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Betriebsübergang bei einem Reinigungsunternehmen: Übernahme der Arbeitnehmer ausschlaggebend

MARTINACHLESTIL

Im vorliegenden Fall war fraglich, ob ein Betriebsübergang iSd § 3 Abs 1 AVRAG vorliegt: Der Bruder des Bekl führte ein Reinigungsunternehmen. Den Mitarbeitern wurde mitgeteilt, dass sie aus finanziellen Gründen nicht weiterbeschäftigt werden könnten, weshalb sie gekündigt würden, sie könnten aber zwei Wochen später beim Bekl, der etwa zwei Monate zuvor ein eigenes Reinigungsunternehmen gegründet hatte, anfangen. 31 dieser Mitarbeiter – dabei handelt es sich um die Hälfte der Belegschaft – meldeten sich in der Folge beim Bekl und wurden angestellt.

Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen (RIS-Justiz RS0082749). Dabei ist iS eines beweglichen Systems eine Gesamtbewertung der einzelnen Umstände vorzunehmen, zumal der Betriebsübergang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen ist. Derartige Umstände sind beispielsweise die Übernahme der materiellen und immateriellen Betriebsmittel und des Großteils der Belegschaft, die allfällige Ähnlichkeit der vor und nach der Übernahme verrichteten Tätigkeit, der Übergang der Kundschaft und die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit (RIS-Justiz RS0082749).

Dem Kriterium der unterschiedlichen Tätigkeiten in Betrieben bzw den unterschiedlichen Produktions- und Betriebsmethoden kommt dabei deshalb erhebliches Gewicht zu, da sich daraus ergibt, welche Bedeutung dem Übergang der materiellen und immateriellen Betriebsmittel sowie der Belegschaft jeweils zuzumessen ist. So sind bei bestimmten Arten von Betrieben, etwa im Reinigungsgewerbe, eben typischerweise nur die Belegschaft und deren Organisation wesentlich, nicht aber die materiellen Betriebsmittel oder Reinigungsmittel etc (OGH 23.1.2004, 8 ObA 122/03d; OGH 24.10.2005, 9 ObA 154/05w; OGH 29.4.2009, 9 ObA 22/09i). In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, wurden Betriebsübergänge teilweise auch ausschließlich aufgrund der Übernahme von AN bejaht, weil auch eine Gesamtheit von AN, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit iSd Richtlinie darstellen kann. Der Übergang kann daher auch durch die Weiterführung der Tätigkeit und die Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals bewirkt werden (OGH 22.2.2011, 8 ObA 41/10b; EuGH 10.12.1998, C-127/96, C-229/96, C-74/97, Hernández Vida SA gegen Prudencia Gòmes Pèrez ua, Rz 32; EuGH 11.3.1997, Süzen gegen Zehnacker Gebäudereinigung GmbH Krankenhausservice, Rz 21 ua).

Dass der Bekl im vorliegenden Fall nicht alle AN übernahm, steht vor diesem Hintergrund nach Ansicht des OGH der Annahme eines Betriebsübergangs nicht entgegen, zumal die Übernahme der Mitarbeiter hier auf der erkennbaren Absicht beruhte, die bisherige Geschäftstätigkeit fortzuführen, und es nicht etwa nur darum ging, einen vom Übergang unabhängig gestiegenen Personalbedarf zu decken. Vielmehr versuchte der Bekl, der zuvor nur fünf AN hatte, nach Übernahme der Belegschaft sein Auftragsvolumen zu vergrößern, indem er sich auch um Geschäftsbeziehungen mit den Kunden seines Bruders bemühte. Abgesehen von den Leasingfahrzeugen, die zurückgestellt wurden, betrug der Verkaufserlös der Fahrnisse des Unternehmens des Bruders ca € 2.000,-, woraus ersichtlich ist, dass der eigentliche Wert des Unternehmens in seinen Mitarbeitern lag.

Wenn die Vorinstanzen daher die Rechtsmeinung vertraten, dass es zu einem Betriebsübergang vom Bruder des Bekl auf den Bekl gekommen ist, stellt dies für den OGH keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.