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Haftung der Vertreter von Personengesellschaften für Sozialversicherungsbeiträge nur bei Verletzung spezifisch sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen

MONIKAWEISSENSTEINER

Im vorliegenden Fall war die Haftung eines unbeschränkt haftenden und allein vertretungsbefugten Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft (KG) für offene Sozialversicherungsbeiträge strittig. Fraglich war, ob im Hinblick auf den durch das SRÄG 2010, BGBl I 2010/62, neu eingefügten § 58 Abs 5 ASVG die bisherige stRsp des VwGH zur Haftung der Vertreter von Personengesellschaften für Sozialversicherungsbeiträge aufrecht zu erhalten sei.

Der Mitbeteiligte war seit 4.3.2010 unbeschränkt haftender Gesellschafter der Kommanditgesellschaft RM KG und (allein) zur Vertretung dieser Gesellschaft berechtigt. Im Februar 2013 wurde über das Vermögen der KG der Konkurs eröffnet, im Mai 2013 wurde ein Sanierungsplan bestätigt und das Insolvenzverfahren aufgehoben. Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse (GKK) verpflichtete den Mitbeteiligten gem § 67 Abs 10 ASVG, Beiträge für den Zeitraum September 2012 bis Jänner 2013 zu zahlen. Die Beschwerde wurde mit Vorabentscheidung abgewiesen.

Das BVwG gab nach einem Vorlageantrag der Beschwerde Folge. Es verwies auf die stRsp des VwGH, wonach eine die Haftung begründende Pflichtverletzung eines „Vertreters“ nach § 67 Abs 10 ASVG nur hinsichtlich der Erstattung der vorgeschriebenen Meldungen an die Versicherungsträger und der Abfuhr der Beiträge ableitbar sei. Die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft seien auch im neuen § 58 Abs 5 ASVG nicht genannt, weshalb es für diese Gruppe bei der stRsp zu bleiben habe.

Der VwGH hält die Revision der GKK für zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach der seit dem Erk eines verstärkten Senats vom 12.12.2000, 98/08/0191, 0192, stRsp des VwGH müssen als Voraussetzung für eine Haftung gem § 67 Abs 10 ASVG spezifisch sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen (Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs 2 ASVG – nunmehr § 153c Abs 2 StGB – umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener DN-Beiträge) schuldhaft verletzt worden sein. Die Zulässigkeit der Geltendmachung der Haftungsbestimmung des § 67 Abs 10 ASVG wurde damit auf nicht abgeführte, einbehaltene DN-Anteile und auf Beitragsausfälle auf Grund schuldhafter Meldepflichtverletzungen eingeschränkt. Mit dem SRÄG 2010 wurde ein neuer § 58 Abs 5 ASVG geschaffen. Dem genannten Personenkreis („die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen“) wurde die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen der von ihnen Vertretenen übertragen. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen ist daher nunmehr Anknüpfungspunkt der Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG. Insb kann daher – wie in der Rsp vor dem Erk des verstärkten Senates, VwGH 12.12.2000,17498/08/0191 – eine die Haftung begründende Pflichtverletzung auch darin liegen, dass der Vertreter die fälligen (Sozialversicherungs-)Beiträge (ohne rechtliche Grundlage) schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden.

Jedoch werden – anders als in § 67 Abs 10 ASVG – in § 58 Abs 5 ASVG die zur Vertretung von Personenhandelsgesellschaften berufenen Personen nicht genannt. In der Literatur ist eine weite Auslegung des § 58 Abs 5 ASVG, wonach auch diese Personengruppe erfasst sei, zu Recht auf Kritik gestoßen. Unter den Begriff „VertreterInnen juristischer Personen“ können die persönlich haftenden und zur Vertretung berufenen Gesellschafter der Personengesellschaften nicht subsumiert werden. Die Offene Gesellschaft und die Kommanditgesellschaft wurden durch § 105 UGB zwar ausdrücklich für rechtsfähig erklärt, werden jedoch weiterhin nicht als juristische Personen verstanden. Nach den Ausführungen in der Regierungsvorlage und dem eindeutigen Gesetzestext ist mit § 58 Abs 5 ASVG nur eine Angleichung an § 80 BAO erfolgt, wonach die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen (Abs 1) sowie die Vermögensverwalter (Abs 2) alle Pflichten zu erfüllen haben, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen – etwa durch eine Ungleichbehandlung von Abgabenschulden im Verhältnis zu anderen Verbindlichkeiten – kann für den erfassten Personenkreis zu einer Haftung gem § 9 Abs 1 iVm § 80 BAO führen. Die Übertragung der abgabenrechtlichen Pflichten einer „Personenvereinigung (Personengemeinschaft) ohne eigene Rechtspersönlichkeit“ an die zur „Führung der Geschäfte bestellten Personen“ erfolgt dagegen durch § 81 BAO. Erst mit dieser Bestimmung werden in der BAO somit die Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaften von der Haftung erfasst. Eine Angleichung an § 81 BAO ist aus dem Text des § 58 Abs 5 ASVG aber nicht abzuleiten und war nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage auch nicht beabsichtigt.

Auch die Entstehungsgeschichte (vgl Müller in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 67) spricht gegen eine Einbeziehung, weil im Ministerialentwurf noch ein gesonderter § 67 Abs 11 ASVG vorgesehen war, der jedoch nicht Gesetz wurde. Es ist davon auszugehen, dass eine Haftung nach Gesellschaftsrecht als ausreichend angesehen wurde. Es liegt daher keine planwidrige Lücke vor und § 81 BAO kann nicht analog angewendet werden.

Es ergibt sich somit, dass § 58 Abs 5 ASVG die Vertreter der Personengesellschaften nicht umfasst. Für diesen Personenkreis bleibt es daher iSd Erk des verstärkten Senates VwGH vom 12.12.2000, 98/08/0191, dabei, dass spezifisch sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen, deren Verletzung ihre persönliche Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG begründen können, nur die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie das Verbot des § 153c Abs 2 StGB, Beiträge eines DN zur SV dem berechtigten Versicherungsträger vorzuenthalten, sind. Eine derartige Verletzung lag im vorliegenden Sachverhalt nach den unbekämpften Feststellungen nicht vor, weshalb der Haftungsbescheid zu Recht ersatzlos behoben wurde.