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Bindung des OGH an den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rechtsweges der Vorinstanzen im Verfahren in Sozialrechtssachen

CAROLINEKRAMMER

Wird eine Klage erhoben, obwohl die in den §§ 67 bis 70 und 72 Z 2 lit d ASGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist die Klage gemäß § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Dies gilt allerdings auch im Verfahren in Sozialrechtssachen nicht, wenn eine die Zulässigkeit des Rechtswegs bejahende gerichtliche Entscheidung entgegensteht. Eine Bindung ist auch dann zu bejahen, wenn sich das Gericht in den Entscheidungsgründen mit39dem Nichtvorliegen des Prozesshindernisses auseinandergesetzt hat.

SACHVERHALT

Die Kl erlitt am 21.1.2015 einen Schlaganfall und befand sind danach in stationärer Behandlung bis 4.5.2015. Am 9.4.2015 beantragte sie einen Rehabilitationsaufenthalt bei der bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA). Mit Schreiben vom 29.4.2015 bewilligte die PVA für die Dauer von 29 Tagen einen Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik M in Österreich als „Heilverfahren gemäß § 307d ASVG (Gesundheitsvorsorge)“. Statt diesen Aufenthalt anzutreten, befand sich die Kl von 4.5.2015 bis 14.8.2015 stationär zur Rehabilitation im Rehabilitationszentrum V in der Schweiz. Die im Rehabilitationszentrum V durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen waren ausreichend, zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend. Die Rehabilitationsklinik M war zum Zeitpunkt der Entlassung der Kl für sie keine geeignete Einrichtung. Eine entsprechende Rehabilitation der Kl wäre jedoch in anderen Einrichtungen in Österreich möglich gewesen. Mit Schreiben vom 10.6.2015 begehrte die Kl von der PVA die Kostenrückerstattung für den Aufenthalt im Rehabilitationszentrum V.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 16.11.2015 wies die Bekl den Antrag der Kl vom 29.9.2015 auf bescheidmäßige Absprache über die Kostenübernahme für die Unterbringung in einer Rehabilitationseinrichtung bzw über die angefallenen Transportkosten zurück. Da die Gewährung von Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge als freiwillige Leistung nach Ermessen erfolge und daher nicht zu den Aufgaben der Rehabilitation zähle, bestehe keine gesetzliche Pflicht zur Bescheiderlassung.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte die Kl die Zahlung von € 124.544,- sowie die Feststellung, dass die Bekl künftig die Kosten für weitere Rehabilitationsmaßnahmen sowie die Transportkosten zu tragen habe. Es gehe nicht um Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge, sondern der medizinischen Rehabilitation gem § 302 Abs 1 Z 1 ASVG. Deren Erbringung nach pflichtgemäßen Ermessen sei einer gerichtlichen Kontrolle im Verfahren in Sozialrechtssachen zugänglich. Die vorgeschlagene Einrichtung in Österreich sei ungeeignet, die in der Schweiz erbrachten Rehabilitationsmaßnahmen hingegen notwendig und zweckmäßig gewesen.

Die Bekl wandte ein, der Antrag der Kl sei unzulässig, da es sich bei dem von ihr bewilligten Heilverfahren um eine freiwillige nicht einklagbare Leistung handle, weshalb die Klage zurückzuweisen sei. Für die Behandlung im Ausland sei keine entsprechende Genehmigung eingeholt worden.

Das Erstgericht wies das Leistungsbegehren mit Urteil ab und das Feststellungsbegehren wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Die Entscheidung erwuchs im Umfang des Feststellungsbegehrens in Rechtskraft. Bei den begehrten Maßnahmen handle es sich nicht um Pflichtleistungen, sondern um Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge gem § 307d ASVG. Auch bei pflichtgemäßem Ermessen sei die Bekl nicht zu einer Kostentragung verpflichtet.

Das Berufungsgericht gab der von der Kl im Umfang der Abweisung des Leistungsbegehrens erhobenen Berufung Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, wie die Unterbringung in Krankenanstalten nach § 154a Abs 2 Z 1 ASVG, seien als Pflichtaufgabe des Krankenversicherungsträgers ohne individuellen Rechtsanspruch der Versicherten normiert. Es handle sich daher um eine im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers liegende Gewährung freiwilliger Leistungen, gegen die beim Arbeits- und Sozialgericht Klage wegen gesetzwidriger Ermessensübung erhoben werden könne, weil die Ablehnung einer solchen Pflichtaufgabe trotz Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen der Verweigerung einer Pflichtleistung gleichkäme. Im Verfahren in erster Instanz fehlten Feststellungen zur Beurteilung der Kriterien bei der Ermessensausübung sowie zur Frage, ob eine Rehabilitation der Kl in Österreich möglich gewesen wäre, weshalb sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig erweise.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den OGH zu und begründete dies damit, dass Rsp zur Frage fehle, ob die Nachprüfbarkeit der Ermessensausübung durch den Versicherungsträger im gerichtlichen Verfahren auch für Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge gem § 307d ASVG bestehe.

Der gegen diesen Beschluss eingebrachte Rekurs der PVA begehrte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs.

Der OGH wies den Rekurs mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Die Beklagte macht in ihrem Rekurs unter Bezugnahme insbesondere auf die Entscheidungen 10 ObS 28/94, SSV-NF 8/35; 10 ObS 68/09m, SSVNF 24/7 und 10 ObS 119/15w, SSV-NF 30/3, ausschließlich geltend, dass es für das noch im Verfahren zu behandelnde Leistungsbegehren an der Zulässigkeit des Rechtswegs fehle. 40

2. Wird eine Klage erhoben, obwohl die in den §§ 67 bis 70 und 72 Z 2 lit d ASGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist die Klage gemäß § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Dies gilt allerdings auch im Verfahren in Sozialrechtssachen dann nicht, wenn eine die Zulässigkeit des Rechtswegs bejahende gerichtliche Entscheidung entgegensteht (§ 43 Abs 2 JN; RS0035572, RS0039774; Neumayr in ZellKomm3 § 73 ASGG Rz 2). Eine Bindung ist nach ständiger Rechtsprechung auch dann zu bejahen, wenn sich das Gericht in den Entscheidungsgründen mit dem Nichtvorliegen des Prozesshindernisses auseinandergesetzt hat (10 ObS 112/02x, SSV-NF 16/30 mH auf RS0043823; RS0114196).

3. […] Das Erstgericht hat die Zulässigkeit des Rechtswegs in seinen Entscheidungsgründen für das Leistungsbegehren bejaht. Das Berufungsgericht hat sich […] mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Prüfung der Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Klägerin im konkreten Fall einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist. Auch sein Entscheidungswille, die Zulässigkeit des Rechtswegs für die hier vorliegende Klage zu bejahen, ergibt sich damit ausreichend deutlich erkennbar aus seiner Begründung. Daran ist der Oberste Gerichtshof nach § 42 Abs 3 JN iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO […] gebunden (RS0039774 [T6]). Eine Überprüfung der von der Rekurswerberin allein geltend gemachten Zulässigkeit des Rechtswegs ist dem Obersten Gerichtshof daher im konkreten Fall verwehrt.

4. Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RS0042179; RS0043414).“

ERLÄUTERUNG

Der OGH wurde mit der Frage befasst, ob die Nachprüfbarkeit der Ermessensausübung durch den Versicherungsträger im gerichtlichen Verfahren auch für Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge gem § 307d ASVG bestehe.

Die Rsp hat die Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen im Bereich der KV bereits bejaht, im vorliegenden Fall war jedoch Verfahrensgegenstand die Gewährung von Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge gem § 307d ASVG durch den Pensionsversicherungsträger.

Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, wie die Unterbringung in Krankenanstalten nach § 154a Abs 2 Z 1 ASVG, sind als Pflichtaufgabe des Krankenversicherungsträgers ohne individuellen Rechtsanspruch der Versicherten normiert. Es handelt sich um eine im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers liegende Gewährung freiwilliger Leistungen, gegen die beim Arbeits- und Sozialgericht Klage wegen gesetzwidriger Ermessensübung erhoben werden kann. Die Ablehnung einer solchen Pflichtaufgabe trotz Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen käme der Verweigerung einer Pflichtleistung gleich.

Wenn es für ein im Verfahren in Sozialrechtssachen zu behandelndes Leistungsbegehren an der Zulässigkeit des Rechtswegs fehlt und trotzdem eine Klage erhoben wird, obwohl die Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist die Klage an sich gem § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Dies gilt im gegenständlichen Verfahren nicht, da das Erstgericht und das Berufungsgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs bejaht haben und die Bekl in ihrem Rekurs nur die Zulässigkeit des Rechtswegs bekämpft hat. Der OGH, der nicht Tatsacheninstanz ist, kann aber auch nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist.