190

Berufung auf Verfallsklausel bei nicht ordnungsgemäßer Lohnabrechnung nicht immer treuwidrig

ANDREASWELLENZOHN

Die Kl machte nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses Ansprüche gerichtlich geltend. Die Bekl hielt diesen Ansprüchen eine kollektivvertragliche Verfallsklausel entgegen, wobei der KollV für den Beginn der Verfallsfrist nicht auf eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung, sondern auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellte.

Der OGH wies die außerordentliche Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück.

Die Rsp, dass ein AG, der seiner kollektivvertraglichen Verpflichtung zur monatlichen Lohnabrechnung nicht nachgekommen ist, gegen Treu und Glauben verstoße, wenn er sich auf eine Verfallsklausel im KollV beruft, ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die Verletzung der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung ohne weiteres und immer dem AG das Recht nimmt, den Verfall von Ansprüchen einzuwenden. Ein allgemeiner Rechtssatz, dass sich der AG immer dann nicht auf die Verfallsklausel aus einem KollV berufen könne, wenn er selbst gegen kollektivvertragliche Bestimmungen verstoßen habe, ist dem Gesetz nach stRsp fremd.

Die Berufung auf eine für sich allein betrachtet noch nicht sittenwidrige Verfallsklausel kann lediglich unter gewissen weiteren Umständen sittenwidrig sein: Etwa dann, wenn der AG dem AN die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs in einer Art und Weise erschwert oder praktisch unmöglich macht, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt. Dafür, dass der AG dem AN die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs erschwert oder praktisch unmöglich macht, trifft den AN die Behauptungs- und Beweislast. Eine solche Behauptung stellte die Kl hier nicht auf.

Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt jedenfalls auch dann vor, wenn dem AG ein bewusstes rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen wäre, das von der Absicht getragen ist, die Anspruchsdurchsetzung durch den AN zu verhindern oder zumindest ernsthaft zu erschweren. Auch eine solche Behauptung stellte die Kl nicht auf.

Eine Berufung auf eine kollektivvertragliche Verfallsfrist verstößt weiters dann gegen Treu und Glauben, wenn es der AG beharrlich unterlassen hat, dem AN eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung iSd KollV auszufolgen. Auch dieser Rsp liegt im Wesentlichen zugrunde, dass der AG durch sein Verhalten die Geltendmachung der Ansprüche erschwert oder praktisch unmöglich macht. Es wäre also auch hier, wo der KollV für den Beginn der Frist nicht auf eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung, sondern die Beendigung des Dienstverhältnisses abstellt, vom AN zu behaupten und zu beweisen, dass ihm der AG die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs erschwert oder praktisch unmöglich machte.

Ob ein Verhalten des AG als gegen Treu und Glauben verstoßend anzusehen ist, kann immer nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls beurteilt werden und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Eine vom OGH im vorliegenden Fall aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vermag die Kl nicht darzustellen.