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Annahme einer Diversion allein berechtigt nicht zur Entlassung

KARINBURGER-EHRNHOFER (WIEN)
  1. Eine Entlassung kann nicht auf bloße Verdachtsmomente gestützt werden. Der AG hat das Vorliegen von Entlassungsgründen voll zu beweisen.

  2. Ein erst nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses gesetztes Verhalten des AN ist für die Berechtigung einer vorangegangenen Entlassung rechtlich bedeutungslos. Die Annahme eines Diversionsangebots nach Ausspruch der Entlassung kann daher nicht als Rechtfertigung für eine Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit angesehen werden.

  3. Auch wenn sich der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit aus einer Zusammenschau früherer Verfehlungen ergeben kann, muss für eine berechtigte Entlassung der für den Entlassungsausspruch maßgebliche Anlassfall eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um die jeder vorzeitigen Beendigung immanente objektive Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu begründen.

  4. Hat das Berufungsgericht Zweifel an den erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen, ist es ohne Durchführung einer Beweiswiederholung nicht berechtigt, von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts abzugehen.

Die Kl war ab 1998 als Zahnärztin in einem von der Bekl betriebenen Zahnambulatorium angestellt. Auf das Dienstverhältnis ist die Dienstordnung B (DO.B) für Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs anzuwenden. Die Kl betreibt seit 2004 auch eine private Wahlarztpraxis, deren Eröffnung der Bekl mitgeteilt und zur Kenntnis genommen wurde.

Die Kl hatte „grundsätzlich gute“ Dienstbeschreibungen und erfüllte die wirtschaftlichen Leistungsvorgaben der Bekl.

Es kam oft vor, dass die Kl ihren Dienst morgens verspätet antrat, allerdings war dies auch bei anderen Ärzten der Fall. Das Thema Zuspätkommen war eines der Hauptthemen der quartalsmäßig abgehaltenen Besprechungen mit dem ärztlichen Leiter des Zahnambulatoriums. Die Kl wurde wiederholt, das letzte Mal am 2.12.2013, persönlich unter Verweis auf die Dienstordnung ermahnt, morgens die Beginnzeiten einzuhalten.

Am 7.4.2014 wurde die Kl wegen einer ungebührlichen Äußerung gegenüber einem Patienten ermahnt. Am 19.5.2014 fertigte ihr Vorgesetzter einen Aktenvermerk an, weil sich die Ordinationsassistentin der Wahlarztpraxis der Kl in deren Ambulatoriumsordination aufgehalten hatte, was aus Datenschutzgründen untersagt war.

Am 7.8.2014 wurde die Kl wegen ungebührlich lauten Verhaltens gegenüber dem Verwaltungspersonal ermahnt. Es wurde ihr erklärt, dass es sich dabei um eine letzte Verwarnung handle und sich der nächste Anlassfall in ihrer Dienstbeschreibung auswirken werde. Ähnliche Vorfälle kamen nicht mehr vor.

Im Zahnambulatorium der Bekl fiel immer wieder ein Schwund zahnärztlicher Instrumente auf, zuletzt bei einer Inventur im Frühjahr 2014. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Kl oder ihre private Assistentin Instrumente oder anderes Material aus dem Ambulatorium mitgenommen haben.

Am 29.8.2014 beschuldigte eine zahnärztliche Assistentin, die wegen fehlerhafter Arbeitsleistung in ein anderes Ambulatorium versetzt worden war und eine Kündigung befürchten musste, die Kl in einer schriftlichen Stellungnahme zahlreicher Dienstvergehen. Der leitende Angestellte der Bekl erhielt dieses Schreiben am 8.9.2014 und beauftragte die Innenrevision mit weiteren Erhebungen. Außerdem veranlasste er die Erstattung einer Strafanzeige, weil in dem Schreiben auch der Vorwurf enthalten war, die Kl habe Instrumente der Bekl in ihre Ordination mitgenommen. Am 9.9.2014 wurde die Kl entlassen.

Bei einer nachträglich durchgeführten Hausdurchsuchung in der Privatordination der Kl wurden insgesamt 21 zahnärztliche Instrumente vorgefunden, die als möglicherweise der Bekl gehörend sichergestellt wurden. In den Räumen der Privatordination der Kl arbeitete auch noch eine andere bei der Bekl angestellte Zahnärztin als Wahlärztin, beide verwendeten teilweise die gleichen Instrumente. Die Praxis war bei Anmietung durch die Kl bereits mit Instrumenten ihres Vorgängers bestückt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Kl die beschlagnahmten Instrumente von der Bekl in ihre Ordination verbracht (gemeint wohl: gebracht) hat.

Bei den Instrumenten handelt es sich, mit Ausnahme von zwei Stücken, um Ware in Flohmarktqualität mit erheblichen Gebrauchsspuren. Solche Instrumente können in diesem Zustand noch verwendet werden, ihr Zeitwert geht aber gegen Null. Der Neuwert beträgt insgesamt rund 300 €.

Nach der Entlassung der Kl ergab eine Revision, dass sie in ihrer Privatordination in drei Fällen Leistungen, die auch im Leistungskatalog der Bekl aufscheinen, an Patienten erbracht hatte, die auch Patienten des Ambulatoriums gewesen waren. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, ab wann diese Leistungen tatsächlich im Zahnambulatorium gemacht wurden, oder dass die Kl einen Patienten abgeworben hat.

Der Kl wurde von der Staatsanwaltschaft ein Diversionsanbot unterbreitet, im Gegenzug werde von einem Strafantrag wegen Diebstahls zahnärztlicher Werkzeuge unbekannten Werts abgesehen. Die Kl nahm die Diversion auf Anraten ihres Ehegatten an, weil sie sich in einem psychisch schlechten Zustand befand und die Sache erledigt haben wollte.

In der Klage wird die Feststellung begehrt, dass das Dienstverhältnis der Kl über den 9.9.2014 hinaus fortbesteht. Sie habe keinen Entlassungsgrund verwirklicht. Da ihr der erhöhte Kündigungsschutz nach § 22 DO.B zukomme, sei die Auflösung des Dienstverhältnisses unwirksam.

Die Bekl wandte ein, die Kl habe ihre Dienstpflichten grob verletzt, insb sich der Mitnahme237von Instrumenten in die Privatordination schuldig gemacht und dadurch einen 7.000 € übersteigenden Schaden verursacht; die Entlassung sei daher gerechtfertigt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. [...]

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Bekl Folge, wies das Klagebegehren ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kl, die eine Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Annahme, dass der festgestellte Sachverhalt einen Entlassungsgrund verwirklicht hat, von der höchstgerichtlichen Rsp abweicht. Die Revision ist iSd darin gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Nach § 31 Abs 1 der auf das Dienstverhältnis anzuwendenden DO.B für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs kann ein Arzt, für den ein erhöhter Kündigungsschutz besteht, entlassen werden, wenn er sich einer besonders schweren Pflichtverletzung oder Handlung oder Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Versicherungsträgers unwürdig erscheinen lässt, insb wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen Vorgesetzte oder Mitbedienstete zuschulden kommen lässt oder wenn er sich für seine Dienstleistungen oder im Zusammenhang damit von dritten Personen Vorteile zuwenden oder zusichern lässt, weiters wenn der Arzt seine Dienstpflichten in wesentlichen Belangen erheblich vernachlässigt oder ohne einen wichtigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterlässt.

Diese Gründe des § 31 Abs 1 Z 2 und 3 DO.B entsprechen im Wesentlichen den Entlassungsgründen des § 27 Z 1, 4 und 6 AngG, sodass die Grundsätze der hRsp zu diesen Bestimmungen auch hier anwendbar sind.

Nach § 22 Abs 5 DO.B kann ein Arzt, für den ein erhöhter Kündigungsschutz besteht, gekündigt werden, wenn ein Entlassungsgrund iSd § 31 DO.B vorliegt. Dieser Grund ist dem Betroffenen beim Ausspruch der Kündigung schriftlich mitzuteilen. Stellt sich die Entlassung eines kündigungsgeschützten Arztes nach § 31 DO.B als unbegründet heraus, kommt daher eine Konversion in eine Kündigung nicht in Betracht, vielmehr wird das Dienstverhältnis durch die Auflösungserklärung nicht beendet.

2. Die berechtigte vorzeitige Auflösung eines Dienstverhältnisses ist nur aus einem wichtigen Grund möglich. Dieser liegt nach einhelliger Lehre und Rsp nur dann vor, wenn dem die Auflösung begehrenden Vertragspartner die Fortsetzung unzumutbar ist. Eine Entlassung ist nur dann gerechtfertigt, wenn der DN Interessen des DG so schwer verletzt hat, dass diesem eine weitere Zusammenarbeit auch nicht für die Zeit der Kündigungsfrist weiter zugemutet werden kann (ua Pfeil in ZellKomm2 § 25 AngG Rz 23; RIS-Justiz RS0029095; RS0029107). Eine andere Form der Beendigung darf aus objektiver Sicht nicht in Betracht kommen; die subjektive Einschätzung des Erklärenden ist hingegen nicht ausschlaggebend (RIS-Justiz RS0029107 [T6]; RS0029733; RS0029833).

Das jedem Entlassungstatbestand immanente Merkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des AN ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt (9 ObA 111/14k; RIS-Justiz RS0029009; vgl auch RS0029020). Es ist daher weder jede Ordnungswidrigkeit noch zwingend jeglicher Verstoß gegen die Treuepflicht bereits ein Entlassungsgrund (RIS-Justiz RS0029095; RS0029600).

3. Die Entlassung kann nicht auf bloße Verdachtsmomente gestützt werden, der AG hat das Vorliegen der Entlassungsgründe zu beweisen (RIS-Justiz RS0029402 [T1]). Die Entlassung kann auch nicht auf einen Sachverhalt gegründet werden, der sich erst nach ihrem Ausspruch ereignet hat (RIS-Justiz RS0029378). Ein erst nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses eingenommenes Verhalten des AN ist für die Berechtigung einer vorangegangenen Entlassung rechtlich bedeutungslos (RIS-Justiz RS0028962).

Aus den genannten Gründen ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Annahme des Diversionsanbots durch die Kl könne rückwirkend ein Anlass für einen die Entlassung rechtfertigenden Vertrauensverlust sein, in doppelter Hinsicht verfehlt.

4. Für den Fall, dass das Berufungsgericht Zweifel an den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen hegt, hat es eine Beweiswiederholung durchzuführen. Es ist nicht dazu befugt, von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts ohne Wiederholung der Beweisaufnahmen abzugehen (§ 488 ZPO; RISJustiz RS0043461).

Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass das Berufungsgericht seine den erstinstanzlichen Feststellungen widersprechende Annahmen in die Form von Zweifelsäußerungen zu kleiden versucht. Das Berufungsgericht war nicht befugt, die vom Erstgericht festgestellten Motive der Kl für die Annahme des Diversionsanbots mit der Begründung, dass „so etwas nur mit entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich“ sei, unterschwellig in ein schlüssiges Schuldeingeständnis zu verkehren.

5. Dies hat das Berufungsgericht letztlich auch erkannt, weil es die Berechtigung der Entlassung mit dem „Gesamtverhalten“ der Kl begründet hat. Dieses sei über eine längere Zeit durch eine ganze Reihe von Dienstpflichtverletzungen gekennzeichnet gewesen, die zusammengenommen geeignet gewesen seien, das Vertrauen der Bekl zu erschüttern.

Nach der stRsp kann das Vertrauen des DG bei wiederholten Verfehlungen auch schrittweise verloren gehen (RIS-Justiz RS0029538). Ältere Vorfälle, die der DG seinerzeit noch nicht zum Anlass für eine Beendigung genommen hat bzw für die der AN lediglich verwarnt wurde, können zwar allein keine Entlassung mehr begründen, sie können aber bei späterer Wiederholung des Verhaltens im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens238noch nachträglich Berücksichtigung finden (RIS-Justiz RS0110657). Der eigentliche Anlassfall für die Entlassung muss aber immer eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um die jeder vorzeitigen Beendigung immanente objektive Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu begründen (RIS-Justiz RS0029600 [T2]; RS0029095 [T5] = 9 ObA 41/02y; 8 ObA 64/12p).

6. Nach dem Vorbringen der Bekl soll der die Entlassung berechtigende Anlassfall darin bestanden haben, dass die Kl Instrumente und Material aus den Beständen des Zahnambulatoriums zum eigenen Nutzen entfremdet und dadurch einen 7.000 € übersteigenden Schaden verursacht habe. Diese Anschuldigung wurde vom Erstgericht nicht als erwiesen angenommen.

Auf die vom Berufungsgericht hervorgehobene Überlegung, die Kl hätte die mutmaßlich aus den Beständen der Bekl stammenden Instrumente wenigstens in das Zahnambulatorium zurückbringen müssen, hat die Bekl die Entlassung gar nicht gestützt. Davon abgesehen wäre dieser Vorwurf auch bei objektiver Betrachtung nicht geeignet, das Vertrauen der Bekl derart zu erschüttern, dass ihr eine Weiterbeschäftigung der Kl unzumutbar gewesen wäre. Es steht nicht fest, dass Instrumente von der Art, wie sie bei der Kl gefunden wurden, in der Ordination bei der täglichen Arbeit gefehlt haben, sodass – abgesehen vom praktischen wirtschaftlichen Nullwert der gebrauchten Stücke – nach den Feststellungen nicht von einer entgangenen Gebrauchsmöglichkeit ausgegangen werden kann. Umgekehrt hätte sich die Kl durch die Verwendung von „Flohmarktware“ selbst keine ins Gewicht fallenden Anschaffungskosten erspart.

Fehlt es dem für den Entlassungsausspruch maßgeblichen Anlassfall an einem hinreichenden Gewicht, dann kann auch die Heranziehung früherer Verfehlungen die Entlassung nicht rechtfertigen. Die nachgewiesenen gelegentlichen Dienstpflichtverletzungen der Kl (zB unter den Ärzten des Ambulatoriums nicht unübliches Zuspätkommen, zwei verbale Entgleisungen, nie vom DG beanstandetes häufiges Telefonieren und Internetsurfen) waren nicht einschlägig.

ANMERKUNG

Im gegenständlichen Fall war fraglich, ob das im Verfahren festgestellte Verhalten einer Zahnärztin eine Entlassung rechtfertigt. Bei der dafür erforderlichen Beurteilung ist das Berufungsgericht allerdings von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts abgegangen, ohne eine Beweiswiederholung durchzuführen. Neben der Beantwortung der Frage, ob die ausgesprochene Entlassung berechtigt war oder nicht, hatte der OGH daher auch die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht zu beurteilen.

1.
Zur Frage des Vorliegens einer berechtigten Entlassung

Wie der OGH in seiner rechtlichen Beurteilung ausführt, ist die AG-Seite nicht bei jedem Fehlverhalten der AN-Seite berechtigt, eine Entlassung auszusprechen. Nur solche Umstände – meist Verfehlungen auf Seiten des/der AN –, die es dem/der AG objektiv unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf einer sonst einzuhaltenden Kündigungsfrist (bzw bis zum Ablauf der vereinbarten Befristung) aufrecht zu erhalten, können eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Entlassung rechtfertigen (vgl Friedrich in

Marhold/Burgstaller/Preyer,
AngG § 25 Rz 4 mwN).

Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit ermöglicht in diesem Zusammenhang die Abgrenzung zwischen Gründen, die zur vorzeitigen Auflösung berechtigen und bloß geringfügigen Sachverhalten, die keine Entlassung rechtfertigen. Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit sind neben der Schuldintensität, den näheren Umständen, unter denen das Fehlverhalten gesetzt wurde und dem Kontrast zum bisherigen Verhalten des/der AN auch die Einsichtsfähigkeit des/der Betroffenen relevant (vgl Burger-Ehrnhofer/Drs, Beendigung von Arbeitsverhältnissen [2014] 38 f mwN). Ob also ein zur Entlassung berechtigender Grund vorliegt, ist im Einzelfall und nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Steht am Ende dieser Betrachtung außerdem fest, dass kein milderes und angemessenes Mittel zur Verfügung steht, das die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung beseitigen könnte, ist der Ausspruch einer Entlassung als ultima ratio berechtigt (OGH9 ObA 230/02tDRdA 2003, 557 [Risak]).

Die im gegenständlichen Sachverhalt einschlägigen Entlassungsgründe finden sich in § 31 Abs 1 DO.B, wobei die dort genannten Tatbestände Vertrauensunwürdigkeit, Tätlichkeit, Ehrverletzung, unberechtigte Vorteilszuwendung, erhebliche Vernachlässigung der Dienstpflichten bzw Unterlassung der Dienstleistung ohne einen wichtigen Hinderungsgrund für eine erhebliche Zeit im Wesentlichen den Entlassungsgründen des § 27 Z 1, 4 und 6 AngG entsprechen. Konkret wurde die Entlassung der AN auf eine grobe Verletzung der Dienstpflichten gestützt, da angenommen wurde, dass die AN Betriebsmittel des AG (zahnärztliche Instrumente) unberechtigt entwendet und diese in ihrer Privatordination verwendet habe, wodurch dem AG ein Schaden iHv € 7.000,– entstanden sei. Nach der Struktur des § 31 Abs 1 DO.B entspricht dieser Vorwurf am ehesten dem Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 Fall 3 AngG.

1.1.
Pflichtwidrigkeit und Verschulden als Voraussetzung für Vertrauensunwürdigkeit

Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 Fall 3 AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines/einer Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den/die Angestellte/n des dienstlichen Vertrauens seines/seiner bzw ihres/ihrer AG unwürdig erscheinen lässt, weil diese/r befürchten muss, dass der/die Angestellte seine/ihre Pflichten nicht mehr getreu-239lich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des/der AG gefährdet sind (OGH9 ObA 62/15f Arb 13.243). Für eine berechtigte Entlassung aufgrund von Vertrauensunwürdigkeit bedarf es daher des Vorliegens eines pflichtwidrigen Verhaltens seitens des/der AN. Darunter ist jedes gegen die wohl verstandenen Interessen des/der AG verstoßende und damit vertragswidrige bzw sonst rechtswidrige Verhalten zu verstehen (Kuderna, Entlassungsrecht2 [1994] 66 f; Friedrich in

Marhold/Burgstaller/Preyer
, AngG § 27 Rz 75 mwN). Im gegenständlichen Sachverhalt konnte bereits die als Entlassungsgrund namhaft gemachte Pflichtwidrigkeit seitens der AN (unberechtigtes Entwenden von zahnärztlichen Instrumenten des AG) vom Erstgericht (an dessen Feststellungen sich grundsätzlich auch das Berufungsgericht zu halten hat; siehe dazu Pkt 2) nicht festgestellt werden. Zur Wirkung des im Zuge dieses Vorwurfs angenommenen Diversionsanbots siehe Pkt 1.4.

Der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verlangt außerdem ein Verschulden auf Seiten des/der AN. Ist ein pflichtwidriges Verhalten vermeidbar, ist es vorwerfbar, weshalb bei einem pflichtwidrigen Verhalten das Verschulden bereits indiziert ist (OGH9 ObA 305/99iARD 5101/12/2000; OGH8 ObA 207/02bASoK 2003, 248; vgl auch Reischauer in

Rummel
, ABGB3 § 1294 Rz 20 ff). Als Schuldform ausreichend ist hier Fahrlässigkeit (vgl Burger-Ehrnhofer/Drs, Beendigung von Arbeitsverhältnissen 67 mwN), weshalb eine Entlassung berechtigt ist, wenn das pflichtwidrige Verhalten im Zuge eines Sorgfaltsverstoßes gesetzt wurde, der auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen kann (vgl Reischauer in
Rummel
, ABGB3 § 1324 Rz 3 ff). Fehlt schon das pflichtwidrige Verhalten, kann auch kein vorwerfbares Verschulden angenommen werden. Aufgrund dessen, dass vom Erstgericht der Vorwurf des unberechtigten Entwendens von AG-Eigentum nicht festgestellt werden konnte, lag in dieser Angelegenheit kein ausreichend pflichtwidriges und verschuldetes Fehlverhalten der AN vor, weshalb unter diesem Gesichtspunkt keine berechtigte Entlassung anzunehmen war.

1.2.
Unverzügliche Geltendmachung

Aus den Feststellungen ergibt sich allerdings, dass sich die AN schon vor dem eigentlichen Anlassfall der vermuteten Vertrauensunwürdigkeit andere Dienstverfehlungen (wiederholtes Zuspätkommen, ungebührliches Verhalten gegenüber PatientInnen und Verwaltungspersonal) zuschulden kommen hat lassen. Sieht man in diesen Vorkommnissen jeweils ein entsprechend schwerwiegendes pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten, muss von dem uU dadurch verwirklichten Entlassungsgrund aber unverzüglich Gebrauch gemacht werden, andernfalls aufgrund der dann nicht anzunehmenden Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung keine berechtigte Entlassung vorliegt. Erfolgt daher – wie bei der AN im gegebenen Sachverhalt – aufgrund des vorwerfbaren Fehlverhaltens bloß eine Ermahnung bzw Verwarnung oder statt einer Beendigung ein Aktenvermerk, ist darin ein Verzicht auf das vorzeitige Lösungsrecht zu sehen (OGH8 ObA 53/08iinfas 2009 A 18; vgl auch Friedrich in

Marhold/Burgstaller/Preyer
, AngG § 25 Rz 39). Das gilt allerdings nur für den aktuellen Anlassfall, da früheres Fehlverhalten im Rahmen eines neuerlichen Vorfalls dennoch Relevanz haben kann. Gerade beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit ist das Gesamtbild des Verhaltens des/der AN zu berücksichtigen (OGH9 ObA 119/16iARD 6546/13/2017). Im Rahmen der dadurch noch immer möglichen Gesamtbetrachtung bräuchte es allerdings ein neuerliches Fehlverhalten der AN, das auch eine gewisse Mindestintensität aufweisen muss. Besteht dieses Fehlverhalten daher nur im Verdacht, Betriebsmittel des AG entwendet zu haben und lässt sich dieser Verdacht im Rahmen der Sachverhaltsfeststellungen nicht bestätigen, mangelt es der Entlassungserklärung wiederum an einem rechtfertigenden Grund.

1.3.
Zeitpunkt der Beurteilung des Fehlverhaltens – Beweispflicht des AG

Selbst bei einer Gesamtschau des bisherigen Verhaltens der entlassenen Person können aber nur Verhaltensweisen relevant sein, die zum Zeitpunkt der vorzeitigen Vertragsauflösung bereits verwirklicht wurden, nicht aber Handlungen, die erst nach dem Zugang der Entlassungserklärung gesetzt wurden. In diesem Sinne akzeptiert die stRsp auch nur ein „Nachschieben“ von zum Zeitpunkt der Entlassungserklärung nicht genannten aber im Zeitpunkt der Entlassung bereits verwirklichten und nachträglich nicht untergegangenen Entlassungsgründen (vgl RIS-Justiz RS0029131: OGH9 ObA 160/15tRdW 2016/469, 632).

Der/die AG muss das Vorliegen eines Entlassungsgrundes zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung voll beweisen können. Dh, dass eine Entlassung auf keinen Sachverhalt gestützt werden darf, der sich erst nach Ausspruch der Entlassung ereignet hat. Daher sind Handlungen, die ein/e AN nach der durch die Entlassungserklärung begründeten Auflösung des Arbeitsverhältnisses setzt, für die Beurteilung dieser Entlassung irrelevant und können nur mehr zur Rechtfertigung einer neuerlichen Entlassung dienen (vgl OLG Wien 8 Ra 100/09y ARD 6060/6/2010). Nach Ansicht des OGH soll auch die nach Ausspruch der Entlassung erfolgte Annahme eines Diversionsanbots im Rahmen des zeitgleich mit dem Ausspruch der Entlassung eingeleiteten Strafverfahrens nicht anders behandelt werden. Dem ist auch unter Verweis auf die sich aus der Durchführung einer Diversion ergebenden Rechtsfolgen zuzustimmen.

1.4.
Diversion – Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Bei einer Diversion handelt es sich um eine staatliche Reaktion auf leichtere Straftaten wenig gefährlicher TäterInnen. Dabei wird auf ein formelles240Strafverfahren verzichtet oder ein solches, ohne Schuldspruch und ohne eine formelle Sanktion zu verhängen, beendet. Kennzeichen der Diversion sind die freiwillige Mitwirkung der beschuldigten Person und die Aufrechterhaltung der Unschuldsvermutung (vgl Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II19 [2017] 17).

Voraussetzungen für eine Diversion sind nach § 198 StPO im Wesentlichen ein hinreichend geklärter Sachverhalt, eine Strafdrohung geringen Ausmaßes (bis zu fünf Jahren) und die Tatsache, dass die Schuld des/der Verdächtigen nicht schwer ist. Daneben sind auch general- und spezialpräventive Erwägungen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang fordert die Judikatur zwar kein formelles Geständnis des/der Beschuldigten, setzt allerdings für die Durchführung einer Diversion voraus, dass eine gewisse Unrechtseinsicht oder eine partielle Übernahme der Verantwortung für das Bewirken der eine strafrechtliche Haftung begründenden Tatsachen gegeben ist. Demnach scheidet eine Diversion aus spezialpräventiven Gründen aus, wenn eine Bereitschaft des/der Betroffenen fehlt, Verantwortung für das ihm/ihr zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen (vgl Schroll in

Fuchs/Ratz
, WK StPO § 198 Rz 36/1 [Stand 1.6.2016, rdb.at] mwN; Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II19 20). Somit indiziert schon die Bereitschaft zu einer diversionellen Vorgangsweise idR eine solche Verantwortungsübernahme (OGH12 Os 82/15yEvBl 2015/160 [Ratz]). Wesentlich ist allerdings für eine diversionelle Erledigung, dass nach dieser ohne Verfahrenswiederaufnahme weiterhin die Unschuldsvermutung für den/die Betroffene/n gilt (vgl Schroll in
Fuchs/Ratz
, WK StPO § 198 Rz 39 [Stand 1.6.2016, rdb.at]). Auch wenn der/die Beschuldigte mit der Annahme des Diversionsangebots die ihm/ihr angelastete Tat dem Grunde nach als Fehlverhalten einbekennt (vgl Schroll in
Fuchs/Ratz
, WK StPO § 198 Rz 36/3 [Stand 1.6.2016, rdb.at]), gilt er/sie im Rahmen dieses Vorwurfs weiterhin als unbescholten (vgl Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II19 18). Als Konsequenz daraus kann die Annahme eines Diversionsanbots allein dem/der AG nicht als Beweis für das Setzen eines schuldhaften Fehlverhaltens dienen (idS auch die Disziplinaroberkommission vom 13.10.2010, 26/9-DOK/10 zu § 91 BDG).

Konsequent weitergedacht gilt das nicht nur für Diversionsanbote, die nach dem Ausspruch der Entlassung wegen des auch der Diversion zugrundeliegenden Fehlverhaltens angenommen wurden, sondern auch für Diversionsanbote, die vor dem Ausspruch der Entlassung angenommen werden. Ausgehend davon, dass aus der Annahme eines Diversionsanbots nicht jedenfalls abgeleitet werden kann, dass beim/bei der AN ein entsprechendes Verschulden zB am Schadenseintritt vorliegt, scheitert die AG-Seite beim Nachweis des Entlassungsgrundes, sofern nicht zusätzlich andere Umstände hinzutreten, die die Verfehlung des/der AN belegen. Gerade der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 Fall 3 AngG verlangt nicht zwingend eine strafbare Tat; es genügt – wie schon oben ausgeführt – eine pflichtwidrige und schuldhafte Handlung, die eine Mindestintensität aufweist, um den Verlust des Vertrauens des/der AG in seine/n bzw ihre/n AN zu begründen. Kann allerdings im Zivilverfahren neben der Annahme des Diversionsanbots kein anderer Nachweis für die behaupteten Verfehlungen des/der AN erbracht werden, bleibt die AG-Seite den vollen Beweis des Entlassungsgrundes schuldig und die Entlassung ist unberechtigt.

Diese Konsequenz ist auch beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit im Geltungsbereich der GewO 1859 relevant. Hier fordert § 82 lit d GewO das Begehen eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Tat. In Verbindung mit einer Diversion ist dabei zu beachten, dass es im Rahmen der Diversion nicht zu einer Entkriminalisierung kommt. Die Tat bleibt strafbares Verhalten, sie führt lediglich nicht zur Sanktionierung, sondern zu einem dem Strafverfahren vorgeschalteten Verfahren, bei dem der/die Beschuldigte seine/ihre Bereitschaft, Verantwortung für die Tat zu übernehmen, unter Beweis stellt (vgl Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II19 17). Im Rahmen eines Arbeiterdienstverhältnisses würde daher etwa beim Begehen eines Diebstahls (sofern es sich nicht bloß um nahezu wertlose Sachen handelt; vgl Burger-Ehrnhofer/Drs, Beendigung von Arbeitsverhältnissen 93 mwN) die Annahme eines Diversionsanbots nicht zwingend dazu führen, dass wegen diesem Vorwurf keine berechtigte Entlassung mehr ausgesprochen werden kann. Trotz Diversion bleibt es bei der strafbaren Handlung. Und nur darauf stellt § 82 lit d GewO ab, nicht etwa auf die tatsächlich erfolgte Sanktionierung der Tat (vgl OGH9 ObA 14/98vinfas 1998 A 87; idS auch OLG Wien 7 Ra 148/04t ARD 5577/2/2005; ausdrücklich zur Diversion VwGH2005/09/0149 ZfVB 2008/1189, 657; vgl aber auch OGH9 ObA 35/12fecolex 2012/372, 913). Allerdings wird auch in diesem Zusammenhang im Zuge der mit einer Diversion verbundenen Unschuldsvermutung die bloße Tatsache, dass ein Diversionsanbot angenommen wurde, nicht alleine ausreichen, um den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit infolge Diebstahls, Veruntreuung oder sonstigen strafbaren Verhaltens zu beweisen. Vielmehr ist die AG-Seite aufgrund der diversionellen Erledigung genötigt, weitere Belege für den vorsätzlichen Diebstahl bzw die Veruntreuung oder die fahrlässig gesetzte sonstige strafbare Handlung, die zu einem Verlust des Vertrauens des/der AG führt, vorzulegen, um eine berechtigte Entlassung auszusprechen. Dies ist mangels durchzuführendem Strafverfahren in manchen Fällen uU eine schwer zu überwindende Hürde. Dass damit die Chancen von ArbeiterInnen steigen, durch die Annahme eines Diversionsanbots eine berechtigte Entlassung zu vermeiden, deckt sich aber mE mit der Zielsetzung des Gesetzgebers hinsichtlich der Diversion: Der/die Beschuldigte gilt im Rahmen des Vorwurfs als unbescholten und wird nicht stigmatisiert (vgl Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II19 18). Der berechtigte Ausspruch einer Entlassung allein aufgrund der Annahme einer Diversion würde mit diesem Ziel in Widerspruch stehen.241

2.
Bindung des Berufungsgerichts an die Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts

Sieht sich eine Partei aufgrund von Fehlern des Erstgerichts durch das getroffene Urteil beschwert, kann sie das Rechtsmittel der Berufung erheben, über das dann das zuständige Berufungsgericht zu entscheiden hat. Dieses darf dabei von den Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts grundsätzlich nicht abweichen. Hat es berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung, muss es eine Beweiswiederholung durchführen. Ohne Beweiswiederholung – etwa in Form einer entsprechenden Berichtigung im Rahmen der Berufungsverhandlung – bleiben die Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts also auch für die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts relevant (§ 498 Abs 1 ZPO; vgl auch Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts8 [2010] Rz 1022). Geht das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts ab, ist dies nach stRsp vom Revisionsgericht als wesentlicher Verfahrensmangel wahrzunehmen, sofern dieser in der Revision auch gerügt wurde (RIS-Justiz RS0043461 und RS0037325: OGH3 Ob 39/17g ÖBA 2017/2399, 772). Im einschlägigen Vorgehen des Berufungsgerichts, ohne Beweiswiederholung bzw -ergänzung über den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt hinauszugehen und seiner rechtlichen Beurteilung ergänzende Feststellungen zugrunde zu legen (die Annahme des Diversionsanbots belegt ein wenn auch nachträgliches Schuldeingeständnis), liegt daher ein Mangel mit dem Gewicht einer erheblichen Rechtsfrage des Verfahrensrechts iSd § 502 Abs 1 ZPO vor, weshalb gegen ein mit einem solchen Mangel behaftetes Urteil des Berufungsgerichts die Revision an den OGH zulässig ist (vgl Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts8 Rz 415).