HofmannGewerkschaften ohne Grenzen? Das Instrument der European Action Days im Länder- und Zeitvergleich

Verlag des ÖGB, Wien 2017 196 Seiten, kartoniert, € 29,90

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Die vorliegende, von der Universität Linz als Dissertation approbierte Arbeit geht vom Befund einer sozialen Krise in der EU aus. Leitender Gedanke ist, einem Europa der Märkte ein Europa der Menschen gegenüber zu stellen. Die Verfasserin meint zu Recht, dass mit Hilfe von Verhandlungs- und Lobbying-Strategien ein soziales Europa nicht geschaffen und eine nachhaltige Verschiebung der politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse nicht gelingen kann. Das liege an dem ungleichen Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital und an der Dominanz der orthodoxen wirtschaftsliberalen Kräfte. Es sei daher erforderlich, unter Einbeziehung breiter Bevölkerungsteile transnationale Gegenmacht aufzubauen.

Die Arbeit zielt auf eine der zentralen Schicksalsfragen ab, die von der EU künftig beantwortet werden müssen: Wie gelingt transnationale Politik und damit eben insb die Schaffung supranationalen Rechts, vor allem in Bereichen wie Arbeit, Gesundheit, Soziales und Ökologie?

In einem gediegenen und informativen ersten Teil der Arbeit werden für das Thema relevante theoretische Grundlagen, insb aus der Arbeitsbeziehungsforschung, vorgestellt und für die Themenstellung aufbereitet. Schon hier zeichnet sich ab, dass die Entwicklung transnationaler Strategien auf Grund der vorherrschenden strukturellen Rahmenbedingungen schwierig und mühsam ist und grenzüberschreitende Kooperationen von einer ständigen Erosion bedroht sind. Für Gewerkschaften ist deswegen der Nationalstaat weiterhin das zentrale Interventionsfeld. In der Folge bezieht sich Hofmann ausführlicher auf den sogenannten Machtressourcen-Ansatz, der präziser dazu in der Lage sein dürfte, Potenziale und Restriktionen zu definieren. Für besonders aufschlussreich halte ich im Rahmen dieser theoretischen Grundlegungen den Abschnitt über die Entstehung kollektiver Identitäten. Die Autorin weist zu Recht auf etwas hin, was im Zuge der Debatten um die Rolle der Zivilgesellschaft oft vernachlässigt wird: Dass nämlich die Gewerkschaften zu den zentralen zivilgesellschaftlichen AkteurInnen gehören. Dieser Hinweis ist deswegen so wichtig, weil die Erfahrungen über Erfolge und Misserfolge (zivil-)gesellschaftlicher Initiativen im Bereich der Gewerkschaften anderen Kräften der Zivilgesellschaft ein reiches Anschauungsmaterial bieten könnten, wie Gesellschaftsgestaltung möglich wird und woran sie scheitert. Die Illusionen über die Wirksamkeit loser Aggregationen engagierter Gruppen würden auf diese Weise deutlich zu Tage treten.

Kern der Arbeit ist eine Auswertung der „European Action Days“. Das sind vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) koordinierte, grenzüberschreitende gewerkschaftliche Formen der Mobilisierung, mit denen die Gewerkschaften versuchen, in nationale und europäische Auseinandersetzungen ihre Anliegen einzubringen. Diese Action Days gibt es seit 1989, seit 2000 im Durschnitt ein Mal pro Jahr.

Die Arbeit beschreibt und analysiert die konkrete Praxis dieser Aktionen. Thematisiert werden drei Mobilisierungsphasen: der EU-Gipfel 1997, die „Bolkestein- Richtlinie“ und die Krisenproteste im Gefolge der Finanzkrise 2008. Die ausführlich begründete Länderauswahl fiel auf Österreich, Spanien, Finnland und Bulgarien. Die Aktionen werden nach Zielen und Inhalten ausführlich beschrieben. Es folgen länderspezifische Auswertungen. Diese können hier leider nicht nachgezeichnet werden, sind aber von hohem Erkenntniswert und jedem an sozialen Fragen in der EU interessierten Leser uneingeschränkt zu empfehlen. Im analytischen Teil wird ausführlich auf die Grenzen und Hindernisse länderübergreifender Aktionen eingegangen. Der Vergleich zwischen Spanien, Finnland, Österreich und Bulgarien ist äußerst lesenswert und gewinnbringend für die Frage, wo Möglichkeiten und Hindernisse einer europäischen transnationalen Strategie liegen.275Die Bilanz ist (erwartungsgemäß) ernüchternd.

Für Hofmann ist eine wesentliche Erfolgsbedingung die Herstellung eines grenzüberschreitend geteilten „Framings“ iS einer positiven Vision eines gerechten Gemeinwesens. Das sei, meint die Verfasserin, um die Jahrtausendwende gelungen: Die Vision war ein soziales Europa auf der Grundlage einer vertieften Integration. Diese war aber nicht nachhaltig und konnte nicht aufrechterhalten werden. Im Zuge der Verfassungsreform und der EUROKrise zeigten sich bald unterschiedliche Auffassungen der Mitgliedstaaten über die Frage der Integration. BefürworterInnen einer Vertiefung stießen auf SkeptikerInnen, die vor den Gefahren einer weiteren Integration warnten und dadurch eine Einengung der nationalen Handlungsspielräume befürchteten. Hinzuzufügen ist, dass sich auch in den Gewerkschaften in Österreich und Deutschland BefürworterInnen einer Stärkung der nationalen Gestaltungsspielräume (einer „Renationalisierung“) gut positionieren konnten. Die Spaltung zwischen NationalistInnen und IntegrationsbefürworterInnen ist also auch für die Gewerkschaften und die Linksparteien zu konstatieren. Die Debatten entzündeten sich vor allem an der noch immer aktuellen Frage der Entsendung und damit auch der Tragweite der Dienstleistungsfreiheit. Hofmann konstatiert, dass durch diese gegensätzlichen Positionen die europäischen Gewerkschaften in ihren Aktionsmöglichkeiten gehemmt wurden und die neoliberale Ideologie weiter ungehindert Fuß fassen konnte.

Hofmann betont als weiteren wesentlichen Aspekt die Rolle der (unterschiedlichen) nationalen Interessen. Die Gewerkschaften könnten sich den nationalen Standortlogiken nur bedingt entziehen. Die vorgelegten Länderberichte zeigen eindrucksvoll, wie die nationalstaatliche Verankerung der Gewerkschaften einer Logik des Internationalismus im Wege steht. Die Vereinheitlichung stößt sich an der Ungleichzeitigkeit der ökonomischen Entwicklung. Auch in diesem Punkt kann man der Verfasserin uneingeschränkt folgen.

Das dritte von Hofmann hervorgehobene Problemfeld ist die Bedeutung gewerkschaftlicher Traditionen und historisch gewachsener Praktiken. Es gibt höchst unterschiedliche nationalstaatlich geprägte Gewerkschaftsidentitäten. Daraus ergeben sich unterschiedliche Schlussfolgerungen zur Frage des Aufbaus eines sozialen Europas.

Trotz dieser Probleme und Hindernisse berichtet die Autorin auch über erfolgreiche Kampagnen, die nach ihrer Einschätzung das Gefühl verstärkt haben, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit möglich ist. Beispiele dafür sind die Bewegung für ein anderes Europa (1997 bis 2002), der Widerstand gegen die „Bolkestein-Richtlinie“ und die Proteste gegen die Wirtschaftskrise ab 2008 und ihre prekären „Lösungen“.

Angesichts der theoretischen Befunde und der ausführlichen Darstellung der schwierigen Rahmenbedingungen für europaweite Gewerkschaftspolitiken überrascht es dann doch, dass Hofmann die Zukunft der Transnationalisierung der Gewerkschaften in Euro pa für eine offene Frage hält. Sie meint, Indizien für beide Entwicklungsszenarien zu erkennen. Spanien, Bulgarien und Österreich erweisen sich im Gegensatz zu Finnland als eher offen für eine stärkere transnationale Komponente. Die Autorin benennt aber auch starke desintegrative Tendenzen, so etwa die Spaltungen zwischen Zentrum und Peripherie und nationalistische Abschottungsstrategien.

Zusammenfassend sei hervorgehoben, dass die Monographie von Hofmann einem schlüssigen Untersuchungsablauf folgt und auf theoretisch stringenten Grundannahmen aufbaut. Wesentliche Erkenntnisse der Arbeitsbeziehungsforschung werden knapp und präzise dargestellt und den nachfolgenden Analysen zugrunde gelegt. Es verbleibt aber letztlich der Eindruck, dass es ihr nicht ausreichend gelungen ist, die Apathie und den Stillstand, die heute in der Frage der Transnationalisierung unverkennbar herrschen, deutlicher herauszuarbeiten und zu erklären. Für die Autorin ist die Zukunft offen, obwohl ihre grundlegenden theoretischen Befunde, wie auch die dargestellten konkreten Erfahrungen, deutlich gegen eine erfolgreiche transnationale Mobilisierung, die dann ja auch verfestigter rechtlicher/institutioneller Garantien bedürfte, sprechen.

Geht es um eine Überwindung der Stagnation der sozialen Entwicklung der EU, kann man es sich wohl nicht ersparen, auf die grundlegenden Konstruktionsfehler der EU und auf fatale Weichenstellungen hinzuweisen (kein Gegengewicht gegen das Diktat der Grundfreiheiten, keine europäische Demokratisierung, keine Vision für eine „positive Integration“). Es fehlt die Antwort darauf, welche Optionen bestehen, wenn die Gewerkschaften tatsächlich in der nationalen Standortlogik stark verankert bleiben und die nationalstaatlichen Gestaltungsmöglichkeiten gleichzeitig weitgehend – iS einer „Politiklücke“ – erodieren. Zum einen ist der Vertiefungskonsens marginal und die Osterweiterung erwies sich (vorhersehbar) als ein trojanisches Pferd, was die soziale Gestaltbarkeit der Union anlangt.

Möglicherweise müsste das „Framing“, von dem die Autorin spricht, doch etwas radikaler und wagemutiger sein und auf neuartige Formen der Durchsetzung sozialer Interessen setzen. Das könnten eine umfassende Demokratisierung der EU bei gleichzeitigem Abbau der Vetopositionen einzelner Mitgliedstaaten sein, eine Entschärfung der Binnenmarktregeln durch soziale Rechtfertigungen oder ein EU-weites Mitbestimmungsmodell auf der Basis einer obligatorischen Betriebsverfassung.

Weitere zwei Hindernisse, die gegen eine weitergehende Transnationalisierung der Arbeitsbeziehungen sprechen, werden nicht angesprochen: Zum einen neigen die ehedem am besten organisierten Kernschichten der Arbeiterschaft zu nationalistischen und EU-feindlichen Haltungen, zum anderen sind die zahlreichen neuen Jobs und die neuen Organisationsformen von Arbeit 4.0 und in den Dienstleistungsbranchen schon auf nationaler Ebene sehr schlecht organisierbar. Transnational ist deren Kartellierung wohl ziemlich aussichtslos. Es fällt auch deswegen schwer, die optimistische These der Autorin, die Entwicklung sei in beide Richtungen offen, für plausibel zu halten.