Macht und Vertretungsanspruch in der Sozialversicherung

CHRISTOPHKLEINWOLFGANGPANHÖLZLFLORIAN J.BURGER

Die Einführung der Parität als gleiche Mandatsstärke zwischen DN und DG in den Verwaltungskörpern der SV verschiebt die Macht zu den DG. Das ist sowohl verfassungsrechtlich als auch aufgrund der Versicherten- und Beitragsstruktur (empirisch) problematisch.

1.
Verfassungsrechtliche Fragen zur Parität
1.1.
Abgrenzung

Im Schrifttum und auch vor dem VfGH wurde die Rechtsfrage erörtert, ob DG im Verhältnis zur SV der DN Mitglieder oder Außenstehende sind (vgl nur Müller, die Beteiligung der Dienstgeber an der sozialen Selbstverwaltung der Dienstnehmer, in Auer-Mayer/Felten, Diskussionen und Reflexionen zum Sozialrecht und Arbeitsrecht, Festband für Rudolf Mosler und Walter J. Pfeil [2019] 67 ff). Für die Frage, ob die Parität zwischen DG und DN in den Verwaltungskörpern der Sozialversicherungsträger nach dem ASVG verfassungsrechtlich zulässig ist, ist die Antwort jedoch nicht wirklich entscheidend. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, ausdrücklich eine derartige Zuordnung zu treffen; er muss jedoch – gleichgültig, ob und für welche Zuordnung er sich entscheidet – bei der Gestaltung eines Selbstverwaltungssystems zwei verfassungsrechtlich gebotene Strukturelemente der Selbstverwaltung beachten.

1.2.
Parität und das demokratische Prinzip

Das erste der Strukturelemente ist die Einhaltung des demokratischen Prinzips gem Art 1 B-VG (vgl unter vielen VfGH 1984/VfSlg 10.306 und Korinek, Die Organisation der Sozialversicherung, in Tomandl [Hrsg], System des Österreichischen Sozialversicherungsrechts 485, 489). Die Notwendigkeit des demokratischen Elements in der Selbstverwaltung, die stets von Lehre und Judikatur gesehen wurde, wurde durch die Festlegung in Art 120c Abs 1 B-VG vom Verfassungsgesetzgeber zusätzlich explizit gemacht: „Die Organe der Selbstverwaltungskörper sind aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden.

Die Parität zwischen DG und DN in der SV der letzteren ist mit dem demokratischen Prinzip als verfassungsrechtlich gebotenem Strukturmerkmal der Selbstverwaltung jedoch nicht in Einklang zu bringen. Im Verwaltungsrat der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), um das wichtigste Beispiel im Rahmen des ASVG zu nennen, werden über 7,2 Mio versicherte DN bzw deren mitversicherte Angehörige durch sechs Versicherungsvertreter repräsentiert; rund 160.000 in den Wirtschaftskammern organisierte DG stellen demgegenüber fünf Versicherungsvertreter, das sechste Mandat wird vom Sozialministerium für jene ASVG versicherten DN entsandt, die bei einem öffentlichen DG beschäftigt sind (rund 220.000 DN).

Damit erhalten rund 160.000 DG, die noch dazu in diesem Träger gar nicht selbst versichert sind, das gleiche Stimmgewicht in der Führung des Krankenversicherungsträgers wie die 7,2 Mio Menschen, die auf die Gesundheitsversorgungs- und Geldleistungen dieses Trägers existenziell angewiesen sind. Mit diesem gleichen Stimmgewicht können sie jegliche Entscheidung etwa für Verbesserungen in der Versorgung (Beispiel: „Psychotherapie auf Krankenschein“) durch ein Veto blockieren. Noch krasser die Auswirkung im neuen Dachverband: In dessen Konferenz (die etwa die Befugnis hat, Selbstbehalte beim Arztbesuch einzuführen!) haben die DG sechs Mandate, die DN vier.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, wie auf diese Weise aus einem historisch stets gewollten strukturellen Mehrheitsverhältnis der Versicherten gegenüber den DG ein parteipolitisches Mehrheitsverhältnis gemacht wird, das die Präferenzen der Versicherten ins Gegenteil verkehrt. Um beim Beispiel der ÖGK zu bleiben:

Von 114 Mandaten in sämtlichen Gremien des Krankenversicherungsträgers der DN (einschließlich der Landesstellen) entfallen

  • 68 auf ÖVP-nahe Versicherungsvertreter (Wirtschaftsbund, Arbeiter-/Angestelltenbund),

  • 43 auf SPÖ-nahe Vertreter (Sozialdemokratische Gewerkschafter bzw Wirtschaftsverband),

  • zwei auf die FPÖ-AN und

  • ein Mandat auf das Sozialministerium (als Vertretung nicht in der Wirtschaftskammer organisierter DG).

Damit wird aus der Mehrheit der Sozialdemokratie bei den Versicherten (41 von 57 DN-Mandaten) eine 60 % ÖVP-Mehrheit in den neuen Gremien der KV der DN! Dieses Mehrheitsverhältnis zeigt sich insb auch im Verwaltungsrat und der Hauptversammlung. Diese Verparteipolitisierung der Selbstverwaltung steht auch in merkwürdigem Kontrast zu der Tatsache, dass die Entsendung nach parteipolitischer Zusammensetzung in der vieljährigen Geschichte der Selbstverwaltung in der SV überhaupt erst eine sehr 66 junge Entwicklung ist: Die entsendenden Institutionen – auf DN-Seite also im Wesentlichen die Bundesarbeitskammer – hatten bis zu diesem Zeitpunkt lediglich geeignete, die berufliche Vielfalt der versicherten DN sachadäquat abbildende Mandatare zu entsenden. Bei diesem Blick in die Geschichte ist auch der versteinerungstheoretische Aspekt zu beachten: Wenn der Verfassungsgesetzgeber 2008 in Art 120c Abs 1 B-VG das Demokratieprinzip für die Gestaltung der Selbstverwaltung ausdrücklich vorgeschrieben hat, darf nicht übersehen werden, dass dieser wie erwähnt auch von Judikatur und Lehre stets hervorgehobene Grundbaustein in der rund hundertjährigen Geschichte der gesetzlichen SV immer iS einer Demokratie der Versicherten (und nicht gleichberechtigt: der Beitragszahler) verstanden und daher auch vom Gesetzgeber des Jahres 2008 so vorgefunden wurde. (Das spricht nicht grundsätzlich gegen die historisch stets vorhandenen Minderheits- und Kontrollrechte der beitragsleistenden DG.)

1.3.
Parität und das Sachlichkeitsgebot

Das zweite verfassungsrechtliche Erfordernis, das der einfachgesetzlichen Gestaltung der Selbstverwaltung aufgetragen ist, ist das aus dem Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG) abgeleitete Sachlichkeitsgebot (vgl statt vieler Korinek in Tomandl [Hrsg], System des Österreichischen Sozialversicherungsrechts 494 und VfGH 1977/VfSlg 8215). Leitschnur dafür, was bei der Zusammensetzung der Gremien sachgerecht ist, bietet Art 120a B-VG. Danach können Personen nur zur Wahrnehmung solcher Aufgaben, die „in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen“sind, zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden. Natürlich gibt es auch gemeinsame Interessen zwischen DG und DN in der Verwaltung der SV – etwa diese möglichst effektiv und effizient auszuüben. Diesem gemeinsamen Interesse ist bis jetzt auch stets sinnvoll entsprochen worden, indem den DG gesetzlich die Mehrheit im jeweiligen Kontrollorgan übertragen wurde.

In den nach ihrer Gewichtigkeit weitaus überwiegenden Interessenlagen sind jedoch nicht gleichgerichtete, sondern gegenläufige Interessen zwischen DG und DN zu konstatieren.

Unbestrittene Aufgabe der DG ist es, Unternehmen gewinnbringend zu führen und zu diesem Zweck die Kosten, darunter auch Sozialkosten, möglichst gering zu halten. Eine möglichst billige Versorgung mit Gesundheitsdienstleistungen (und den anderen Leistungen der SV) ist aber gerade nicht das Hauptinteresse der Versicherten: Die menschliche Gesundheit ist eines der existenziellsten Interessen schlechthin, und selbstverständlich ist das Interesse der Versicherten in diesem Zusammenhang nicht primär auf eine möglichst geringe Mittelzufuhr an die KV, sondern auf eine bestmögliche Versorgung unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts gerichtet. Besonders pikant dabei ist, dass das natürlich nicht minder große Interesse der DG an ihrer eigenen Gesundheit im Rahmen dieses Interessengegensatzes nicht auf dem Spiel steht: Ihre eigene Gesundheitsversorgung erledigt ja ein anderer – von ihnen selbst ohne jeden Einfluss der DN-Seite verwalteter – Träger. Wollte man dem Argument folgen, dass das Interesse der DG an gesunden DN die paritätische Vertretung in der Selbstverwaltung der DN-SV rechtfertigt, müsste umgekehrt auch den DN eine Vertretung in der DG-Versicherung eingeräumt werden, da gesunde DG gerade in der kleinteilig strukturierten österreichischen Wirtschaft ausschlaggebend für den Erhalt der Arbeitsplätze und stabile DN-Einkommen sind.

Auch das Argument der Beitragsparität kann die Parität in den Leitungsgremien nicht tragen: Erstens ist die Mittelaufbringung nur ein Aspekt der selbstverwalteten SV und angesichts der erwähnten existenziellen Bedeutung von deren Leistungen für die Versicherten auch keinesfalls der entscheidende; die selbstverwaltete SV muss primär im Dienste der Versicherten und nicht der Beitragszahler stehen. Zweitens vernachlässigt die angebliche Parität in der Mittelaufbringung die Beiträge der Pensionisten, die zahlreichen Selbstbehalte der Versicherten usw. Tatsächlich steuern die DG, die der WKO angehören, nur ca 21 % des Budgets der sozialen KV bei und die öffentlichen DG nur 5,5 % der Einnahmen (siehe unten).

Als zweiter gewichtiger Interessengegensatz ist das Interesse weiter Kreise der Wirtschaft an möglichst ertragreichen Geschäften mit dem Großkunden SV zu nennen: Mit Produkten der Pharmaindustrie, sonstigen Medizinprodukten, medizintechnischen Geräten, der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen usw erzielt die österreichische Wirtschaft jedes Jahr Milliardenumsätze, nach deren Steigerung sie in einer Wettbewerbswirtschaft auch stets streben muss (zB auch durch gewinnorientierte Privatisierung ehemals von der SV selbst ohne Gewinnabsicht geführter Spitäler, Kur- und Rehabilitationsanstalten). Hier ist also letztlich ein Interessengegensatz geradezu in Gestalt einer Unvereinbarkeit zu konstatieren: Wer gute Geschäfte mit der SV machen will, darf nicht gleichzeitig deren Geschicke in der Selbstverwaltung ökonomisch lenken.

An dieser Stelle darf darauf hingewiesen werden, dass der VfGH den Grundsatz der Gegnerfreiheit als einen Aspekt des Sachlichkeitsgebots im 67 Zusammenhang mit den gesetzlichen Interessenvertretungen der DG und DN stets hochgehalten hat. Paradigmatisch ist zB die VfGH-E 1979/VfSlg 8539, in der der VfGH die doppelte Mitgliedschaft einer Person bei Landwirtschaftskammer und Landarbeitskammer als verfassungswidrig erachtet hat. Hier drängt sich ein Größenschluss auf: Wenn schon die Mitgliedschaft einer einzigen Person in zwei Interessenvertretungen angesichts derer gegenläufigen Interessen inakzeptabel ist, muss der Grundsatz der Gegnerfreiheit umso mehr verletzt sein, wenn in das oberste Organ – also bildlich gesprochen ins Herz – der Selbstverwaltung der SV einer Gruppe die gegnerische Gruppe in gleicher Stärke gepflanzt wird. Im Kontext der Gegnerfreiheit ist auch auf Art 120a Abs 2 B-VG zu verweisen, wonach die Republik die Rolle der Sozialpartner und deren Autonomie achtet. Eine der Standardrollen der Sozialpartner (auch iS eines historisch versteinerten Begriffs!) ist die Wahrnehmung der Selbstverwaltung in der SV ihrer Mitglieder. Gerade diese Standardrolle in ihrer autonomen, also gegnerunabhängigen Ausübung massiv zu schmälern, ist eine Beeinträchtigung der Rechte der Bundesarbeitskammer als Sozialpartnerorganisation gem Art 120a Abs 2 B-VG.

1.4.
Unterschiedliche Regelungen eines Grundpfeilers der Selbstverwaltung

Zum hier ausführlich behandelten verfassungsrechtlichen Gebot der sachgerechten Ausgestaltung der Selbstverwaltung ist noch eine wichtige Abrundung angebracht. In einem der DN-Sozialversicherungsträger, nämlich der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB), hat der Gesetzgeber den DN auch in der Neuregelung eine satte Zweidrittelmehrheit eingeräumt. Im Verwaltungsrat dieses Trägers entfallen auf sieben DN-Mandate nur drei DG-Mandate. Nun könnte man einwenden, bei unterschiedlichen beruflichen Gemeinschaften, die in getrennten Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst sind, kann der einfache Gesetzgeber ohne großen Begründungsaufwand die Gremien nach unterschiedlichen Wertungen und Maßstäben zusammensetzen. Hier ist jedoch daran zu erinnern, dass es bei der Frage der Parität um die zwei von Judikatur und Lehre zutreffend erkannten verfassungsrechtlichen Grundpfeiler der Selbstverwaltung in der SV geht, nämlich wie ausführlich dargelegt, das demokratische Prinzip und das Gebot der Sachlichkeit. Auch wenn es dem einfachen Gesetzgeber also gestattet sein mag, unterschiedliche Spielregeln für die Gremien unterschiedlicher Träger festzulegen, kann dies nicht bedeuten, dass er auf die Grundfragen, was in einer Selbstverwaltung sozialversicherter Menschen demokratisch und iSd Sachgerechtigkeit geboten sei, vollkommen diametrale Antworten gibt.

2.
Empirisches Zahlenmaterial
2.1
Überblick zu den Versicherten in der Krankenversicherung

In den drei künftigen Krankenversicherungsträgern ÖGK, BVAEB und Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) werden im Jahresschnitt 8.677.278 Personen versichert sein (Hauptverband, Statistisches Handbuch der österreichischen Sozialversicherung 2018, Kapitel 2, dort insb Tabelle 2.03).

In der ÖGK werden rund 7,2 Mio Versicherungsverhältnisse sein, in der BVAEB rund 1 Mio und in der SVS 1,1 Mio. Geht man davon aus, dass dies in etwa Personen entspricht, so sind rund 81 % der Wohnbevölkerung in der ÖGK versichert.

2.2
Aufteilung der 7,2 Mio ÖGK-Versicherten
Versichertenstand         in Prozent
Erwerbstätige3.048.234           42 %
freiwillig Versicherte115.175           2 %
Arbeitslose354.264           5 %
KBG-BezieherInnen102.976           1 %
PensionistInnen und RentnerInnen1.683.369           23 %
Sonstige137.105           2 %
Zwischensumme5.441.123           75 %
Mitversicherte (Erwachsene)274.133           4 %
Mitversicherte (Kinder)1.518.442           21 %
7.233.698

Die Tabelle zeigt, wie sich die Versichertenstruktur der ÖGK aufteilt. Dreiviertel sind Versicherte, ein Viertel sind Mitversicherte. Unter den Versicherten sind die Erwerbstätigen die wichtigste Gruppe. Die Zahlen sind Jahresdurchschnitte, weshalb zu den Stichtagswerten in Kapitel 2.3. leichte Varianzen auftreten können, die in diesem Beitrag nicht weiter besprochen werden sollen.

2.3
94 % der pflichtversicherten Erwerbstätigen sind arbeiterkammerzugehörig

Diese rund 3,1 Mio Erwerbstätigen mit Pflichtversicherung in der KV können zum Stichtag 1.7.2017 in AK-Zugehörige und Nicht-AK-Zugehörige eingeteilt werden.

AK-zugehörig    landarbeiterkammerzugehörigkeine Kammer     Σ
2.936.215       44.737147.338            3.128.290
94 %1 %5 %100 %

           68

Es zeigt sich, dass 95 % aller pflichtversicherten DN in einer gesetzlichen Interessenvertretung, überwiegend in einer AK, organisiert sind.

2.4
Nur 79 % der pflichtversicherten Erwerbstätigen sind bei Dienstgebern beschäftigt, die der Wirtschaftskammer angehören

Hinsichtlich der DG kommen zahlreiche Interessenvertretungen in Betracht, darunter auch die WKO. Von den rund 239.000 DN beschäftigenden Unternehmen gehörten 2018 rund 160.000 Unternehmen der WKO an, die rund 2.460.000 DN beschäftigen.

Stellt man die Anzahl der DN nach DN-Interessenvertretungen und DG-Interessenvertretungen gekreuzt dar, ergibt sich folgendes Bild:

AK-zugehöriglandarbeiterkammerzugehörigkeine KammerΣ
Wirtschaftskammer2.418.311           14.387                                 33.977           2.466.675
andere Kammern111.479           20.42111.872           143.772
öffentliche DG126.768           3.87092.538           223.176
andere (zB MehrfachV)     279.657           6.0598.951              294.667
2.936.215           44.737147.338           3.128.290

In relativer Darstellung (100 % = 3,1 Mio) zeigt sich schnell, dass knapp 94 % AK-zugehörig sind. 77 % arbeiten bei WKO zugehörigen DG.

AK-zugehöriglandarbeiterkammerzugehörigkeine KammerΣ
Wirtschaftskammer77,3 %0,5 %1,1 %78,9 %
andere Kammern3,6 %0,7 %0,4 %4,6 %
öffentliche DG4,1 %0,1 %3,0 %7,1 %
andere (zB MehrfachV)     8,9 %0,2 %0,3 %9,4 %
93,9 %1,4 %4,7 %100,0 %
2.5
Die Bundesarbeitskammer ist für 94 % aller ÖGK-Versicherten entsendeberechtigt

Es zeigt sich, dass in der ÖGK rund 94 % der Versicherten durch die Arbeiterkammern vertreten sind. Damit sind auch die PensionistInnen, Arbeitslosen, KinderbetreuungsgeldbezieherInnen und die Mitversicherten umfasst. § 4 Abs 1 AKG normiert nämlich: „Die Arbeiterkammern sind berufen, alle zur Interessenvertretung der Arbeitnehmer einschließlich der zuvor als Arbeitnehmer beschäftigten Arbeitslosen und Pensionisten erforderlichen und zweckmäßigen Maßnahmen zu treffen.“

2.6
Die WKO ist deshalb paritätisch entsendeberechtigt, weil die ihr zugehörigen Dienstgeber nur 33,4 % (!) der ÖGK-Versicherten beschäftigen

Demgegenüber vertritt die DG-Seite, insb die WKO, nur die aktiven DG. Diese bezahlen weder Beiträge für die PensionistInnen noch Arbeitslosen (siehe unten), noch haben sie einen gesetzlichen Auftrag, diese Personengruppen zu vertreten. Die WKO repräsentiert rund 160.000 DG, bei denen 2.418.311 versicherte DN beschäftigt sind. Die WKO hat damit die Durchsetzung von Interessen ihrer Mitglieder, die rund 33,4 % der Versicherten der ÖGK beschäftigen, zum Ziel. Diese DG sind Beitragsschuldner, jedoch selbst nicht in der ÖGK versichert.

Obwohl in WKO-Betrieben nur rund 33 % der Versicherten beschäftigt sind, bekommt sie 5 von 12 Sitzen in den Verwaltungsräten der ASVG-Träger (rund 42 % der Sitze).

2.7
Die von der AK repräsentierten Versicherten bringen 72 % der ÖGK-Einnahmen auf, die von der WKO repräsentierten Dienstgeber tragen – für ihre Dienstnehmer – rund 21 % der Einnahmen durch Beiträge bei (!)

Insgesamt gibt es im Zuständigkeitsbereich der ÖGK rund 14,1 Mrd € an Einnahmen (Wert 2017).

Rund 7,5 Mrd € sind Beiträge der Unselbstständigen (DN- und DG-Anteil), rund 3,9 Mrd € andere Beiträge (zB PensionstInnen, Arbeitslose) und rund 2,68 Mrd € sind sonstige Einnahmen (zB Rezeptgebühren, Kostenbeteiligungen usw; siehe zu allem Hauptverband, Statistisches Handbuch der österreichischen Sozialversicherung 2018, Tabelle 5.08).

Der Krankenversicherungsbeitragssatz beträgt 7,65 % der Beitragsgrundlage. Der DN-Anteil beträgt 3,87 %-Punkte (=50,6 %), der DG-Anteil beträgt 3,78 %-Punkte (=49,4 %). Der DG-Anteil an allen Beiträgen (dh WKO-zugehörige Betriebe und nicht WKO-zugehörige Betriebe) von 7,48 Mrd € Gesamtbeiträgen ist 3,69 Mrd €. Der DN-Anteil ist 3,79 Mrd €.

Bei den WKO-zugehörigen DG sind rund 79 % der pflichtversicherten DN beschäftigt. Dar-aus ergibt sich, dass die WKO-zugehörigen DG auch nur 79 % der Hälfte der Beiträge für DN bezahlen. Die Hälfte der Beiträge von 7,5 Mrd € ist 3,75 Mrd € und 79 % davon ergeben rund 2,96 Mrd €. Das wiederum sind 21 % der Gesamtbeiträge von 14,1 Mrd €.

Die AK-zugehörigen DN zahlen 3,56 Mrd € an Beiträgen, hinzu kommen 3,92 Mrd € an Bei-trägen für PensionistInnen und Arbeitslose und 2,68 Mrd € an Kostenbeteiligungen der Ver-sicherten. In Summe 69repräsentiert die AK 10,16 Mio € oder 72 % der Gesamteinnahmen von 14,1 Mrd €.

Beiträge und Kostenbeiträge der VersichertenDG-Anteile (WKO und nicht WKO-Betriebe)
2,68           3,92                      3,78              0,78                                 2,92                         
Andere Einnahmen           Andere Beiträge (zB Pensionen)           DN Anteil Versicherte           DG Anteil Versicherte nicht WK Betriebe           DG Anteil Versicherte bei WK Betrieben           

Neben dem oben beschriebenen Interessengegensatz zwischen DN und DG sprechen auch die Zahlen zur Mittelaufbringung für die ÖGK für sich: Die von der WKO vertretene DG-Seite bringt nur rund 21 % (!) der Einnahmen auf, die von der AK vertretene DN-Seite 72 % aller Einnahmen.

3.
Fazit

Die Richtung ist klar: Sowohl aus (verfassungs)rechtlicher aus als auch aus empirischer Sicht ist eine paritätische Beteiligung der DG in den Trägern nach dem ASVG nicht gerecht-fertigt. Warum sie dennoch in den ASVG-Trägern eingeführt wurde, die in der BVAEB versicherten DN jedoch davon verschont blieben, ist unerfindlich. Gute Gesetze zeichnen sich durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens aus, der Österreich guttut. Das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG) erfüllt diese Anforderung nicht. 70