30Ende des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind nur bei grundsätzlichem Bestehen eines Anspruchs für das jüngere Kind
Ende des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind nur bei grundsätzlichem Bestehen eines Anspruchs für das jüngere Kind
Voraussetzung des Endes des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind ist das grundsätzliche Bestehen eines Anspruchs (also eines „abstrakten Anspruchs“) für das weitere (jüngere) Kind.
Im Fall von Krisenpflegeeltern, die sich bereit erklären, ein Kind für einen unbestimmten Zeitraum, solange es nötig ist, in ihrem Haushalt zu betreuen, wird mit dem ersten Tag der Übernahme ein gemeinsamer Haushalt iSd § 2 Abs 6 KBGG begründet.
Die Kl hatte als „Krisenpflegemutter“ ua zwei Kinder in Pflege: Die am 21.11.2014 geborene L* (im Zeitraum von 15.11.2016 bis 28.4.2017) und den am 3.12.2016 geborenen A* (im Zeitraum von 16.2.2017 bis 24.3.2017).
Die Kl bezog Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30+6 für das Pflegekind L* ab 15.11.2016 bis 15.2.2017. Der Antrag auf Kinderbetreuungsgeld in der pauschalen Variante 12+2 für das Kind A* für den Zeitraum ab 16.2.2017 wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid mit der Begründung abgewiesen, dass die Voraussetzung eines gemeinsamen Hauptwohnsitzes nicht erfüllt sei. Mit Antrag vom 18.9.2017 (eingelangt am 20.9.2017) stellte die Kl für das Pflegekind L* einen dritten Antrag auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 16.2.2017 bis 28.4.2017.
Der Antrag wurde von der Bekl mit der Begründung abgelehnt, dass der Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld für L* mit der Übernahme des weiteren (jüngeren) Pflegekindes am 16.2.2017 geendet habe.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrte die Kl den Zuspruch des Kinderbetreuungsgeldes für L* für den Zeitraum von 16.2.2017 bis 28.4.2017. Die Bekl habe übersehen, dass es zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld nur dann komme, wenn für das weitere (jüngere) in Pflege genommene Kind überhaupt ein Kinderbetreuungsgeldanspruch entstehe, was hier nicht der Fall sei.
Die Bekl wandte – ergänzend zum Vorbringen im Bescheid – ein, dass erst mit der Beendigung der Pflege des zweiten Kindes am 24.3.2018 der Anspruch für das ältere Kind wiederaufleben könne. Da der Antrag für dieses ältere Kind erst am 20.9.2017 bei der Bekl eingelangt sei und Kinderbetreuungsgeld rückwirkend nur bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten gebühre, wäre jedenfalls erst von einem Bezugsbeginn am 21.3.2017 auszugehen.
Das Erstgericht sprach der Kl das begehrte Kinderbetreuungsgeld für L* für den gesamten Zeitraum von 16.2.2017 bis 28.4.2017 zu. Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung der Bekl die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es der Kl Kinderbetreuungsgeld für L* für den Zeitraum von 21.3.2017 bis 28.4.2017 zusprach und das Mehrbegehren für den Zeitraum 16.2.2017 bis 20.3.2017 abwies.
Der OGH hielt die Revision der Bekl für zulässig, aber für nicht berechtigt.
„I. Zu § 5 Abs 5 KBGG:
I.1.1 Nach § 5 KBGG in der Stammfassung BGBl I 2001/103 endet der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind. Endet der Anspruch für das weitere Kind vorzeitig, lebt der Anspruch für jenes Kind, für welches davor Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde, wieder auf.
I.1.2 Mit der Novelle BGBl I 2007/76BGBl I 2007/76wurde die auf den vorliegenden Sachverhalt zur Anwendung kommende Fassung des § 5 Abs 5 KBGG eingeführt […]. Nach dieser endet der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit Ablauf jenes Tages, welcher der Geburt eines weiteren Kindes bzw der Adoption (In-Pflege-Nahme) eines jüngeren Kindes vorangeht. Endet der Anspruch für das weitere Kind vorzeitig, lebt der Anspruch für jenes Kind, für welches davor Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde, wieder auf.
I.1.3 Die Gesetzesmaterialien führten bereits zur ursprünglichen Formulierung aus, dass bei nachfolgenden Geburten während des Kinderbetreuungsgeld- Bezugszeitraums der Anspruch für das zuerst geborene Kind mit dem Tag, der der Geburt des nachfolgenden Kindes vorangeht, endet. Ab dem Tag der Geburt des nachfolgenden Kindes beginnt ein neuer Anspruch für dieses weitere Kind. Wenn der Anspruch für das weitere innerhalb des ursprünglichen Bezugszeitraums (für das zuerst geborene) Kind zum Beispiel durch Tod endet, lebt der ursprüngliche Anspruch für die restliche Dauer […] wieder auf (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 62). Das Kinderbetreuungsgeld soll nur für das jeweils jüngst geborene Kind einer Familie gebühren […]. 44
Zu der Novellierung des § 5 Abs 5 KBGG mit dem Bundesgesetz BGBl I 2007/76BGBl I 2007/76 führen die Gesetzesmaterialien aus: ‚Es erfolgt dahingehend eine Klarstellung, dass das Kinderbetreuungsgeld jedenfalls endet, wenn ein weiteres Kind geboren bzw ein jüngeres Kind adoptiert oder in Pflege genommen wird. Der Anspruch auf KBG für das ältere Kind endet unabhängig davon, ob die Eltern für das nun jüngste Kind tatsächlich Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehmen oder nicht (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 5).‘
I.2.1 Zu der hier zu beurteilenden Frage, ob § 5 Abs 5 KBGG auch jene Fälle erfasst, bei denen ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das jüngere Kind rechtskräftig verneint wurde, wurde im Schrifttum nicht explizit Stellung genommen […]. Lediglich Leitner geht in ihrer Entscheidungsbesprechung zu 10 ObS 118/07m […] davon aus, dass für das Enden des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind maßgeblich sei, ob für das jüngere Kind ein ‚abstrakter Anspruch‘ nach § 2 KBGG vorliege […].
I.2.2 […] Zuzugestehen ist, dass der Wortlaut des § 5 Abs 5 KBGG aF einen anderen Fall im Auge hat, nämlich das Wiederaufleben des Anspruchs für das ältere Kind im Fall des ‚vorzeitigen Endes‘ des Anspruchs für das jüngere Kind. Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung für den hier zu beurteilenden Fall […] ist jedoch aus den folgenden Erwägungen als planwidrige Lücke zu qualifizieren, die nach den Wertungen des § 5 Abs 5 KBGG inhaltlich zu schließen ist.
Dafür, dass der Gesetzgeber als Voraussetzung des Endes des Anspruchs für das ältere Kind das grundsätzliche Bestehen eines Anspruchs (also eines ‚abstrakten Anspruchs‘) für das weitere (jüngere) Kind ansieht, sprach vor allem die dargestellte historische Entwicklung des § 5 Abs 5 KBGG sowie der Gesetzeszweck. Würde der Restanspruch für das ältere Kind endgültig verlorengehen, obwohl kein Anspruch für das jüngere Kind besteht, stünde dies den Zielen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes entgegen, Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls finanzielle Nachteile, die der Verzicht auf ein (Voll-)Erwerbseinkommen bedeuten, abzumildern […]. Schließlich hat der Gesetzgeber für einen bestimmten Fall – nämlich das ‚vorzeitige Ende‘ des Anspruchs für das jüngere Kind – vorgesorgt, indem er für diesen Fall das Wiederaufleben des Anspruchs für das ältere Kind angeordnet hat. Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass weiterhin der Betreuungsaufwand für zumindest ein Kind besteht und dafür Kinderbetreuungsgeld bezogen werden kann. […]
II. Zu der Frage der Anspruchsberechtigung der Klägerin im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Krisenpflegemutter:
II.1 […] Erstmals in ihrer Berufung vertritt die beklagte Partei den Standpunkt, dass für die Klägerin selbst dann, wenn der Anspruch für L* ‚wiederaufleben‘ sollte, nichts gewonnen wäre, weil eine auf bloß längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung des dauerhaften gemeinsamen Haushalts iSd KBGG nicht ausreiche. In ihrer Revision bringt die beklagte Partei […] ergänzend vor, durch die mit dem Bundesgesetz BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 erfolgte Änderung des KBGG habe der Gesetzgeber nunmehr klar gestellt, dass Krisenpflegeeltern bis zum Inkrafttreten dieser Neuregelung […] nicht als Pflegeeltern iSd § 184 ABGB nF anzusehen gewesen seien und mangels Vorliegens einer dauerhaften Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld gehabt hätten.
II.2.1. Die […] – den Kinderbetreuungsgeldanspruch von Krisenpflegeeltern betreffende – Neuregelung BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 ist rückwirkend mit 1.7.2018 in Kraft getreten. Sie ist im vorliegenden Fall […] noch nicht anwendbar. Die Zugehörigkeit zum Kreis der Anspruchsberechtigten sowie die Anspruchsvoraussetzungen einer dauerhaften Wohnund Wirtschaftsgemeinschaft sind […] nach dem KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 zu beurteilen.
II.2.2 […] Ziel einer Krisenunterbringung ist entweder die Reintegration in den familiären Bereich oder aber – sofern dies nicht möglich ist – eine dauerhafte Unterbringung bei Pflegeeltern. Die Unterbringung bei Krisenpflegeeltern ist somit dadurch charakterisiert, dass zum Zeitpunkt der Übernahme der Krisenpflege die Dauer des Verbleibs des Kindes in der Regel noch nicht absehbar ist. Ab dem Zeitpunkt der Übernahme des Kindes sind Krisenpflegeeltern aber zur Erbringung all jener Betreuungsleistungen verpflichtet, die bei einem intakten Familienverband von dem jeweiligen Elternteil zu erbringen gewesen wären.
II.2.3 Vor diesem Hintergrund wurde in der Entscheidung 10 ObS 65/19k vom 30.7.2019ausgeführt, dass im Fall von Krisenpflegeeltern, die sich bereit erklären, ein Kind für einen unbestimmten Zeitraum, solange es nötig ist, in ihrem Haushalt zu betreuen, mit dem ersten Tag der Übernahme ein gemeinsamer Haushalt iSd § 2 Abs 6 KBGG begründet wird. Eine Ex-post-Differenzierung danach, wie lange diese Betreuung tatsächlich dauerte, ist für die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld nicht relevant.“
Gem § 5 Abs 5 KBGG idF BGBl I 2007/76BGBl I 2007/76endet der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für ein Kind durch Geburt, Adoption oder In-Pflege-Nahme eines weiteren Kindes. Ab diesem Zeitpunkt gebührt Kinderbetreuungsgeld für das weitere Kind. Im vorliegenden Fall musste der OGH entscheiden, wie vorzugehen ist, wenn für das weitere Kind jedoch kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht.
§ 5 Abs 5 Satz 2 KBGG idF BGBl I 2007/76BGBl I 2007/76regelt lediglich, dass ein durch Geburt, Adoption oder 45 In-Pflege-Nahme vorzeitig beendeter Kinderbetreuungsgeldbezug (später) wieder auflebt, wenn der Anspruch für das weitere Kind, bspw durch Tod dieses Kindes, vorzeitig endet. § 5 Abs 5 KBGG idF BGBl I 2007/76BGBl I 2007/76trifft jedoch keine Regelung für den Fall, dass für das weitere Kind gar kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht.
Im vorliegenden Sachverhalt hatte die Krisenpflegemutter zeitlich überschneidend zwei Kinder in Pflege. Von 15.11.2016 bis 28.4.2017 war die ältere L* in Pflege, von 16.2.2017 bis 24.3.2017 der jüngere A*. Die Krisenpflegemutter bezog von 15.11.2016 bis 15.2.2017 Kinderbetreuungsgeld für A*. Der Antrag für L* ab dessen In-Pflege-Nahme wurde jedoch abgelehnt, sodass die Krisenpflegemutter für den Zeitraum ab 16.2.2017 gar kein Kinderbetreuungsgeld erhielt. Im September 2017 stellte die Krisenpflegemutter daher erneut einen Antrag auf Kinderbetreuungsgeld, diesmal für das ältere Kind, für den gesamten Zeitraum von 16.2.2017 bis 28.4.2017. Dieser Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass durch die In-Pflege-Nahme des weiteren Pflegekindes der Anspruch für das ältere Pflegekind verloren gegangen sei.
Der OGH hat § 5 Abs 5 KBGG idF BGBl 2007/76BGBl 2007/76so ausgelegt, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind nur dann vorzeitig endet, wenn die Eltern für das jüngste Kind zumindest einen „abstrakten“ Anspruch haben. Da die Krisenpflegemutter im vorliegenden Fall keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das jüngere Kind hatte, kam es zu keiner endgültigen Beendigung des Anspruchs für L*.
Kinderbetreuungsgeld gebührt gem § 4 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2001/103rückwirkend bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten. Da der Antrag erst mit 20.9.2017 beim Sozialversicherungsträger eingelangt ist, wurde das Kinderbetreuungsgeld erst ab 21.3.2017 und nicht – wie beantragt – ab 16.2.2019 zugesprochen. Da § 5 Abs 5 KBGG idF BGBl I 2007/76BGBl I 2007/76wortgleich der aktuellen Fassung des § 3 Abs 6 KBGG entspricht, gelten die dargestellten Ausführungen auch für aktuelle Sachverhalte.
Weiters hat sich der OGH in dieser Entscheidung abermals zur Frage der Anspruchsberechtigung von Krisenpflegeeltern befasst und bestätigt, dass Krisenpflegeeltern zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen gehören, wenn diese die Kinder für einen unbestimmten Zeitraum in ihren Haushalt aufnehmen und betreuen. Mit dem ersten Tag der Übernahme wird ein gemeinsamer Haushalt begründet (vgl dazu auch OGH 10 ObS 57/19hinfas 2020/29).
Die auf den vorliegenden Sachverhalt noch nicht anwendbare Neuregelung des § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG idF BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24bedeutet daher eine Verschlechterung für Krisenpflegeeltern. Rückwirkend seit 1.7.2018 haben Krisenpflegeeltern nämlich nur dann Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, wenn sie ein Krisenpflegekind mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreuen.