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Ersatz von Transportkosten: Pauschalausschluss mittels Satzung ist verfassungswidrig

ELIASFELTEN (LINZ/SALZBURG)
  1. Es bestehen grundsätzlich keine Bedenken dagegen, die Transportleistung in erster Linie in der Finanzierungsverantwortung der versicherten Person zu belassen und daher die Satzung zu ermächtigen, den Anspruch auf Transportkosten nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit des Krankenversicherungsträgers einzuschränken.

  2. Mit einem System einer flächendeckenden Versorgung durch die gesetzliche KV ist es angesichts des hohen Stellenwertes, welcher der Gesundheit zukommt, nicht vereinbar, bestimmten Versicherten den Zugang zur ärztlichen Versorgung im Vergleich zu anderen Versicherten ohne sachlichen Grund zu erschweren oder gar unmöglich zu machen.

  3. Es ist im Ergebnis unsachlich und daher verfassungswidrig, wenn es der Gesetzgeber – abgesehen von den Fällen gehunfähiger Personen – den Krankenversicherungsträgern völlig freistellt, den Ersatz von Transportkosten zur Erlangung ärztlicher Hilfe entweder nach bestimmten Kriterien zu gewähren oder aber unabhängig von allen sonstigen Begleitumständen voraussetzungslos und schlechthin auszuschließen.

I. Die Wortfolge „nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung“ in § 135 Abs 4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, idF des Art I Z 108 und Z 109 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996 (SRÄG 1996), BGBl Nr 411/1996, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

III. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

IV. Im Übrigen wird § 135 Abs 4 und 5 des ASVG, BGBl Nr 189/1955, idF des Art I Z 108 und Z 109 des SRÄG 1996, BGBl Nr 411/1996, nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim VfGH ist zur Zahl V 27/2016 ein Antrag des LG Innsbruck gem Art 139 B-VG auf Aufhebung des § 43 der Satzung 2011 der Tiroler Gebietskrankenkasse (GKK), kundgemacht am 19.8.2011 im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes zu AVSV 178/2011 (Stammfassung) als gesetzwidrig, anhängig.

Mit dieser Verordnungsbestimmung wird unter Hinweis auf § 135 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (im Folgenden: ASVG) normiert, dass die Tiroler GKK keine Reise(Fahrt)kosten ersetzt.

Das Landesgericht hegt das Bedenken, dass § 43 der Satzung 2011 der Tiroler GKK entgegen den gesetzlichen Determinanten des § 135 Abs 4 ASVG einen Kostenersatz pauschal ausschließt. Der Sozialversicherungsträger sei zur näheren Ausgestaltung und Konkretisierung der Voraussetzungen für die Gewährung von Reise(Fahrt)Kosten ermächtigt, jedoch nicht zur gänzlichen pauschalen Versagung dieser Leistung.

2. Bei der Behandlung dieses Antrages sind im VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 135 Abs 4 und 5 ASVG, BGBl 189/1955, idF des Art I Z 108 und Z 109 des SRÄG 1996, BGBl 411/1996, entstanden. Der VfGH hat daher am 5.10.2016 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. [...]

3. Der VfGH legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar: [...]

2.1. Gem § 135 Abs 4 erster Satz ASVG kann im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe der Ersatz der Reise(Fahrt)kosten anscheinend nur nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung gewährt werden.

2.1.1. Die vom antragstellenden Gericht angefochtene Satzungsbestimmung des § 43 der Satzung 2011 der Tiroler GKK dürfte die Gewährung eines Ersatzes von Reise(Fahrt)kosten schlechthin ausschließen.

2.1.2. Ein gesetzlicher Anspruch auf Gewährung eines solchen Kostenersatzes dürfte unmittelbar aus dem Gesetz – anders als das antragstellende Gericht offenbar meint – im Hinblick darauf nicht abzuleiten sein, dass der Gesetzgeber es anscheinend bewusst der Satzung überlassen wollte, ob ein solcher Anspruch eingeräumt wird. Darauf deutet die Formulierung hin, dass gem § 135 Abs 4 ASVG ein solcher Ersatz seit dem SRÄG 1996 nur gewährt werden ‚kann‘ und dies nur ‚nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung‘; zudem geht aus den Materialien zum SRÄG 1996 deutlich hervor, dass der Gesetzgeber bewusst den Ersatz von Reise(Fahrt)kosten als Pflichtleistung abschaffen und es den Krankenversicherungsträgern freistellen wollte, ob sie eine solche Leistung erbringen oder nicht, wovon man sich eine beträchtliche Kostenersparnis erwartete (vgl die oben wiedergegebenen Erläuterungen zur RV 214 BlgNR 20. GP). § 135 Abs 4 ASVG kann daher anscheinend nur so verstanden werden, dass diese Bestimmung im Ergebnis einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch auf Kostenersatz ausschließt, es sei denn, die Satzung sähe einen solchen ausdrücklich vor. Selbst wenn die Satzung zu dieser Frage schweigt, dürfte dies genügen, um einen Anspruch auf Kostenersatz nicht entstehen zu lassen. Daran dürfte daher auch die vom Gerichtsantrag angestrebte Aufhebung des § 43 der Satzung 2011 der Tiroler GKK, der die Gewährung von Reise(Fahrt)kosten ausdrücklich ausschließt, nichts ändern. § 135 Abs 4 zweiter220Satz ASVG scheint nämlich nur für den Fall, dass die Satzung einen derartigen Kostenersatz ausdrücklich vorsieht, näher zu determinieren, woran sich das satzungsgebende Organ des Krankenversicherungsträgers bei der Festlegung der Höhe des Kostenersatzes zu orientieren hat.

2.2. Ausgehend von diesem Verständnis des § 135 Abs 4 ASVG ist beim VfGH aus Anlass der Prüfung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Satzungsbestimmung das Bedenken entstanden, dass § 135 Abs 4 und 5 ASVG idF des Art I Z 108 und Z 109 SRÄG 1996, BGBl 411/1996, dem Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes des Art 7 Abs 1 B-VG, im Besonderen auch des Art 7 Abs 1 zweiter Satz B-VG, widersprechen:

2.2.1. Dem Gesetzgeber kommt zwar bei der Ausgestaltung des Leistungsumfangs der gesetzlichen KV ein weiter rechtspolitischer Spielraum zu; es ist auch insb Sache des Gesetzgebers, bei nicht medizinischen Leistungen wie zB bei den Kosten der Fahrt zum Arzt oder in ein Ambulatorium zu bestimmen, ob und inwieweit diese Leistungen auf Kassenkosten erbracht werden können bzw ob derartige Leistungen vom Krankenversicherungsträger als Sachleistungen im engeren Sinne erbracht werden oder ob dafür Kostenersatz (oder auch angemessene Kostenzuschüsse) vorgesehen werden. Es steht dem Gesetzgeber daher im Allgemeinen frei, derartige Kosten als Teil der Aufwendungen des täglichen Lebens in der Leistungsverantwortung der Versicherten zu belassen.

2.2.2. Dieser rechtspolitische Spielraum dürfte jedoch – wie der VfGH vorläufig annimmt – in jenen Fällen eine Grenze finden, in denen ohne Bedachtnahme auf erforderliche Fahrtkosten die Erreichbarkeit rechtzeitiger und/oder erforderlicher ärztlicher Hilfe gefährdet wäre; denn in solchen Fällen dürfte dadurch der Zugang zur und der Anspruch auf Krankenbehandlung für bestimmte Versicherte und in bestimmten Konstellationen ausgehöhlt werden (so Felten, in SV-Komm § 135 Rz 26).

2.2.3. Der Ersatz von Reise(Fahrt)kosten zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe dürfte nämlich zumindest in jenen Fällen mit der ärztlichen Hilfe selbst eng verknüpft sein, in denen die versicherte Person, die auf Grund eines regelwidrigen Geistes- oder Körperzustandes zwar ärztlicher Hilfe, aber noch nicht stationärer ärztlicher Behandlung bedarf, weder in der Lage ist, durch ein eigenes (oder zumindest in der Familie zur Verfügung stehendes) Kraftfahrzeug noch durch öffentliche Verkehrsmittel den nächstgelegenen Ort einer solchen Behandlung (oder Diagnosemöglichkeit) mit eigener Kraft zu erreichen, noch über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, die es der Person zumutbar machen würden, private Transportdienste im erforderlichen Ausmaß auf eigene Kosten in Anspruch zu nehmen. Eine solche Situation scheint zu einer potenziell gesundheitsbedrohenden Situation führen zu können, wenn die ärztliche Hilfe auf Grund des Transportproblems längere Zeit hindurch unterbleibt.

2.2.4. Gerade die im Gesetz für den Fall der Gewährung des Kostenersatzes vorgesehene (auf Grund des Zusammenhanges mit dem ersten Satz dieser Gesetzesstelle anscheinend aber nur dem Satzungsgeber in § 135 Abs 4 zweiter Satz ASVG aufgetragene) Bedachtnahme auf die örtlichen Verhältnisse, insb unter dem Gesichtspunkt der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel und der Entfernung des Ortes der ärztlichen Hilfe vom Wohnort, zeigt, dass in bestimmten Fällen, wie etwa in abgelegenen Gegenden mit geringer Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel, der Ausschluss jeglicher Reise(Fahrt)kosten der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe entgegenstehen kann. Die in einer solchen Lage befindliche Person scheint einer gehunfähigen Person iSd § 135 Abs 5 ASVG, hinsichtlich derer es der Gesetzgeber der Satzung aber anscheinend nicht freistellt, die Leistung eines derartigen Ersatzes auszuschließen, im entscheidenden Punkt, nämlich der Behinderung des Zugangs zu ärztlicher Hilfe, durchaus vergleichbar zu sein.

2.3. Soweit § 135 Abs 4 ASVG die Gewährung des Ersatzes von Reise(Fahrt)kosten dem Satzungsgeber anscheinend völlig freistellt und für den Fall der Untätigkeit des Satzungsgebers auch für medizinisch unabweisbare und wirtschaftlich bedürftige Fälle einen Rechtsanspruch auf Ersatz für Reise(Fahrt)kosten zur Ermöglichung einer Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung bzw Diagnostik vorbehaltlich anderslautender Regelungen in der Satzung anscheinend generell ausschließt, scheint die in Prüfung gezogene Norm dem Sachlichkeitsgebot des Art 7 Abs 1 B-VG, im Besonderen auch des Art 7 Abs 1 zweiter Satz B-VG, zu widersprechen. § 135 Abs 5 ASVG dürfte mit Abs 4 insofern in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, als selbst für den Fall der gänzlichen oder teilweisen Aufhebung des Abs 4 ein Umkehrschluss aus Abs 5 anscheinend zum selben Ergebnis führen und daher die Verfassungswidrigkeit mit der Aufhebung nicht beseitigt werden würde.

[...]

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie unter Darstellung der Rechtsentwicklung den Bedenken des VfGH entgegentritt und beantragt, § 135 Abs 4 und 5 ASVG nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung erscheine der Bundesregierung eine Frist von einem Jahr erforderlich, um alternative Regelungen treffen zu können. [...]

„[...]

3. Nach Ansicht der Bundesregierung vermag die Bezugnahme des VfGH auf Art 7 Abs 1 zweiter Satz B-VG die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung nicht in Zweifel zu ziehen. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Der VfGH führt in seinem Prüfungsbeschluss nicht näher aus, worin er eine ‚Behinderung‘ und eine ‚Benachteiligung‘ von bestimmten Krankenversicherten erblickt. In Rz 21 des Prüfungsbeschlusses ist allerdings davon die Rede, dass Personen ‚etwa in abgelegenen Gegenden mit geringer Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel‘ gehunfähigen Personen iSd § 135 Abs 5 ASVG hinsichtlich ‚der Behinderung des Zugangs zu ärztlicher Hilfe‘221vergleichbar zu sein scheinen. Nach Auffassung der Bundesregierung kann ein bestimmter Wohn- bzw Aufenthaltsort aber niemals eine Behinderung iSd Art 7 Abs 1 zweiter Satz B-VG darstellen. Im Übrigen können nach Auffassung der Bundesregierung Personen, die in abgelegenen Gegenden wohnen, von vornherein nicht mit gehunfähigen Personen verglichen werden, zumal die Wahl des Wohnsitzes eine private Lebensentscheidung darstellt, Gehunfähigkeit hingegen nicht.

Aber selbst wenn Personen in solchen Gegenden gehunfähigen Personen im hier relevanten Kontext vergleichbar wären, würde dies noch nicht eine Behinderung iSd Art 7 Abs 1 zweiter Satz B-VG begründen. Personen, die auf Grund einer Krankheit einen Anspruch auf Krankenbehandlung haben, sind nämlich nicht schlechthin als Personen mit ‚Behinderung‘ iSv Art 7 Abs 1 zweiter Satz B-VG anzusehen, da nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigungen nicht als ‚Behinderung‘ zu qualifizieren sind. Aber selbst dauerhafte, altersbedingte Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht als ‚Behinderung‘ iS dieser Bestimmung anzusehen (siehe Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz [2008] 681).

[...]

4.1. Wenn der VfGH die Ansicht vertritt, dass der Anspruch auf Krankenbehandlung ausgehöhlt werde, wenn diesem nicht ein Anspruch auf Ersatz der Reise(Fahrt)kosten zur Seite gestellt werde, weist die Bundesregierung darauf hin, dass der Anspruch auf Krankenbehandlung allen Berechtigten in gleicher Weise zur Verfügung steht. Aus dem (einfachgesetzlich gewährleisteten) Recht auf Krankenbehandlung kann aber voraussetzungsgemäß nicht abgeleitet werden, dass die Gesetzgebung zusätzlich zu diesem Recht einen Anspruch auf Ersatz der Reise(Fahrt)kosten vorzusehen hätte, weil dieses (einfachgesetzlich gewährleistete) Recht einen solchen Ersatz der Reise(Fahrt)kosten eben nicht vorsieht.

4.2. Anderes könnte nur angenommen werden, wenn ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Krankenbehandlung bestünde, das Fehlen eines Anspruches auf Ersatz der Reise(Fahrt)kosten dieses jedoch in unzulässiger Weise einschränken würde. Ein solches verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht besteht jedoch offensichtlich nicht.

[...]

4.5. Ein verfassungsrechtliches Gebot, Nachteile auszugleichen, die sich aus der Wahl des Wohn- bzw Aufenthaltsortes ergeben, besteht ebenfalls nicht.“

[...]

III. Erwägungen

[...]

2. In der Sache

Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des VfGH konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:

2.1. Dem Bedenken, dass durch die in Prüfung gezogenen Bestimmungen „Personen in abgelegenen Gegenden mit geringer Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel“ – gehunfähigen Personen vergleichbar – in ihrem Zugang zu ärztlicher Hilfe beeinträchtigt sein können, entgegnet die Bundesregierung, dass „ein bestimmter Wohn- und Aufenthaltsort [...] niemals eine Behinderung im Sinne des Art 7 Abs 1 zweiter Satz B-VG“ darstellen könne, weil die „Wahl des Wohnsitzes eine private Lebensentscheidung“ darstellt.

2.2. Dabei übersieht die Bundesregierung zunächst, dass der VfGH nicht aus einem entlegenen Wohn- oder Aufenthaltsort eine Beeinträchtigung abgeleitet hat, sondern Fallkonstellationen im Blick hatte, in denen Menschen, die wegen einer Erkrankung ärztlicher Hilfe bedürfen, zB auf Grund eines entlegenen Wohnortes ohne Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel eines kostenpflichtigen Transportmittels bedürfen, damit sie die ärztliche Hilfe überhaupt oder jedenfalls zeitgerecht in Anspruch nehmen können. Mit einem System einer flächendeckenden Versorgung durch die gesetzliche KV ist es angesichts des hohen Stellenwertes, welcher der Gesundheit zukommt, nicht vereinbar, bestimmten Versicherten den Zugang zur ärztlichen Versorgung im Vergleich zu anderen Versicherten ohne sachlichen Grund zu erschweren oder gar unmöglich zu machen (VfSlg 15.787/2000). Dies bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber Krankentransporte zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe oder Kostenersatz für solche Leistungen durch die Krankenversicherungsträger in allen Fällen sicherzustellen hätte: Es bestehen vielmehr grundsätzlich keine Bedenken dagegen, die Transportleistung (wie andere Aufwendungen des täglichen Lebens) in erster Linie in der Finanzierungsverantwortung der versicherten Person zu belassen und daher die Satzung zu ermächtigen, den Anspruch auf Transportkosten nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit des Krankenversicherungsträgers einzuschränken, ihn insb von der Art und der Schwere der krankheitsbedingten Beeinträchtigung, von der Unmöglichkeit oder der Unzumutbarkeit der Benützung eines eigenen Kraftfahrzeuges und schließlich von wirtschaftlich berücksichtigungswürdigen Umständen in der versicherten Person, die der Kostentragung für die Inanspruchnahme von Fahrtendiensten durch die Patienten selbst im Einzelfall entgegenstehen können, abhängig zu machen.

2.3. Es ist aber nach dem Gesagten im Ergebnis unsachlich und daher verfassungswidrig, wenn es der Gesetzgeber – abgesehen von den Fällen gehunfähiger Personen – den Krankenversicherungsträgern völlig freistellt, den Ersatz von Transportkosten zur Erlangung ärztlicher Hilfe entweder nach bestimmten Kriterien zu gewähren oder aber unabhängig von allen sonstigen Begleitumständen voraussetzungslos und schlechthin auszuschließen. Gerade Letzteres sollte aber – wie die Materialien zeigen und die Bundesregierung gar nicht in Zweifel zieht – dadurch ermöglicht werden, dass nach dem Gesetzeswortlaut Transportkosten nur mehr „nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung“ ersetzt werden.

2.4. Auf Grund des Wortlautes der in Prüfung gezogenen Bestimmungen würde es aber – im Gegensatz zur Regelung des § 135 Abs 5 ASVG für gehunfähige Personen – sogar genügen, wenn in der Satzung überhaupt keine Regelung über die Transportkosten getroffen wird, um den Anspruch auf222Ersatz der Transportkosten schlechthin auszuschließen, weil ein solcher Anspruch von der „Maßgabe der Satzung“ abhängt. Es bestätigt sich somit die im Prüfungsbeschluss dargelegte Annahme des VfGH, dass der Sitz der vom antragstellenden Gericht im Verordnungsprüfungsverfahren geltend gemachten Verfassungswidrigkeit bereits das Gesetz ist.

[...]

2.6. Angesichts der Determinanten des zweiten Satzes des § 135 Abs 4 ASVG genügt es zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes, die im Spruch genannte Wortfolge aus dem Text des ersten Satzes des § 135 Abs 4 ASVG zu entfernen. Denn damit wird der vom LG Innsbruck als gesetzwidrig angefochtenen Verordnungsbestimmung die gesetzliche Grundlage entzogen, und der verbleibende Gesetzestext ermöglicht es dem Gericht im Ausgangsverfahren, über den Ersatz von allenfalls notwendigen Transportkosten unter Beachtung der verbleibenden Bestimmungen des § 135 Abs 4 ASVG und unabhängig von einer näheren Regelung in der Satzung nach pflichtgemäßem Ermessen abzusprechen.

[...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Das vorliegende Erk des VfGH betrifft eine für die Praxis bedeutsame Frage: Im Kern geht es darum, wer die Kosten für Transportleistungen zur Inanspruchnahme notwendiger ärztlicher Hilfe tragen soll: Sind das die Versicherten selbst oder sind das die Krankenversicherungsträger? Die Antwort des VfGH ist „salomonisch“: Die Versicherten dürfen zwar durchaus in die Pflicht genommen werden, ein gänzlicher und pauschaler Ausschluss jedweden Kostenersatzes ohne Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des/der Betroffenen ist jedoch unzulässig.

Konkret ging es um die Satzung der Tiroler GKK. Diese enthielt die Regelung, dass die Kasse keine Reise(Fahrt)kosten ersetzt (§ 43 idF 2011). Lediglich für gehunfähige Versicherte und deren Angehörige sah die Satzung die Übernahme von Transportkosten vor, wenn ärztlich bescheinigt wurde, dass der Versicherte aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustandes kein öffentliches Verkehrsmittel (auch nicht mit einer Begleitperson) benutzen kann (§ 44 idF 2011). Die Tiroler GKK hat diese beiden Satzungsbestimmungen auf Grundlage des § 135 Abs 4 und 5 ASVG idF BGBl I 1996/411 erlassen. § 135 Abs 4 ASVG idF BGBl I 1996/411 hält fest, dass im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe der Ersatz der Reise(Fahrt)kosten „nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung“ gewährt werden „kann“. „Bei der Festsetzung des Ausmaßes des Kostenersatzes“ ist auf die örtlichen Verhältnisse und den entstandenen Aufwand Bedacht zu nehmen. Für gehunfähige Versicherte enthält § 135 Abs 5 ASVG ergänzend eine Sonderregel. Für gehunfähig erkrankte Versicherte und deren Angehörige „bestimmt“ die Satzung unter Bedachtnahme auf die Kriterien des Abs 4, unter welchen Voraussetzungen ein Ersatz für Transportkosten gewährt werden „kann“.

Aus den Bestimmungen des § 135 Abs 4 und 5 ASVG idF BGBl I 1996/411 ergibt sich somit klar, dass den zuständigen Krankenversicherungsträgern bei der Festsetzung des Ausmaßes des Kostenersatzes für notwendige Transportkosten ein Ermessensspielraum zukommt. Es besteht mit anderen Worten keine Verpflichtung, die Kosten zur Gänze zu übernehmen. Das gilt grundsätzlich für gehfähige ebenso wie für gehunfähige Versicherte. Fraglich ist im vorliegenden Zusammenhang aber, wie weit dieser Ermessensspielraum reicht. Kann der zuständige Krankenversicherungsträger mittels Satzung den Kostenersatz auch zur Gänze ausschließen? Die Tiroler GKK hat dies, zumindest für gehfähige Versicherte, offenkundig für sich bejaht und sich dabei auf § 135 Abs 4 ASVG idF BGBl I 1996/411 berufen. Da Transportkosten nur „nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung“ zustehen, bedeutet dies, dass die Satzung einen Kostenersatz gewähren kann, aber nicht muss. Mit anderen Worten, gem § 135 Abs 4 ASVG idF BGBl I 1996/411 kann der zuständige Krankenversicherungsträger den Kostenersatz für gehfähige Versicherte auch zur Gänze ausschließen. Das kann – wie im konkreten Fall – ausdrücklich erfolgen. Denselben Effekt hätte es freilich, so zumindest der VfGH, wenn die Satzung zur Frage des Kostenersatzes einfach schweigt. Eine Nicht-Regelung wäre de facto einem ausdrücklichen Ausschluss gleichzuhalten, da ja Kostenersatz nur „nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung“ gebührt.

Wenn das Gesetz den Krankenversicherungsträgern diesen Spielraum tatsächlich lässt, wovon der VfGH offenkundig ausgeht (siehe dazu aber kritisch 3.), so stellt sich die Frage, ob der einfache Gesetzgeber dazu überhaupt berechtigt ist. Dies zu prüfen, war Aufgabe des VfGH im vorliegenden Verfahren. Das Ergebnis ist eindeutig, wenn auch nicht zwingend (vgl wiederum 3.): Ein gänzlicher und pauschaler Ausschluss des Ersatzes von notwendigen Transportkosten zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe mittels Satzung ohne Rücksichtnahme auf Härtefälle ist gleichheits- und damit verfassungswidrig. Der VfGH ordnet daher an, dass die Wortfolge in § 135 Abs 4 ASVG idF BGBl I 1996/411, dass Ersatz für Transportkosten nur „nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung“ gewährt werden kann, zu streichen ist. Der Gesetzgeber hat umgehend reagiert. Seit BGBl I 2017/131 lautet der erste Satz des § 134 Abs 4 ASVG nur mehr: „Im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe kann der Ersatz der Reise(Fahrt)kosten gewährt werden.

2.
Die Begründung des VfGH

Der VfGH begründet die Verfassungswidrigkeit des § 135 Abs 4 ASVG idF BGBl I 1996/411 mit einem Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot des Art 7 B-VG. Im Wesentlichen sind es zwei getrennte Argumentationslinien, die der Gerichtshof in diesem Zusammenhang bemüht: Zum einen geht223es um das Verhältnis von § 135 Abs 4 zu Abs 5 ASVG, zum anderen um die generelle Frage, ob es mit einem Krankenversicherungssystem, das für sich in Anspruch nimmt, das Risiko der Krankheit möglichst lückenlos abzudecken, vereinbar ist, notwendige Transportkosten zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zur Gänze auszuschließen.

2.1.
Die Unterscheidung zwischen gehfähigen und gehunfähigen Versicherten

Ein zentrales Argument des VfGH ist, dass die Differenzierung des einfachen Gesetzgebers zwischen gehfähigen (§ 135 Abs 4 ASVG) und gehunfähigen Versicherten (§ 135 Abs 5 ASVG) in Bezug auf den Ersatz von Transportkosten unsachlich ist. Auf den ersten Blick fragt man sich freilich, worin überhaupt die Ungleichbehandlung liegen soll. Sowohl nach § 135 Abs 4 als auch nach § 135 Abs 5 ASVG kommt der Satzung ein Ermessensspielraum bei der Festlegung des Kostenersatzes zu: In beiden Absätzen ist die Rede davon, dass Fahrtkostenersatz gewährt werden „kann“. Darüber hinaus hat der einfache Gesetzgeber in § 135 Abs 4 ASVG konkrete Kriterien vorgegeben, die für die Höhe des Kostenersatzes relevant sind und die der zuständige Krankenversicherungsträger deshalb miteinzubeziehen hat. Da § 135 Abs 5 ausdrücklich auf Abs 4 verweist, ist klar, dass diese Kriterien nicht nur für gehfähige, sondern auch für gehunfähige Versicherte gelten. Insofern besteht also kein Unterschied zwischen diesen beiden Personengruppen.

Allerdings scheint es so, als hätte der einfache Gesetzgeber in Bezug auf gehfähige Versicherte den Krankenversicherungsträgern einen größeren Ermessensspielraum eingeräumt als bezüglich gehunfähiger Personen. Gem § 135 Abs 4 ASVG idF BGBl I 1996/411 gebührt ein Kostenersatz, wie gesagt, nur „nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung“, während sich in § 135 Abs 5 ASVG die Anordnung findet, dass die Satzung „bestimmt“, unter welchen Voraussetzungen die Übernahme von Transportkosten erfolgen kann. Der VfGH leitet aus dieser unterschiedlichen Formulierung ab, dass bei gehunfähigen Versicherten zwingend eine Regelung zum Transportkostenersatz getroffen werden muss, während dies bei gehfähigen Versicherten dem Krankenversicherungsträger freisteht (kritisch dazu 3.). Oder anders ausgedrückt, bei gehfähigen Versicherten kann die Satzung eine Kostenersatzregelung treffen, bei gehunfähigen Versicherten muss die Satzung dies tun. Die Konsequenz dieser Unterscheidung ist, dass, sollte die Satzung für gehfähige Versicherte keine Regelung vorsehen, wozu der Krankenversicherungsträger nach der Lesart des VfGH auch nicht verpflichtet ist, der Ersatz von Transportkosten pauschal und zur Gänze ausgeschlossen wäre. Eine solche Nicht-Regelung ist hingegen bei gehunfähigen Versicherten nicht möglich, weil die Satzung gem § 135 Abs 5 ASVG die Voraussetzung für den Transport zur Inanspruchnahme notwendiger ärztlicher Hilfe „bestimmt“; dh mit anderen Worten, regeln muss. Eine Satzung, die für gehunfähige Personen keine entsprechende Regelung vorsieht, wäre demnach gesetzwidrig.

Nach Ansicht des VfGH gibt es für diesen unterschiedlichen Ermessensspielraum keine sachliche Rechtfertigung. Der Grund, weshalb der Gesetzgeber für gehunfähige Versicherte zwingend eine Satzungsregelung vorschreibt, ist offenkundig darin zu sehen, dass gerade bei dieser Personengruppe die Zumutbarkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht gegeben sein kann. Würden die Krankenversicherungsträger für diese Fälle keinerlei Vorsorge für den Transport treffen, so würde das die faktische Möglichkeit zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe substantiell gefährden. Freilich kann es auch ohne eine Behinderung des Gehapparates zu einer ähnlichen Gefährdungslage kommen. Das gilt vor allem dann, wenn der Versicherte auf Grund seines exponierten Wohnsitzes ebenso keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen kann, alternative Transportmittel in Anbetracht der Fahrstrecke mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden sind und der Versicherte dafür nicht die notwendigen finanziellen Mittel hat. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat ja auch der Gesetzgeber in § 135 Abs 4 ASVG angeordnet, dass auf die örtlichen Verhältnisse und den Reisekostenaufwand bei der Festsetzung des Ausmaßes des Kostenersatzes Bedacht zu nehmen ist. Mit anderen Worten, die Krankenversicherungsträger haben auch bei gehfähigen Versicherten auf „Härtefälle“ Bedacht zu nehmen. Darin besteht die Gemeinsamkeit zwischen der Gruppe der gehfähigen und der gehunfähigen Versicherten. Dennoch hat der einfache Gesetzgeber beide Gruppen trotz potentiell vergleichbarer Gefahrenlagen unterschiedlichen Gestaltungsspielräumen unterworfen. Denn das Gebot der Rücksichtnahme auf „Härtefälle“ geht bei gehfähigen Versicherten ins Leere, wenn dem Krankenversicherungsträger die Möglichkeit zukommt, den Kostenersatz pauschal und zur Gänze durch bloßes Nicht-Regeln auszuschließen. Auf den Punkt gebracht: Der einfache Gesetzgeber hat damit Gleiches ungleich behandelt. Vor diesem Hintergrund ist der VfGH – zu Recht – zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorgenommene Differenzierung des einfachen Gesetzgebers als unsachlich iSd Art 7 B-VG zu qualifizieren ist.

Bei dieser Argumentationslinie steht demnach der formale Gesichtspunkt der Unterscheidung zwischen der Möglichkeit zur „Nicht-Regelung“ (§ 135 Abs 4) und der „Regelungspflicht“ (§ 135 Abs 5 ASVG) im Vordergrund. Allerdings vermag der bloße Umstand, dass die Krankenversicherungsträger in Bezug auf gehunfähige Versicherte eine Satzungsregelung erlassen müssen, noch nicht sicherzustellen, dass dadurch auch tatsächlich auf Härtefälle Bedacht genommen wird. Das zeigt gerade die streitgegenständliche Satzung der GKK Tirol. Im konkreten Fall gab es ja für gehfähige Versicherte mit § 43 eine ausdrückliche Regelung. Diese bestand freilich aus dem lapidaren Satz, dass die Transportkosten nicht übernommen werden. Letztlich stellt sich daher sowohl im Anwendungsbereich des § 135 Abs 4 als auch des § 135 Abs 5 ASVG die Grundsatzfrage, ob die Krankenversicherungsträger verpflichtet sind, für bestimmte Fälle die Transportkosten zur Inanspruchnahme224notwendiger ärztlicher Hilfe zumindest teilweise zu übernehmen. Dies bejaht der VfGH im Ergebnis und begründet dies – bei erstmaliger Lektüre einigermaßen überraschend – mit dem „hohen Stellenwert, welcher der Gesundheit zukommt“.

2.2.
Zur verfassungsrechtlichen Erheblichkeit des „Stellenwerts der Gesundheit“

Der Verweis des VfGH auf den „hohen Stellenwert, welcher der Gesundheit zukommt“ als Grundlage für eine – zumindest teilweise – Kostentragungspflicht der Krankenversicherungsträger erscheint deshalb auf den ersten Blick überraschend, weil der Gerichtshof in seiner Begründung – gleichsam im selben Atemzug – ebenfalls klarstellt, dass aus dem Blickwinkel der österreichischen Bundesverfassung keine Bedenken dagegen bestehen, „die Transportleistung in erster Linie in der Finanzierungsverantwortung der versicherten Person zu belassen“. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass die Verfassung den einfachen Gesetzgeber nicht zur Gewährung bestimmter Krankenversicherungsleistungen verpflichtet und damit auch kein Verfassungsgebot der Organisation oder Kostenübernahme von Transportleistungen besteht. Vielmehr liege es im rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers, den Leistungsumfang der gesetzlichen KV auszugestalten.

Letzteres ist ohne Zweifel richtig. Das bedeutet allerdings nicht, dass die gesetzliche KV gänzlich außerhalb des Verfassungsrahmens und damit zur freien Disposition des einfachen Gesetzgebers steht. Eine vollständige Übertragung des Risikos der Krankheit in die Finanzierungsverantwortung des Einzelnen ohne Rücksichtnahme auf seine sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse wäre wohl jedenfalls verfassungswidrig. Konkret würde dies einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf Leben gem Art 2 EMRK darstellen. Nach der Rsp des EGMR sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, zum Schutz des Lebens öffentliche oder private Krankenanstalten zur Verfügung zu stellen (vgl EGMR 5.6.2015, 46043/14, Lambert vs France, Rn 140 bzw Meyer-Ladewig/Huber in

Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer
[Hrsg], EMRK Art 2 Rz 16 mwN). Damit einher geht wohl auch – zumindest in Härtefällen – eine Verpflichtung zur Kostenübernahme. Eine solche hat der EGMR aus Art 8 EMRK jedenfalls in Bezug auf notwendige medizinische Behandlungen zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit abgeleitet (EGMR 12.9.2003, 35968/97, van Kück vs Germany, Rn 73 ff). In diese Richtung weist zusätzlich Art 35 EGRC. Nach dieser Bestimmung hat jede Person das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. „Recht auf Zugang“ meint dabei nicht bloß den Abbau faktischer, sondern allenfalls auch finanzieller Hürden. Nun ist es zwar richtig, dass die EGRC gem Art 51 nur bei der „Durchführung von Unionsrecht“ anzuwenden ist. Jedoch tendiert der EGMR dazu, sich bei der Auslegung der EMRK an den Standards der EGRC auszurichten (vgl exemplarisch EGMR 12.11.2008, 34503/97, Demir and Baykara vs Turkey). Über diesen „Umweg“ kommt der EGRC folglich auch bei rein innerstaatlichen Fällen Relevanz zu.

3.
Kritik

Das vorliegende Erk ist wohl begründet und entspricht vollinhaltlich der bisherigen Judikaturlinie des VfGH zum allgemeinen Sachlichkeitsgebot des Art 7 B-VG. Auch wenn die Argumentation des Gerichtshofs auf den ersten Blick sogar widersprüchlich erscheinen mag, weil sie einerseits den sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers betont, gleichzeitig aber doch verfassungsrechtliche Grenzen zieht, so ist sie bei genauerer Analyse stringent und in sich überzeugend.

Dennoch bleibt eine Frage offen: War es wirklich notwendig, § 135 Abs 4 ASVG zumindest teilweise als verfassungswidrig aufzuheben oder hätte man nicht zum selben Ergebnis im Wege einer225verfassungskonformen Interpretation kommen können? Der VfGH hat seinen Standpunkt insb damit begründet, dass § 135 Abs 4 ASVG im Gegensatz zum Abs 5 den Krankenversicherungsträgern in unsachlicher Weise die Möglichkeit eröffne, im Wege einer Nicht-Regelung eine Kostenübernahme zur Gänze und pauschal auszuschließen. Diese Auslegung erscheint freilich keineswegs zwingend. Zwar ist es richtig, dass in Abs 5 die Rede davon ist, dass die Satzung die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme „bestimmt“. Eine vergleichbare Formulierung fehlt in Abs 4 Satz 1. Jedoch beginnt Satz 2 des Abs 4 mit den Worten „bei der Festsetzung des Ausmaßes des Kostenersatzes ...“. Daraus ließe sich – insb bei verfassungskonformer Interpretation – durchaus ableiten, dass auch im Anwendungsbereich des Abs 4 eine Festsetzung des Kostenersatzes mittels Satzung dem Grunde nach zu erfolgen hat und lediglich die Höhe zur Disposition der Krankenversicherungsträger steht (so wohl auch Pacic, JAS 2018, 65). Dem lässt sich – anders als der VfGH meint – auch nicht entgegenhalten, dass im ersten Satz des Abs 4 davon gesprochen wird, dass Kostenersatz gewährt werden „kann“. Der Begriff „kann“ deutet zwar grundsätzlich auf eine freiwillige Leistung hin. Nichts anderes müsste dann aber für den ersten Satz des Abs 5 gelten. Auch dort steht „kann“ und nicht „muss“. Dennoch geht der VfGH hier – zu Recht – von einer Pflichtleistung aus.

Daher stützt der VfGH seine Ansicht auch weniger auf den Wortlaut des § 135 Abs 4 ASVG, als vielmehr auf die Materialen zum SRÄG 1996, aus denen klar hervorgeht, „dass der Gesetzgeber bewusst den Ersatz von Reise(Fahrt)kosten als Pflichtleistung abschaffen und es den Krankenversicherungsträgern freistellen wollte, ob sie eine solche Leistung erbringen oder nicht, wovon man sich eine beträchtliche Kostenersparnis erwartete“. In den Materialien findet sich der Hinweis, dass „die satzungsmäßige Pflichtleistung des Ersatzes von Reise- und Fahrkosten [...] in eine freiwillige Leistung umgewandelt werden“ soll (ErläutRV 214 BlgNR 20. GP 41). Die Materialien scheinen in der Tat eine eindeutige Sprache zu sprechen. Dennoch ist die Argumentation wenig überzeugend. Denn den Materialien kommt kein Erklärungswert zu. Das gilt umso mehr, als der Gesetzestext selbst das Gegenteil nahelegt. Die gesetzliche Anordnung, auf die örtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Versicherten Bedacht zu nehmen, macht – wie der VfGH im Übrigen selbst feststellt (vgl 2.1.) – keinen Sinn, wenn man von einer bloß freiwilligen Leistung ausgeht. Mit anderen Worten: Die Materialien mögen zwar der Annahme freien Ermessens das Wort reden. Der Gesetzestext selbst weist jedoch in Richtung gebundenen Ermessens. Da der Wortlaut somit verfassungskonform ausgelegt werden kann, lässt sich die Notwendigkeit der teilweisen Aufhebung des § 135 Abs 4 ASVG gerade nicht mit Verweis auf die Materialien begründen.

Auf den Punkt gebracht: Im Wege einer verfassungskonformen Interpretation hätte man bereits vor der Novelle BGBl I 2017/131 zu dem Ergebnis kommen können, dass es sich bei der Übernahme von Transportkosten um eine Pflichtleistung iS einer satzungsmäßigen Mehrleistung gem § 121 Abs 3 ASVG handelt (idS bereits Felten in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 135 Rz 26).