Brameshuber/Aschauer (Hrsg)Sozialversicherungsrecht. Jahrbuch 2018

NWV Verlag, Wien 2018, 222 Seiten, broschiert, € 48,–

ELIASFELTEN (LINZ/SALZBURG)

Das vorliegende von Elisabeth Brameshuber und Paula Aschauer herausgegebene Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2018 beschäftigt sich mit neuen berichtenswerten Entwicklungen des Jahres 2017. Den Auftakt bildet daher ein Überblicksaufsatz (Lang) über „Rechtsvorschriften und Judikatur“ des Berichtszeitraums. Daran schließen in weiterer Folge elf weitere Beiträge an, die sich einem bestimmten Schwerpunkthema widmen. Den Abschluss bildet eine – von Kleer durchaus übersichtlich und klug zusammengestellte – Auflistung aller veränderlicher Werte des Jahres 2018.

Bei den thematischen Beiträgen widmen sich drei davon legistischen Neuerungen des Jahres 2017. Gleich zwei Aufsätze (einer von Neumann, der andere von Gleitsmann/Werzin) sind dem SV-ZG gewidmet. Ein weiterer beschäftigt sich mit dem Wegfall der täglichen Geringfügigkeitsgrenze (Kovacs). Wenig überraschend bilden auch relevante Judikaturentwicklungen einen thematischen Schwerpunkt. Neben dem sogenannten „Uni-Credit“-Erkenntnis des VfGH, dem sich ein eigener Beitrag (Pinggera/Körner) annimmt, werden auch die ersten Erfahrungen mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bereich der Aufnahme und Streichung von Arzneimittelspezialitäten in den Erstattungskodex (Eckhardt) einer eingehenden Analyse unterzogen. Dass darüber hinaus auch ausgewählte Judikatur des Jahres 2017 zum Kinderbetreuungsgeldgesetz (Stadler) präsentiert wird, erstaunt in Anbetracht des Titels des Jahrbuches, der eine thematische Einschränkung auf die beitragsfinanzierte SV nahelegt. Dass dem Sammelband tatsächlich ein weites Verständnis des Begriffs „Sozialversicherungsrecht“ zu Grunde liegt, zeigt sich freilich auch daran, dass sich ein anderer Beitrag (Eichenhofer) mit dem sogenannten „bedingungslosen Grundeinkommen“ beschäftigt. Hier geht es um das Verhältnis dieser sozialpolitischen Forderung zum bestehenden Sozial- (und nicht bloß Sozialversicherungs-)system und den zu erwartenden Auswirkungen auf den Wohlfahrtsstaat kontinentaleuropäischer Prägung ganz allgemein. Wie dieses Beispiel bereits verdeutlicht, beschränkt sich demnach das Jahrbuch keineswegs bloß auf rein nationale Entwicklungen. Tatsächlich setzt sich ein weiterer Beitrag mit den unionsrechtlichen Regelungen zur Bestimmung der anwendbaren Sozialrechtsordnungen (Resch) auseinander, ein anderer schildert die rechtlichen Rahmenbedingungen zur stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess in der BRD (Kothe). Diese thematische Breite des Jahrbuchs verdient Beachtung. Es fügt sich daher ins Gesamtkonzept durchaus stimmig ein, wenn auch datenschutzrechtliche Fragen im Arbeitslosenversicherungsrecht (Gerhartl) und die Zulässigkeit des Ausschlusses von Freiberuflern von der Angehörigeneigenschaft in der gesetzlichen KV (Sedlacek) thematisiert werden.

Inhaltlich weisen die Beiträge eine ganz unterschiedliche Dichte und Tiefe auf. Instruktiv ist bspw der Aufsatz von Resch zu den Vorschriften der VO 883/2004 zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts. Ausführlich werden die einzelnen Fallkonstellationen, wie die Mehrfachbeschäftigung in unterschiedlichen Mitgliedstaaten oder die Auslandsentsendung, geschildert. In diesem Kontext geht Resch auch auf die einschlägige Judikatur des EuGH ein. Gerade die Frage, ob überhaupt eine Beschäftigung in mehreren Mitgliedstaaten vorliegt und welchen Umfang diese erreichen muss, um im Rahmen der Kollisionsnormen der VO 883/2004 Berücksichtigung zu finden, wurde im Wesentlichen vom EuGH und seiner Rsp beantwortet. Anhand einer Vielzahl aktueller Entscheidungen zeichnet Resch diese Entwicklung nach. Eine Problematik im Zusammenhang mit dem anzuwendenden Recht, die vor allem auch Österreich beschäftigt hat, bleibt freilich ausgeklammert. Zuletzt hat sich mehrmals die Frage gestellt, ob sich die Zuständigkeitsregeln des Unionsrechts auch dann durchsetzen, wenn nach nationalem Recht grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (OGH10 Ob S 36/14pDRdA 2015/23, 186 [Pfalz]; OGH10 ObS 96/14mDRdA 2015/45, 344 [Felten]). Der OGH hat in solchen Fällen unter Verweis auf die Judikatur des EuGH in der Rs Hudzinski (EuGH 12.6.2012, C-611/10, Hudzinski und Wawrzyniak, DRdA 2013/18, 223 [Fuchs]) einen Leistungsanspruch alleine auf Grundlage des nationalen Rechts bejaht, um die Sicherstellung der primärrechtlich garantierten Freizügigkeit zu gewährleisten. Daraus ergibt sich, dass die Kollisionsregeln der VO 883/2004 durchaus in einem Spannungsverhältnis zum Primärrecht stehen (können). Wie dieses aufzulösen ist, ist bis dato unklar geblieben. Eine pauschale Verdrängung der sekundärrechtlichen Kollisionsregeln erscheint jedenfalls wenig überzeugend.

Sehr grundlegend sind die Gedanken von Eichenhofer zum „bedingungslosen Grundeinkommen“. Es handelt sich primär um einen (rechts-)philosophischen bzw (rechts-)soziologischen, weniger um einen rechtsdogmatischen Aufsatz. Eichenhofer geht der Frage nach, welche Auswirkungen ein solches bedingungsloses Grundeinkommen auf unser Zusammenleben und vor allem auch auf unser Wirtschaftssystem hätte. Zu Recht weist er darauf hin, dass unser kapitalistisches, auf Wettbewerb fußendes Wirtschaftssystem nur schwer mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens vereinbar ist. Tatsächlich weiß niemand, welchen Effekt es bspw auf die Löhne und die Preise von Gütern hätte. Auch wenn das Grundeinkommen nicht zwingend bedeuten muss, dass Einkommen generell von Arbeit entkoppelt wird, ist es doch offenkundig, dass es die Relation dieser beiden Faktoren zueinander beeinflussen wird. Darüber hinaus stellte Eichenhofer eine zentrale und berechtigte Frage: Was soll am bedingungslosen Grundeinkommen gerecht sein? Treffsicher hält er fest, dass zwar alle Menschen die gleichen Rechte, dass aber nicht alle Menschen auch die gleichen Bedürfnisse haben. Es mutet in der Tat einigermaßen anachro-286nistisch an, mit der Gießkanne flächendeckend das Füllhorn des bedingungslosen Grundeinkommens über alle auszuschütten. Im Moment geht der Trend genau in die entgegengesetzte Richtung: Sozial-(versicherungs-)leistungen sollen möglichst zielgerichtet und bedürfnisbezogen sein. Dem versucht auch der österreichische Gesetzgeber Rechnung zu tragen, wie die letzten Reformen im Bereich der medizinischen und beruflichen Rehabilitation deutlich belegen. Das Fazit Eichhofers fällt daher auch wenig überraschend drastisch aus: Die PhilosophInnen, welche die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens aufgebracht haben, sollen sich da rauf beschränken, die Welt zu interpretieren und nicht versuchen, sie zu verändern, denn dies sei meistens schlecht ausgegangen, was Eichenhofer auch für den Fall prognostiziert, sollte das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich Realität werden (S 78). Obgleich viele der von Eichenhofer vorgebrachten Bedenken Zustimmung verdienen, erscheint der Ansatz, einen derart apodiktischen Schlussstrich unter die Diskussion zu ziehen, wenig zielführend.

Gewinnbringend zu lesen sind auch die Beiträge von Neumann und Gleitsmann/Werzin zum „neuen“ SV-ZG. Das durchaus komplexe System, das der Schaffung von Rechtssicherheit bei der Zuordnung von Versicherungsverhältnissen dienen soll, wird anschaulich beschrieben und die Unterschiede zur bisherigen Rechtslage geschildert. Gleitsmann/Werzin gehen in diesem Zusammenhang auch auf die neue Regelung des § 41 Abs 3 ASVG ein, der anordnet, dass im Fall einer falschen Zuordnung des Versicherten zu Ungebühr entrichtete Sozialversicherungsbeiträge von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) an den zuständigen Krankenversicherungsträger zu überweisen sind und dieser diesen Überweisungsbetrag auf die „ihm geschuldeten Beiträge anzurechnen“ hat. Damit sollen die komplexen Rückabwicklungsfragen falscher Versicherungszuordnungen vereinfacht werden. Bisher war es so, dass der Versicherte, solange keine Leistungen bezogen wurden, die zu Ungebühr entrichteten Beiträge von der SVA zurückfordern konnte. Der nunmehrige DG war hingegen verpflichtet, die ausständigen DG- und DN-Beiträge an den zuständigen Krankenversicherungsträger nachzuentrichten. Nach der Judikatur des OGH bestand keine Möglichkeit des DG, sich zumindest im Hinblick auf den DN-Beitrag beim DN zu regressieren. § 60 ASVG wurde als lex specialis zum zivilrechtlichen Bereicherungsrecht angesehen (OGH9 ObA 36/17kDRdA 2018/26, 257 [Julcher]). Vor diesem Hintergrund wirft der neugestaltete § 41 Abs 3 GSVG eine zentrale Frage auf, die allerdings im Beitrag nicht gestellt wird. Was ist mit der Formulierung gemeint, dass die auf Grundlage des GSVG geleisteten Beiträge an den zuständigen Krankenversicherungsträger zu überweisen sind und auf die „ihm geschuldeten Beiträge“ anzurechnen sind? Der Wortlaut des § 41 Abs 3 GSVG differenziert nämlich nicht zwischen DG- und DN-Beiträgen. Lässt man eine Anrechnung sowohl auf die DN- als auch auf die DG-Beiträge zu, würde das freilich bedeuten, dass der nunmehrige DN nicht nur eine rechtlich, sondern auch ökonomisch fremde Schuld begleichen würde (so auch Julcher, DRdA 2018, 262). Das wäre nicht nur verfassungsrechtlich problematisch, es würde auch dem bisherigen System diametral entgegenstehen (siehe Müller in Müller/Sutter, ASoK-Spezial SV-ZG 2018, 30). Auf diese Problematik geht der Beitrag jedoch nicht ein, er beschränkt sich auf die – ebenfalls praxisrelevante – Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 41 Abs 3 GSVG.

Das vorliegende Jahrbuch gibt ein gutes „Stimmungsbild“ über die Entwicklungen des Jahres 2017 im Bereich des gesamten Sozialrechts. Insofern suggeriert der Titel eine thematische Verengung, die inhaltlich gar nicht stattfindet. Ganz im Gegenteil! Die Breite der behandelten Themen ist bemerkenswert. Damit bietet dieses Jahrbuch einen relevanten Mehrwert. Selbst für sozialrechtlich Interessierte ist es auf Grund der hohen Fluktuation in diesem Rechtsbereich kaum möglich, den Überblick darüber zu behalten, was aktuell passiert. Hier bietet das Jahrbuch eine wichtige Hilfestellung.