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Zwischen der Krankenbehandlung und medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation gem § 154a ASVG muss ein entsprechender zeitlicher Konnex bestehen

WERNERPLETZENAUER

Der Kl erlitt 1986 einen Motorradunfall, bei dem er ein Bein verlor. Zuletzt hatte er vor 15 Jahren eine (nunmehr veraltete) Oberschenkelprothese erhalten. Mit dieser ist das Steigen von Stiegen aufwärts nicht möglich, abwärts bringt das Stiegensteigen eine erhebliche Mehrbelastung und große Anstrengung mit sich. Dabei wird insb das bestehende Bein samt Gelenken stark belastet. Darüber hinaus besteht mit der derzeitigen Prothese ein erhebliches Sturzrisiko, das sich bereits mehrmals verwirklicht hat. Aufgrund der körperlichen Mehrbelastung durch die gestreckte Prothese treten beim Kl zudem erhebliche Abnützungserscheinungen auf. Der Kl übt zwei Berufe aus und ist regelmäßig im Ausland tätig.

Dem Kl wurde am 20.10.2015 eine Oberschenkelprothese mit Genium X3-Kniegelenk ärztlich verordnet. Durch diese Prothese kann sein bereits vorgeschädigter Körper entlastet, der Bewegungsapparat geschont, das Auftreten (weiterer) gesundheitlicher Schäden hintangehalten und die bestehende (erhöhte) Sturzgefahr verringert werden. Der Kl kann mit dieser Prothese weitere Strecken mit wesentlich weniger Ermüdungserscheinungen zurücklegen und schiefe Ebenen sowie Treppen überwinden. Die Oberschenkelprothese mit Genium X3-Kniegelenk erlaubt „entspannteres“ Stehen auf abschüssigem Gelände. Mit ihr wird eine symmetrische Schrittlänge mit natürlichem Gangbild sowie die Möglichkeit der Abwinkelung des Kniegelenks erreicht. Dadurch wird die Stoßbelastung beim Auftreten reduziert. Ein vollflächiger Fußkontakt ist daher möglich und reduziert die Gefahr des Wegrutschens. Die Prothese ist wasserfest. Der Preis für eine derartige Prothese beträgt € 82.265,32.

Mit Schreiben vom 14.3.2016 teilte die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) der Gebietskrankenkasse (GKK) mit, dass – auch von ihr – die Kosten für die beantragte Prothese mit Genium X3-Kniegelenk nicht übernommen würde. Alternativ (vorbehaltlich einer Ganganalyse) biete sie dem Kl jedoch eine Neuversorgung mit einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-Kniegelenk an. Auch durch diese Prothese kann der bereits vorgeschädigte Körper des Kl115entlastet, der Bewegungsapparat geschont, das Auftreten (weiterer) gesundheitlicher Schäden hintangehalten und die bestehende (erhöhte) Sturzgefahr verringert werden.

Mit Bescheid vom 12.7.2016 lehnte die bekl GKK den Antrag auf Kostenübernahme für eine Oberschenkelprothese mit Genium X3-Kniegelenk mit der Begründung ab, eine Versorgung mit einem solchen Hilfsmittel stelle – infolge des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs mit der Krankenbehandlung – keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation iSd § 154a ASVG dar. Der höchstmögliche Kostenzuschuss für dieses Hilfsmittel betrage nach der Satzung der Bekl € 3.100,– (das 20-fache der täglichen Höchstbeitragsgrundlage für 2015).

Diese Rechtsauffassung der Bekl wurde von den Unterinstanzen geteilt. Im Berufungsverfahren war nur mehr die Frage der Anwendbarkeit des § 154a ASVG strittig. Die Revision des Kl wurde zugelassen, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der OGH führt aus, dass der vorliegende Sachverhalt mit dem zu 10 ObS 168/12xSSV-NF 27/11 entschiedenen vergleichbar ist. Im damaligen Fall hat der OGH den Anspruch der Kl gem § 154a ASVG vor allem mit dem Argument verneint, dass zwischen der Krankenbehandlung und medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation ein entsprechender zeitlicher Konnex bestehen muss (RIS-Justiz RS0128669), an dem es fehle. Auch im vorliegenden Fall kommt der OGH zum Ergebnis, dass der erforderliche zeitliche Konnex nicht vorliegt.

Auch durch die in der Literatur von Weißensteiner (C-Leg-Kniegelenksprothese als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation?DRdA 2013, 517 [519 ff]) geäußerten Kritik, die Wortfolge in § 154a Abs 1 ASVG „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ dürfe nicht als „unmittelbarer“ Anschluss an die Krankenbehandlung interpretiert werden, sah sich der OGH nicht veranlasst, von den in der E vom 26.2.2013, 10 ObS 168/12x, dargelegten Grundsätzen abzugehen. Schon nach dem Wortlaut des § 154a Abs 1 ASVG, so der OGH, sind medizinische Maßnahmen der Rehabilitation ausdrücklich „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ vorgesehen. Nur im Rahmen einer im zeitlichen Zusammenhang mit der Krankenbehandlung stehenden medizinischen Rehabilitation aus der KV ist der Krankenversicherungsträger in der Lage, die ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben in der KV zur Erreichung der dargestellten Ziele zu erreichen und die Folgen der Krankheit möglichst vollständig zu beseitigen. Das von Weißensteiner ins Treffen geführte Argument, es bestehe ein Rechtsschutzdefizit, weil die Pensionsversicherungsträger über Anträge auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nicht mit Bescheid zu entscheiden haben, wurde vom OGH als durchaus beachtlich beurteilt. Er führte diesbezüglich jedoch aus, es sei nicht Aufgabe der Gerichte, unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, sondern der Gesetzgebung.

Auf die im Einzelnen schwierig zu beantwortende Frage, ab wann eine Krankenbehandlung beendet ist und eine Rehabilitationsmaßnahme beginnt, brauchte im vorliegenden Fall nicht näher eingegangen zu werden, weil zwischen den Parteien nicht strittig war, dass die Krankenbehandlung des Kl nach seinem 1986 erlittenen Unfall abgeschlossen ist.

Das Argument des Revisionswerbers, die Regelung des § 154a Abs 1 ASVG verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, weil ihm bei Annahme eines zeitlich unmittelbaren Konnexes zwischen Krankenbehandlung und Rehabilitationsmaßnahmen nur Kosten für Prothesen „am medizinischen Stand von 1986“ zu ersetzen seien, während Versicherte, die einen Unfall „nunmehr“ erleiden, wesentlich modernere und teurere Prothesen erhalten würden, wurde vom OGH nicht geteilt. Diesbezüglich führte der OGH aus, dass alle von dieser Norm erfassten Versicherten schon deshalb gleich behandelt werden, weil ihnen medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aus der KV immer nur im (unmittelbaren) Anschluss an die Krankenbehandlung gewährt werden.

Da im vorliegenden Fall der gem § 154a Abs 1 ASVG erforderliche zeitliche Konnex zwischen Krankenbehandlung und medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation aus der KV fehlt, war die Bekl nicht verpflichtet, ein Rehabilitationsverfahren einzuleiten. Mangels gesetzlicher Grundlage kann sich eine solche Verpflichtung auch nicht aus (zwingenden) Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ergeben.

ANMERKUNG DES BEARBEITERS:
Mit der vorliegenden E offenbart sich nun für Personen in der Situation des Kl ein Versorgungs- sowie ein Rechtsschutzdefizit: Aufgrund des fehlenden zeitlichen Konnexes besteht kein Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation in der KV. Mangels eines klagbaren Bescheides besteht auch keine Möglichkeit, die Versorgung mit einer Oberschenkelprothese mit einem Genium X3-Kniegelenk im Wege eines Leistungsstreitverfahrens, durch den Nachweis, dass eine höherwertige Versorgung medizinisch notwendig und zweckmäßig ist, gegenüber dem Pensionsversicherungsträger durchzusetzen. Die E zeigt jedenfalls Handlungsbedarf für den Gesetzgeber auf.
Zuletzt sei erwähnt, dass mehrere Sozialgerichte in Deutschland den Anspruch auf eine Versorgung aus der KV aufgrund der deutlichen Verbesserung der Geh- und Stehfähigkeit der Betroffenen als ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend bejahten (zB SG Detmold S 5 KR 424/14; LSG Darmstadt L 1 KR 211/15, SG Aachen S 13 KR 331/14). In Österreich hat das BVwG (W166 2002867-1/9E vom 29.10.2014)in einem Verfahren nach dem Heeresversorgungsgesetz die Versorgung mit einem Oberschenkelbeinprothesensystem mit einem Geniumkniegelenk ebenfalls zugesprochen. Eine Entscheidungsbesprechung von Ivansits erscheint voraussichtlich in DRdA 2018, Heft 4.116