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Einsichtsrechte des Betriebsrates zwecks Überprüfung der Vordienstzeitenanrechnung – umfassendes Überwachungsrecht

MARTINACHLESTIL

Der BR ist aufgrund seines nach § 89 ArbVG eingeräumten Überwachungsrechts befugt, die richtige Anrechnung der Vordienstzeiten durch den AG zu überprüfen. Die dazu erforderlichen Informationen hat der AG durch Einsicht in die dazu nötigen Unterlagen (etwa Vordienstzeiten- Beiblätter zum Arbeitsvertrag) zu gewähren.

SACHVERHALT

Der bekl AG folgt jedem Mitarbeiter zu Beginn des Arbeitsverhältnisses den schriftlichen Arbeitsvertrag und ein Beiblatt mit den Vordienstzeiten (Beginn und Ende, AG, usw) aus, in dem die Vordienstzeitenanrechnung ersichtlich ist. Im Arbeitsvertrag finden sich Informationen wie Urlaubsstichtag, Vorrückungsstichtag und Jubiläumsstichtag, nicht jedoch bei welchem AG, in welcher Funktion und wie lange der AN vor Beginn des Arbeitsverhältnisses bei der bekl AG beschäftigt war.

Der kl BR hat die Möglichkeit, durch ein im Betrieb installiertes Administrationssystem bestimmte Daten der AN (ua den Vorrückungsstichtag, den Urlaubsstichtag, den Jubiläumsstichtag, das Eintrittsdatum, die besoldungsrechtliche Einstufung, allfällige Ergänzungszulagen und das Datum der nächsten Vorrückung) abzufragen. Allein durch diese Informationen ist es dem BR aber noch nicht möglich, zu überprüfen, welche Vordienstzeiten in welchem Ausmaß die bekl AG beim jeweiligen AN angerechnet hat. Für diese Prüfung benötigt der kl BR das jeweilige Vordienstzeiten- Beiblatt.

Der kl BR begehrt nun von der bekl AG, ihm Einsicht in die Arbeitsverträge sowie in die Vordienstzeitenanrechnungen (Vordienstzeiten-Beiblätter) der von ihm vertretenen Mitarbeiter zu gewähren.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der OGH gab dem kl BR teilweise Recht.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„4.2. Die dem Betriebsrat von § 89 ArbVG eingeräumten Überwachungsrechte kann dieser wirkungsvoll aber nur dann wahrnehmen, wenn er in Kenntnis der dafür erforderlichen Information ist bzw sich diese durch Einsicht in die entsprechenden Unterlagen beschaffen kann. Nur wenn er also in sämtliche abrechnungsrelevanten Dokumente und Aufzeichnungen des Betriebs Einsicht nehmen kann, kann er auch seiner Pflicht (6 ObA 1/14m mwN), die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen, nachkommen.

Nach § 89 Z 1 ArbVG ist der Betriebsrat berechtigt, in die vom Betrieb geführten Aufzeichnungen über die Bezüge der Arbeitnehmer und die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen und sie zu überprüfen. Diese verpflichtende Konnexität zwischen Einsicht und Erforderlichkeit stellt eine inhaltliche Einschränkung des Überwachungsrechts nach § 89 Z 1 ArbVG dar (Grünanger, Einsichtsrecht[e] in Gehaltsdaten und Personalakten? Die Rechte des Betriebsrats und einzelner Arbeitnehmer, ZAS 2014/48 [293 f]). In der Lehre wird in diesem Zusammenhang ebenfalls von einem Einsichtsrecht in die ‚entsprechenden Berechnungsunterlagen‘ (Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3, 669) bzw in ‚alle Unterlagen, die zur Überprüfung der Richtigkeit der Berechnung sowie der Richtig-78keit und Pünktlichkeit der Auszahlung des Entgeltes und der sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Abgaben nötig sind‘ (Hruška-Frank, Einsichtsrecht des Betriebsrates in Aufzeichnungen über Bezüge der ArbeitnehmerInnen im Betrieb, infas 2008, 43 [45]), gesprochen.

Zur Überprüfung der korrekten Anrechnung von Vordienstzeiten durch die Beklagte benötigt der klagende Betriebsrat im konkreten Fall aber nicht zwangsläufig auch die Einsicht in die Einzelarbeitsverträge. Dafür genügen die ihm vom Dienstgeber im Rahmen des im Betrieb installierten Administrationssystems ohnehin bereits zur Verfügung gestellten Informationen im Zusammenhang mit der hier klagsweise begehrten Einsicht in die Vordienstzeitenanrechnungen (Vordienstzeiten-Beiblätter). […]

4.3. […] Die Frage, ob dem Betriebsrat in einer anderen Konstellation das Recht auf Einsicht auch in die Arbeitsverträge der von ihm vertretenen Mitarbeiter zukommt bzw ob der Betriebsrat ein Überwachungsrecht betreffend die Einhaltung einzelvertraglicher Vereinbarungen zusteht, muss hier aber nicht näher erörtert werden.“

ERLÄUTERUNG

Im vorliegenden Fall ging es dem BR um die Überprüfung der Vordienstzeitenanrechnung der von ihm vertretenen AN. Er wollte kontrollieren, ob der AG hinsichtlich der Anrechnung der Vordienstzeiten die unionsrechtlichen (Gleichbehandlungs-) Vorschriften in Bezug auf das Entgelt der MitarbeiterInnen einhält.

Dazu stützte er sein Klagebegehren auf § 89 Z 2 ArbVG (Überwachung der Einhaltung von KollV, BV und sonstigen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen). Der OGH beurteilte das Begehren, wie es zu verstehen war, nämlich, dass der kl BR seine ihm als BR nach § 89 ArbVG eingeräumte, nicht auf die Z 2 beschränkte, Überwachungsbefugnis geltend macht. Zu prüfen war daher auch die Bestimmung des § 89 Z 1 ArbVG.

Der OGH hält fest, dass dem kl BR schon nach der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG derartige Kontrollrechte zukommen. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage betreffend die Einführung des ArbVG (RV 840 BlgNR 13. GP 81) ist das Überwachungsrecht des BR umfassend mittels einer Generalklausel umschrieben und durch die beispielsweise Aufzählung einzelner Überwachungsbefugnisse (§ 89 Z 1 bis 4 ArbVG) ausgeformt. Die umfassende Formulierung der Generalklausel soll ein umfassendes Überwachungsrecht des BR bezüglich der Einhaltung aller die AN berührenden Normen (zB arbeits-, steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Inhalts) sicherstellen; es kommt daher nicht darauf an, ob sich solche Normen aus Gesetz, Verordnung, KollV, Satzung, Mindestlohntarif oder BV, Bescheid oder Einzelarbeitsvertrag, oder etwa aus schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen BR und Betriebsinhaber ergeben.

Nach § 89 Z 1 ArbVG hat der BR das Recht, in die vom AG geführten Aufzeichnungen über die Bezüge der AN und die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen und insb auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Das Recht auf Einsichtnahme in die Gehaltsunterlagen wird daher auch auf andere die AN betreffende Aufzeichnungen ausgedehnt, sofern deren Kenntnis für den BR zu einer zweckentsprechenden Ausübung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse nötig ist.

Nach Ansicht des OGH kann der BR diesem gesetzlich normierten Überwachungsrecht aber wirkungsvoll nur dann nachkommen, wenn er auch die dazu erforderlichen Informationen bekommt, etwa durch Einsichtnahme in sämtliche abrechnungsrelevanten Unterlagen. Allerdings – so auch die Lehre – erhält das Überwachungsrecht des BR eine inhaltliche Einschränkung insofern, als ihm die Informationen in einem Ausmaß zur Verfügung zu stellen sind, wie sie für die Ausübung seiner (Pflicht)Befugnisse nötig sind („verpflichtende Konnexität zwischen Einsicht und Erforderlichkeit“).

Im gegenständlichen Fall erhielt der BR durch das Administrationssystem des AG bereits bestimmte Daten über die MitarbeiterInnen. Zusammen mit den gewonnenen Informationen aus der begehrten Einsichtnahme in die Vordienstzeiten- Beiblätter wäre es dem BR sodann möglich, seiner Befugnis auf Überprüfung der Vordienstzeitenanrechnung nachzukommen. Dem Klagebehren war daher in diesem Umfang stattzugeben.

Die vom BR gewünschte Einsichtnahme in die Arbeitsverträge der MitarbeiterInnen war für die Überprüfung der Vordienstzeitenanrechnung zwangsläufig nicht erforderlich. Mangels Erforderlichkeit wurde vom OGH die in der Lehre umstrittene Frage, ob generell ein Recht des BR auf Einsichtnahme in die Arbeitsverträge besteht, nicht näher erörtert und das darauf gerichtete Mehrbegehren abgewiesen.79