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Aufnahme eines Arzneimittels zur Nachbehandlung einer Chemotherapie in den Erstattungskodex?

FLORIAN J.BURGER

Dient ein Arzneimittel der Unterstützung einer anderen, vorangehenden medizinischen Behandlung, wie beispielsweise einer vorangehenden Chemotherapie, so ist bei der Prüfung der Frage der Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels durch die KV darauf abzustellen, ob die vorangehende Behandlung auch extramural lege artis erfolgen kann.

SACHVERHALT

Mit Bescheid vom 22.6.2018 hat der belangte Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (HVB) den Antrag vom 3.4.2018 auf Aufnahme einer Arzneimittelspezialität mit dem Wirkstoff Pegfilgrastim zur Behandlung einer chemotherapie-induzierten Leukopenie („OnPro Kit“ zur Behandlung von verminderter Anzahl von weißen Blutkörperchen) in den Erstattungskodex abgelehnt. Dieses Arzneimittel wird subkutan gespritzt. Damit wurde unter einem das Arzneimittel aus dem roten Bereich des Erstattungskodex gestrichen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der HVB begründete seinen Bescheid damit, dass OnPro Kit ein Arzneimittel gem § 351c Abs 2 erster Spiegelstrich ASVG sei, da es zur Behandlung in Krankenanstalten vorgesehen sei. Weil Chemotherapien stationär durchgeführt würden, sei auch die Abgabe dieses Medikaments dem intramuralen Bereich zuzuordnen. Es handle sich um ein Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten und ist deshalb gem § 20 Abs 3 Verfahrensordnung Erstattungskodex (VO-EKO) von einer Erstattung ausgeschlossen. Das führte letztendlich zur Ablehnung des Antrags auf Aufnahme in den Erstattungskodex.

Gegen diesen Bescheid erhob die A GmbH Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) als unbegründet abwies.

Das BVwG führte aus, dass das Arzneimittel in der EU zugelassen sei. Allerdings habe der HVB gem § 351c Abs 2 ASVG eine Liste jener Arzneimittel zu führen, deren Anwendung im Allgemeinen nur im Rahmen eines Aufenthaltes in einer Krankenanstalt, einer Leistungserbringung in einer Krankenanstalt oder im Zusammenhang mit einer Leistungserbringung einer Krankenanstalt medizinisch zweckmäßig und vertretbar sei. Festgestellt wurde, dass Chemotherapien überwiegend im intramuralen Bereich stattfänden. Nach erfolgter Therapie würde das Arzneimittel durch eine Fachkraft aus den Gesundheitsberufen an den PatientInnen angebracht. Nach rund 27 Stunden gäbe das OnPro Kit den Wirkstoff durch automatische Injektion (nach Warnsignal) ab. Unter „Anwendung“ sei das Anbringen an den PatientInnen und nicht der Zeitpunkt der Freisetzung des Wirkstoffs zu verstehen. Die Anwendung von OnPro Kit erfolge daher nicht im niedergelassenen Bereich, was aber eine Voraussetzung für die Aufnahme in die VO-EKO darstelle. Die Revision wurde für zulässig erklärt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] 16 Gemäß § 133 Abs 1 ASVG umfasst die Krankenbehandlung ärztliche Hilfe (§ 135 ASVG), Heilmittel (§ 136 ASVG) und Heilbehelfe (§ 137 ASVG). Die Krankenbehandlung muss nach § 133 Abs 2 ASVG ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden. […]

17 Gemäß § 135 Abs 1 ASVG wird die ärztliche Hilfe durch Vertragsärztinnen/Vertragsärzte, […] gewährt.

18 Gemäß § 136 Abs 1 ASVG umfassen die Heilmittel die notwendigen Arzneien […]. Gemäß § 136 Abs 2 ASVG werden die Kosten der Heilmittel vom Träger der Krankenversicherung durch Abrechnung mit den Apotheken übernommen.

20 […] dem Hauptverband […] [obliegt] die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten […] niedergelassenen Bereich; in dieses Verzeichnis sind jene für Österreich zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferbaren Arzneispezialitäten aufzunehmen, die nach den Erfahrungen im In- und Ausland und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine therapeutische Wirkung und einen Nutzen für Patienten und Patientinnen im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung (§ 133 Abs 2 ASVG) annehmen lassen. Die Arzneispezialitäten sind bestimmten Bereichen (‚rot‘, ‚gelb‘, ‚grün‘) zuzuordnen, womit ua die Verschreibungsregel für die betreffende Arzneispezialität bestimmt wird. […] Arzneispezialitäten des gelben Bereiches unterliegen – im Gegensatz zu denen des grünen Bereiches – der ärztlichen Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger nach Maßgabe der Richtlinie nach § 31 Abs 5 Z 13 ASVG. […]

25 Für das Verständnis des § 351c Abs 2 ASVG bzw der in die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien aufgenommenen Arzneimittelkategorie 1 (Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten) spielt die Unterscheidung zwischen der 35 Kostentragung für ‚intramurale‘ Krankenbehandlungen (in erster Linie durch Leistungen einer der durch einen Landesgesundheitsfonds finanzierten Krankenanstalten) und ‚extramurale‘ Krankenbehandlungen (in erster Linie durch niedergelassene Ärzte iSd § 71 Abs 3 Z 1 bis 4 ÄrzteG 1998 und durch Vertragsapotheken) eine ausschlaggebende Rolle. Die darauf abstellende Finanzierung des österreichischen Gesundheitssystems beruht auf der Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, BGBl I Nr 98/2017.

26 Die Krankenversicherungsträger decken mit ihren Beiträgen zur Krankenanstaltenfinanzierung gemäß § 447f ASVG die intramuralen Leistungen der (über Landesgesundheitsfonds finanzierten) Krankenanstalten gemäß § 148 Z 3 ASVG, dh im stationären, halbstationären, tagesklinischen und spitalsambulatorischen Bereich unter Einschluss der aus dem medizinischen Fortschritt resultierenden Leistungen, ab. Die Abrechnung der medizinischen Leistungen erfolgt nach einem Fallpauschalensystem (‚System der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung [LKF]‘), in dem auch alle während des (stationären bzw ambulanten) Aufenthalts verabreichten Medikamente enthalten sind.

27 Im Übrigen, also in erster Linie im niedergelassenen Bereich, erbringen die Krankenversicherungsträger gemäß § 133 Abs 2 letzter Satz ASVG Krankenbehandlungen als Sachleistungen, und zwar insbesondere durch Vertragsärzte […] (ärztliche Hilfe gemäß § 135 Abs 1 ASVG) bzw durch (Vertrags-)Apotheken (Heilmittelabgabe gemäß § 136 Abs 2 iVm § 350 ASVG). Diese extramural erbrachten Sachleistungen werden nach vereinbarten Tarifen von den Krankenversicherungsträgern bezahlt.

28 Dementsprechend wird zwischen einem ‚extramuralen ambulanten Bereich‘ (Vertragsärzte […]) und einem ‚intramuralen ambulanten Bereich‘ (Anstaltsambulatorien gemäß § 26 KAKuG) unterschieden (vgl etwa § 1 Abs 1 Z 1 und 2 Gesundheitsdokumentationsverordnung, BGBl I Nr 25/2017). Es gehören nicht nur […] die ‚stationäre Pflege‘, sondern auch die Leistungen im spitalsambulatorischen Bereich (‚Krankenhausambulanz‘; ‚Anstaltsambulatorien‘) – zB Chemotherapien – zum intramuralen Bereich. […]

31 Die revisionswerbende Partei bringt weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe seine Entscheidung allein darauf gestützt, dass der OnPro Kit ‚überwiegend in Krankenanstalten‘ angewendet würde. Abgesehen davon, dass sich der Begriff des Überwiegens in der zu Grunde liegenden Gesetzesbestimmung nicht finden würde, stelle er auch nicht das einzige Kriterium für die Arzneimittelkategorie 1 der Liste dar. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich mit allen Kriterien der Arzneimittelkategorie 1 auseinandersetzen und entscheiden müssen, ‚welche Kriterien vorliegen und ob in ihrer Gesamtheit die Kriterien bezogen auf eine Anwendung in Krankenanstalten überwiegen‘. Das Bundesverwaltungsgericht habe keine Feststellungen darüber getroffen, ob das Arzneimittel in gleicher Weise auch außerhalb von Krankenanstalten angewendet werden könne. […] Der Ausschluss der Erstattungsfähigkeit des OnPro Kit trage indirekt dazu bei, dass die Behandlung in Österreich nicht im ‚Best point of service‘ (§ 3 Z 3 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz), sohin extramural, durchgeführt werde. […]

32 Dieses Vorbringen ist im Ergebnis berechtigt:

33 […] Diejenigen Arzneimittel, die – ungeachtet überwiegend intramuralen Einsatzes – auch im extramuralen Bereich eingesetzt werden können, sind gemäß § 20 Abs 4 VO-EKO erstattungsfähig.

34 Der Grund für die ‚Grobsteuerung‘ der grundsätzlichen Möglichkeit einer Aufnahme in den Erstattungskodex durch das Kriterium der ‚Erstattungsfähigkeit‘ iSd § 351c Abs 2 ASVG bzw der demgemäß erstellten Liste liegt darin, dass die Aufnahme eines Arzneimittels in den Erstattungskodex, das praktisch nur im intramuralen Bereich zur Anwendung kommt, ins Leere ginge. Eine Erstattung der Kosten für derartige Arzneimittel durch den Krankenversicherungsträger kommt nicht in Frage. Er hat für die Behandlungen im intramuralen Bereich den vorgesehenen Pauschalbeitrag geleistet. Für dort verwendete Arzneimittel gilt der Erstattungskodex nicht. […]

37 Die Liste ist eine Verordnung iSd Art 139 B-VG (VfGH 5.10.2016, V 77/2015, VfSlg 20.080). Die unbestimmten Gesetzesbegriffe des § 351c Abs 2 ASVG verletzen nicht das in Art 18 B-VG enthaltene Legalitätsprinzip. Gegen die Verfassungskonformität von § 351c Abs 2 ASVG bestehen keine Bedenken (VfGH 15.10.2005, B 446/05, VfSlg 17.686; 27.9.2007, B 2013/06, VfSlg 18.217; 5.10.2016, V 77/2015, VfSlg 20.080).

38 Zur im vorliegenden Fall maßgeblichen Arzneimittelkategorie 1 (Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten) führte der Verfassungsgerichtshof aus (VfGH 27.9.2007, B 2013/06, VfSlg 18.217), § 351c Abs 2 ASVG nenne (beispielsweise) als Indiz für die mangelnde Eignung einer Arzneimittelkategorie zur Krankenbehandlung (im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG) keineswegs die tatsächliche Verwendung, sondern die überwiegende Verwendbarkeit zur Behandlung in Krankenanstalten. Die Bestimmung verpflichte die Behörde, auch im Falle eines faktisch überwiegend in Krankenanstalten verwendeten Arzneimittels Feststellungen darüber zu treffen, ob es lege artis (unter anderem unter den Gesichtspunkten entsprechender Überwachungsmöglichkeiten und möglicher Nebenwirkungen auf den Gesundheitszustand der betreffenden Patienten) in gleicher Weise auch außerhalb von Krankenanstalten angewendet werden könne. § 20 Abs 4 VO-EKO sei zu entnehmen, dass der Hauptverband auch für Arzneispezialitäten, die einer Kategorie gemäß § 351c Abs 2 ASVG angehören, die Erstattungsfähigkeit feststellen könne, wenn der Nachweis darüber erbracht werde, dass die Arzneispezialität zur (extramuralen) Krankenbehandlung 36 im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet ist. Der Ausschluss der freien Verschreibbarkeit von Arzneimitteln, die überwiegend für die Verwendung in Krankenanstalten geeignet sind, führe zwar nicht zum Ausschluss der Abgabe dieses Arzneimittels auf Kosten der Krankenversicherung, wohl aber zur vorherigen Genehmigungspflicht durch den chefärztlichen Dienst. Diese Genehmigung sei zu erteilen, sofern ‚die Behandlung aus zwingenden therapeutischen Gründen notwendig ist und damit die Verschreibung in diesen Einzelfällen nicht mit Arzneimitteln aus dem Erstattungskodex durchgeführt werden kann‘ (§ 31 Abs 3 Z 12 dritt- und viertletzter Satz ASVG).

39 Zur Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) führte der Verfassungsgerichtshof in einem weiteren Erkenntnis aus (VfGH 5.10.2016, V 77/2015, VfSlg 20.080), dass Bedenken gegen den ‚kategorischen Ausschluss‘ von Arzneimitteln zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch (ohne eine Differenzierung zwischen dem noch nicht schädigenden Tabakkonsum einerseits und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit andererseits vorzunehmen) nicht zuträfen, denn Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch seien jedenfalls ‚im Allgemeinen‘ nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet.

Die Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorie stehe der Abgabe eines in eine solche Kategorie fallenden Arzneimittels auf Kosten des Krankenversicherungsträgers in jenen Fällen nicht entgegen, in denen (ausnahmsweise) die Voraussetzungen der §§ 120 und 133 ASVG vorlägen. Die Liste habe keine weiterreichende Wirkung als der Erstattungskodex (bzw die Nichtaufnahme in diesen) selbst: Sie enthalte bloß die Vermutung, dass die darin genannten Kategorien von Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nicht geeignet seien; diese Vermutung sei im Einzelfall widerlegbar, worüber im Streitfall die ordentlichen Gerichte als Arbeits- und Sozialgerichte im krankenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitverfahren zu entscheiden hätten. Sei das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung im Sinne von § 120 iVm § 133 Abs 2 ASVG erwiesen, so könne das Arzneimittel (gegebenenfalls mit chef- bzw kontrollärztlicher Bewilligung, vgl § 31 Abs 3 Z 12 ASVG) auf Kosten des Krankenversicherungsträgers abgegeben werden.

40 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich der Auslegung des § 351c Abs 2 ASVG durch den Verfassungsgerichtshof an, wonach die überwiegende Verwendbarkeit eines Arzneimittels zur Behandlung in Krankenanstalten dessen mangelnde Eignung zur Krankenbehandlung (im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG) indiziert. Wird ein Arzneimittel faktisch überwiegend in Krankenanstalten verwendet, so sind demnach Feststellungen darüber zu treffen, ob es lege artis (unter anderem unter den Gesichtspunkten entsprechender Überwachungsmöglichkeiten und möglicher Nebenwirkungen auf den Gesundheitszustand der betreffenden Patienten) in gleicher Weise auch außerhalb von Krankenanstalten zweckmäßig angewendet werden kann, ohne das Maß des Notwendigen zu überschreiten (§ 133 Abs 2 ASVG). Wird der Nachweis erbracht, dass die Arzneispezialität zur (extramuralen) Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet ist, kann der Hauptverband gemäß § 20 Abs 4 VOEKO auch für die Arzneispezialität, die der Arzneimittelkategorie gemäß § 351c Abs 2 1. Spiegelstrich ASVG angehört, die Erstattungsfähigkeit feststellen.

41 Den Feststellungen zu Folge zeichnet sich der OnPro Kit dadurch aus, dass er unmittelbar nach einer Chemotherapie in einer Krankenanstalt (intramural) angebracht wird. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes besteht die Anwendung […] in diesem Anbringen am Körper des Patienten unter medizinischer Aufsicht und nicht etwa erst über 24 Stunden später in der automatischen Abgabe des Wirkstoffes in den Körper des Patienten. Es handelt sich um ein Arzneimittel mit retardierter Wirkung, wie sie auch bei anderen Arzneimitteln vorkommt. Die vorgezogene Anwendung des Arzneimittels bzw die verzögerte Abgabe des Wirkstoffs erspart es dem – uU durch die Folgen der Chemotherapie geschwächten – Patienten, sich nach Ablauf von 24 Stunden zum Zweck der Verabreichung der Fertigspritze ein weiteres Mal in ärztliche Behandlung (diesmal im niedergelassenen Bereich) zu begeben. Die Anwendung des OnPro Kit erfolgt intramural, wenn auch die unmittelbar vorangehende Chemotherapie intramural durchgeführt wurde.

42 Die Anwendbarkeit […] iSd § 133 Abs 2 ASVG, insbesondere deren Zweckmäßigkeit, im extramuralen Bereich hängt davon ab, ob die vorangehende chemotherapeutische Behandlung – von praktisch nicht relevanten Not- bzw Ausnahmesituationen abgesehen – lege artis auch im extramuralen Bereich durchgeführt werden kann. Dass die an eine solche Behandlung anschließende extramurale Anwendung […] unter ärztlicher Aufsicht lege artis erfolgen könnte, ist nicht strittig. Würde die betreffende Chemotherapie (unter anderem unter den Gesichtspunkten entsprechender Überwachungsmöglichkeiten und möglicher Nebenwirkungen auf den Gesundheitszustand der betreffenden Patienten) im niedergelassenen Bereich (extramural) durchgeführt werden können, so kann auch der OnPro Kit im extramuralen Bereich in zweckmäßiger Weise angewendet werden, womit seine Erstattungsfähigkeit iSd § 351c Abs 2 ASVG gemäß § 20 Abs 4 VO-EKO grundsätzlich zu bejahen wäre.

43 Das Bundesverwaltungsgericht hat nur festgestellt, dass in Österreich Chemotherapien überwiegend im intramuralen Bereich durchgeführt würden. Der Frage, ob in Österreich extramurale Anwendungen der vorangehenden Chemotherapie lege artis im obigen Sinn erfolgen können, wird das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren nachzugehen haben.“ 37

ERLÄUTERUNG

Mit dieser Grundsatzentscheidung beschäftigt sich der VwGH mit der Frage der Aufnahme eines Arzneimittels in den Erstattungskodex. Dabei wird der spezielle Fall untersucht, wann der Tatbestand des § 351c Abs 2 erster Spiegelstrich ASVG erfüllt ist, dh wann ein Arzneimittel nicht geeignet ist, bei einer Krankenbehandlung durch einen Vertragspartner (und andere) der KV eingesetzt zu werden, weil dieses überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten dient.

Der Wortlaut des § 351c Abs 2 ASVG ist klar. Nicht die tatsächlich überwiegende Anwendung im intramuralen Bereich ist ausschlaggebend, sondern die Klärung der Frage, ob eine Anwendung sachgerecht und in gleicher Weise auch außerhalb der Krankenanstalten zweckmäßig ist, ohne das Maß des Notwendigen zu überschreiten. Für die Einordnung von Arzneimitteln sind somit auch Gesichtspunkte der Finanzierung des Gesundheitssystems beachtlich.

Im vorliegenden Fall ist zunächst der Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels entscheidend. Nicht die Abgabe des Wirkstoffs, sondern das Anbringen und die testweise Einführung einer Nadel und damit der Start des Countdowns für die retardierte Abgabe sind maßgeblich. Insofern ist das weite Verständnis von einer Anwendung eines Arzneimittels durch das Höchstgericht lebensnah (Anwendung liegt schon mit dem Nadeltest vor, nicht erst mit verzögerter Abgabe).

Letztendlich fehlte im gegenständlichen Verfahren die Klärung der Frage durch das BVwG, ob die der Anwendung des Arzneimittels zu Grunde liegende Chemotherapie lege artis auch extramural erbracht werden kann. Daher wurde die Entscheidung des BVwG vom VwGH aufgehoben, um die angeführte Frage im fortgesetzten Verfahren zu klären.

Denn der HVB „kann“ in einem solchen Fall, selbst wenn es sich grundsätzlich um ein Arzneimittel handelt, das für den intramuralen Bereich gedacht ist, die Erstattungsfähigkeit feststellen; freilich handelt es sich dabei um keine dispositive Vorgehensweise, das Gesetz verwendet den Wortlaut „hat“.

Zwar hat sowohl der Erstattungskodex als auch die Liste des § 351c ASVG Verordnungscharakter. Diese beinhaltet jedoch nur eine Vermutung der Eignung eines Arzneimittels zur Krankenbehandlung im intramuralen Bereich, die im Einzelfall aber konkret widerlegbar ist. Diesbezügliche Streitigkeiten sind durch Bescheid des Versicherungsträgers im Leistungsverfahren unter allfälliger sukzessiver Kompetenz des zuständigen Arbeits- und Sozialgerichts zu entscheiden.