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Anfechtung von Abfertigungsraten einer Minderheitsgesellschafterin

MARGITMADER

Der in § 31 Abs 1 Z 2 IO normierte Tatbestand des Kennenmüssens der Zahlungsunfähigkeit ist dann erfüllt, wenn die Unkenntnis des Anfechtungsgegners auf einer Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt beruht; es genügt leichte Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners. Die Frage, ob dem Anfechtungsgegner fahrlässige Unkenntnis zur Last fällt, ist nach den ihm im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung zu Gebote stehenden Auskunftsmitteln zu beantworten.

Ist eine AN der Schuldnerin gleichzeitig auch deren (Minderheits-)Gesellschafterin, so hat sie gegenüber der Gesellschaft einen grundsätzlich unbeschränkten, alle Angelegenheiten der Gesellschaft umfassenden, auch außerhalb der Generalversammlung zustehenden Informationsanspruch (§ 22 GmbHG) als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der ihr zustehenden Prüfungs- und Leitungsaufgaben. Sie hat deshalb die Möglichkeit und Pflicht, im Fall des Vorliegens von Insolvenzindikatoren Nachforschungen anzustellen, dh Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin zu nehmen.

SACHVERHALT

Die Bekl war von 1.9.2002 bis 31.12.2012 bei der Schuldnerin als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Im Jänner 2008 erhielt sie vom Geschäftsführer als Bonus für ihre guten Leistungen einen Geschäftsanteil von € 1.274,- an der GmbH übertragen. An ihrer Stellung im Unternehmen änderte sich dadurch nichts. Die Bekl war nie in die Geschäftsführung bzw in Entscheidungen der Geschäftsleitung eingebunden. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des AG.

Die finanzielle Lage des AG war zumindest seit dem Jahr 2013 äußerst angespannt. Mit Beschluss vom 16.1.2014 wurde über das Vermögen des AG das Insolvenzverfahren eröffnet und die Kl zur Insolvenzverwalterin bestellt.

Die Bekl wusste bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Dezember 2012 nicht über die schlechte finanzielle Lage des Unternehmens Bescheid. Von der Insolvenzeröffnung erfuhr sie erst durch ein Email des Geschäftsführers im Jänner 2014.

Der Anspruch der Bekl auf Abfertigung für vier Monatsentgelte betrug € 25.223,33 netto. Im Oktober 2012 vereinbarte die Bekl mit dem AG die Auszahlung ihres Abfertigungsanspruchs in vier gleichen Teilbeträgen à € 6.300,- mit Fälligkeit zum 1.1., 28.2., 29.3. und 30.4.2013. Der AG hielt die Fälligkeitstermine jedoch nicht ein und traf mit der Bekl im März 2013 eine neue Ratenvereinbarung. Diese sah vor, dass die Abfertigung bis Juni 2013 in sechs Teilbeträgen beglichen werde. Auch diese Ratenvereinbarung hielt der AG nicht ein. Er zahlte der Bekl nur € 12.000,- in vier Raten à € 3.000,-, jeweils am 19.8., 30.9., 8.11. und 13.12.2013. Die Bekl hinterfragte die finanzielle Situation der Schuldnerin nicht und kümmerte sich nicht darum, aus welchem Grund die vereinbarten Raten nicht beglichen wurden.

Die Kl focht die vier geleisteten Teilzahlungen wegen fahrlässiger Unkenntnis der Bekl von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin an. Die Bekl wendete ein, sie habe weder Kenntnis von der finanziellen Lage der Schuldnerin gehabt, noch sei ihr fahrlässige Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin anzulasten.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Bekl hätte die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bekannt sein müssen. Es gehöre zur allgemeinen Lebenserfahrung, dass mit einer Gesellschafterposition Rechte und Pflichten verbunden seien. Da sie keinerlei Erkundigungen eingeholt habe, obwohl ihr die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Jahresabschlüsse der Gesellschaft und die Teilnahme an Gesellschafterversammlungen jederzeit offen gestanden wäre, sei sie in fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gewesen, was den Anfechtungstatbestand des § 31 Abs 1 Z 2 IO erfülle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Für das in § 31 Abs 1 Z 2 IO normierte Tatbestandsmerkmal des „Kennenmüssens“ genüge leichte Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners. Von bloßen AN seien in der Regel kaum Nachforschungen über die Vermögensverhältnisse des (ehemaligen) AG zu verlangen, zumal ihnen solche üblicherweise kaum möglich seien. Die Bekl hätte sich als Gesellschafterin der Schuldnerin zwar Einblick in deren wirtschaftliche Situation verschaffen können. Nach den Feststellungen hätten aber für sie keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine wirtschaftliche Krise der Schuldnerin bestanden, die sie in Ausübung ihrer gesellschaftsrechtlichen Einsichtsrechte zu entsprechenden Nachforschungen veranlassen hätten müssen. Die Vereinbarung und schleppende Erfüllung von Ratenzahlungen habe für sich allein ohne das Hinzutreten weiterer, hier nicht festgestellter Umstände kein ausreichendes Indiz für eine krisenhafte Situation der Schuldnerin dargestellt,359das Nachforschungspflichten der Bekl hinsichtlich einer allfälligen Zahlungsunfähigkeit auslösen hätte müssen. Damit sei aber eine fahrlässige Unkenntnis der Bekl von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu verneinen.

Der OGH gab der Revision der Kl statt und stellte das Urteil des Erstgerichts wieder her.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Nach ständiger Rechtsprechung dienen die Anfechtungstatbestände der §§ 30 und 31 IO dem Schutz des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger (par conditio creditorum): Der Anfechtungserfolg soll die Konkursmasse so stellen, als ob der Konkurs schon bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (der relevanten Überschuldung) eröffnet worden wäre. Dementsprechend soll ein Gläubiger jene Zahlung (oder Sicherstellung), die er von seinem Schuldner nach Eintritt der Insolvenzvoraussetzungen (aber noch vor Einleitung des gesetzlichen Verfahrens, das die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherstellen soll) erlangt hat, wieder in den der Befriedigung aller Gläubiger dienenden Fonds (die Konkursmasse) der Schuldnerin zurückstellen (RIS-Justiz RS0064417 [T2]; jüngst 3 Ob 5/18h).

2. Dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen materiell insolvent war, ist unstrittig; nach den Feststellungen war der Beklagten dieser Umstand nicht positiv bekannt. Der in § 31 Abs 1 Z 2 IO normierte Tatbestand des Kennenmüssens der Zahlungsunfähigkeit ist dann erfüllt, wenn die Unkenntnis des Anfechtungsgegners auf einer Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt beruht; es genügt leichte Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners (RIS-Justiz RS0064672; RS0064379).

3. Die Frage, ob dem Anfechtungsgegner fahrlässige Unkenntnis zur Last fällt, ist nach den ihm im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung zu Gebote stehenden Auskunftsmitteln, dem Maß ihrer ihm vernunftgemäß zuzumutenden Heranziehung und der Ordnungsmäßigkeit ihrer Bewertung zu beantworten (RIS-Justiz RS0064794; König, Anfechtung5 Rz 11/25 mwN). Die Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise müssen Anlass sein, mit zumutbaren Mitteln Erkundigungen einzuziehen (RIS-Justiz RS0064794 [T2]).

4. Es kann jeweils nur im Einzelfall entschieden werden, ob gewisse Anzeichen einer wirtschaftlich schlechten Lage den Anfechtungsgegner zu Nachforschungen verpflichten oder ob keine Pflicht zu näheren Erkundigungen gegeben ist (RIS-Justiz RS0042837). Bei einem ‚außenstehenden‘ Gläubiger (also etwa nicht der Hausbank: 6 Ob 70/97f) ist grundsätzlich Zurückhaltung angebracht, weil diesem in der Regel nur seine eigenen Eintreibungsschritte bekannt sind und weitere Nachforschungen üblicherweise mangels geeigneter Informationsmöglichkeiten wenig Aussicht auf Erfolg haben (RIS-Justiz RS0064682 [T9]). Dennoch ist nach der Rechtsprechung an die Sorgfaltspflicht bestimmter (‚außenstehender‘) Großgläubiger, zu denen insbesondere Sozialversicherungsträger gehören, ein strenger Maßstab anzulegen, weil sie über entsprechende Ressourcen zur Bonitätsüberwachung ihrer Schuldner verfügen (RIS-Justiz RS0064682 [T12]). Sie sind etwa dann zu Nachforschungen verpflichtet, wenn getroffene Ratenvereinbarungen nicht mehr eingehalten werden (3 Ob 5/18h mwN; RIS-Justiz RS0064682 [T10]).

5. Die Beklagte ist zwar zweifellos keine Großgläubigerin. Umgekehrt war sie aber auch nicht nur eine Arbeitnehmerin der Schuldnerin, sondern – unter anderem – deren (Minderheits-)Gesellschafterin. Als solche hatte sie gegenüber der Gesellschaft einen grundsätzlich unbeschränkten, alle Angelegenheiten der Gesellschaft umfassenden, auch außerhalb der Generalversammlung zustehenden Informationsanspruch (§ 22 GmbHG) als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der ihr zustehenden Prüfungs- und Leitungsaufgaben (RIS-Justiz RS0105318 [T1]). Sie hätte deshalb die Möglichkeit gehabt, im Fall des Vorliegens von Insolvenzindikatoren Nachforschungen anzustellen, dh Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin zu nehmen. Dass ihr solche Nachforschungen unzumutbar gewesen wären, behauptet die Beklagte gar nicht.

6. Zur Zeit der Leistung der angefochtenen Zahlungen lagen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts für die Beklagte eindeutige Insolvenzindikatoren vor: Aus dem Umstand ihrer Kündigung musste die Beklagte zwar entgegen der Auffassung der Klägerin noch nicht auf eine schlechte wirtschaftliche Lage des Unternehmens der Schuldnerin schließen. Allerdings hielt die Schuldnerin, die die Abfertigung von Anfang an nicht bei Fälligkeit (31. Dezember 2012) begleichen konnte, nicht nur die erste, im Oktober 2012 getroffene Ratenvereinbarung nicht ein, sondern auch die zweite, die im März 2013 getroffen wurde und – mangels erfolgter Zahlungen – vorsah, dass die Beklagte die Abfertigung nunmehr in sechs (statt ursprünglich vereinbart vier) Raten bis zum 23. Juni 2013 (statt bis Ende April 2013) erhalten sollte. Auch wenn die Beklagte vom […] Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31. Dezember 2012 frühestens bei Erhalt der zweiten angefochtenen Zahlung Kenntnis haben konnte, musste sie daher schon angesichts der Nichteinhaltung der beiden Ratenvereinbarungen im Zeitpunkt des Eingangs der im Zeitraum 19. August bis 13. Dezember 2013 geleisteten Teilzahlungen, die insgesamt nicht einmal die Hälfte der ihr zustehenden Abfertigung ausmachten, erhebliche Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin haben.

7. Da es die Beklagte trotz dieser Krisenanzeichen unterließ, sich über die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin zu informieren, war sie in fahrlässiger Unkenntnis deren Zahlungsunfähigkeit, weshalb die Anfechtung berechtigt und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen ist. […]“360

ERLÄUTERUNG

Das Konkursverfahren umfasst das gesamte Vermögen des Schuldners, soweit es der Exekution unterliegt. Es gelten – im Gegensatz zur Einzelvollstreckung (Singularexekution) – die Grundsätze der Universalität und der Parität (Universalexekution). Das Konkursverfahren bewirkt eine verhältnismäßige Befriedigung der Gläubiger, dh alle Gläubiger sind grundsätzlich gleichgestellt (par conditio creditorum).

Die Anfechtungstatbestände der §§ 30 und 31 IO dienen nach stRsp dem Schutz des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger: Durch eine erfolgreiche Anfechtung soll die Konkursmasse so gestellt werden, als ob der Konkurs schon bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (der relevanten Überschuldung) eröffnet worden wäre. Dementsprechend hat ein Gläubiger jene Zahlung (oder Sicherstellung), die er von seinem Schuldner nach Eintritt der Insolvenzvoraussetzungen – aber noch vor Einleitung des Insolvenzverfahrens – erlangt hat, wieder an den der Befriedigung aller Gläubiger dienenden Fonds (die Konkursmasse) zurückzuerstatten. Anfechtbar gem § 31 Abs 1 Z 2 IO sind jene Rechtshandlungen des Schuldners, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden, durch die ein Insolvenzgläubiger – der nicht naher Angehöriger des Schuldners ist – Sicherstellung oder Befriedigung erlangt, sowie alle vom Schuldner mit anderen Personen eingegangenen, für die Gläubiger unmittelbar nachteiligen Rechtsgeschäfte, wenn dem anderen Teil die Zahlungsunfähigkeit oder der Eröffnungsantrag bekannt war oder bekannt sein musste. Der Tatbestand des Kennenmüssens der Zahlungsunfähigkeit ist dann erfüllt, wenn die Unkenntnis des Anfechtungsgegners auf einer Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt beruht; wobei leichte Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners genügt. Die Frage, ob dem Anfechtungsgegner fahrlässige Unkenntnis zur Last fällt, ist nach den ihm im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung zu Gebote stehenden Auskunftsmitteln zu beurteilen. Die Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise müssen Anlass sein, mit zumutbaren Mitteln Erkundigungen einzuziehen. Ob gewisse Anzeichen einer wirtschaftlich schlechten Lage den Anfechtungsgegner zu Nachforschungen verpflichten, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

Die Bekl war nicht nur AN der Schuldnerin, sondern auch deren (Minderheits-)Gesellschafterin. Aufgrund des ihr nach § 22 GmbHG zustehenden unbeschränkten Informationsanspruchs hätte sie daher die Möglichkeit gehabt, Nachforschungen anzustellen, dh Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin zu nehmen. Zu diesen Nachforschungen wäre die Bekl nach Ansicht des OGH aufgrund der Sachlage (Ratenangebot zur Begleichung der fälligen Abfertigung, mehrfaches Nicht-Einhalten der Ratenvereinbarungen, Teilzahlungen in der Höhe von nicht einmal der Hälfte der zustehenden Abfertigung) auch verpflichtet gewesen. Da es die Bekl trotz dieser Anzeichen unterließ, sich über die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin zu informieren, befand sie sich in fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit.

Die Anfechtung war somit berechtigt und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

ANMERKUNG DER BEARBEITERIN:
Die Übertragung von Gesellschaftsanteilen an Mitarbeiter bringt nicht nur Rechte, wie zB einen unbeschränkten Informationsanspruch, sondern auch Pflichten (Prüfungs- und Leitungsaufgaben) mit sich. Werden die bestehenden Möglichkeiten nicht wahrgenommen, liegt Fahrlässigkeit des AN vor, die, wie im Anlassfall weitreichende Folgen nach sich ziehen kann.