73

Aus- und Weiterbildungsbeihilfen des Arbeitsmarktservice stehen Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld nicht entgegen

MURATIZGI

Entsprechend dem Zweck des § 24 Abs 1 Z 2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) stellen die bezogenen Beihilfen (Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts und pauschalierte Kursnebenkosten) keine Leistungen aus der AlV iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG dar, sondern ist dieser Begriff teleologisch dahin zu reduzieren, dass mangels Arbeitslosigkeit der Bezug der Beihilfen dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht entgegensteht.

SACHVERHALT

Die Kl stand in einem aufrechten öffentlichen Dienstverhältnis. Von 6.2.2014 bis 27.8.2014 war sie aus Anlass der Geburt ihres ersten Kindes im Mutterschutz. Mit ihrem DG vereinbarte sie für den Zeitraum von 28.8.2014 bis 31.1.2016 Karenz nach dem Mutterschutzgesetz (MSchG). Von 7.9. bis 9.10.2015 und von 13.10. bis 30.10.2015 nahm sie an einem Weiterbildungskurs teil und bezog in diesen Zeiträumen gemäß der Bundes-RL Aus- und Weiterbildungsbeihilfen (BEMO) täglich jeweils € 17,32 an Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts und € 1,93 pauschalierte Kursnebenkosten. Nach dem 31.1.2016 übte sie ihre Berufstätigkeit weiter aus. Am 6.5.2016 wurde ihr zweites Kind geboren. Das absolute Beschäftigungsverbot begann am 10.3.2016. Von 10.3. bis 1.7.2016 bezog die Kl Wochengeld. Mit Bescheid vom 18.8.2016 wies die Bekl den Antrag der Kl auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens ab. Als Begründung führt sie aus, dass die Kl in den Zeiträumen von 7.9. bis 9.10.2015 und von 13.10. bis 30.10.2015 Leistungen aus der AlV bezogen habe und daher die negative Anspruchsvoraussetzung des Nichtbezugs von Leistungen aus der AlV in den letzten sechs Monaten vor Beginn des Beschäftigungsverbots (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG) nicht erfüllt sei.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht erkannte der Kl das Kinderbetreuungsgeld für das zweite Kind für den Zeitraum von 6.5.2016 bis 5.5.2017 in Höhe von € 46,58 täglich zu. Die Kl habe sich nach der Geburt ihres ersten Kindes in einem aufrechten, ruhenden Dienstverhältnis befunden und sei daher nicht arbeitslos gewesen. Die während dieser Karenz anlässlich des Besuchs von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nach der Bundes-RL für Aus- und Weiterbildungsbeihilfen bezogenen Beihilfen seien nicht als Leistungen aus der AlV iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG zu qualifizieren, die dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld entgegenstehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beihilfen zur Deckung des Lebensunterhalts – anders als das Weiterbildungsgeld und das Bildungsteilzeitgeld – nicht in den §§ 26, 26a AlVG geregelt, sondern im Arbeitsmarktservicegesetz (AMSG) verankert seien. Sie könnten – ohne Rechtsanspruch – auch bei aufrechtem Arbeitsverhältnis gewährt werden und verfolgten den Zweck, die Aufrechterhaltung der Beschäftigung zu fördern. Infolge dieser Unterschiede handle es sich bei diesen Beihilfen um keine Leistungen aus der AlV iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG, die den Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld hindern könnten.

Der OGH erachtet die Revision der Bekl für nicht zulässig, da keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt werden konnte.122

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] 3.2 Nach den Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber mit der – mit dem BGBl I 2011/139 – eingefügten Ergänzung der Anspruchsgrundlagen den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld ‚durch arbeitslose Eltern‘ verhindern, die ‚derzeit in bestimmten Konstellationen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens haben‘. […]

4.2 Nach dieser Rechtsprechung ist § 24 Abs 1 Z 2 2. Halbsatz KBGG nach seinem Zweck, arbeitslos gewesene Eltern, die in einem bestimmten Zeitraum vor der Geburt des Kindes eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung bezogen haben, vom Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auszuschließen, teleologisch dahin zu reduzieren, dass das Bildungsteilzeitgeld keine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne dieser Norm ist und den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld nicht hindert. […]. Der Zweck, arbeitslos gewesene Eltern vom Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auszuschließen, trifft demnach mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit auf das Bildungsteilzeitgeld nicht zu (10 ObS 153/15w). Es wäre sachlich nicht zu rechtfertigen, den Anspruch zu bejahen, wenn Anspruchswerber in Teilzeit beschäftigt sind, ihn aber zu verneinen, wenn Anspruchswerber im gleichen Ausmaß teilzeitbeschäftigt sind und gleichzeitig Bildungsteilzeitgeld beziehen.

4.3 An dieser Rechtsprechung wurde auch nach Inkrafttreten des BGBl I 2016/53 festgehalten (welches § 24 Abs 1 Z 2 KBGG für Geburten nach dem 28.2.2017 dahin abänderte, dass die Wortfolge ‚6 Monate‘ durch ‚182 Kalendertage‘ ersetzt wurde). Dass nach den Gesetzesmaterialien zu diesem Bundesgesetz auch der Bezug von Bildungsteilzeitgeld den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld vernichten soll, ist nicht als authentische Interpretation zu verstehen, sondern stellt eine bloße anderslautende Äußerung im Rahmen eines späteren Gesetzgebungsverfahrens dar. Was nur in den Materialien steht, im Gesetz aber keinen Niederschlag findet, kann auch nicht im Weg der Auslegung Geltung erlangen […].

5. Kein Anlass zu einer teleologischen Reduktion des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG besteht nach der Rechtsprechung hingegen im Fall einer Bildungskarenz und einer Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgelts gemäß § 11 AVRAG (10 ObS 103/14s, SSV-NF 28/61). Auch in diesem Fall liegt zwar keine Arbeitslosigkeit im rechtlichen Sinn (§ 12 AlVG) vor, weil das Arbeitsverhältnis dem Bande nach aufrecht bleibt. De facto ist jedoch Arbeitslosigkeit gegeben, weil der Bezug von Weiterbildungsgeld (ebenso wie der Arbeitslosengeldbezug) mit der gleichzeitigen Ausübung einer bloß geringfügigen Erwerbstätigkeit nicht verträglich ist. Entsprechend dem Gesetzeszweck soll der Bezieher von Weiterbildungsgeld infolge seiner Vergleichbarkeit mit einem Arbeitslosen vom Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes ausgeschlossen sein (10 ObS 153/15w).

6.1 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, entsprechend dem Zweck des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG stellten die von der Klägerin bezogenen Beihilfen keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG dar, sondern es sei dieser Begriff teleologisch dahin zu reduzieren, dass mangels Arbeitslosigkeit der Bezug der Beihilfen dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht entgegensteht, weicht von den in der bisherigen Rechtsprechung zum Ausdruck kommenden Wertungen nicht ab.“

ERLÄUTERUNG

In der vorliegenden E hatte der OGH in Fortsetzung seiner Judikatur zu § 24 Abs 1 Z 2 KBGG erneut über einen Leistungsbezug aus der AlV während des Beobachtungszeitraumes für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld zu entscheiden.

Im Konkreten war die Frage zu klären, ob die durch die Kl im verfahrensgegenständlichen 6-Monats-Zeitraum bezogene Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts nach § 25 Abs 1 AMSG und eine weitere Beihilfe in Form von pauschalierten Kursnebenkosten in die in § 24 Abs 2 Z 2 KBGG eingefügte, negative Anspruchsvoraussetzung des Nichtbezuges von Leistungen aus der AlV innerhalb dieses Zeitraumes erfüllt ist oder nicht.

Der Gesetzgeber wollte mit der am 1.1.2012 in Kraft getretenen Gesetzesänderung (§ 50 Abs 2 KBGG) mit der eingefügten Ergänzung der Anspruchsgrundlagen den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld „durch arbeitslose Eltern“ verhindern, die in bestimmten Konstellationen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens hatten. § 24 Abs 1 Z 2 KBGG (in der anzuwendenden Fassung BGBl I 2013/117) normiert nunmehr als Anspruchsvoraussetzung, dass der die Leistung begehrende Elternteil in den letzten sechs Monaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig war sowie in diesem Zeitraum „keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat“.

Eine Definition des Begriffs von Leistungen aus der AlV iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG findet sich im KBGG nicht. Der OGH teilt nach der Systematik des AlVG die in § 6 AlVG (deklarativ) aufgezählten Geldleistungen aus der AlV in zwei Gruppen. Die erste Gruppe wird von den Leistungen bei Arbeitslosigkeit und an Arbeitslose gebildet (zB Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Pensionsvorschuss etc). Bei der zweiten Gruppe, die ua das Weiterbil-123dungs-, Bildungsteilzeitgeld und Altersteilzeitgeld umfasst, handelt es sich um arbeitsmarktpolitische Leistungen während eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses. Zudem weist er darauf hin, dass die von der Kl bezogene Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts sowie die Beihilfe zu den pauschalierten Kursnebenkosten nicht in § 6 Abs 1 AlVG genannt, sondern im AMSG geregelt ist.

Zu der Frage, ob Bildungsteilzeitgeld (§ 11a AVRAG) und Weiterbildungsgeld (§ 11 AVRAG) unter den in § 24 Abs 1 Z 2 KBGG genannten Begriff der Leistungen aus der AlV fallen, verweist der OGH auf bereits bestehende Rsp. Nach dieser Rsp sei § 24 Abs 1 Z 2 zweiter Halbsatz KBGG nach seinem Zweck, teleologisch dahin zu reduzieren, dass das Bildungsteilzeitgeld keine Leistung aus der AlV iS dieser Norm ist und den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld nicht hindert. Der Zweck, arbeitslos gewesene Eltern vom Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auszuschließen, trifft demnach mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit auf das Bildungsteilzeitgeld nicht zu (OGH 22.2.2016, 10 ObS 153/15w). Es wäre sachlich nicht zu rechtfertigen, den Anspruch zu bejahen, wenn Anspruchswerber in Teilzeit beschäftigt sind, ihn aber zu verneinen, wenn Anspruchswerber im gleichen Ausmaß teilzeitbeschäftigt sind und gleichzeitig Bildungsteilzeitgeld beziehen.

Kein Anlass zu einer teleologischen Reduktion des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG besteht nach der Rsp hingegen im Fall einer Bildungskarenz und einer Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgelts gem § 11 AVRAG. Auch in diesem Fall liegt zwar keine Arbeitslosigkeit im rechtlichen Sinn (§ 12 AlVG) vor, weil das Arbeitsverhältnis dem Grunde nach aufrecht bleibt. De facto ist jedoch Arbeitslosigkeit gegeben, weil der Bezug von Weiterbildungsgeld (ebenso wie der Arbeitslosengeldbezug) mit der gleichzeitigen Ausübung einer bloß geringfügigen Erwerbstätigkeit nicht verträglich ist. Entsprechend dem Gesetzeszweck soll der Bezieher von Weiterbildungsgeld infolge seiner Vergleichbarkeit mit einem Arbeitslosen vom Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes ausgeschlossen sein (OGH 22.2.2016, 10 ObS 153/15w).

Der OGH hält weiters fest, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach entsprechend dem Zweck des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG die von der Kl bezogenen Beihilfen keine Leistungen aus der AlV iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG darstellen, sondern dieser Begriff teleologisch dahin zu reduzieren sei, dass mangels Arbeitslosigkeit der Bezug der Beihilfen dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht entgegensteht, von den in der bisherigen Rsp zum Ausdruck kommenden Wertungen nicht abweiche.

Dem Revisionsvorbringen, die von der Kl in der gesetzlichen Karenzzeit bezogene „Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts“ wäre doch eher mit der der Arbeitslosigkeit entsprechenden Situation beim Bezug von Weiterbildungsgeld vergleichbar (als mit jener beim Bezug von Bildungsteilzeitgeld), hält der OGH entgegen, dass nach der eigenen Systematik des KBGG die von der Kl in Anspruch genommene Karenzzeit nach dem MSchG der tatsächlichen Ausübung einer kranken- und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichzustellen ist (§ 24 Abs 2 KBGG). Die Kl befinde sich daher weder rechtlich noch faktisch in einer der Arbeitslosigkeit gleichkommenden Situation, die einen mangelnden Konnex zu einer laufenden Erwerbstätigkeit begründen könnte. Auch im Fall der von der Kl bezogenen Beihilfen sei eine teleologische Reduktion des zu weiten Gesetzeswortlauts unumgänglich, um die sachlich erforderlichen Differenzierungen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen vorzunehmen.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die von der Kl bezogenen Beihilfen zur Deckung des Lebensunterhalts und pauschalierte Kursnebenkosten keine Leistungen aus der AlV iSd § 24 Abs 1 Z 2 KBGG darstellen, sodass der Bezug der Beihilfen dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht entgegensteht.124