Bringt die DS-GVO neue Möglichkeiten hinsichtlich Beweismittel- und -verwertungsverboten im Beschäftigungsverhältnis?
Bringt die DS-GVO neue Möglichkeiten hinsichtlich Beweismittel- und -verwertungsverboten im Beschäftigungsverhältnis?
An das Gericht adressierte Beweisaufnahmeverbote und – bei deren Übertretung – Beweisverwertungsverbote (bzw ansonsten eine Verletzung von Verfahrensvorschriften) als Konsequenz eines Beweismittelverbots sollen verhindern, dass dieses Beweismittel in den Prozess Eingang findet bzw der dem Beweismittelverbot zuwider aufgenommene Beweis dem Urteil zugrunde gelegt wird. Im gegenständlichen Zusammenhang soll die Problematik behandelt werden, dass der AG (als Partei in einem Zivilprozess) rechtswidrige, weil datenschutzwidrig erlangte, Beweismittel in einen Prozess einbringt, in dem es zB um die Entlassung des betroffenen AN geht; dabei handelt es sich also um einen Unterfall der Thematik von Beweismittelverboten. Zu fragen ist, ob sich an der diesbezüglichen Diskussion in Bezug auf (im Beschäftigungsverhältnis) datenschutzwidrig erlangte Beweismittel im Geltungsbereich der DS-GVO ab 25.5.2018 etwas ändern könnte, insb, da sich diesbezüglich neue beschäftigtendatenschutzrechtliche Möglichkeiten für AN und deren Parteienvertreter auftun.
Die behördlichen Sanktionsmöglichkeiten für eine unzulässige Mitarbeiterüberwachung sind derzeit noch relativ bescheiden, wenn man bedenkt, dass die Verwaltungsstrafen gem § 52 DSG 2000 mit € 25.000,– nach oben hin limitiert sind. Theoretisch käme in Einzelfällen auch die (gerichtliche) Strafbestimmung des § 51 DSG 2000 in Betracht, wonach die Benützung, Weitergabe oder Veröffentlichung von personenbezogenen Daten, die ausschließlich auf Grund einer berufsmäßigen Beschäftigung anvertraut oder zugänglich geworden sind oder die sich der Täter widerrechtlich verschafft hat, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern oder mit der Absicht, dadurch einen anderen in seinem grundrechtlich verbürgten Geheimhaltungsanspruch gem § 1 Abs 1 DSG 2000 zu schädigen, gerichtlich strafbar ist.
Mit unmittelbarer Anwendbarkeit der DS-GVO ab 25.5.2018 wird sich diese Rechtslage insoferne erheblich ändern, weil deren Art 83 künftighin für Verstöße gegen diese unionsrechtliche Verordnung eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Verhängung von Geldbußen verlangt, die bis zu 20 Mio € oder bis zu 4 % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes eines Unternehmens reichen können. Das betrifft gem Art 83 Abs 5 lit d DS-GVO insb auch Verstöße gegen nationale Pflichten, die auf Grund der Öffnungsklausel des Art 88 Abs 1 DS-GVO („Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext“) erlassen wurden. Da § 11 Satz 1 DSG idF Datenschutz- Anpassungsgesetz 2018* (in Kraft mit 25.5.2018) normiert, dass das Arbeitsverfassungsgesetz, soweit es die Verarbeitung personenbezogener Daten regelt, eine Vorschrift iSd Art 88 DS-GVO ist, werden künftig bestimmte Datenverarbeitungen des AG im Beschäftigungskontext, die entgegen § 96 Abs 1 Z 3 oder § 96a Abs 1 ArbVG ohne eine entsprechende BV als Legitimationsgrundlage betrieben werden (insb eben Mitarbeiterüberwachungen), mit einer entsprechenden Sanktion bedroht sein.* Für die Mitbestimmungspflicht des BR hinsichtlich der genannten Betriebsvereinbarungstatbestände kommt es nach der Rsp und der hL nur auf die objektive Eignung des eingesetzten Systems zur Datenverarbeitung an, entscheidend ist also der gesamte Leistungsumfang und nicht die tatsächliche Ausnützung aller gebotenen Möglichkeiten (Features) durch den AG.* Ebenso ist es irrelevant, ob das System etwa durch die weitere Installierung eines zusätzlichen Programmes leistungsfähiger gemacht werden kann und es nur dadurch in der Lage wäre, mehr und andere „arbeitnehmerbeziehbare“ Daten zu verarbeiten.* In Folge des ständig steigenden Leistungsumfanges installierter Software und dem zunehmenden Service automatischer (zT leistungsausweitender) Updates über das Internet ist idR heutzutage jede automationsunterstützte Verarbeitung von Daten, die zumindest auf konkrete AN bezieh-125bar sind (zB „Maschinendaten“, die über den Schichtplan oder über eine authentifizierte Bedieneingabe auf einen konkreten AN heruntergebrochen werden können), mitbestimmungspflichtig. * Wird diese Mitbestimmungspflicht nicht beachtet, drohen bei einer dennoch durchgeführten entsprechenden Datenverarbeitung (zB dem „Elektronischen Personalakt“) die erwähnten exorbitanten Geldbußen.
Ungeachtet sonstiger Sanktionen würde ein Verbot, auf Grund einer unzulässigen Mitarbeiterüberwachung (zB einer heimlichen Videoüberwachung) intentional oder zufällig ermitteltes Beweismaterial zu Lasten eines AN in einem (Arbeits-) Gerichtsverfahren zu verwenden, diesem betroffenen AN (zB in seinem Entlassungsprozess) am unmittelbarsten und effektivsten helfen. Von der hM der zivilprozessrechtlichen Literatur wird aber vertreten, dass im Zivilprozess auch rechtswidrig erlangte Informationen (mit wenigen Ausnahmen, wie zB Folter) als Beweismittel verwertet werden könnten. Mittlerweile haben sich aber einige, vorwiegend arbeitsrechtliche Autoren für ein entsprechendes Beweisverwertungsverbot im arbeitsgerichtlichen Verfahren ausgesprochen.*
Auch der OGH lehnt ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot ab. So sprach der OGH hinsichtlich der heimlichen Aufnahme einer Besprechung auf Tonband aus, dass darin eine Verletzung des im § 16 ABGB verankerten Persönlichkeitsrechts des Sprechers („am eigenen Wort“) und damit diese Tonbandaufnahme rechtswidrig sei. Eine solche Tonbandaufnahme dürfe dennoch nach entsprechender Interessenabwägung in besonderen Ausnahmefällen (Notwehr, Notstand, Verfolgung überragender berechtigter Interessen) in einem Rechtsstreit verwendet werden.*
Nach Dohr/Pollirer/Weiss/Knyrim müsse ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz des § 1 DSG 2000 zu einer Interessenabwägung führen, und es werde ein Beweisverwertungsverbot dann anzunehmen sein, wenn in den Kernbereich des durch die EMRK (Art 8, aber auch Art 6), die DS-RL und das DSG – nunmehr auch durch die EU-Grundrechte-Charta – geschützten Bereich des Privat- und Familienlebens eingedrungen wird. Je sensibler die Daten dabei seien, umso nötiger werde die Unzulässigkeit einer Verwertung zu bejahen sein.*
Im Anwendungsbereich des – auch nach dem 25.5.2018 unveränderten – (im Verfassungsrang stehenden) Grundrechts auf Datenschutz, das auch zwischen Privaten (sohin auch am Arbeitsplatz) unmittelbar anwendbar ist, ist deshalb die hM abzulehnen und ein Beweisaufnahmeverbot bzw Beweisverwertungsverbot datenschutzwidrig erlangter Beweismittel nach hier vertretener Meinung zu befürworten. Zumindest muss aber eine Güter- und Interessenabwägung vor der Zulassung des fraglichen Beweismittels vorgenommen werden, dh die betroffenen Rechtsgüter sind nach ihrem allgemeinen Stellenwert, also das Grundrecht auf Datenschutz bzw das Recht auf Schutz der Privatsphäre und der vom Prozessgegner (hier der AG) verfolgte Anspruch, den er mit Hilfe eines rechtswidrigen Eingriffs in diese Rechte durchsetzen will, einander gegenüberzustellen; anlässlich dieser vom Gericht vorzunehmenden Wertung wäre insb auch zu überprüfen, ob es sich bei dem datenschutzwidrigen Eingriff tatsächlich um das gelindeste Mittel zur Beweiserlangung gehandelt hat.
Beschränkungen des Grundrechts sind nach § 1 Abs 2 DSG 2000 – im hier interessierenden Zusammenhang – nur bei Überwiegen von berechtigten Interessen eines anderen zulässig. Dabei sind die subjektiven Interessen in Bezug auf den verfolgten Anspruch (nach dessen allgemeinem Stellenwert) den bei der Erlangung der personenbezogenen Daten verletzten Persönlichkeitsrechten gegenüberzustellen.*
Diese Interessenabwägung muss in letzter Konsequenz auch zu Beweisverwertungsverboten führen können, ansonsten Wertungen des Zivilprozessrechtes höher gesetzt werden als die Verfassung und letztlich vorsätzlicher Rechtsbruch prämiert wird.* Letztlich geht es hier also um eine verfassungskonforme Auslegung des Prozessrechtes. *
Auch eine „Umgehung“ von Beweismittelverboten durch die Verfassung und Vorlage eines entsprechenden Transkriptes oder durch die Einvernahme einschlägiger – der unzulässigen Datenerhebung aktiv beigezogener – Zeugen ist deshalb abzulehnen (sogenannte „Fernwirkung“ von Beweisverwertungsverboten). *126
Alle staatlichen Akteure (dh auch Gerichte und Behörden) trifft überdies die aus Art 8 EMRK abgeleitete Verpflichtung, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch in Privatrechtsverhältnissen (insb gegen Willkür des AG) in effektiver Weise zu schützen. In diese Richtung einer dem nationalen Gericht gebotenen Interessenabwägung geht aktuell auch die E der Großen Kammer des EGMR vom 5.9.2017 mit einem entsprechenden Kriterienkatalog zur Erzielung einer „Fair Balance“ zwischen den gegenläufigen Interessen von kontrollierendem AG und überwachtem AN.*Argumentierbar wäre insoferne sehr wohl, dass die nationalen Gerichte gem Art 8 EMRK eine unzulässige Überwachung von AN am Arbeitsplatz durch den AG im Rahmen einer Gesamtwürdigung, die auch die Konsequenzen für den AN berücksichtigt (insb bei einer Entlassung auf Grund rechtswidrig erlangter Beweise), uU (auch) mit einem entsprechenden Beweisverwertungsverbot ahnden müssten.*
Hinsichtlich der DS-GVO stellt sich künftig in Bezug auf eine Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext die Frage, ob nicht auf Grund der Öffnungsklausel des Art 88 Abs 1 DS-GVO iVm ErwGr 155 die Spielregeln für die Mitarbeiterüberwachung kraft KollV oder BV nicht nur präzisiert, sondern auch verschärft werden dürfen. Ein Beispiel dafür wäre die Statuierung eines (primär an den AG gerichteten) Beweismittel- und -verwertungsverbotes für allgemein DSGVO- widrig (zB gegen einen rechtmäßigen Verarbeitungszweck verstoßend) oder speziell mitbestimmungswidrig (zB gegen das im KollV oder der BV – in Konkretisierung der DS-GVO – normierte Verbot einer heimlichen Überwachung verstoßend) erlangtes Beweismaterial. Das würde sich dann bei innerbetrieblichen Disziplinarverfahren, insb aber auch vor Gericht auswirken. Vorgenommen werden könnte diese Normierung insb durch eine entsprechende Klausel in einer BV. Damit würde – nach hier vertretener Meinung – mittels europarechtlicher Legitimation formelles Beschäftigtendatenschutzrecht geschaffen werden.
Bspw bejaht die hM in Deutschland eine Verschärfungsmöglichkeit gegenüber der DS-GVO.* Selbst wenn man einem absoluten Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot ablehnend gegenübersteht und stattdessen einer entsprechenden Interessenabwägung im Einzelfall das Wort redet, * bekämen entsprechende (gem § 11 Satz 1 DSG neu iVm Art 88 Abs 1 DS-GVO) „europarechtlich qualifizierte“ Klauseln insb in Betriebsvereinbarungen, die sich ausdrücklich auf Art 88 Abs 1 DS-GVO berufen, plötzlich ein (neues) europarechtliches Gewicht, das auch vom Gericht (iSd europarechtlichen „Effektivitätsgrundsatzes“ und des Auslegungsgrundsatzes der praktischen Wirksamkeit von Unionsrecht) zu berücksichtigen wäre, wenn Beweismittel unter Verstoß gegen die DS-GVO oder gegen beschäftigtendatenschutzrechtliche Legitimationsgrundlagen (in KollV oder BV) erlangt wurden (zB auf Grund einer rechtswidrigen Überwachung).*
Wie könnte nun eine solche Klausel praxisgerecht ausformuliert werden?
Zu empfehlen ist mE, diesbezüglich die zwei möglichen Fallgruppen einer unzulässigen Beweismittelbeschaffung zu bedenken und zu reglementieren, nämlich erstens einen von vornherein als unzulässig normierten Verarbeitungsvorgang (zB eine heimliche Mitarbeiterüberwachung) und zweitens einen unzulässigen Zweck einer grundsätzlich zulässigen Datenverarbeitung (zB die Weiterverarbeitung von AN-Daten aus einer zu Sicherheitszwecken installierten Videoüberwachung zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle):
„Eine Verarbeitung von arbeitnehmerbeziehbaren Daten, die unter Zuhilfenahme des gegenständlichen Systemes, aber entgegen den einschlägigen Bestimmungen der gegenständlichen Betriebsvereinbarung erhoben/erfasst/ausgelesen/abgefragt wurden, ist untersagt und damit rechtswidrig und wird zur diesbezüglichen Bewehrung aus Gründen rechtlicher Vorsicht beschäftigtendatenschutzrechtlich ein entsprechendes außergerichtliches, gerichtliches und behördliches Beweismittel- und -verwertungsverbot, das sich an Jedermann (dh insb AG, Behörden und Gerichte) richtet, vereinbart, soferne von einem solchen Beweismittel- und -verwertungsverbot nicht sowieso schon eo ipso (europa-)rechtlich auszugehen ist.“127
„Eine Verarbeitung von arbeitnehmerbeziehbaren Daten, die unter Zuhilfenahme des gegenständlichen Systemes und gemäß der gegenständlichen Betriebsvereinbarung erlaubter Weise erhoben/erfasst/ausgelesen/abgefragt wurden, zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle oder zur wie auch immer gearteten Beurteilung von AN ist untersagt und damit rechtswidrig und wird zur diesbezüglichen Bewehrung aus Gründen rechtlicher Vorsicht beschäftigtendatenschutzrechtlich ein entsprechendes außergerichtliches, gerichtliches und behördliches Beweismittel- und -verwertungsverbot, das sich an Jedermann (dh insb AG, Behörden und Gerichte) richtet, vereinbart, soferne von einem solchen Beweismittel- und -verwertungsverbot nicht sowieso schon eo ipso (europa-)rechtlich auszugehen ist.“
Ergänzend ist anzuführen, dass der zusätzliche Unterfall 2 naturgemäß nicht für eine Datenverarbeitung passt, bei der es – als dem Wesen eines Arbeitsverhältnisses immanent – konsistent zu Kontrollen kommt, die diesbezüglich legitimer Weise vom Zweck der Datenverarbeitung abgedeckt werden, zB Kontrollen der Einhaltung der Arbeitszeit unter Zugrundelegung der Arbeitszeitdaten aus einer automationsunterstützten Zeiterfassung.
Neben dem österreichischen Grundrecht auf Datenschutz (im Verfassungsrang), das auch am privatwirtschaftlichen Arbeitsplatz unmittelbar anwendbar ist, muss künftig überdies auch europäisches Datenschutzrecht (im Beschäftigungskontext gem § 11 Satz 1 DSG neu implementiert durch die Regelungsinstrumente BV und KollV) unmittelbar (auch iSd „Effektivitätsgrundsatzes“ und des Auslegungsgrundsatzes der praktischen Wirksamkeit von Unionsrecht) berücksichtigt werden. Das wird sich – insb bei vereinbarten Klauseln zu Beweismittel- und -verwertungsverboten – auch auf den Zivilprozess auszuwirken haben, weil Richter – vereinfacht ausgedrückt – bei ihrer Prozessführung neben dem (einfachgesetzlichen) Zivilprozessrecht natürlich auch die Verfassung samt ihren Grundrechten sowie Unionsrecht (und dessen Anwendungsvorrang) berücksichtigen müssen.