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Berechnung des Wochengeldes bei entfallenen Mehrdienstleistungen im Beobachtungszeitraum

MURATIZGI

Die Kl, eine Lehrerin an einer Handelsakademie und Handelsschule, erbrachte bis Ende April 2015 regelmäßig über das Maß einer vollen Lehrverpflichtung hinausgehende Mehrdienstleistungen. Unter Berücksichtigung dieser Mehrdienstleistungen verdiente sie (ohne Einrechnung der gebührenden Sonderzahlungen) netto im Februar 2015 € 2.044,92, im März € 2.193,63 und im April € 2.105,52.

Aufgrund der Schwangerschaft reduzierte der DG zur Erfüllung der Vorgaben des § 8 MSchG die Mehrdienstleistungen der Kl, wodurch sich deren Einkommen für den Zeitraum 1.4. bis 30.6.2015 gegenüber dem Entgelt, das sie ohne diese Reduktion ihrer Arbeitszeit bezogen hätte, verringerte. Die Bekl sprach der Kl ein Wochengeld in der Höhe von täglich € 74,41 zu. Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt die Kl ein höheres Wochengeld unter Berücksichtigung der Mehrdienstleistung im gesetzlichen Ausmaß.

Das Erstgericht und das Berufungsgericht gaben der Klage statt. Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil oberstgerichtliche Rsp zur Auslegung der in § 162 Abs 3 lit b ASVG iVm § 8 MSchG geregelten Ausnahme nicht vorliege.

Der OGH erachtet die Revision der Bekl für zulässig, jedoch nicht für berechtigt. Er bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und schloss sich der Begründung des Berufungsgerichtes an.

Demzufolge führt der OGH aus, dass nach dem gem § 84 Abs 1 BKUVG anzuwendenden § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG das Wochengeld in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teils des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, gebühre, vermindert um die gesetzlichen Abzüge; die auf diesen Zeitraum entfallenden Sonderzahlungen seien nach Maßgabe des § 162 Abs 4 ASVG zu berücksichtigen.

Von der Berechnung nach § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG sehe das Gesetz ua in § 162 Abs 3 lit b ASVG eine Ausnahme vor. Nach dieser Bestimmung seien „Zeiten, während derer die Versicherte infolge Krankheit, eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat“, bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht zu lassen. § 162 Abs 3 lit b ASVG gehe demnach davon aus, dass während der angeführten Zeiten nicht das volle Entgelt bezogen werde. Die Kl habe tatsächlich einen Entgeltausfall aufgrund § 8 iVm § 14 MSchG erlitten und nicht das volle Entgelt bezogen.

Zur Frage der Interpretation der in § 162 Abs 3 lit b iVm § 8 MSchG geregelten Ausnahme führt der OGH aus, dass die Auslegung des § 162 Abs 3 lit b ASVG durch das Berufungsgericht den Gesetzeswortlaut und den Zweck des Wochengeldes für sich habe. § 162 Abs 3 lit b ASVG gehe davon aus, dass während der angeführten Zeiten nicht das volle Entgelt bezogen werde. Daher schließe der Bezug von Entgelt die Anwendung dieser Bestimmung nicht grundsätzlich aus, soweit dieses nur nicht voll bezogen werde. Damit lasse sich die Voraussetzung eines gänzlichen Beschäftigungsverbots entgegen der Ansicht der Bekl aus dem Gesetzestext nicht ableiten.

Darüber hinaus bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, anders als für die Verpflichtung der Entgeltfortzahlung des DG nach § 14 MSchG, wenn die DN keine Mehrleistungen erbringt, für die Berechnung einer Versicherungsleistung mit Einkommensersatzfunktion nach dem Durchschnittsprinzip eine dem Leistungszweck entsprechende Berechnungsgrundlage zu normieren, die durch die mutterschaftsrechtliche Beschäftigungseinschränkung nach § 8 MSchG bedingte Kürzungen des Arbeitsverdienstes im Beobachtungszeitraum nicht zu Lasten der Versicherten berücksichtigt.

Ferner hält der OGH fest, dass sich die Bekl für ihren Rechtsstandpunkt auch nicht auf die Gesetzesmaterialien der 55. ASVG-Novelle (ErläutRV 1234 BlgNR 20. GP 34) stützen kann. Im Übrigen kann eine Rechtsansicht, die ausschließlich in den Gesetzesmaterialien steht, auch nicht im Weg der Gesetzesauslegung Geltung erlangen, haben doch die Materialien keine Gesetzeskraft und interpretieren sie das Gesetz nicht authentisch.

Zusammenfassend hält der OGH in Anlehnung an die Urteile der Vorinstanzen im Ergebnis fest, dass gemäß der Ausnahmeregelung des § 162 Abs 3 lit b ASVG die Zeiten, in denen die Kl infolge des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht das volle Entgelt bezogen hat, im vorliegenden Fall die Monate Mai und Juni 2015 bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes außer Betracht zu bleiben haben. Somit ist als Bemessungsgrundlage vom Arbeitsverdienst der Kl im April 2015 auszugehen. Daraus errechnet sich ein tägliches Wochengeld von € 82,12.117