Waas/Liebman/Lyubarsky/KezukaCrowdwork – A Comparative Law Perspective

Bund Verlag, Frankfurt am Main 2017 296 Seiten, kartoniert, € 19,80

KATRINWETSCH (SALZBURG)

It cannot be helped, it is as it should be, that the law is behind the times.“ Dieses beinahe hundert Jahre alte Zitat von Oliver Wendell Holmes, damals Richter am US Supreme Court (S 24), beschreibt zutreffend die zeitlose Problematik, mit der sich auch das vorliegende Werk auseinandersetzt:

Die Digitalisierung – wie sich in der weiten Verbreitung des Internets sowie in der Weiterentwicklung der Informationstechnologien zeigt – ermöglicht eine zunehmende Vernetzung der Menschen. Diese Entwicklungen führen dazu, dass das Internet für zahlreiche Freizeitaktivitäten als auch für das Arbeitsleben sehr bedeutend geworden ist. Dadurch entstehen neue Anwendungsbereiche und neue Formen der Arbeitsorganisation, die das Aufbrechen (vermeintlich) verknöcherter Strukturen und die Schaffung neuer flexibler (kosteneffizienterer) Angebote versprechen, jedoch inzwischen immer öfter auf rechtliche Grenzen stoßen.

Eine solche neue Form der Arbeitsorganisation ist „Crowdwork“, bei der Unternehmen (sogenannte „CrowdsourcerInnen“) über eine zwischengeschaltete Crowdsourcing-Plattform (häufig durch sogenannte „Click-Wrap-Agreements“) beliebige Aufträge an eine Vielzahl von (unbekannten) Personen (die sogenannte „Crowd“) vergeben. Die Tätigkeiten auf diesen Plattformen reichen von geringqualifizierten und geringentlohnten „Mikrotasks“ (bzw auch als „kognitive Akkordarbeit“ bezeichnet), bis hin zu höher qualifizierten und damit auch profitableren und herausfordernden Aufgaben (S 27). Jene Personen, die diese Arbeiten erledigen, werden als „CrowdworkerInnen“ bezeichnet.

Crowdwork“ ist (bislang) gesetzlich nicht explizit geregelt, weshalb unklar ist, ob „CrowdworkerInnen“ rechtlich als Angestellte, oder – nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vieler PlattformbetreiberInnen – als Selbstständige einzustufen sind. Auch stellt sich die Frage, ob die CrowdsourcerInnen oder die Crowdsourcing- Plattformen als potentielle AG zu qualifizieren sind. Fraglich ist auch, ob CrowdworkerInnen einer sozialen oder rechtlichen Absicherung unterliegen. Überdies problematisch ist, dass die Tätigkeiten auf den Crowdsourcing- Plattformen in vielen Fällen grenzüberschreitenden Charakter aufweisen, weshalb die potentielle Gefahr eines (globalen) Unterbietungswettbewerbs besteht. Diese und weitere (ungeregelte) Graubereiche eröffnen derzeit für Crowdsourcing-Plattformen die Möglichkeit, Risiken und Verantwortung auf die Arbeitnehmerschaft zu verlagern, was nicht zuletzt unter dem Aspekt der Schaffung „guter Arbeitsbedingungen“ für AN zu einer globalen Herausforderung für die Gesellschaft führen könnte.

Das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht (HSI) in Frankfurt am Main nahm diese Entwicklungen zum Anlass, das Phänomen Crowdwork im Lichte einer rechtsvergleichenden Studie zu untersuchen und beleuchtet in insgesamt fünf Kapiteln den jeweiligen Status und das rechtliche Schutzbedürfnis von CrowdworkerInnen aus dem Blickwinkel der USA (Liebman/Lyubarsky, Crowdworkers, The Law and the Future of Work: The U.S.), Deutschlands (Waas, Crowdwork in Germany) und Japans (Kezuka, Crowdwork and the Law in Japan). Wie der Titel schon verrät, ist die Studie in englischer Sprache abgefasst. Das vorliegende Buch ist sowohl in gebundener Fassung käuflich zu erwerben als auch online auf der Website des HSI (http://www.hugo-sinzheimer-institut.dehttp://www.hugo-sinzheimer-institut.de) kostenlos abrufbar. Eine deutsche (Kurz-)Zusammenfassung ausgewählter Thesen des Werkes ist zusätzlich dazu auf der Website des HSI (frei) verfügbar.

Im ersten Kapitel des Buches (A: Introduction) erörtert Bernd Waas die Verbreitung von Crowdwork sowie Möglichkeiten und Risiken, die sich durch diese neue Arbeitsform ergeben: Der Markt für Crowdsourcing- Plattformen sei zuletzt deutlich gewachsen, so waren im Jahr 2013 weltweit rund 48 Millionen Personen bei unterschiedlichen Crowdsourcing-Plattformen registriert, wobei der Gesamtumsatz auf rund zwei Mrd Dollar geschätzt werde. Für das Jahr 2020 sei ein Umsatz von rund 15 bis 25 Mrd Dollar prognostiziert. Außerdem kämen etwa zwei Drittel der CrowdworkerInnen aus drei Ländern: Den USA, Indien und den Philippinen. In Europa seien insb Rumänien und Serbien jene Länder, in denen am meisten Personen als CrowdworkerInnen tätig seien. Diese Entwicklungen verwundern zwar kaum, könnten jedoch für viele AN in Zukunft vor allem eines bedeuten: Niedrige Löhne und die Umgehung von (arbeitsrechtlichen) Mindeststandards.

Im zweiten Kapitel (B: Crowdworkers, the Law and the Future of Work: The U.S.) beschäftigten sich Wilma B. Liebman und Andrew Lyubarsky unter Berücksichtigung der jeweils historischen Zusammenhänge mit dem Arbeitsrechtssystem der USA. Dieses biete gesamtkonzeptionell nur ein sehr begrenztes Sicherheitsnetz, da die meisten Schutzbestimmungen eine gewisse Kontinuität der Beziehung zwischen AG und AN erforderten, was bei CrowdworkerInnen gerade nicht der Fall sei. Liebman/Lyubarksy erläutern, dass auch in den USA eine lebhafte Debatte über die Zukunft der Arbeit im Gange sei, so werde insb über den derzeitigen „ANBegriff“ diskutiert, der durch die Gerichte (noch) nicht abschließend beurteilt worden sei (S 47). Die AutorInnen kommen dabei zu dem Ergebnis, dass es nicht den „einen Status“ für CrowdworkerInnen in den USA gäbe: In vielen Fällen seien CrowdworkerInnen zwar nicht als AN zu qualifizieren, anders zeige sich die Sachlage etwa im Hinblick auf die Dienste Uber und Lyft, wo viele starke Indizien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprächen. Liebman/Lyubarksy beziehen außerdem Stellung zur Möglichkeit der Schaffung eines eigenen „Crowdwork-Gesetzes“. Diesbezüglich könnten (unter Bezugnahme auf die Argumentation von Matthew Finkin) die in den USA dem Grunde nach bestehenden Regelungen zur „Heimarbeit“ [„plausible analogies can be drawn to industrial homework“ [...] S 131) – aufgegriffen und weiterentwickelt werden.

Im dritten Kapitel (C: Crowdwork in Germany) erörtert Bernd Waas die Einordnung von CrowdworkerInnen in Deutschland und stellt die Dreiecksbeziehung zwischen CrowdworkerInnen, CrowdsourcerInnen und Crowdsourcing-Plattformen dar und geht anschließend auf das Konzept des AN- bzw AG-Begriffs in Deutschland näher ein. Dabei kritisiert er etwa, dass die Rechtslehre dem Konzept des „AG-Begriffs“ bisher relativ wenig Beachtung geschenkt habe und stets der278„AN-Begriff“ als Ausgangspunkt für sämtliche Überlegungen herangezogen werde. Zudem sei ein Arbeitsverhältnis mit mehreren AG (wie dies etwa in den USA der Fall sei) nicht zulässig.

Im vierten Kapitel (D: Crowdwork and the Law in Japan) setzt sich Katsutoshi Kezuka zunächst mit der derzeitigen rechtlichen Situation von Crowdwork in Japan auseinander und gibt einen allgemeinen Überblick über fünf prominente Crowdsourcing-Plattformen in Japan („Lancers“, „Crowdworks“, „Realworld“, „Crowdgate“ und „Job-Hub“) sowie deren rasantes Wachstum innerhalb der letzten fünf Jahre. In Japan seien die Auswirkungen dieser Crowdsourcing-Plattformen auf den Arbeitsmarkt noch nicht klar abschätzbar, es sei aber denkbar, dass die zukünftigen Entwicklungen den Arbeitsmarkt in Japan beeinflussen könnten. Kezuka analysiert die Anwendbarkeit der japanischen (arbeitsrechtlichen) Vorschriften auf das Phänomen Crowdwork und erörtert die Einordnung zunächst aus dem Blickwinkel des Individualarbeitsrechts sowie anschließend aus Sicht des kollektiven Arbeitsrechts. Demnach sei es auch in Japan – nach derzeitigem Recht – schwierig, CrowdworkerInnen durch das Arbeitsrecht zu schützen. Ein Ansatz könnte sein, Teile des Arbeitsrechts auch auf „Solo-Selbstständige“ auszuweiten.

Abschließend fasst Bernd Waas im fünften Kapitel (E: Summary) die wesentlichen Ergebnisse zusammen. Dabei geht Waas eingangs auf die zwiespältigen gesellschaftlichen Meinungen hinsichtlich des Phänomens Crowdwork ein. BefürworterInnen der „Gig-Economy“ fänden, dass Regulierungen Innovation behinderten, während SkeptikerInnen über ein zunehmendes „Kräfteungleichgewicht“ klagen würden. Die Vor- und Nachteile seien insb in den USA vielfach diskutiert worden. Daran anknüpfend betont er zudem die vielen Gemeinsamkeiten zwischen den untersuchten Rechtsordnungen.

Ein besonders interessanter Aspekt ist mE, dass im Ergebnis in allen untersuchten Rechtsordnungen nur ein begrenzter Schutz für CrowdworkerInnen verortet werden kann, dessen Verbesserung zwar jeweils diskutiert wird, jedoch derzeit oftmals einzelfallbezogen zu beurteilen ist. Daher sind auch die Arbeitsbedingungen – trotz (mancher unbestrittener) Vorteile – für viele CrowdworkerInnen (in der Regel) schlecht. Interessant ist außerdem, dass in allen untersuchten Staaten ein „Heimarbeitergesetz“ reguliert ist. Alle AutorInnen orten diesbezüglich Parallelen zwischen den Regelungen zur Heimarbeit und den nunmehr vorherrschenden Bedingungen für CrowdworkerInnen.

Auch Johannes Warter (Crowdwork [2016] 359) hat jüngst die Ansicht vertreten, dass viele der Probleme und Erkenntnisse hinsichtlich der Regulierung der Heimarbeit auch für CrowdworkerInnen fruchtbar gemacht werden könnten. Aufgrund der vielen Parallelen könne man Crowdwork im Bereich der Heimarbeit regulieren. Dazu argumentiert Warter – und das zeigt wohl auch die vorliegende Studie –, dass die Anknüpfung an die Heimarbeit nahe liegt, weil sie in vielen Ländern bereits gesetzlich geregelt ist.

Da es in naher Zukunft möglicherweise (gesamtkonzeptionelle) Lösungen und Standards für den Schutz von CrowdworkerInnen brauchen wird, ist der methodische Ansatz eines Rechtsvergleichs sehr gewinnbringend. In diesem Zusammenhang könnte mE auf europäischer Ebene eine Crowdwork-Richtlinie ein erster Schritt sein, um faire Regelungen für CrowdworkerInnen und damit gute Arbeitsbedingungen zu ermöglichen und dem Bedürfnis der Schaffung eines Mindestlohns nachzukommen.

Auch die Auswahl der untersuchten Rechtsordnungen ist von hoher Relevanz, zumal bekanntermaßen viele Entwicklungen aus den USA und Asien in Europa aufgegriffen werden. Die freie Verfügbarkeit des Werks im Internet ist ein wichtiger Schritt hin zu einem öffentlichen Diskurs dieses Themas, um etwaige Umgehungsstrategien von bestehenden Schutzstandards zu identifizieren und einer gewinnbringenden Lösung für alle Beteiligten zuzuführen.

Zusammengefasst ist die Initiative, den deutschen Diskurs in englischer Sprache zu etablieren und damit die Forschung insgesamt einem breiteren Wissenschaftspublikum zugänglich zu machen, gut gelungen. Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um ein sehr interessantes und durchaus wertvolles Buch, das mit gutem Gewissen all jenen empfohlen werden kann, die sich tiefergehend und vor allem aus internationaler Perspektive mit dem Phänomen „Crowdwork“ auseinandersetzen möchten und an einem internationalen Diskurs interessiert sind.