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Entlassung eines Betriebsratsmitglieds wegen privaten Wut-Postings auf Facebook nicht gerechtfertigt

GERDAHEILEGGER
§ § 121 Z 3, 122 Abs 1 Z 2, 3 und 5 ArbVG

Verfasst ein Betriebsratsmitglied privat und ohne Bezugnahme auf seine Arbeitsstelle ein beschimpfendes Wut-Posting auf Facebook (als Reaktion auf die auf der entsprechenden Seite bereits vorhandenen Postings), so ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Grenzen zur qualifizierten Ehrverletzung überschritten wurden und deshalb ein Entlassungsgrund gem § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG vorliegt.

Außerdienstliche (private) Verhaltensweisen können zwar den Entlassungsgrund der Untreue gem § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG erfüllen, es muss sich allerdings eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsverhältnis herstellen lassen, sodass ein Rückschluss oder eine Auswirkung auf das Ansehen des AG naheliegt. Die bloße Angabe des Arbeitsplatzes auf dem Facebook-Profil ist dafür nicht ausreichend.

SACHVERHALT

(zum besseren Verständnis der Leser ergänzt um Sachverhaltsfeststellungen des Berufungsgerichts, OLG Wien 10 Ra 58/17y ARD 6582/7/2018 [Anm der Bearbeiterin])

Der bekl AN ist im Betrieb des kl AG als Koch beschäftigt und Vorsitzender des Arbeiterbetriebsrates.153

Im Oktober 2015 kommentierte der AN zwei Tage vor der Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahl ein Posting der Facebook-Seite „Strache verhindern“, das ua ein Foto nationalsozialistischer Wiederbetätigung (Hitlergruß) gezeigt hat. Als Antwort auf zahlreiche Kommentare von dem Bekl unbekannten Facebook-Nutzern, die zT den Politiker Heinz-Christian Strache und die FPÖ-Anhänger implizit (und teilweise auch ausdrücklich) als Nazis bezeichneten und Beschimpfungen beinhalteten, schrieb der AN aus Zorn über die Beschimpfungen der FPÖ-Sympathisanten folgenden Kommentar: „Ihr linkslinken Dummschwätzer habt wohl mächtig Angst vor Sonntag!! Besser wäre es für euch Parasiten, ihr sucht euch eine Arbeit! Linkes Dreckspack!!!“ In weiterer Folge löschte der Bekl seinen Kommentar wieder.

Da der AN auf seinem Facebook-Profil angegeben hatte, dass er beim kl Unternehmen beschäftigt ist, wurde er vom AG nach Bekanntwerden des Postings entlassen. Mit der Klage begehrt der AG die nachträgliche (in eventu vorherige) Zustimmung zur Entlassung des Bekl, in eventu die vorherige Zustimmung zu dessen Kündigung.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht sahen die Voraussetzungen für die gerichtliche Zustimmung zur Entlassung als nicht gegeben an und wiesen die Begehren mit übereinstimmender Begründung ab. Die außerordentliche Revision wurde vom OGH zurückgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

2.1. […] Die Frage, ob ein Entlassungsgrund (Auflösungsgrund) verwirklicht ist und ob das dem Arbeitnehmer angelastete Fehlverhalten derart schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht mehr zugemutet werden kann, stellt eine typische Frage des Einzelfalls dar (8 ObA 41/16m; 8 ObA 49/17i). Einzelfallentscheidungen kommt in der Regel keine erhebliche Bedeutung zu, die die Zulässigkeit der Revision begründen würde (RIS-Justiz RS0105940). Der Kläger erkennt selbst, dass für die Verwirklichung der einzelnen Auflösungstatbestände die Erheblichkeitsschwelle überschritten sein müsste. Den Vorinstanzen kommt im Rahmen dieser Beurteilung im Allgemeinen ein keineswegs enger Entscheidungsspielraum zu.

2.2 Im Anlassfall gehen die Vorinstanzen zutreffend von vollkommen unangebrachten beleidigenden Entgleisungen des Beklagten aus, verneinen aber zu den einzelnen Auflösungsgründen das Vorliegen der jeweils erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen bzw die geforderte Eingriffs- oder Verletzungsintensität. Der Kläger stellt diese Würdigung der Vorinstanzen zwar infrage, vermag letztlich aber keine Gründe darzulegen, die die Entscheidung des Berufungsgerichts als unvertretbar erscheinen lassen.

Die Vorinstanzen stellen bei ihrer Beurteilung zu § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG iVm § 283 StGB nicht in Abrede, dass ein politisches Lager unter dem Begriff der ‚Weltanschauung‘ subsumiert werden kann. Sie gehen aber davon aus, dass der Beklagte nach seinen auch nach außen hin erkennbaren Intentionen – zumal seine Facebook-Äußerungen im Oktober 2015 als Reaktion auf eine konkrete Facebook-Seite erfolgten, auf die er antwortete und Bezug nahm – die konkreten Facebook-Nutzer dieser Seite treffen wollte. Diese Beurteilung ist durchaus vertretbar. Das Gleiche gilt für die Wertung der Vorinstanzen, dass die in Rede stehenden Äußerungen zwar ein Beschimpfen darstellten, aber die Grenzen zur qualifizierten Ehrverletzung noch nicht überschritten hätten. Damit steht durchaus auch im Einklang, dass die Staatsanwaltschaft Wien von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts nach § 283 Abs 1 und 2 StGB aufgrund des Fehlens eines Anfangsverdachts absah. Zum Tatbestand der Untreue (§ 122 Abs 1 Z 3 ArbVG) stellen die Vorinstanzen nicht in Abrede, dass auch außerdienstliche (private) Verhaltensweisen diesen Entlassungsgrund erfüllen können. Der Kläger ist in diesem Zusammenhang mit seiner Ansicht im Recht, dass das inkriminierte Verhalten nicht dem Arbeitgeber zurechenbar, also als dessen Meinung anzusehen sein muss. Allerdings muss sich eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsverhältnis herstellen lassen, sodass ein Rückschluss oder eine Auswirkung vor allem auf das Ansehen des Arbeitgebers naheliegt. Das Berufungsgericht stützte seine Beurteilung in diesem Zusammenhang vor allem auf die Überlegung, dass aus dem Facebook-Posting aus Oktober 2015 nicht abzuleiten sei, dem Beklagten sei es darum gegangen, die dienstlichen Interessen des Klägers zu gefährden. Damit verneinte das Berufungsgericht ein vorsätzliches Verhalten in Bezug auf eine schwere Treuepflichtverletzung. […]

3. Insgesamt hält sich die Schlussfolgerung der Vorinstanzen, der Beklagte habe keinen der ins Treffen geführten Auflösungsgründe verwirklicht, weshalb die geforderte gerichtliche Zustimmung nicht zu erteilen sei, im Rahmen der Rechtsprechung. Mangels erheblicher Rechtsfrage war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.“

ERLÄUTERUNG

Betriebsratsmitglieder stehen unter dem besonderen Entlassungsschutz des § 122 ArbVG, dem zu Folge für die Rechtswirksamkeit der Entlassung die Zustimmung des Gerichts erforderlich ist. Diese darf nur bei Vorliegen der dort taxativ aufgezählten Voraussetzungen erteilt werden. In den Fällen des § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG (Entlassung wegen gerichtlich strafbarer Handlung) und des § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG (Tätlichkeiten oder er-154hebliche Ehrverletzungen gegen Betriebsinhaber/AN des Betriebes) kann die Zustimmung des Gerichtes auch nachträglich eingeholt werden. In den anderen Entlassungstatbeständen sowie bei Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes gem § 121 ArbVG ist die gerichtliche Zustimmung vorab einzuholen.

Hinsichtlich des Facebook-Postings wurde zunächst der Entlassungstatbestand des § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG geprüft. Dieser verlangt das Vorliegen einer mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten oder mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Vorsatztat. Da bei dem Facebook-Posting offensichtlich kein Bereicherungsvorsatz vorlag, ist die Strafandrohung der in Frage kommenden Delikte entscheidend: Beleidigung (§ 115 StGB) und üble Nachrede (§ 111 StGB, auch in qualifizierter Form gem Abs 2) erfüllen die Anforderung an die Strafdrohung nicht, anders hingegen die Verhetzung (§ 283 StGB) mit Androhung einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Das befasste Arbeitsgericht hat das Vorliegen der strafbaren Handlung als Vorfrage selbst zu prüfen und kam hier zu dem Schluss, dass zwar ein Beschimpfen iS einer in beleidigenden Worten oder Handlungen zum Ausdruck gebrachten Missachtung eines anderen vorliege, dass allerdings die Grenze zur Beschimpfung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise nicht überschritten und somit der Tatbestand der Verhetzung nicht erfüllt worden sei.

Für die Verwirklichung des zweiten geprüften Entlassungsgrundes, der Untreue gem § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG (nicht zu verwechseln mit dem strafrechtlichen Vermögensdelikt der Untreue gem § 153 StGB) fehlt wiederum die Zurechenbarkeit des Facebook-Postings zum Arbeitsverhältnis („Wer im Dienste untreu ist …“). Der Bekl hat das Posting als Privatperson ohne Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis verfasst. Die bloße Angabe des Arbeitsplatzes auf dem Facebook-Profil des Bekl ist demnach nicht geeignet, einen hinreichenden Bezug zum Arbeitsplatz herzustellen. Damit verneinte das Berufungsgericht ein vorsätzliches Verhalten in Bezug auf eine schwere Treuepflichtverletzung.

Als dritter Tatbestand für eine mögliche Zustimmung zur Entlassung wurde noch die Ehrverletzung gem § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG geprüft. Diese kommt für das Facebook-Posting nicht zum Tragen, da hierfür Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Betriebsinhaber, dessen im Betrieb tätige oder anwesende Familienangehörige oder AN des Betriebes erforderlich sind. Weiters wäre nicht erkennbar, dass durch diesen Facebook-Kommentar eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsratsmitglied und dem AG nicht mehr zu erwarten wäre.

In der Beurteilung weiterer, von ihm nicht näher ausgeführter Verhaltensweisen des Bekl hält sich der OGH kurz und stellt fest, dass auch hier die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass keine erhebliche Ehrverletzung iSd § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG oder beharrliche Pflichtverletzung iSd § 121 Z 3 ArbVG vorläge, sich im Rahmen des ihm zukommenden Entscheidungsspielraums halte. Damit wurde klargestellt, dass nicht nur der Entlassungsschutz des § 122 ArbVG, sondern auch der Kündigungsschutz des § 121 ArbVG im vorliegenden Fall greifen, und somit die Zustimmung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zu erteilen ist.