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Zeitausgleich: Längerer Durchrechnungszeitraum laut Arbeitsvertrag für Insolvenz-Entgelt-Fonds unbeachtlich

MARGITMADER
§ 3a Abs 1 IESG idF BGBl I 2010/29 (IRÄG 2010)

Die Kl macht gegenüber dem Insolvenz-Entgelt- Fonds die Abgeltung von Arbeitsstunden, welche sie unstrittig außerhalb der in § 3a Abs 1 Satz 1 IESG (idF BGBl I 2010/29 – Insolvenzrechtsänderungsgesetz [IRÄG] 2010) angeführten Zeiträume geleistet hat, geltend. Sie stützt sich darauf, dass ihr Arbeitsvertrag eine Gleitzeitvereinbarung mit einem einjährigen und damit längeren Durchrechnungszeitraum enthalte. Gem § 3a Abs 1 Satz 1 IESG in der genannten Fassung ist das Entgelt für Zeitguthaben, für die Zeitausgleich vereinbart worden ist, im Falle einer Insolvenz des AG nur dann gesichert, wenn die Stunden in den letzten sechs Monaten vor Insolvenzeröffnung bzw Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleistet und fällig geworden sind. Die Frist von sechs Monaten gilt nicht, wenn durch Gesetz, KollV oder BV oder auf Grund von Altersteilzeitregelungen ein längerer Durchrechnungszeitraum vorgesehen ist.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass nach der zitierten Gesetzesvorschrift der längere Durchrechnungszeitraum in einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Regelung oder einer BV vorgesehen sein muss. Im konkreten Fall sei der Durchrechnungszeitraum jedoch einzelvertraglich festgelegt worden.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kl. Es sei zu prüfen, ob der Ausnahmekatalog der zitierten Gesetzesvorschrift tatsächlich taxativ sei. Selbst wenn die Aufzählung taxativ sein sollte, wäre „auf Grund einer gesetzlichen Regelung“ ein längerer Durchrechnungszeitraum vorgesehen, da nach § 4b AZG die gleitende Arbeitszeit in Betrieben, in denen kein BR errichtet ist, durch schriftliche Vereinbarung geregelt werden müsse. Ansonsten wäre ein AN in einem Betrieb ohne BR, wo nach § 4b AZG auf eine individualrechtliche Vereinbarung zurückgegriffen werden müsse, gegenüber einem AN in einem Betrieb, wo aufgrund des Bestehens eines BR eine BV mit einem längeren Durchrechnungszeitraum geschlossen werden könne, grundlos IESG-rechtlich schlechter gestellt.

Der OGH wies die außerordentliche Revision jedoch zurück.

Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 3a Abs 1 Satz 3 IESG in der hier anzuwendenden Fassung ergibt sich für den OGH klar, dass ein in einem individuellen Arbeitsvertrag enthaltener längerer Durchrechnungszeitraum für den Anspruch auf Insolvenz-Entgelt unbeachtlich ist. Der Wortlaut der hier anzuwendenden Fassung des § 3a Abs 1 IESG geht auf das Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl I 2000/142, zurück (Art 45 Z 3). Während die Regierungsvorlage des Budgetbegleitgesetzes 2001 als Rechtsgrundlage eines längeren Durchrechnungszeitraums allein Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen vorsah (§ 3a Abs 1 IESG idF Art 45 Z 3 der ErläutRV 311 BlgNR 21. GP), änderte der Budgetausschuss den Gesetzesvorschlag iSd letztlich vom Gesetzgeber beschlossenen Fassung ab. Es wurde „berücksichtigt, dass längere Durchrechnungszeiträume auch gesetzlich vorgesehen sein können“ (AB 369 BlgNR 21. GP 14). Dies kann nur bedeuten, dass die Verlängerung im Gesetz, im KollV oder in der BV selbst enthalten sein muss.160

Individualverträge als Grundlage eines längeren Durchrechnungszeitraums wurden vom Budgetausschuss nicht in den Gesetzestext aufgenommen. In einem Minderheitsbericht wurde die vom Budgetausschuss mehrheitlich angenommene und letztlich Gesetz gewordene Fassung des § 3a IESG ua dahingehend kritisiert, dass sie „im Widerspruch zur Ausrichtung des Arbeitszeitgesetzes“ stehe. Die betroffenen AN müssten in vielen Fällen mit dem Verlust ihrer Ansprüche rechnen, wenn der AG insolvent werde (369 BlgNR 21. GP 198). Bei der Verabschiedung des Gesetzes war sich der Gesetzgeber daher der Abweichungen des Regelungsregimes des AZG vom IESG grundsätzlich bewusst.

ANMERKUNG DER BEARBEITERIN:
Die dem Anlassfall zu Grunde liegende Problematik wurde mittlerweile vom Gesetzgeber mit der IESG-Novelle 2017 (anzuwenden auf Insolvenzbeschlüsse nach dem 31.7.2017) entschärft. Die Regelung des § 3a Abs 1 Satz 3 IESG ist zur Gänze entfallen. Nicht ausgeglichene Zeitguthaben, die vor Insolvenz erworben wurden, sind künftig ohne zeitliche Beschränkung gesichert. Die Leistung der Stunden muss nicht mehr in den letzten sechs Monaten erfolgt sein. Die Stunden dürfen jedoch nicht verfallen oder verjährt sein. Weiters muss die Fälligkeit des Entgelts für die geleisteten Stunden innerhalb der letzten sechs Monate vor Insolvenz oder vor Ende des Dienstverhältnisses eingetreten sein. Ist die Fälligkeit des Entgelts bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten, muss das Entgelt binnen sechs Monaten ab Fälligkeit eingeklagt worden sein.