74Keine Erweiterung der Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrates in einer unzulässigen Betriebsvereinbarung über eine „Steuertopfbeteiligung“
Keine Erweiterung der Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrates in einer unzulässigen Betriebsvereinbarung über eine „Steuertopfbeteiligung“
Enthält die unzulässige BV über eine „Steuertopfbeteiligung“ eine Ausschüttungsregelung, die eine „Beratung“ zwischen der Betriebsinhaberin und dem BR vorsieht, so bewirkt dies eine unzulässige Erweiterung der Mitwirkungsbefugnisse des BR in Bezug auf einzelvertragliche Ansprüche der betroffenen AN.
In einem solchen Fall ist eine Umdeutung in einen Gestaltungsvorbehalt des AG vorzunehmen, den dieser aber nur nach billigem Ermessen ausüben darf.
Der Kl war 43 Jahre lang bei der Bekl als Montagemitarbeiter beschäftigt. Er war vor allem im Ausland tätig. Zur Regelung der lohnsteuerrechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen schlossen die Geschäftsführung und der Zentralbetriebsrat (ZBR) eine „BV“ über eine sogenannte „Steuertopfbeteiligung“: Für Zeiten der Steuerfreistellung in Österreich aufgrund des Auslandseinsatzes behält das Unternehmen im Rahmen der Entgeltabrechnung grundsätzlich einen der österreichischen Steuer entsprechenden Betrag vom Entgelt ein. Dieser Betrag wird im Namen und für Rechnung des Mitarbeiters auf ein Treuhandkonto abgeführt.
Nach Vorlage des ausländischen Steuerbescheides wird die individuelle Lohnsteuerschuld des Mitarbeiters aus den Mitteln des Treuhandkontos beglichen. Der Mitarbeiter muss die Teilnahme am Steuertopf ausdrücklich erklären. Diese Teilnahmeerklärung kann jederzeit widerrufen werden; eine Nachlauffrist von drei Jahren wurde vereinbart. Über die Auszahlung eines allfälligen Überhanges aus dem Steuertopf sollte die Bekl gemeinsam mit dem BR beraten.
Der letzte Auslandseinsatz des Kl endete im Oktober 2013. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2016 begehrte der Kl eine Auszahlung aus dem Steuertopf, was von der Bekl abgelehnt wurde.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der OGH gab der Revision des Kl Folge und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf.
„3.1 Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass die zugrunde liegende Betriebsvereinbarung als unzulässige (freie) Betriebsvereinbarung zu qualifizieren ist. […] Die Rechtsprechung und das Schrifttum sehen solche Betriebsvereinbarungen als Vertragsschablonen an, deren Inhalt ausdrücklich oder schlüssig zu einer Änderung bzw Ergänzung des Einzelvertrags führen kann. […]
3.3 […] Ähnlich wie in der Entscheidung 8 ObS 7/06x (ZIK 2007/100, 58) handelt es sich bei der zugrunde liegenden Steuertopfvereinbarung somit um eine die ursprüngliche Bruttolohnvereinbarung der ins Ausland entsandten Arbeitnehmer ändernde Entgeltregelung. Danach wurde die Bruttolohnvereinbarung für die Dauer der Auslandsentsendung dahin modifiziert, dass von den Löhnen der betroffenen Arbeitnehmer die fiktive österreichische Lohnsteuer einbehalten wurde. […] Die zugrunde liegende Steuertopfvereinbarung bewirkte daher ihrem Charakter nach – so wie in der Entscheidung 8 ObS 7/06x und im Gegensatz zu 14 ObA 81/87 – eine Vertragsänderung in Form einer (besonderen) Nettolohnvereinbarung. […]
4.1 Die Besonderheit dieser Nettolohnvereinbarung besteht nun darin, dass – was unstrittig ist – der Überhang im Steuertopf nicht endgültig im Vermögen der Beklagten verbleiben soll. Vielmehr soll dieser unter bestimmten Voraussetzungen an die betroffenen Arbeitnehmer ausgezahlt werden. […]
4.2 Dazu ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass im Fall einer schlüssigen Vertragsänderung oder Vertragsergänzung durch eine unzulässige Betriebsvereinbarung die Arbeitnehmer jene Bedingungen gegen sich gelten lassen müssen, die der Arbeitgeber erkennbar für die Gewährung der Leistung (hier Rückzahlung) aufgestellt hat. […]150
5.1 Eine andere Frage ist es, wie es sich mit in einer unzulässigen Betriebsvereinbarung dem Betriebsrat eingeräumten Gestaltungs- oder Mitwirkungsrechten verhält. […]
5.4 Im Anlassfall bewirkt die in der unzulässigen Betriebsvereinbarung enthaltene Ausschüttungsregelung, die eine ‚Beratung‘ zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat vorsieht, eine unzulässige Erweiterung der Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats in Bezug auf einzelvertragliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer. In einem solchen Fall ist eine Umdeutung in einen Gestaltungsvorbehalt des Arbeitgebers vorzunehmen, den dieser aber nur nach billigem Ermessen ausüben darf (Kietaibl, aaO Rz 48).
5.5 Das […] geradezu beliebige Rückzahlungsrecht des Arbeitgebers nach Maßgabe eines vollkommen unbestimmt definierten Überhangs im Lohnsteuertopf stellt aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer keine zumutbare Regelungsbefugnis innerhalb der dem Arbeitgeber zustehenden Ermessensschranke dar. Vielmehr kann eine billige Ermessensausübung nur darin gesehen werden, dass die betroffenen Arbeitnehmer nach Ablauf der Nachlauffrist einen individuellen Rückzahlungsanspruch derart haben, dass ein Überhang im Lohnsteuertopf für die jeweils maßgebende Zeitperiode im Verhältnis der Einzahlungen der betroffenen Arbeitnehmer zurückzuerstatten ist.“
Im vorliegenden Fall wurde – sofern die AN ihre Zustimmung erklärten – für Zeiten einer Auslandsentsendung die fiktive österreichische Lohnsteuer einbehalten und auf ein „Treuhandkonto“ gelegt, wobei sämtliche im fraglichen Zeitraum im Ausland tätigen AN laut OGH eine Solidargemeinschaft bildeten. Die zu entrichtenden ausländischen Steuern wurden aus diesem sogenannten Lohnsteuertopf beglichen, unterschiedlich hohe Steuerbelastungen in den verschiedenen Gastländern sollten im Rahmen der Risikogemeinschaft ausgeglichen werden. Aus diesem Grund erfolgte auch keine Zuordnung der einbehaltenen Entgeltbestandteile zu den konkret betroffenen AN. Diese Vorgehensweise wurde nebst anderen Regelungen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen in einer BV festgehalten, die zwischen der Geschäftsführung und dem ZBR abgeschlossenen wurde.
Unstrittig ist, dass die Regelung über die Steuertopfbeteiligung eine unzulässige (freie) BV darstellt und als Vertragsschablone wirkt, was zur Folge hat, dass die betreffenden Bestimmungen durch ausdrückliche oder konkludente Zustimmung der Arbeitsvertragsparteien (AG und AN halten sich an die Regelung) den Einzelarbeitsvertrag der jeweiligen AN ergänzen bzw abändern.
Wie der OGH ausführt, bewirkte die gegenständlich zugrunde liegende Steuertopfvereinbarung eine Vertragsänderung in Form einer (besonderen) Nettolohnvereinbarung. Grundsätzlich konnte jeder betroffene AN davon ausgehen, dass er jedenfalls einen Nettolohn unter Zugrundelegung der österreichischen Lohnsteuer erhält. Ein allfälliger Überhang im Steuertopf sollte jedoch nicht endgültig im Vermögen der bekl AG verbleiben, sondern unter bestimmten Voraussetzungen an die betroffenen AN wieder ausbezahlt werden. Somit sind die Vertragsparteien (dh sowohl AG als auch AN) von einer grundsätzlichen Rückzahlungspflicht nach Ablauf der Bindungsfrist ausgegangen. Über die Rückzahlung sollte der Betriebsinhaber (die bekl AG) gemeinsam mit dem BR „beraten“ und es war die Ausschüttung an einen nachhaltigen Überschuss geknüpft. Diese in der unzulässigen BV vorgesehenen Bedingungen bleiben aufgrund der schlüssigen Vertragsergänzung bzw -änderung ebenfalls im Verhältnis zur AG bestehen.
Fraglich war im vorliegenden Fall allerdings, ob auch die in der unzulässigen BV dem BR eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse erhalten bleiben. Der OGH verneint dies jedenfalls in Bezug auf materielle Gestaltungsrechte, die sich auf konkrete Ansprüche der AN beziehen: Die in der unzulässigen BV enthaltene Ausschüttungsregelung, die eine „Beratung“ zwischen der bekl AG und dem BR vorsieht, stellt laut OGH daher eine unzulässige Erweiterung der Mitwirkungsbefugnisse des BR in Bezug auf einzelvertragliche Ansprüche der betroffenen AN dar. Es hat daher eine Umdeutung in einen Gestaltungsvorbehalt der AG zu erfolgen, den diese aber nur nach billigem Ermessen ausüben darf.
Eine billige Ermessensausübung durch die AG bedeutet im vorliegenden Fall, dass die betroffenen AN nach Ablauf der Nachlauffrist einen individuellen Rückzahlungsanspruch derart haben, dass ein Überhang im Lohnsteuertopf für die jeweils maßgebende Zeitperiode (Kalenderjahr) im Verhältnis der Einzahlungen der betroffenen AN zurückzuerstatten ist.
Da zur Höhe des vom Kl geltend gemachten Rückforderungsanspruchs Feststellungen fehlen, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.151