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Die Verwendung von Fraktionsstimmzettel bei der Betriebsratswahl ist zulässig

MARTINACHLESTIL

Bei einer Betriebsratswahl traten die nun klagende wahlwerbende Gruppe „Liste 2“ und eine andere wahlwerbende Gruppe „Liste 1“ an. Der Wahlvorstand legte einheitliche Stimmzettel auf, auf welchen beide wahlwerbenden Gruppen samt der jeweiligen Kurzbezeichnung angeführt waren. Die andere wahlwerbende Gruppe Liste 1 erstellte persönliche Stimmzettel, die von der Gestaltung her den einheitlichen Stimmzetteln entsprachen, wobei anstatt des Aufdrucks Liste 1 und 2 und der jeweiligen Bezeichnung und Kurzbezeichnung nur ein Name eines ihrer Kandidaten aufgestempelt war. Die kl wahlwerbende Gruppe Liste 2 verwendete keine persönlichen Stimmzettel. Das Wahlergebnis ergab sämtliche 17 Mandate für Liste 1 und kein Mandat für Liste 2.

Die wahlwerbende Gruppe Liste 2 begehrte mit ihrer Klage, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären, ua wegen Verwendung von sogenannten Fraktionsstimmzetteln durch die andere wahlwerbende Gruppe, die bei der Auszählung dieser zugerechnet und zudem auch noch unmittelbar vor den Wahllokalen verteilt wurden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auch der von der Kl beim VfGH eingebrachte Antrag,152die Bestimmungen der BRWO, welche die Verwendung eines „anderen“ als des einheitlichen Stimmzettels zulassen, wegen Verstoßes gegen § 56 ArbVG als gesetzwidrig aufzuheben, wurde vom VfGH (8.6.2017, V 15/2017) abgelehnt. Das Berufungsgericht erklärte die Wahl hingegen für rechtsunwirksam. Der OGH stellte das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wieder her.

Nach § 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG liegt ein Anfechtungsgrund ausdrücklich nicht vor, wenn trotz eines aufgelegten einheitlichen Stimmzettels Wahlberechtigte mittels anderer Stimmzettel wählen. Die Verwendung eines anderen Stimmzettels erfolgt nach den Gesetzesmaterialien „zulässigerweise“, also rechtmäßig. Auch ein „Fraktionsstimmzettel“, den eine andere wahlwerbende Gruppe den Wählern zur Verfügung stellt, ist ein „anderer Stimmzettel“ nach dem ArbVG; der OGH schließt sich damit der einhelligen Auffassung in der Literatur an.

Indem – wie im vorliegenden Fall – der Vorsitzende des Wahlvorstands dem Wähler beim Betreten des Wahllokals einen undurchsichtigen leeren Umschlag (Wahlkuvert) und einen einheitlichen Stimmzettel ausfolgte, wurde dem Gesetz genüge getan und sichergestellt, dass jeder Wähler in der Wahlzelle in seiner Entscheidung frei war, den persönlichen Stimmzettel (Fraktionsstimmzettel) zu verwenden oder auch nicht (§ 24 Abs 3 Satz 1 iVm § 21a BRWO).

Wenn nun ein Wähler sowohl den „amtlichen“ Stimmzettel, ohne darauf eine der beiden wahlwerbenden Gruppe angekreuzt zu haben, als auch den vor dem Wahllokal verteilten (Fraktions-)Stimmzettel in das Wahlkuvert legte, so stellt dies eine gültige Stimmabgabe dar, wenn eindeutig zu erkennen ist, welchen Wahlvorschlag der Wähler wählen wollte (§ 24 Abs 5b Satz 1 BRWO). Ersterer war mangels Ankreuzens ungültig (§ 24 Abs 6 Z 1 BRWO), letzterer lässt den Wählerwillen eindeutig erkennen, weil auf dem Fraktionsstimmzettel der Name eines Kandidaten der betreffenden wahlwerbenden Gruppe gestempelt war (vgl § 24 Abs 5b Satz 2 BRWO); damit hat der Wähler eindeutig zu erkennen gegeben, dass er seine Stimme der betreffenden Fraktion (wahlwerbenden Gruppe) geben wollte.

Die BRWO erklärt zwar die Bestimmung der NRWO über die Wahlzelle, nicht aber jene über die Verbotszone für anwendbar. Damit gibt es bei einer Betriebsratswahl keine Verbotszone. Durch die Verteilung der Fraktionsstimmzettel am Gang vor dem Wahllokal wurde entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch keine Situation geschaffen, die (tragfähige) Rückschlüsse auf das Wahlverhalten zugelassen hätte, sodass das absolute Wahlgeheimnis verletzt wäre. Es ist zwar richtig, dass bei einem Wähler, der die Wahlzelle mit dem Fraktionsstimmzettel in der Hand wieder verlässt, ein Anschein besteht, dass er nicht diese wahlwerbende Gruppe gewählt hat. Es ist aber jedem Wähler leicht möglich, zwecks Vermeidung des genannten Anscheins den nicht verwendeten Fraktionsstimmzettel beim Verlassen der Wahlzelle zu verbergen, zB in der Hosentasche oder Handtasche. Die Verteilung der Fraktionsstimmzettel am Gang vor dem Wahllokal stellte im vorliegenden Fall daher ebenfalls keinen Anfechtungsgrund dar.

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Urteil sowie dem zitierten VfGH-Erk durch Schneller erfolgt in Heft 4/2018 von DRdA.