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Ermittlung des Ergänzungsbetrages im Notstandshilfebezug

BIRGITSDOUTZ
VwGH 30.1.2018, Ro 2017/0870018

Im vorliegenden Fall war strittig, ob das Arbeitsmarktservice (AMS) den Ergänzungsbetrag gem § 21 Abs 4 AlVG richtig berechnet hat bzw ob und wie sich die in § 21 Abs 5 AlVG vorgesehene Deckelung auf den Ergänzungsbetrag auswirkt. Während die Arbeitslose unter Bezugnahme auf das Erk des VwGH vom 24.2.2016, Ro 2015/08/0028, die Auffassung vertrat, der Ergänzungsbetrag errechne sich auch im Anwendungsbereich des § 21 Abs 5 AlVG als Differenz zwischen dem Ausgleichszulagenrichtsatz und dem Grundbetrag, ging das AMS davon aus, dass sich der Ergänzungsbetrag hier anders als nach § 21 Abs 4 AlVG errechne, und zwar aus der 80 %-Grenze des Nettoeinkommens minus Grundbetrag minus Familienzuschlag.

Das BVwG folgte der Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach die Deckelung auf einen bestimmten Prozentsatz des täglichen Nettoeinkommens nur einmal, und zwar erst nach Ermittlung des Gesamtanspruches der Notstandshilfe, vorzunehmen sei (BVwGW238 2142939-1DRdA-infas 2017/206). Gegen die E des BVwG brachte das AMS Revision ein, da zur Frage, ob die dem Erk zugrunde liegenden Erwägungen des VwGH zur Ermittlung des Ergänzungsbetrages – wie vom BVwG angenommen – auch im Anwendungsbereich des § 21 Abs 5 AlVG maßgeblich sind, Rsp des VwGH fehle.

Der VwGH hob das angefochtene Erk wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf und führte dazu aus, dass er bereits im Erk vom 24.2.2016, Ro 2015/08/0028, ausgesprochen habe, dass der Ergänzungsbetrag iSd § 21 Abs 1 AlVG in der Differenz zwischen dem Richtsatz und dem bloßen Grundbetrag und nicht etwa in der Differenz zwischen dem Richtsatz und dem Grundbetrag zuzüglich den Familienzuschlägen bestehe. Im zuletzt genannten Fall würde es sonst laut VwGH Konstellationen geben, in denen sich – obwohl iSd § 36 Abs 1 Z 1 AlVG der Grundbetrag den Richtsatz unterschreitet – gem § 21 Abs 4 AlVG kein Ergänzungsbetrag errechne, sodass die Anordnung in § 36 Abs 1 Z 1 AlVG „zuzüglich 95 vH des Ergänzungsbetrages“ in Leere gehen würde, was dem Gesetzgeber im Zweifel aber nicht zu unterstellen sei.

An dieser Ansicht hält der VwGH in Fällen fest, in denen die Deckelung iSd § 21 Abs 5 AlVG nicht schlagend wird. Ist die Deckelung nach § 21 Abs 5 AlVG aber schlagend geworden, so kann dies bei der Berechnung des Ergänzungsbetrages im Hinblick auf die Anwendung des § 36 Abs 1 Z 1 AlVG nicht unberücksichtigt bleiben. Nach dieser Bestimmung beträgt das Ausmaß der täglichen Notstandshilfe – vorbehaltlich einer Minderung des Anspruches durch anzurechnendes Einkommen – 95 vH des Grundbetrages zuzüglich 95 vH des Ergänzungsbetrages des jeweils gebührenden täglichen Arbeitslosengeldes. Wäre der Ergänzungsbetrag auch in diesem Fall die ungekürzte Differenz zwischen dem Grundbetrag und dem Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende, so würde die Höhe der Notstandshilfe die Höhe des Arbeitslosengeldes in vielen Fällen überschreiten, weil nach § 36 Abs 1 letzter Halbsatz AlVG lediglich die Familienzuschläge gem § 20 AlVG nicht gebühren, wenn dadurch die Obergrenze gem § 21 Abs 5 AlVG überschritten wird, der gem § 36 Abs 1 Z 1 AlVG ermittelte Betrag171aber keiner weiteren Deckelung zu unterziehen ist. Aus der nur partiellen Deckelung des § 36 Abs 1 letzter Halbsatz AlVG ist daher abzuleiten, dass es sich bei dem Ergänzungsbetrag, auf den § 36 Abs 1 Z 1 AlVG Bezug nimmt, um einen bereits iSd § 21 Abs 5 AlVG geminderten Betrag handelt.

Im genannten Vorerkenntnis wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Familienzuschläge nach der Ermittlung des Ergänzungsbetrages iSd § 21 Abs 4 AlVG als Letztes hinzuzurechnen sind, um zum Betrag des Arbeitslosengeldes zu gelangen. Zudem verweist die rechtliche Konstruktion der Deckelung der Notstandshilfe iSd § 36 Abs 1 letzter Halbsatz AlVG darauf, die Familienzuschläge als Letztes einzukürzen. Laut VwGH ist für die Ermittlung des Ergänzungsbetrages nach § 21 Abs 5 AlVG daher davon auszugehen, dass von der Deckelung zuerst die Familienzuschläge und erst dann der Ergänzungsbetrag erfasst werden. Solange der Betrag des Arbeitslosengeldes die Grenze des § 21 Abs 5 AlVG nur wegen der Familienzuschläge überschreitet, bleibt die nach § 21 Abs 4 AlVG ermittelte Höhe des Ergänzungsbetrages daher unberührt und es gebühren nur die Familienzuschläge nicht bzw nicht in voller Höhe. Überschreitet aber der Grundbetrag zuzüglich dem Ergänzungsbetrag 80 % des Nettoeinkommens, ist auch der Ergänzungsbetrag entsprechend zu kürzen und im gekürzten Ausmaß (also in Höhe der Differenz zwischen dem täglichen Grundbetrag und 80 % des täglichen Nettoeinkommens) der Berechnung der Notstandshilfe nach § 36 Abs 1 Z 1 AlVG zu Grunde zu legen.

Im vorliegenden Fall findet § 21 Abs 5 AlVG Anwendung, weil der tägliche Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende (2016: € 29,43) zuzüglich dem täglichen Familienzuschlag (€ 0,97) 80 % des Nettoeinkommens (€ 24,52) überschreitet. Das BVwG hat den Ergänzungsbetrag als Differenz zwischen dem täglichen Grundbetrag (€ 16,86) und dem täglichen Ausgleichszulagenrichtsatz (€ 29,43) statt als Differenz zwischen dem täglichen Grundbetrag (€ 16,86) und 80 % des täglichen Nettoeinkommens (€ 24,52) berechnet. Der VwGH weist darauf hin, dass an der Unrichtigkeit der Berechnungsmethode des BVwG nichts ändert, dass das BVwG den sich nach seiner Auffassung aus § 36 Abs 1 Z 1 ergebenden Betrag insgesamt (und nicht nur betreffend die Familienzuschläge iSd § 36 Abs 1 letzter Halbsatz AlVG) einer Deckelung iSd § 21 Abs 5 AlVG unterzogen hat.