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Verfall des kollektivvertraglichen Mindestgrundgehalts trotz fehlender Gehaltsabrechnung

MARGITMADER
§ 1486 ABGB; Pkt 6 lit c des KollV für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe

Der Kl war von 3.11.2011 bis 30.4.2012 als gewerberechtlicher Geschäftsführer bei der späteren Insolvenzschuldnerin, die ein Café und Cateringservice betrieb, beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem KollV für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe. Als monatliches Entgelt wurde das kollektivvertragliche Mindestgehalt vereinbart. Der Kl erhielt keine Gehaltsabrechnungen. Das Gehalt für November und Dezember 2011 samt anteiliger Jahresremuneration wurde nicht ausbezahlt. Der Kl machte seine offenen Ansprüche erstmals am 29.5.2012 schriftlich geltend. Im November 2014 brachte er Klage ein. Am 19.5.2015 wurde über das Vermögen der ehemaligen AG das Konkursverfahren eröffnet und das arbeitsgerichtliche Verfahren dadurch unterbrochen.

Die hier bekl IEF-Service GmbH lehnte den Anspruch des Kl auf Gewährung von Insolvenz-Entgelt wegen Verfalls der Ansprüche nach Pkt 6 lit c des KollV ab. In der dagegen erhobenen Klage brachte der Kl vor, die kollektivvertragliche Verfallsregelung sei nicht anwendbar, da die AG ihm keine Gehaltsabrechnungen ausgefolgt habe, sodass ihm eine frühere Geltendmachung seiner Ansprüche nicht möglich gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Berufung der AG auf den Verfall verstoße nicht gegen Treu und Glauben, da der Kl nur das Grundgehalt geltend mache und nicht ersichtlich sei, weshalb ihm dessen frühere Geltendmachung ohne Abrechnung nicht möglich gewesen wäre.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Kl im Ausmaß von € 439,41 teilweise Folge, im Übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts. Die Anwendung der kollektivvertraglichen Verfallsfrist setze nicht voraus, dass dem AN eine Lohnabrechnung ausgehändigt wurde; dem Kl sei die Geltendmachung des Grundgehalts dadurch nicht erschwert worden. Die Verfallsbestimmung gelte ihrem Wortlaut nach aber nur für laufende Bezüge, sodass ein Verfall der anteiligen Jahresremuneration 2011 nicht eingetreten sei. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil es zur Frage, ob die vorangegangene Aushändigung einer Lohnabrechnung Voraussetzung für den Verfall nach Pkt 6 lit c KollV sei, divergierende zweitinstanzliche Entscheidungen gebe und dazu noch keine höchstgerichtliche Rsp vorliege.

Der OGH gab der Revision des Kl keine Folge.

Nach stRsp ist zwischen der Frage der vertraglichen Unabdingbarkeit eines Anspruchs und der Frist für dessen Geltendmachung zu unterscheiden und kann auch bei unabdingbaren Ansprüchen eine kürzere als die dreijährige gesetzliche Verjährungsfrist nach § 1486 ABGB für die Geltendmachung der Ansprüche vereinbart werden (vgl RIS-Justiz RS0034517 mwN; OGH8 ObA 86/11xDRdA 2013/22 [krit Eypeltauer]; OGH 26.2.2014, 9 ObA 1/14h mwN; OGH 27.5.2014, 9 ObA 44/14g). Der OGH hat an der Zulässigkeit vertraglicher Verfallsfristen im Arbeitsrecht ausdrücklich festgehalten (vgl OGH 26.2.2014, 9 Ob 1/14h).

Auch die in der Revision angeführten Argumente, wonach die Geltung von Verfallsklauseln nunmehr aufgrund der Bestimmungen und des Zwecks des Lohn- und SozialdumpingbekämpfungsG (zum hier maßgeblichen Zeitpunkt: §§ 7e ff AVRAG) zu bezweifeln sei (siehe Felten/161Pfeil, Strafbare Unterentlohnung nach dem LSD-BG und Verfall von Entgeltansprüchen, DRdA 2017, 79), vermögen den OGH nicht zu überzeugen.

Gleiches gilt für die vom Revisionswerber behauptete Behinderung der Strafverfolgung nach dem LSD-BG durch die Geltung von Verfallsfristen. Der Straftatbestand der Entgeltvorenthaltung wird bereits mit dem ungenutzten Verstreichen des Fälligkeitstermins verwirklicht. Zwar kann der AG die Strafbarkeit bzw die Verhängung einer Strafe nachträglich gem § 29 Abs 2 und 3 LSD-BG durch rechtzeitige Nachzahlung der geschuldeten Beträge verhindern, das LSD-BG sieht aber keine Befreiung bei Verjährung oder Verfall des vorenthaltenen Entgelts vor. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Bei einer fortgesetzten Entgeltverkürzung liegt nach § 29 Abs 4 LSD-BG ein Dauerdelikt vor und beginnt die dreijährige Verfolgungsverjährungsfrist erst mit Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung. Da die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§ 31 Abs 2 VStG) fünf Jahre beträgt, ergibt sich daraus, dass selbst nach § 1486 Z 5 ABGB bereits verjährte vorenthaltene Entgelte von der Strafbarkeit erfasst werden können.

Letztlich kann der OGH im konkreten Fall auch keine sittenwidrige Erschwerung zwingender Ansprüche durch die gegenständliche Verfallsklausel erkennen.

Nach dem hier maßgeblichen Pkt 6 lit c KollV verfallen Gehaltsansprüche, wenn sie nicht vier Monate nach Fälligkeit vom Angestellten beim AG oder dessen Stellvertreter schriftlich geltend gemacht werden. Die hier von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht, dass durch eine solche Klausel die Geltendmachung weder in zeitlicher Hinsicht noch unter dem Gesichtspunkt des nötigen Aufwands übermäßig erschwert wird, entspricht der herrschenden Rsp (ua RIS-Justiz RS0016688 [T10]). Fraglich ist, ob die Verfallsregelung auch dann zum Tragen kommt, wenn dem AN keine Lohnabrechnungen ausgehändigt wurden. Soweit in einzelnen Entscheidungsleitsätzen davon die Rede ist, dass die Verfallsfrist erst mit der Aushändigung einer ordnungsgemäßen Lohnabrechnung beginne (zB RIS-Justiz RS0029277; RS0034487; RS0064548; RS0034461), betreffen diese laut OGH entweder kollektivvertragliche Regelungen, die dieses Erfordernis ausdrücklich vorsehen, oder besondere Fallkonstellationen, in denen sich der AN nur durch eine Abrechnung Klarheit über offene Ansprüche verschaffen konnte.

Der AG kann sich aber auf eine an sich zulässige Verfallsklausel dennoch nicht berufen, wenn er durch sein Verhalten die rechtzeitige Geltendmachung vereitelt oder erschwert hat (RIS-Justiz RS0034487; RS0051974 [T6] ua). Eine Vereitelung oder Erschwernis ist nach den allgemeinen Beweislastregeln von jener Partei zu beweisen, die daraus für sich günstige Rechtsfolgen ableitet (vgl RIS-Justiz RS0037797).

Die Vorinstanzen sind dem Argument des Kl, das Vorenthalten einer Gehaltsabrechnung habe ihm eine rechtzeitige Geltendmachung der rückständigen Gehälter sowie insb deren Nettoberechnung erschwert, zutreffend nicht gefolgt. Nach Pkt 6 lit c KollV beginnt die Frist zur Geltendmachung etwaiger Differenzen nicht erst mit der Übergabe der Gehaltsabrechnung, sondern bereits mit der Fälligkeit des Gehaltsanspruchs zu laufen. Die Verletzung der Abrechnungspflicht könne den Beginn der Verfallsfrist nur dann hemmen, wenn der AN ohne Gehaltsabrechnung nicht oder nur schwer beurteilen kann, ob für eine bestimmte Periode noch Entgeltansprüche offen sind.

Der Kl hat im November 2011 nur ein Akonto in Höhe von rund einem Drittel des Gehalts, im Dezember gar keine Gehaltszahlung erhalten. Unter diesen Umständen konnte für ihn kein Zweifel bestehen, dass ihm die AG für beide Monate noch Entgelt schuldete. Eine Geltendmachung der Gehälter dem Grunde nach wäre daher innerhalb von vier Monaten möglich und zumutbar gewesen, zumal der Kl von Beginn an überhaupt kein Entgelt erhalten hat. Das Revisionsvorbringen des Kl, die Verfallsklausel verfehle in Ansehung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts ihren Zweck, durch rasche Geltendmachung der Ansprüche das Entstehen von Beweisschwierigkeiten zu verhindern (ua RIS-Justiz RS0034417), überzeugt nicht. Die Ansicht, über die Zahlung des Mindestgehalts könne es keine Beweisschwierigkeiten geben, trifft nur auf dessen Höhe, aber nicht auf den Anspruchsgrund zu. Das Ergebnis der Vorinstanzen, wonach das Fehlen einer Gehaltsabrechnung für den Kl hier zu keiner Vereitelung oder Erschwerung der rechtzeitigen Geltendmachung der kollektivvertraglichen Mindestgehälter geführt hat, ist daher laut OGH zu billigen.

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Urteil erfolgt durch Jabornegg in Heft 6/2018 von DRdA.162