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Realistische Chance der Vermittelbarkeit als Voraussetzung für Zumutbarkeit einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme

ALEXANDERDE BRITO

Der Kl absolvierte eine Lehre zum Sanitär- und Klimatechniker, die er im Juli 2003 abschloss. Er bezog vom 1.8.2011 bis zum 31.10.2014 eine befristete Invaliditätspension von der bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA). Zwischen den Parteien war nicht strittig, dass der Kl Berufsschutz genießt und dass er als dauerhaft invalid anzusehen ist.

Der Kl ist ungeachtet seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls für eine Umschulung zum Bürokaufmann oder technischen Zeichner sowie die uneingeschränkte Berufsausübung in diesen Berufsfeldern geeignet. Infolge eines von der Bekl durchgeführten Berufsfindungsverfahrens begann der Kl am 28.9.2015 die Umschulung zum Bürokaufmann, die er jedoch am 19.11.2015 – krank gemeldet – abbrach. Dem Kl ist die Teilnahme an einem Kurs in der Dauer von sechs bis acht Stunden pro Tag mit normalen Arbeitspausen möglich. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kl nach Abschluss einer einschlägigen Ausbildung innerhalb von drei bis sechs Monaten vermittelt werden kann. Eine längerfristige Reintegration in den Arbeitsmarkt als Bürokaufmann oder technischer Zeichner ist mit einer Wahrscheinlichkeit von zumindest 50 % und höchstens 75 % zu erwarten. Der Kl ist zumindest für die Hälfte der Restarbeitszeit bis zum Pensionsantrittsalter integrierbar.118

Mit Bescheid vom 24.4.2015 wies die PVA den Antrag des Kl, ihm eine Invaliditätspension über den 31.10.2014 hinaus weiter zu gewähren, ab. Das Erstgericht wies das gegen diesen Bescheid gerichtete Klagebegehren ab. Es sprach aus, dass der Kl Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation in den Berufsfeldern Bürokaufmann und technischer Zeichner habe. Diese Maßnahmen seien zweckmäßig und zumutbar. Dem Kl komme Berufsschutz zu, Invalidität liege dauerhaft vor. Nicht erfüllt sei jedoch die negative Anspruchsvoraussetzung des § 254 Abs 1 Z 2 ASVG, weil er auf die Berufe des Bürokaufmanns und technischen Zeichners umschulbar sei und eine realistische Chance habe, nach Ende der Umschulung in seinem neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz zu finden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Damit eine berufliche Maßnahme zweckmäßig iSd § 303 Abs 2 ASVG sei, müsse eine realistische Chance bestehen, dass der Umgeschulte nach dem Ende der Umschulung im neuen Beruf voraussichtlich – iS einer hohen Wahrscheinlichkeit – einen neuen Arbeitsplatz findet. Die Behauptungs- und Beweislast treffe auch für das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung des § 254 Abs 1 Z 2 ASVG den Versicherten. Bestehe – wie hier – eine Bandbreite der rechtlichen Beurteilung, sei der für die beweisbelastete Partei ungünstigere Wert zugrunde zu legen. Im vorliegenden Fall sei daher von einer – ausreichend hohen – Wahrscheinlichkeit von 75 % für eine dauerhafte Reintegration auf dem Arbeitsmarkt auszugehen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rsp des OGH zur Beweislastverteilung im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit von beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation fehle.

Der OGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass es für die Zumutbarkeit von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht darauf ankommt, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine längerfristige Reintegration in den Arbeitsmarkt zu erwarten ist.

Wesentlich ist nur, dass der Versicherte im umgeschulten Beruf eine realistische Chance hat, einen Arbeitsplatz zu finden. Dass der Versicherte nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme tatsächlich einen Arbeitsplatz erlangt und einen solchen für sein restliches Berufsleben innehat, bildet hingegen keine (negative) Anspruchsvoraussetzung. „Auf Dauer sichergestellt“ iSd § 303 Abs 2 ASVG ist eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt demnach (bereits) dann, wenn nach einem etwaigen Verlust des Arbeitsplatzes die Berufstätigkeit, zu der die Umschulung erfolgt ist, am Arbeitsmarkt regelmäßig nachgefragt wird bzw weiterhin die grundsätzliche Chance besteht, sich am Arbeitsmarkt im umgelernten Beruf zu behaupten. Dies ist hier aber nach den unangefochtenen Feststellungen der Fall, weil der Kl nach Abschluss der von der Bekl angebotenen Ausbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb von drei bis sechs Monaten auf einen Arbeitsplatz vermittelt werden kann.

Es kommt daher weder darauf an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine längerfristige Reintegration in den Arbeitsmarkt zu erwarten ist, noch darauf, wie weit der Kl für den Rest seiner Arbeitszeit bis zu seinem Pensionsantritt in den Arbeitsmarkt eingliederbar ist. Es bedarf daher auch keiner näheren Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Wahrscheinlichkeit von „zumindest 50 % und höchstens 75 %“ für die längerfristige Reintegration in den Arbeitsmarkt den Anforderungen des Beweisverfahrens der Zivilprozessordnung entspricht.