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Beweislastverteilung im Entlassungsprozess; Gesamtbild des Verhaltens des Arbeitnehmers ausschlaggebend bei Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit

GREGORKALTSCHMID

Die Kl war bei der Bekl als Marktleiterin beschäftigt. Sie hat einen Gutschein eingelöst, obwohl dies für private Einkäufe nicht erlaubt war. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren ließ sich die Kl zudem von Mitarbeiterinnen wöchentlich bzw 14-tägig 15 bis 20 Brötchen herrichten und bezahlte dafür nur den Materialwert.

Die Bekl entließ die Kl wegen Vertrauensunwürdigkeit. Die Kl erachtete die Entlassung als nicht berechtigt und klagte entsprechende Ansprüche ein.

Das Berufungsgericht sah die Entlassung als berechtigt an. Der OGH erachtete diese Entscheidung als nicht korrekturbedürftig, wies die außerordentliche Revision der Kl mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück und führte aus:

Eine Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt ist für die Verwirklichung des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit nicht erforderlich. Entscheidend ist vielmehr die Vertrauensverwirkung, bei der auch nicht jeder einzelne Vorfall für sich allein beurteilt und damit das Gesamtergebnis zerpflückt werden darf, sondern das Gesamtbild des Verhaltens des AN berücksichtigt werden muss. Einer der dabei zu berücksichtigenden Faktoren ist auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ein AN, der sich während eines langjährigen Arbeitsverhältnisses immer wohlverhalten hat, wird einen größeren Vertrauensvorschuss erwarten dürfen als ein AN, der sich einer Verfehlung bereits schuldig gemacht hat. Zur Relation der Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Schwere des Entlassungsgrundes lassen sich aber keine generellen, von den Umständen des Einzelfalls losgelösten Aussagen treffen.

Das Vorliegen eines Entlassungsgrundes hat der AG zu behaupten und zu beweisen. Der AN trägt dagegen die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen, die die – ansonsten gegebene – Berechtigung zur Entlassung aufheben oder ausschließen.

Die Bekl hat das Fehlverhalten der Kl nachgewiesen. Für die Rechtfertigung im Einzelfall (Zuwendung durch einen Vorgesetzten) wäre daher die Kl beweispflichtig gewesen. Die zur Rechtfertigung getroffene Negativfeststellung wurde somit zu Recht zu Lasten der Kl gewertet.

Dass das Berufungsgericht das gesamte Verhalten der Kl auch vor dem Hintergrund der langen Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als vernachlässigbares Fehlverhalten angesehen hat, stellt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.

Darauf, ob der Kl die Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens etwa aufgrund einer Weisung offenkundig war, kommt es nicht an, es genügt vielmehr, dass ihr diese bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt bewusst werden musste.