das OLG Innsbruck stellte einen Antrag an den VfGH vom 6.3.2007 zu G 92/2016. Der VfGH wies mit Erk vom 6.3.2017, G 1/2016, G 92/2016, beide Anträge ab. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege nicht vor. Eine verfassungskonforme Interpretation der Bestimmung des § 669 Abs 6a ASVG sei möglich. Weder die Annahme des Kl, dass in Übergangsfällen die Anwendung der „Schutzhöhe“ in § 143a ASVG (Anmerkung der Bearbeiterin: Rehabilitationsgeld zumindest in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes) ausgeschlossen wäre, noch die Annahme des OLG dahingehend, dass der Gesetzgeber in den Übergangsfällen eine „eingefrorene“ Ausgleichszulage schaffen wollte, sei zwingend.

Im fortgesetzten Verfahren wurde der Berufung des Kl nicht Folge gegeben. Eine automatische Erhöhung habe so lange nicht stattzufinden, als die in § 143a Abs 2 zweiter Satz erwähnte Schutzgrenze (der Ausgleichszulagen-Einzelrichtsatz) nicht verletzt werde. Der OGH hält die Revision trotz gegenteiligen Ausspruchs des OLG für zulässig, weil zur Frage der jährlichen Anpassung (Valorisierung) des Rehabilitationsgeldes noch keine Rsp des OGH vorhanden ist. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] I.2.1 Die Höhe des Rehabilitationsgeldes wird in § 143a Abs 2 ASVG geregelt. Nach dessen erstem Satz gebührt das Rehabilitationsgeld im Ausmaß des Krankengeldes nach § 141 Abs 1 und ab dem 43. Tag im Ausmaß des erhöhten Krankengeldes nach § 141 Abs 2, das aus der letzten eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz oder nach dem B-KUVG begründende Erwerbstätigkeit gebührt hätte. Jedenfalls gebührt es jedoch in der Höhe des Richtsatzes nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb (§ 143a Abs 2 zweiter Satz) ASVG. […]

I.2.2 Das Rehabilitationsgeld ist demnach als eine dem Krankengeld ähnliche Leistung konzipiert, wodurch das Prinzip ‚der Rehabilitation statt Pension‘ verstärkt und die Rückkehr in die Arbeitswelt gefördert werden soll. Während die Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension eine Leistung mit Pensionscharakter war, liegt beim Rehabilitationsgeld nach der Systematik des Krankengeldes der Fokus auf der Einkommensersatzfunktion (AB 60 BlgNR 25. GP, 2 und 3 zu § 669 Abs 6a ASVG).

II. Zum Übergangsrecht:

[…]

II.2.1 Zur Ermöglichung des Übergangs vom alten ins neue System und weil die Berechnungsweise der beiden Leistungen [Anm der Bearbeiterin: befristete Berufsunfähigkeitspension und Rehabilitationsgeld] deutliche Unterschiede nach oben und nach unten zulässt, wurde die Übergangsbestimmung des § 669 Abs 6a ASVG geschaffen:

Hat eine Person nach Abs 6 unmittelbar nach dem Ende der befristet zuerkannten Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld, so ist § 143a Abs 2 ASVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I 2013/3 so anzuwenden, dass das Rehabilitationsgeld im Ausmaß der zuletzt bezogenen, um 11,5 % erhöhten Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension gebührt, und zwar einschließlich der dazu geleisteten Ausgleichszulage (§ 293 Abs 1 ASVG) und der dazu geleisteten Kinderzuschüsse (§ 262 ASVG). […]

II.2.2 Mit dieser Übergangsbestimmung sollte ein Ausgleich geschaffen werden, der damit erreicht wird, dass das Rehabilitationsgeld, das nach Auslaufen einer solchen befristeten Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension gebühren könnte, in der113Höhe der bereits bezogenen Pensionsleistung gewährt wird. Zu diesem Zweck sind bei Bemessung des Rehabilitationsgeldes nach § 669 Abs 6a ASVG die Ausgleichszulage sowie etwaige Kinderzuschüsse, auf die im letzten Bezugsmonat der befristeten Pensionsleistung Anspruch bestand, miteinzubeziehen. Zudem wird berücksichtigt, dass die Pensionsleistung – im Unterschied zum Rehabilitationsgeld – 14 mal jährlich ausgezahlt wird und von dieser ein Krankenversicherungsbeitrag samt Ergänzungsbeitrag in der Höhe von 5,1 % zu leisten ist, weshalb die maßgebliche Pensionsleistung zum einen um ein Sechstel zu erhöhen (16,6 %) und zum anderen um 5,1 % zu vermindern ist. Daraus ergibt sich ein Erhöhungsbetrag von 11,5 % der maßgeblichen Pensionsleistung. Damit wird für alle jene Fälle eine Verringerung des Leistungsausmaßes verhindert, in denen bereits eine befristete Pensionsleistung nach ‚ altem‘ Recht bezogen wurde (AB 60 BlgNR 25. GP, 3). […]

III. Zur Valorisierung:

III.1 Für eine Valorisierung des Rehabilitationsgeldes findet sich eine gesetzliche Grundlage in § 143a Abs 2 zweiter Satz ASVG für den Fall der Erhöhung des nach § 143a ASVG bemessenen Rehabilitationsgeldes auf den Richtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG. In diesem Fall gebührt das Rehabilitationsgeld in der Höhe des jeweiligen – nach § 293 Abs 2 ASVG jährlich erhöhten – Richtsatzes.

III.2 Wie der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, schließt aber auch § 669 Abs 6a erster Satz ASVG bei verfassungskonformer Interpretation für den Fall, dass zur befristeten Invaliditätspension zuletzt keine Ausgleichszulage gebührt hat, die Anwendung des zweiten und dritten Satzes des § 143a Abs 2 ASVG nicht aus. Bei verfassungskonformer Interpretation ist unter dieser Voraussetzung demnach auch bei einem nach der Übergangsbestimmung des § 669 Abs 6a ASVG bemessenen Rehabilitationsgeld (in Richtsatzhöhe) eine Valorisierung durch jährliche Anpassung des Richtsatzes (§ 293 Abs 2 ASVG) möglich.

III.3 Übersteigt das Rehabilitationsgeld aber den Richtsatz, bleibt es – zum Unterschied zu den jährlich valorisierten Pensionen – mangels einer gesetzlichen Anordnung unverändert, auch wenn es mehrere Jahre bezogen werden sollte. Das gilt nicht nur für das nach § 143a ASVG bemessene Rehabilitationsgeld, sondern auch für jene (Übergangs-)Fälle, in denen sich dessen Höhe aus § 669 Abs 6a ASVG bestimmt. […] Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber […] vormalige Bezieher einer befristeten Pensionsleistung für die Zukunft dadurch besser stellen wollte, dass die ihnen erhalten gebliebene Letztbezugshöhe in Zukunft jährlich erhöht wird, lassen sich aus § 669 Abs 6a ASVG nicht ableiten.

III.4 Im vorliegenden Fall war die befristete Berufsunfähigkeitspension des Klägers auf den Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG erhöht. Nach Auslaufen der Befristung wurde die Ausgleichszulage in die Berechnung des Rehabilitationsgeldes nach § 669 Abs 6a ASVG einbezogen […].

III.5 Eine planwidrige Lücke, die die (analoge) Anwendung der Bestimmung des § 293 Abs 2 ASVG über die jährliche Anpassung der Ausgleichszulagenrichtsätze auch auf den Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG übersteigenden Rehabilitationsgeldanspruch des Klägers ermöglichen würde, könnte nur dann angenommen werden, wenn das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig wäre und seine Ergänzung nicht einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspräche (RIS-Justiz RS0008866). Hat aber der Gesetzgeber eine bestimmte Rechtsfolge für einen bestimmten Sachverhalt ausdrücklich nicht angeordnet, so fehlt es an einer planwidrigen Gesetzeslücke (RIS-Justiz RS0008866 [T8 und T13]). Analogie wäre nur dann geboten, wenn für eine verschiedene Behandlung der Sachverhalte kein Grund zu finden ist (RIS-Justiz RS0008870). Davon kann aber im Hinblick darauf nicht ausgegangen werden, dass eine jährliche Anpassung des Rehabilitationsgeldes nach § 293 Abs 2 ASVG vom Gesetzgeber aus Gründen der Existenzsicherung offenbar (nur) dann als notwendig erachtet wurde, wenn das Rehabilitationsgeld lediglich die Richtsatzhöhe erreicht, nicht aber bei einem die Richtsatzhöhe übersteigenden Rehabilitationsgeldbezug.“

ERLÄUTERUNG

Mit dieser Entscheidung wird eine weitere offene Frage zur Rechtslage nach dem SRÄG 2012 geklärt. Die Kernfrage des vorliegenden Sachverhalts, die vom OGH noch zu beantworten war, ist, ob auch das Rehabilitationsgeld jährlich anzupassen ist. Der Kl argumentierte, dass das Rehabilitationsgeld nicht befristet gewährt werde und auch mit länger währenden Leistungen zu rechnen ist, ohne dass eine Inflationsanpassung erfolge.

Besonders komplex wird der Fall noch dadurch, dass es sich um einen sogenannten Übergangsfall handelt.

Gem § 143a ASVG folgt die Berechnung des Rehabilitationsgeldes grundsätzlich den Regelungen über die Berechnungen des Krankengeldes (§ 143a Abs 2 ASVG) mit einem Mindestbetrag in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes, solange der Bezieher seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Das führt in diesen Fällen auch zu einer jährlichen Erhöhung der Leistung, weil der jeweils geltende Richtsatz angewendet wird. Für Personen, die, wie der Kl, am 31.12.2013 eine befristete Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension bezogen haben und die unmittelbar daran anschließend das Rehabilitationsgeld erhielten („Altfälle“), war in § 669 Abs 6a ASVG eine Sonderbestimmung über die Höhe des Rehabilitationsgeldes vorgesehen. Die Einkommenshöhe sollte sich – bei durchgehendem Leistungsbezug – allein durch die geänderte Rechts-114lage nicht verändern. Aber auch diese „Schutzbestimmung“ löste neue Auslegungsfragen aus. Während für „Neufälle“ (Gewährung des Rehabilitationsgeldes ohne vorhergehenden Pensionsbezug) der Mindestbetrag zur Anwendung kam, wurde dieser Mindestbetrag von den Versicherungsträgern in den „Altfällen“ nach deren Interpretation von § 669 Abs 6a ASVG nicht angewendet.

Darüber hinaus gibt es in Fällen wie dem vorliegenden mit einer Höhe des Rehabilitationsgeldes über dem Ausgleichszulagenrichtsatz keine Regelung über eine Anpassung.

Der VfGH hat nun mit Erk vom 6.3.2017, G 1/2016, G 92/2016, klargestellt, dass eine verfassungskonforme Interpretation der Übergangsregelung des § 669 Abs 6a möglich ist, dh dass der Mindestbetrag (Ausgleichszulagenrichtsatz) auch in den „Altfällen“ zur Anwendung zu kommen hat.

Der Kl im vorliegenden Fall hat dadurch aber nichts gewonnen, weil sein Rehabilitationsgeld ohnehin über dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegt. Sowohl das OLG als auch der OGH halten das Begehren des Kl auf Anpassung des Rehabilitationsgeldes für nicht berechtigt. Der OGH hebt hervor, dass das Rehabilitationsgeld als eine dem Krankengeld ähnliche Leistung konzipiert wurde, wodurch das Prinzip „Rehabilitation vor Pension“ verstärkt und die Rückkehr in die Arbeitswelt gefördert werden soll. Der Fokus liege wie beim Krankengeld auf der Einkommensersatzfunktion. Übersteigt das Rehabilitationsgeld den Richtsatz – gleichgültig ob „Altfall“ oder „Neufall“ –, bleibt die Höhe mangels gesetzlicher Anordnung unverändert. Es liege auch keine planwidrige Lücke vor, weil der Gesetzgeber eine jährliche Anpassung aus Gründen der Existenzsicherung offenbar nur für notwendig erachte, wenn das Rehabilitationsgeld lediglich die Richtsatzhöhe erreicht.

Diese Entscheidung ist insofern beachtenswert, weil der OGH in anderen Fällen – wie beispielweise betreffend die Frage der Exportierbarkeit des Rehabilitationsgeldes – stets betont hat, dass eine Leistung mit Sondercharakter an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität vorliege (OGH 20.12.2016, 10 ObS 133/15d ua).

ANMERKUNG DER BEARBEITERIN:
Die Versicherungsträger haben auf Grund dieser VfGH-E alle Fälle von Amts wegen aufgerollt und neu berechnet. Betroffen waren jene Fälle, die zwischen dem 1.1.2014 und dem 31.12.2015 angefallen sind und bei denen im Anschluss an eine befristete Pension (exklusive Ausgleichszulage) ein Rehabilitationsgeld unter Anwendung der Bestimmungen des § 669 Abs 6 ASVG, jedoch ohne Berücksichtigung des Mindestbetrags gem § 143a Abs 2 zweiter und dritter Satz iVm § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG berechnet wurde.