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Keine Geltendmachung der Ungültigkeit eines Betriebsversammlungsbeschlusses durch den Arbeitgeber

PETERJABORNEGG (LINZ)
§ 42 Abs 1 Z 3, § 49, §§ 59, 60, §§ 73, 74 ArbVG; §§ 5, 6 BRGO; §§ 1431 ff ABGB
  1. Das ArbVG enthält keine Regelungen über eine Anfechtung von Entscheidungen der Betriebsversammlung. Aus §§ 59, 60 ArbVG im Zusammenhang mit der Willensbildung der Belegschaft bei der Betriebsratswahl ist jedoch die grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers ersichtlich, dass sich der AG nur ausnahmsweise bei Verletzung elementarster Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts auf die Ungültigkeit einer Beschlussfassung berufen kann, nicht hingegen auf weniger gewichtige, im Rahmen der Entscheidungsfindung der Betriebsversammlung allfällig unterlaufene Rechtsverstöße.

  2. Der AG ist ähnlich wie bei Beschlüssen des BR weder berechtigt noch verpflichtet, Untersuchungen über die innere Willensbildung der Betriebsversammlung durchzuführen. Dies gilt auch bei Beschlussfassungen über die Einhebung einer Betriebsratsumlage in Betriebsteilversammlungen, und zwar trotz Einbeziehung des AG in die administrative Abwicklung.

  3. Die Beschlussfassung über die Einhebung einer Betriebsratsumlage bezieht sich in der besonderen gesetzlichen Anweisungskonstruktion auf das Valutaverhältnis zwischen AN als Anweisendem und dem Betriebsratsfonds als Anweisungsempfänger. Nach allgemeinem Zivilrecht hat daher bei Rechtsungültigkeit des Beschlusses der Betriebsversammlung ein AN die Kondiktionsklage auf Rückzahlung der rechtsgrundlos geleisteten Betriebsratsumlage gegen den Betriebsratsfonds zu erheben und nicht gegen den AG.

Der Kl ist der bei der Bekl eingerichtete Angestelltenbetriebsrat. Die Hauptniederlassung der Bekl befindet sich in Wien, wo rund 180 der insgesamt rund 260 Mitarbeiter der Bekl tätig sind. Weitere Standorte der Bekl sind S, L und A. Zwecks Einführung einer Betriebsratsumlage entschied sich der Kl dazu, eine Betriebsversammlung in Form von Teilversammlungen an jedem Standort durchzuführen. Die Beschlussfassung [...] erfolgte durch eine geheime Abstimmung mittels Stimmzettels in jeder Teilversammlung. Nach dem veröffentlichten Gesamtergebnis wurden 140 Stimmen abgegeben. 101 AN stimmten für, 38 gegen die Einführung. Eine Stimme war ungültig. Die Anzahl der wahlberechtigten AN wurde mit 259 angegeben.

Der Kl begehrt mit seiner Klage festzustellen, dass die Bekl „der Erfüllung der in den Teilbetriebsversammlungen, am 20.6.2017 in S, am 21.6.2017 in A und L sowie am 22.6.2017 in Wien, durchgeführten geheimen Abstimmungen erforderlichen, gesetzlichen Mehrheitserfordernisse und aufgrund des sohin rechtswirksam gefassten Beschlusses zur Einhebung einer Betriebsratsumlage verpflichtet [ist], eine Betriebsratsumlage in Höhe von monatlich 0,1 % des jeweiligen Bruttogehaltes, einzuheben und an den somit errichteten Betriebsratsfonds abzuführen“. [...] Die Bekl bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung der Klage. [...]

Das Erstgericht wies die Klage ab. [...] Das Berufungsgericht änderte über Berufung des Kl das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. [...] Es ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, ob der AG in zulässiger Weise die Einhebung und Abführung der Betriebsratsumlage unter Hinweis auf einen nicht rechtswirksam zustande gekommenen Beschluss iSd § 73 ArbVG verweigern dürfe, keine Rsp des OGH vorliege. 359 Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt. [...]

In ihrer Rechtsrüge hält die Bekl ihren Standpunkt aufrecht, dass aus mehreren Gründen wegen Verletzung elementarster Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts kein rechtsgültiger Beschluss auf Einführung einer Betriebsratsumlage vorliege (keine ausreichende Information und keine Diskursmöglichkeit in der Betriebsversammlung; Nichteinhaltung des Präsenzquorums von 50 %; unzulässige Durchführung einer „Wahl“; unterlassene Feststellung der Beschlussfähigkeit durch den Vorsitzführenden gem § 5 Abs 1 BRGO). Mangels Identitätskontrolle bei Eintragung in die Mitgliederliste sei auch, wie vom Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung richtig festgehalten, eine mehrfache Stimmabgabe nicht ausgeschlossen gewesen. Bei Ungültigkeit des Beschlusses der Betriebsversammlung und dem hier vorliegenden Wissen oder zumindest Wissenmüssen des AG von der Ungültigkeit dürften die gesetzlich nicht gedeckten Beiträge nicht vom Lohn einbehalten werden. Dies bedeute, dass bei mangelnder Gutgläubigkeit des AG der AN vom AG den von diesem zu Unrecht unter dem Titel „Betriebsratsumlage“ einbehaltenen Gehaltsbestandteil einfordern könne. Der AG sei in diesem Fall nicht auf die Leistungskondiktion gegenüber dem Betriebsratsfonds beschränkt. Der AG sei Schuldner des gesamten dem AN zustehenden Gehalts. Zahle der AG dieses dem AN zustehende Gehalt wegen Einbehalts der „Betriebsratsumlage“ nicht zur Gänze aus und genieße er in Bezug auf die Unwirksamkeit der Betriebsratsumlage keinen Gutglaubensschutz, so schulde er dem AN gegenüber die volle Gehaltszahlung ohne Abzug einer unwirksamen Betriebsratsumlage. Der AG müsste daher in diesem Fall dem kl AN den fehlenden Gehaltsteil nachzahlen. Führe man diesen Gedanken unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Betriebsratsumlage vom AG jedenfalls abzuführen sei, zu Ende, komme man zum völlig unsachgemäßen Ergebnis, dass im Wissen um die fehlende Rechtsgrundlage der AG die Betriebsratsumlage abführen müsste, nur um dann Nachzahlungsansprüche der AN gewärtigen zu müssen. Fraglich wäre in weiterer Folge, ob der AG mangels Gutgläubigkeit überhaupt einen Regressanspruch hätte und gegen wen dieser zu richten wäre, nämlich den BR oder den Betriebsratsfonds, der jedoch möglicherweise mangels Rechtsgrundlage gar keine Partei-/Prozessrechtsfähigkeit hätte. In Anbetracht dieses Ergebnisses könne es nicht angehen, dass der AG kein Recht bzw keine Pflicht haben sollte, Einbehalt und Abführung der Betriebsratsumlage bei fehlender bzw ungültiger Rechtsgrundlage zu verweigern.

1. Zur Deckung der Kosten der Geschäftsführung des BR und der Konzernvertretung sowie zur Errichtung und Erhaltung von Wohlfahrtseinrichtungen und zur Durchführung von Wohlfahrtsmaßnahmen zugunsten der Arbeitnehmerschaft und der ehemaligen AN des Betriebs kann zufolge § 73 Abs 1 ArbVG von den AN eine Betriebsratsumlage eingehoben werden, die höchstens ein halbes Prozent des Bruttoarbeitsentgelts betragen darf. Die Einhebung und Höhe der Betriebsratsumlage beschließt auf Antrag des BR die Betriebs-(Gruppen-)Versammlung; zur Beschlussfassung ist die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der stimmberechtigten AN erforderlich (§ 73 Abs 2 ArbVG). Die Umlagen sind vom AG vom Arbeitsentgelt einzubehalten und bei jeder Lohn-(Gehalts-)Auszahlung an den Betriebsratsfonds abzuführen (§ 73 Abs 3 ArbVG).

2. Die Einhaltung des im Gesetz vorgegebenen Präsenzquorums wird allgemein als Gültigkeitsvoraussetzung eines Beschlusses der Betriebsversammlung auf Einhebung einer Betriebsratsumlage angesehen (Kietaibl, Arbeitsrecht I10 111; Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 10/354; Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 73 ArbVG Rz 28; Gerhartl, Betriebsratsumlage und Betriebsratsfonds – Zwei Seiten einer Medaille, ASoK 2019, 23 [25]; vgl allgemein auch Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 49 ArbVG Rz 5; Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG § 49 Rz 15; Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 49 ArbVG Rz 4, 8).

3. Unterschiedlich werden die Folgen eines rechtsungültigen Beschlusses der Betriebsversammlung auf Einhebung einer Betriebsratsumlage beurteilt:

3.1. Löschnigg (in
, ArbVG § 42 Rz 21) lehrt, dass die Ungültigkeit des Beschlusses über die Betriebsratsumlage dazu führe, dass für den einzelnen AN keine Verpflichtung zur Leistung der Umlage entstehe. Würden dennoch Zahlungen erbracht, sei zu prüfen, ob der AN auch ohne gültigen Beschluss diese Leistungen zur Unterstützung des Betriebsratsfonds bzw der Gesamtbelegschaft erbracht hätte. Im Übrigen kämen die allgemeinen Grundsätze über zivilrechtliche Leistungskondiktionen (§§ 1431 ff ABGB) zur Anwendung. Mangels eines rechtswirksamen Beschlusses dürfte auch der AG die Betriebsratsumlage nicht vom Entgelt in Abzug bringen. Da ihm aber die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses nicht möglich sei, könne er sich nur auf die Mitteilung des Belegschaftsorgans stützen. Eine Rückforderung von aufgrund fehlerhafter Beschlüsse der Belegschaftsversammlung ungerechtfertigt eingehobener Betriebsratsumlagen könne sich daher nicht gegen den AG richten.

3.2. Priewasser (Der Betriebsratsfonds6 [2018] 54 f) wirft die Frage auf, ob der Betriebsinhaber im Falle von groben Verfahrensverstößen die Einhebung der Betriebsratsumlage verweigern kann. Da die entsprechenden Erklärungen über die Einhebung der Betriebsratsumlage vom jeweiligen Betriebsratsvorsitzenden stammten, könne auf die Rsp zur Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden im Zusammenhang mit der Stellungnahme zur Kündigung verwiesen werden. Demnach genieße der Betriebsinhaber, an den sich die Erklärung richte, vollen Vertrauensschutz. Die mangelnde Willensbildung innerhalb der Belegschaft könne an der Gültigkeit der Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden nur etwas ändern, wenn dem Betriebsinhaber bekannt sein musste, dass die nötige Willensbildung der 360 Belegschaft nicht stattgefunden hat. Er sei aber weder berechtigt noch verpflichtet, Nachforschungen darüber anzustellen, ob ein Beschluss der Betriebs-(Gruppen-)Versammlung ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Der Betriebsinhaber werde daher in offensichtlichen Fällen die Einhebung der Betriebsratsumlage ablehnen können, wenn zB der Beschluss auf Einhebung nicht auf der Betriebsversammlung, sondern in einer Betriebsratssitzung gefasst wurde.

3.3. Nach Radner/Preiss (in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 73 ArbVG Rz 5, 26) sind Leistungsklagen zur Rückforderung der Betriebsratsumlage nicht möglich, wenn die Umlage ordnungsgemäß beschlossen worden ist. Die Einhebung der Umlage setze einen gültigen Beschluss der Betriebsversammlung voraus.

3.4. Schneller (in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 42 ArbVG Rz 17) vertritt die Ansicht, dass der AG anders als bei einer gültigen Betriebsratsumlage (§ 73 Abs 3 ArbVG) gesetzlich nicht gedeckte Beiträge nicht vom Lohn einbehalten dürfe. Beiträge an den BR oder an den Betriebsratsfonds, die trotz Fehlens eines gültigen Beschlusses der Betriebsversammlung geleistet wurden, könnten von jedem einzelnen AN nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zurückverlangt werden (Leistungskondiktion gem § 1431 ABGB).

Der OGH hat hierzu erwogen:

4.1. Die Betriebs-(Betriebshaupt-)Versammlung besteht aus der Gesamtheit der AN des Betriebs (§ 41 Abs 1 ArbVG). Sie ist damit das „Basisorgan der Arbeitnehmerschaft im Betrieb“ (Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 42 Rz 3). Weil ihr gem § 42 Abs 1 ArbVG ua die Wahl des Wahlvorstands für die Betriebsratswahl (Z 2), die Beschlussfassung über dessen Enthebung (Z 5), die Beschlussfassung über die Enthebung des BR (Z 4) und – hier von Relevanz – die Beschlussfassung über die Einhebung und die Höhe einer Betriebsratsumlage sowie über die Art und Weise der Auflösung des Betriebsratsfonds (Z 3) obliegt, kommt ihr für die Bildung des Vertretungsorgans gegenüber dem AG (BR) und von eigenständigen Finanzmitteln (Betriebsratsumlage, Betriebsratsfonds) entscheidende Bedeutung zu (Kallab, aaO).

4.2. Bei all dem handelt es sich um strategische Entscheidungen der Gesamtheit der AN des Betriebs. Es handelt sich – auch beim Recht auf Einhebung einer Betriebsratsumlage – um Alleinbestimmungsrechte (Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 11/025; Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 345), die der Belegschaft die autonome Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten sichern (Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG § 42 Rz 2). Hierin liegt auch begründet, dass der AG oder sein Vertreter im Betrieb nur auf Einladung der Einberufer an der Betriebsversammlung teilnehmen kann (§ 48 Satz 3 ArbVG).

4.3. Das ArbVG enthält keine Regelungen über eine Anfechtung von Entscheidungen der Betriebsversammlung. Ähnlich der Willensbildung des BR (dazu RIS-Justiz RS0051490; Mosler in Tomandl, ArbVG § 71 Rz 13 uva) ist der AG weder berechtigt noch verpflichtet, Untersuchungen über die innere Willensbildung der Betriebsversammlung durchzuführen.

Ferner ist aus §§ 59, 60 ArbVG im Zusammenhang mit der Willensbildung der Belegschaft bei der Betriebsratswahl die grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers ersichtlich, dass der AG nur ausnahmsweise zur Bekämpfung des Ergebnisses berechtigt ist. Einerseits kann er sich gegen die Existenz eines BR stellen, dessen Wahl mit massivsten Mängeln, die zur Verletzung elementarster Grundsätze führen, belastet ist (§ 60 ArbVG; vgl zum „Zerrbild“ einer Wahl RS0051176; RS0051171). Andererseits kann er die Wahl des BR nach § 59 Abs 2 ArbVG anfechten, wenn sie ihrer Art oder ihrem Umfang nach oder mangels Vorliegens eines Betriebs nicht durchzuführen gewesen wäre, was ja regelmäßig auch die Interessen des AG berührt. Bei der bloßen Anfechtung einer Wahl nach § 59 ArbVG kann sich der AG aber nicht auf Verletzungen von wesentlichen Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitenden Grundsätzen des Wahlrechts berufen.

Elementarste Grundsätze einer Wahl (8 ObA 2303/96a= DRdA 1998/5 [Marhold-Weinmeier] = ZAS 1998/7 [Jabornegg]) werden etwa dann verletzt, wenn nicht einmal die Merkmale einer Wahl erkennbar sind und die Wahl nur mehr als das Zerrbild einer Wahl bezeichnet werden kann (9 ObA 74/93mwN).

Jedenfalls bei Beschlussfassungen der Belegschaft, die nicht unmittelbar die Interessen des AG berühren (vgl aber auch insoweit 8 ObA 2303/96a=

[Marhold-Weinmeier] = ZAS 1998/7 [Jabornegg]), besteht eine strikte Trennung zwischen AG und Belegschaftsvertretung (vgl Gerhartl, Zu den Mitwirkungs- und Duldungspflichten des Betriebsinhabers im Vorfeld einer BR-Wahl, DRdA 2007, 202 [205]). Folge dieser Trennung ist, dass sich der AG nicht auf weniger gewichtige, im Rahmen der Entscheidungsfindung der Betriebsversammlung allfällig unterlaufene Rechtsverstöße berufen und hieraus für sich die Ungültigkeit eines Beschlusses der Betriebsversammlung ableiten kann.

4.4. Eine unmittelbare Interessenbeeinträchtigung des AG durch die Beschlussfassung ist nicht ersichtlich. Die bloße administrative Abwicklung vermag diese nicht darzustellen. Von besonders massiven Verstößen iS eines „Zerrbildes“ einer Betriebsversammlung kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein:

4.4.1. Die Stimmabgabe in der Betriebsversammlung hat gem § 5 Abs 4 Satz 1 Betriebsrats- Geschäftsordnung 1974 (BRGO, BGBl 1974/355idgF) zwar grundsätzlich durch Handerheben zu erfolgen. Der Vorsitzführende kann aber stets, sofern es ihm zweckmäßig erscheint, die geheime Abstimmung mittels Stimmzettels vornehmen lassen (Satz 4 leg cit). Von dieser Möglichkeit wurde hier Gebrauch gemacht. Insofern liegt gar kein Verstoß vor.

4.4.2. Dass die bekanntgegebenen Beginn- und Endzeiten der Betriebsversammlung nicht strikt eingehalten und bereits offenbar ein paar Minuten verfrüht oder verspätet Stimmabgaben erfolgten, 361 stellt jedenfalls keinen Verstoß gegen elementarste Grundsätze einer Wahl (bzw Abstimmung) dar, sodass sich der bekl AG auf diesen Umstand nicht berufen kann.

4.4.3. § 67 Nationalrats-Wahlordnung sieht vor, dass der Wähler beim Wahlvorgang der Wahlbehörde eine Urkunde oder eine sonstige amtliche Bescheinigung vorzulegen hat, aus der seine Identität einwandfrei ersichtlich ist, etwa und insb einen amtlichen Lichtbildausweis. Bei Nichtbesitz eines solchen Dokuments ist er nur dann zur Abstimmung zuzulassen, wenn er der Mehrheit der Mitglieder der Wahlbehörde persönlich bekannt ist und kein Einspruch erhoben wird. Eine derartige Vorschrift ist für Betriebsversammlungen nicht vorgesehen. Es ist grundsätzlich von einer beabsichtigten Lücke auszugehen (vgl 8 ObA 61/17dPkt 8.1 = DRdA 2018/38 [Schneller] = ZAS 2018/51 [Hörmann]); sind doch die AN dem Wahlvorstand häufig ohnehin persönlich bekannt. Aber auch bei anderer Beurteilung stellte der Umstand, dass im vorliegenden Fall keine Identitätsüberprüfung bei Einwurf des Stimmzettels in die Wahlurne durchgeführt wurde, sondern sich die Abstimmenden selbst in die aufliegende Mitarbeiterliste eintrugen, jedenfalls keine so massive Verletzung elementarster Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts dar, welche von der bekl AG geltend gemacht werden könnte.

4.4.4. Gem § 73 Abs 2 2. Halbsatz ArbVG ist zur Beschlussfassung über die Einhebung und Höhe der Betriebsratsumlage die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der stimmberechtigten AN erforderlich. Gem § 5 Abs 1 Satz 4 BRGO hat der Vorsitzführende bei Beginn der Betriebs-(Gruppen-, Betriebshaupt-)Versammlung, in der Beschlüsse gefasst werden sollen, die Beschlussfähigkeit festzustellen. Im vorliegenden Fall wurde § 5 Abs 1 Satz 4 BRGO zwar nicht entsprochen, es nahmen aber mehr als die Hälfte der AN der Bekl an der geheimen Abstimmung teil. Ob – wie vom Kl vertreten – § 5 Abs 1 Satz 4 BRGO bei Durchführung einer geheimen Abstimmung iSd § 5 Abs 4 BRGO, an der mehr als die Hälfte der Mitarbeiter teilnimmt, keine Bedeutung mehr besitzt, kann unbeantwortet bleiben. Selbst wenn man dies verneint und eine Verletzung von § 5 Abs 1 Satz 4 BRGO annimmt, so handelt es sich keinesfalls um eine Verletzung elementarster Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts, welche von der bekl AG geltend gemacht werden könnte.

4.4.5. Dem Hinweis der Bekl darauf, dass die feststehende gleichzeitige Anwesenheit von (deutlich) weniger als 50 % der Belegschaft dem Charakter einer Betriebsversammlung widerstreitet, zumal es hierdurch gerade nicht möglich ist, dass ein Mitarbeiter vor zumindest 50 % der Belegschaft seine Meinung kundtun und allenfalls hierdurch auch das Ergebnis der Betriebsversammlung beeinflussen kann, ist zutreffend. Letztlich ist damit aber bloß der Diskurs innerhalb der Belegschaft angesprochen. Es widerspräche der Belegschaftsautonomie, könnte sich der AG auf inhaltliche Mängel wie eine unzureichende Informationsbasis oder einen (mehr oder weniger) beeinträchtigten DisDiskurs bei der Entscheidungsfindung der Belegschaft berufen. Anderenfalls könnte der AG etwa auch bei Anwesenheit der gesamten Belegschaft aus dem Umstand, dass einem Mitarbeiter vom Vorsitzführenden eine Wortmeldung verweigert wurde und dieser Mitarbeiter hierdurch womöglich nicht das Ergebnis der Betriebsversammlung maßgeblich beeinflussen konnte, die Ungültigkeit des von der Betriebsversammlung gefassten Beschlusses ableiten. Dass die feststehende gleichzeitige Anwesenheit von (deutlich) weniger als 50 % der Belegschaft hier zu einer untolerierbaren Verzerrung des Ergebnisses geführt hat, ist im Übrigen nicht ersichtlich.

4.5. In entsprechender Anwendung der sich aus §§ 59, 60 ArbVG ergebenden Wertung kann sich die bekl AG daher – wie bereits vom Berufungsgericht erkannt – nicht auf einen allfällig vorliegenden, jedenfalls aber nicht als massive Verletzung elementarster Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts zu wertenden Rechtsverstoß im Zuge der Beschlussfassung der Betriebsversammlung über die Einhebung einer Betriebsratsumlage berufen.

5. Gegen dieses Ergebnis, dass sie sich nicht auf die allenfalls vorliegende Rechtsungültigkeit der Beschlussfassung berufen kann, wendet die Bekl ein, dass sie dann verpflichtet wäre, die Betriebsratsumlage an den Betriebsratsfonds abzuführen, aber die – zumindest ihrem Standpunkt nach – vorliegende Rechtsungültigkeit der Beschlussfassung dazu führte, dass AN gegen sie Ansprüche auf Zahlung des restlichen Arbeitsentgelts (in Höhe von einer Promille) erheben könnten, sodass es ihr letztlich droht, doppelt in Anspruch genommen zu werden.

Der OGH hat hierzu erwogen:

5.1. Sollte die Beschlussfassung über die Einhebung der Betriebsratsumlage nicht rechtsgültig sein, ermöglicht dies – wie bereits in der Literatur ausgeführt (Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG § 42 Rz 21; Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 42 ArbVG Rz 17; im Ansatz auch Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 73 ArbVG Rz 5) – nach den allgemeinen Grundsätzen über zivilrechtliche Leistungskondiktionen (§§ 1431 ff ABGB) eine Klage auf Rückforderung der Betriebsratsumlage.

5.2. Materiell-rechtlicher Schuldner der Betriebsratsumlage ist der einzelne AN, der Betriebsratsfonds ist der Gläubiger der einzelnen umlagepflichtigen AN (Floretta in Floretta/Strasser, ArbVG § 73 Anm 5 [aE]; Strasser/Jabornegg, ArbVG3 § 73 Anm 11 und 14; dies, Arbeitsrecht II4 346; Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 73 Rz 20).

5.3. Der Betriebsratsfonds ist gem § 74 Abs 1 ArbVG mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet. Er entsteht von Gesetzes wegen durch die Zuwendung von Vermögen zu dem in § 73 ArbVG bezeichneten Zweck (8 ObA 182/00y= DRdA 2002/1 [Holzer]; 8 ObA 13/05b= DRdA 2006/24 [Resch] mwH). Die Rechtspersönlichkeit des Betriebsratsfonds hängt damit nicht von der Gültigkeit des Beschlusses der Betriebsversammlung auf Einhebung einer Betriebsratsumlage ab, sondern nur davon, dass ihm tatsächlich zweckgewidmetes Vermögen zugekommen 362 ist (Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 74 Rz 1 mwH). Der Betriebsratsfonds ist – anders als zufolge § 53 Abs 1 ASGG die Betriebsversammlung – auch parteifähig (Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 74 Rz 5; Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 74 Rz 4; Gerhartl, ASoK 2019, 26).

5.4. Der AG schuldet dem AN das Arbeitsentgelt. Wenn § 73 Abs 3 ArbVG den AG verpflichtet, die Umlagen vom Arbeitsentgelt einzubehalten und bei jeder Lohn-(Gehalts-)Auszahlung an den Betriebsratsfonds abzuführen, so stellt dies materiell- rechtlich eine besondere gesetzliche Anweisung auf Schuld dar. Die Besonderheit liegt darin, dass das Gesetz selbst die Anweisung vornimmt. Das Gesetz substituiert die Anweisung des AN an den AG, vom Arbeitsentgelt dem Betriebsratsfonds die Umlage auszuzahlen. Dass es keiner persönlichen Anweisung des einzelnen AN bedarf, liegt darin begründet, dass der Abzug der Betriebsratsumlage von seinem Arbeitsentgelt zugunsten des Betriebsratsfonds auch gegen seinen Willen erfolgen kann (vgl Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 73 ArbVG Rz 2). Das Recht zur Einhebung der Betriebsratsumlage ist ein solches der Belegschaft. Da § 73 Abs 3 ArbVG die persönliche Anweisung des AN substituiert, ist der AN insoweit als Anweisender anzusehen.

5.5. Indem der AG der besonderen gesetzlichen Anweisung des § 73 Abs 3 ArbVG entspricht, erfüllt er seine Pflicht zur Auszahlung des betreffenden Teils des Arbeitsentgelts an den AN und gleichzeitig der AN seine Umlagepflicht gegenüber dem Betriebsratsfonds (vgl Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II14 Rz 716, 720).

5.6. Die Beschlussfassung über die Einhebung einer Betriebsratsumlage ist in dieser besonderen gesetzlichen Anweisungskonstruktion auf Schuld das Valutaverhältnis zwischen dem AN als Anweisenden (und materiell-rechtlich betrachtet Gläubiger des Arbeitsentgelts und gleichzeitig Schuldner der Betriebsratsumlage) und dem Betriebsratsfonds als Anweisungsempfänger (und materiellrechtlich betrachtet Gläubiger der Betriebsratsumlagepflicht des einzelnen AN). Bei Rechtsunwirksamkeit des Valutaverhältnisses hat nach allgemeinem Zivilrecht die Rückabwicklung zwischen dem Anweisenden und dem Anweisungsempfänger zu erfolgen (Koziol/Spitzer in KBB5 Vor §§ 1431-1437 Rz 5; Kerschner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1431 Rz 22). Damit müsste im Fall der Rechtsungültigkeit des Beschlusses der Betriebsversammlung auf Einhebung einer Betriebsratsumlage ein AN gegen den Betriebsratsfonds die Kondiktionsklage auf Rückzahlung der rechtsgrundlos geleisteten Betriebsratsumlage erheben (vgl 8 ObA 11/18b: Klage einer AN gegen einen Betriebsratsfonds unter Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einhebungsbeschlusses). Inwieweit die Möglichkeit einer allgemein wirksamen Klärung für alle AN besteht, bedarf hier keiner Erörterung.

Auch aus einer kondiktionsrechtlichen Betrachtung lässt sich damit keine Begründung dafür ableiten, warum ein AG – abseits von Verstößen gegen elementarste Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts – entgegen der Ausgestaltung der Einhebung einer Betriebsratsumlage als Alleinbestimmungsrecht der Belegschaft die Ungültigkeit des Beschlusses der Betriebsversammlung auf Einhebung einer Betriebsratsumlage dem Begehren nach § 73 Abs 3 ArbVG auf Einbehaltung und Abführen der Betriebsratsumlage an den Betriebsratsfonds entgegenhalten können sollte.

6. Das Klagebegehren ist als Feststellungsbegehren zu qualifizieren. Bloße rechtliche Qualifikationen, Eigenschaften oder Vorfragen eines Rechts sind nicht feststellungsfähig (RS0038902 [T3]). Feststellungsfähig ist, dass die Bekl verpflichtet ist, eine Betriebsratsumlage in Höhe von monatlich 0,1 % des jeweiligen Bruttogehalts einzuheben und an den Betriebsratsfonds abzuführen. Dass diese Verpflichtung „aufgrund der Erfüllung der in den Teilbetriebsversammlungen, am 20.6.2017 in S, am 21.6.2017 in A und L sowie am 22.6.2017 in Wien, durchgeführten geheimen Abstimmungen erforderlichen, gesetzlichen Mehrheitserfordernisse und aufgrund des sohin rechtswirksam gefassten Beschlusses zur Einhebung einer Betriebsratsumlage“ besteht und dass der Betriebsratsfonds „somit errichtet“ ist, betrifft Vorfragen des feststellungsfähigen Rechts.

Die angefochtene Entscheidung war daher mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die betreffenden Teile des Feststellungsbegehrens aus dem klagsstattgebenden Urteilsspruch auszuscheiden sind.

ANMERKUNG
1.
Beschlussmängel im Betriebsversammlungsrecht

Für die im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen ist von zentraler Bedeutung, dass das ArbVG – wie auch der OGH zu Recht betont – keine Sondervorschriften für allfällige Beschlussmängel im Betriebsversammlungsrecht enthält. Es gibt nun zwei Wege, wie man mit diesem Manko umgehen kann. Entweder wendet man, da es bei derartigen Beschlussfassungen durchwegs um Willenserklärungen der Belegschaftsmitglieder und zugleich der Belegschaft insgesamt geht, einfach allgemeines Rechtsgeschäftsrecht an, oder man nimmt eine unbeabsichtigte Regelungslücke an und versucht Einzelanalogien zu sachlich vergleichbaren Sonderregelungen. Anzumerken ist, dass das Fehlen gesetzlicher Spezialregelungen für mangelhafte Organbeschlüsse auch in anderen Rechtsgebieten zu finden ist und dort ganz vergleichbare Überlegungen zur Folge hat. Dies gilt zB für das Personengesellschaftsrecht (Offene Gesellschaft [OG], Kommanditgesellschaft [KG], Gesellschaft nach bürgerlichem Recht [GesbR]), wo anders als etwa im Aktienrecht (§§ 195 ff AktG), im GmbH-Recht (§§ 41 ff GmbHG) oder auch im Vereinsrecht (§ 7 VerG) spezielle Regelungen für die Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen fehlen und deshalb einerseits Beschlussnichtigkeit nach allgemeinen Regeln angenommen wird, von 363 Teilen des Fachschrifttums aber auch Analogien zum Beschlussanfechtungsrecht im Kapitalgesellschafts- oder im Vereinsrecht gezogen werden (vgl jeweils mwN Artmann/Haglmüller in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 § 1192 Rz 34 ff und 41 f; Rauter in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1192 Rz 63 ff und 71 ff; Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht [2017] Rz 236 ff, insb 251 ff; Haglmüller in Artmann, UGB3 § 119 Rz 31 ff und 36 f; Thöni in Zib/Dellinger, Großkomm UGB § 119 Rz 193 ff sowie 224 ff und 251 ff; Kraus in U. Torggler, UGB3 § 119 Rz 21 ff).

Im vorliegenden Kontext würde die zweite Lösungsvariante wohl dazu führen, dass man als nächstmögliche sachlich verwandte Regelung die §§ 59 und 60 ArbVG über die Anfechtung oder Nichtigkeit von Betriebsratswahlen heranzuziehen und in sinngemäßer Anwendung zwischen anfechtbaren oder nichtigen Betriebsversammlungsbeschlüssen zu unterscheiden hätte und auch in Fragen der Anfechtungsberechtigung einschließlich der Beachtung entsprechender Fristen konkrete Analogien zu § 59 ArbVG ziehen müsste. Die erste Variante würde hingegen darauf hinauslaufen, dass ein den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprechender Beschluss eben gesetzwidrig und damit nichtig iSd § 879 Abs 1 ABGB wäre, was dann bei entsprechendem Feststellungsinteresse entweder mit Feststellungsklage nach § 228 ZPO oder aber auch einfach einredeweise geltend gemacht werden könnte. Freilich würde die Anwendung allgemeiner Regeln weder bedeuten, dass wirklich jeder Beschlussfehler eine Nichtigkeit zur Folge hätte, noch, dass die Beschlussungültigkeit von jeder nur irgendwie betroffenen Person ohne zeitliche Schranken jederzeit geltend gemacht werden könnte. Vielmehr führt schon die allgemein anerkannte Dogmatik zu § 879 ABGB dazu, dass jeweils nach Maßgabe des Zwecks der verletzten Norm sowohl für die Frage der sachlichen als auch personellen Reichweite der Nichtigkeit differenziert werden muss (vgl mwN bloß Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB [Stand 1.11.2014, rdb.at] Rz 21 ff; Rebhahn/Kietaibl in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 879 ABGB Rz 68 ff).

Eine nähere Analyse der vorliegenden E zeigt, dass der OGH nicht den Weg einer konkreten Analogie zur Betriebsratswahlanfechtung und -nichtigkeit geht, sondern den §§ 59, 60 ArbVG bloß die grundsätzliche Wertung entnimmt, dass der AG nur ausnahmsweise zur Bekämpfung des Wahlergebnisses berechtigt sei. Dass er selbst bei solchen Ausnahmefällen nicht an eine Einzelanalogie zu den Anfechtungsbestimmungen des § 59 ArbVG denkt, zeigt auch der Umstand, dass er im weiteren Verlauf der Argumentation nur von der Berufung auf „die allenfalls vorliegende Rechtsungültigkeit der Beschlussfassung“ spricht und nicht von einer sinngemäßen Anfechtbarkeit des Beschlusses.

Damit hat es offenbar nach Meinung des OGH bei der Anwendung allgemeiner Rechtsgeschäftsregeln zu bleiben, weshalb es letztlich nur darum geht, ob im Hinblick auf die von der Bekl behaupteten möglichen Gesetzwidrigkeiten und damit verbundenen Beschlussmängel eine Beschlussnichtigkeit gem § 879 Abs 1 ABGB anzunehmen ist, auf die sich auch der AG berufen kann. Dass dabei für Fragen der absoluten oder zugunsten bestimmter Beteiligter bloß relativen Nichtigkeit auch sonstige allgemeine gesetzliche Wertungen des Betriebsverfassungsrechts sowie auch der speziellen Regelungen über fehlerhafte Betriebsratswahlen mit einfließen müssen, entspricht – wie schon gesagt – vollauf der Dogmatik des § 879 ABGB.

Diesem allgemeinen Ansatz des OGH ist auch in der Sache vollauf zuzustimmen, weil gerade angesichts der speziellen Normierung des Wahlanfechtungs- und -nichtigkeitsrechts wohl kaum von einer ungewollten Gesetzeslücke für fehlerhafte Betriebsversammlungsbeschlüsse gesprochen werden kann, sondern davon ausgegangen werden muss, dass eben insoweit dem Gesetzgeber die Anwendung von allgemeinem Rechtsgeschäftsrecht ausreichend erschien.

Von dieser Grundlage ausgehend, erscheinen letztlich die Überlegungen des OGH zur konkreten Fallentscheidung schlüssig und überzeugend.

2.
Nur ausnahmsweise Geltendmachung der Ungültigkeit von Betriebsversammlungsbeschlüssen durch den AG

So ist – wie der OGH unter Auswertung des Fachschrifttums darlegt – jedenfalls zutreffend, dass die Einhaltung des gesetzlich vorgegebenen Präsenzquorums an sich als Gültigkeitsvoraussetzung eines Beschlusses der Betriebsversammlung anzusehen ist und dies dementsprechend auch für den Beschluss über die Einhebung einer Betriebsratsumlage gilt. Fallbezogen geht es freilich allein um die mögliche personelle Reichweite einer allfälligen Beschlussnichtigkeit und speziell um die Frage, ob sich gerade auch der AG darauf berufen kann. Zu dieser die maßgeblichen Normzwecke betreffenden Frage weist der OGH mit Recht auf einschlägige Wertungen des Betriebsverfassungsrechts hin: Beim Recht auf Einhebung der Betriebsratsumlage handelt es sich um ein Alleinbestimmungsrecht der Belegschaft, welches von dieser autonom und ganz unabhängig von möglichen Interessen des AG auszuüben ist. Schon das allein spricht dafür, dass eine allfällige Mangelhaftigkeit des Beschlusses auch in Ansehung der möglichen Verletzung des Präsenzquorums nur von den Belegschaftsmitgliedern, nicht jedoch vom AG geltend gemacht werden kann. Entscheidend bestätigt wird diese bloß relative Wirkung von Beschlussmängeln auch durch die §§ 59, 60 ArbVG, wonach im Zusammenhang mit der Willensbildung der Belegschaft bei der Betriebsratswahl ganz ausdrücklich vorgesehen ist, dass der AG nur ausnahmsweise zur Bekämpfung des Ergebnisses berechtigt ist. Eine mögliche Anfechtung der Betriebsratswahl durch den AG kommt nämlich gem § 59 ArbVG nur in Betracht, wenn dieser insofern unmittelbar in seinen Interessen beeinträchtigt erscheint, als eine Betriebsratswahl ihrer Art oder ihrem Umfang nach oder mangels Vorliegens eines Betriebes erst gar nicht durchzuführen gewesen wäre. Ein vergleichbarer 364 Fall läge bei Missachtung des Präsenzquorums in der Betriebsversammlung zur Beschlussfassung über die Einhebung einer Betriebsratsumlage zweifellos nicht vor, weil dieser Umstand allein die Willensbildung der Belegschaft betrifft. Wenn der OGH zusätzlich betont, dass eine vergleichbare Interessenbeeinträchtigung des AG auch durch seine Einbeziehung in die administrative Abwicklung der Abführung der Betriebsratsumlage an den Betriebsratsfonds nicht besteht, so ist auch das gut nachvollziehbar. Zwar kann man insoweit nicht mehr sagen, dass der AG von der gültigen oder ungültigen Beschlussfassung durch die Belegschaft gar nicht betroffen wäre, doch ist eine Vergleichbarkeit mit den Fällen einer Betriebsratswahlanfechtung wegen unzulässiger Wahl nicht gegeben. Denn die Frage, ob eine Betriebsratswahl nach Art oder Umfang fehlerhaft ist oder mangels Vorliegens eines Betriebes gar nicht stattzufinden hätte, betrifft die vom AG selbst geschaffene Betriebsorganisation, auf die er sich dementsprechend auch gegenüber der Belegschaft berufen können soll. Demgegenüber geht es beim Beschluss über die Einhebung einer Betriebsratsumlage ausschließlich um eine interne Belegschaftsangelegenheit und damit um Fragen der autonomen Organisation und Finanzierung der Belegschaftsvertretung.

Damit bleibt aber als nächstliegende gesetzliche Wertung nur noch eine Parallele zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl nach § 60 ArbVG in Betracht, die jedoch, wie der OGH zutreffend ausführt, bloß dann vorliegt, wenn die Wahl unter Verletzung elementarster Grundsätze durchgeführt wurde und sich somit gleichsam nur noch als „Zerrbild“ einer echten Wahl darstellt. So gesehen könnte sich auch unter dem Aspekt einer Beschlussnichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB der AG sinngemäß nur dann auf die Nichtigkeit von Betriebsversammlungsbeschlüssen berufen, wenn bei diesen elementarste Grundsätze der Willensbildung der Belegschaft missachtet worden wären und damit in der Sache nur noch von einem „Zerrbild“ einer Beschlussfassung der Betriebsversammlung gesprochen werden könnte. Dass davon im vorliegenden Fall keine Rede sein kann, hat der OGH detailliert und überzeugend nachgewiesen:

  • Wenn der Vorsitzführende eine geheime Abstimmung mittels Stimmzettels vornehmen lässt, steht das in seinem Ermessen und stellt daher von vornherein keine Gesetzwidrigkeit dar.

  • Wenn bekanntgegebene Beginn- und Endzeiten einer Betriebsversammlung nicht strikt eingehalten und Stimmabgaben bereits verfrüht oder verspätet erfolgt sind, verstößt auch das nicht gegen elementarste Grundsätze einer Abstimmung.

  • Gleiches gilt auch für das Unterlassen einer förmlichen Identitätsüberprüfung bei Einwurf des Stimmzettels in die Wahlurne, weil Gesetz und Betriebsrats-Geschäftsordnung (BR-GO) diesbezüglich offenbar einen weiten Ermessensspielraum zulassen und auch dann, wenn sich die Abstimmenden selbst in die aufliegende Mitarbeiterliste eintragen können, jedenfalls keine so massive Verletzung elementarster Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts vorliegen würde, die vom AG geltend gemacht werden könnte.

  • Soweit dem § 5 Abs 1 Satz 4 BRGO betreffend die Feststellung der Beschlussfähigkeit zwar nicht entsprochen wurde, letztlich aber dem nach § 73 Abs 2 2. Halbsatz ArbVG erforderlichen Anwesenheitsquorum mittelbar dadurch Rechnung getragen wurde, dass mehr als die Hälfte der AN der Bekl an der geheimen Abstimmung teilgenommen haben, liegt keinesfalls ein Beschlussmangel von solcher Qualität vor, der vom AG geltend gemacht werden könnte.

  • Soweit vorliegend feststeht, dass (deutlich) weniger als 50 % der Belegschaft gleichzeitig bei der Betriebsversammlung anwesend waren, könnte das zwar als möglicher Mangel relevant sein, betrifft aber nur den Diskurs innerhalb der Belegschaft, weshalb sich der AG schon aus Gründen der Belegschaftsautonomie keinesfalls auf einen mehr oder weniger beeinträchtigten Diskurs bei der Entscheidungsfindung der Belegschaft berufen kann. Von einer untolerierbaren Verzerrung des Ergebnisses kann im Übrigen auch hier keine Rede sein.

3.
Rückabwicklungsfragen bei ungültigem Betriebsversammlungsbeschluss

Der fehlenden Möglichkeit, sich auf die Rechtsungültigkeit des Betriebsratsbeschlusses über die Einhebung einer Betriebsratsumlage berufen zu können, hält die Bekl schließlich noch entgegen, dass sie dann einerseits verpflichtet wäre, die Betriebsratsumlage an den Betriebsratsfonds abzuführen, aber gleichzeitig Gefahr laufe, auch noch von den AN auf Zahlung des restlichen Arbeitsentgelts in Anspruch genommen zu werden. Der OGH begegnet diesem Einwand im Wesentlichen mit Ausführungen zu den für Leistungskondiktionen im Dreiecksverhältnis maßgeblichen Grundsätzen:

  • Wenn § 73 Abs 3 ArbVG den AG verpflichte, die Umlagen vom Arbeitsentgelt einzubehalten und bei jeder Lohn-(Gehalts-)Auszahlung an den Betriebsratsfonds abzuführen, so stelle dies materiell-rechtlich eine besondere gesetzliche Anweisung auf Schuld dar. Die Besonderheit liege darin, dass das Gesetz selbst die Anweisung des AN an den AG substituiere, vom Arbeitsentgelt dem Betriebsratsfonds die Umlage auszuzahlen und dies auch gegen den Willen des AN erfolgen könne.

  • Die Beschlussfassung über die Einhebung einer Betriebsratsumlage sei in dieser besonderen gesetzlichen Anweisungskonstruktion auf Schuld das Valutaverhältnis zwischen dem AN als Anweisenden (und materiell-rechtlich betrachtet Gläubiger des Arbeitsentgelts und gleichzeitig Schuldner der Betriebsratsumlage) und dem Betriebsratsfonds als Anweisungsempfänger (und materiell-rechtlich betrachtet Gläubiger der Betriebsratsumlagepflicht des einzelnen AN). 365

  • Da nun bei Rechtsunwirksamkeit des Valutaverhältnisses nach allgemeinem Zivilrecht die Rückabwicklung zwischen dem Anweisenden und dem Anweisungsempfänger zu erfolgen habe, müsse bei Ungültigkeit des Beschlusses der Betriebsversammlung auf Einhebung einer Betriebsratsumlage ein AN gegen den Betriebsratsfonds die Kondiktionsklage auf Rückzahlung der rechtsgrundlos geleisteten Betriebsratsumlage erheben.

  • Damit gebe es aber auch aus bereicherungsrechtlicher Sicht keine Begründung dafür, warum ein AG die Ungültigkeit des Betriebsratsumlagen- Beschlusses dem Begehren nach § 73 Abs 3 ArbVG auf Einbehaltung und Abführen der Betriebsratsumlage an den Betriebsratsfonds entgegenhalten können sollte.

Auch diese Ausführungen sind im Kern sicher zutreffend, bedürfen aber wohl noch einer kleinen Ergänzung. Denn wenn der Beschluss auf Einhebung einer Betriebsratsumlage wirklich ungültig ist, betrifft das keineswegs nur das Valutaverhältnis zwischen AN und Betriebsratsfonds, sondern geradezu zwangsläufig zugleich die vom Gesetz substituierte Anweisung des AN als solche. Gerade bereicherungsrechtlich ist aber anerkannt, dass bei Ungültigkeit der Anweisung als solcher die Leistung des (vermeintlich) Angewiesenen dem (vermeintlich) Anweisenden nicht zugerechnet werden kann und daher jener die nicht geschuldete Leistung an den Anweisungsempfänger von diesem zurückfordern kann (vgl etwa Kerschner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1431 Rz 22; Rummel in Rummel, ABGB3 Vor § 1431 [Stand 1.1.2002, rdb.at] Rz 14d; Lurger in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.06 Vor §§ 1431-1437 [Stand 1.3.2019, rdb.at] Rz 7; Koziol/Spitzer in KBB5 Vor §§ 1431-1437 Rz 5).

So gesehen wäre aber bei Ungültigkeit des Betriebsversammlungsbeschlusses über die Einhebung einer Betriebsratsumlage im Verhältnis AN und Betriebsratsfonds nicht nur die (das Valutaverhältnis bildende) Verpflichtung des AN zur Leistung der Betriebsratsumlage ungültig, sondern könnte aus AN-Sicht auch keine vom Gesetz diesem zugeordnete „Anweisung“ unterstellt werden, von seinem Entgelt eine Betriebsratsumlage in Abzug zu bringen und direkt an den Betriebsratsfonds zu zahlen. Demnach müsste der AN weiterhin vom AG volle Lohnzahlung verlangen und auch der AG mangels gültiger „Anweisung“ die zunächst an den Betriebsratsfonds geleisteten Beträge zurückverlangen können.

Das von der Bekl vorgetragene mögliche Dilemma lässt sich somit nicht allein mit den allgemeinen Regeln des Bereicherungsrechts bei Anweisungssituationen ausräumen. Entscheidend dafür, dass der OGH doch das Richtige trifft, sind jedoch die in Fällen der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften bei Gesetzwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB ohnehin stets zu beachtenden Zwecke der verletzten Normen. Insoweit ist festzuhalten, dass der OGH die von ihm vertretene Irrelevanz der Argumentation der bekl AG zwar rein bereicherungsrechtlich analysiert, aber dann doch mit dem einschränkenden Zusatz versieht, dass dies nur „abseits von Verstößen gegen elementarste Grundsätze des Betriebsversammlungsrechts“ gelten solle. Genau das ist der springende Punkt, dass angesichts der in den Entscheidungsgründen ausführlich dargelegten betriebsverfassungsrechtlich bestehenden Notwendigkeit, bei den Beschlussmängeln zwischen solchen, die allein die Belegschaftsautonomie betreffen und daher nur von den AN geltend gemacht werden können, und solchen, die so gravierend sind, dass nur mehr das „Zerrbild“ eines Beschlusses vorliegt und deshalb auch keinerlei Bindung für den AG zur Folge haben kann, differenziert werden muss. Dementsprechend ist auch bei Anwendung des § 879 Abs 1 ABGB zwischen einer bloß die Belegschaft und deren Mitglieder erfassenden relativen Nichtigkeit und nur ganz ausnahmsweise auch von einer den AG mit einschließenden absoluten Nichtigkeit von Betriebsratsbeschlüssen zu unterscheiden. Nur im letztgenannten Fall ist der AG gehalten, die von vornherein auch aus seiner Sicht bestehende Ungültigkeit des (vom BR bloß behaupteten) Beschlusses über die Einhebung einer Betriebsratsumlage unbeachtet zu lassen, um zu vermeiden, dass die AN auch noch nach Abführung der Betriebsratsumlage an den Betriebsratsfonds die volle Entgeltzahlung ihm gegenüber einklagen können. In den anderen Fällen ist dagegen dem AG gegenüber der Betriebsratsumlage-Beschluss ungeachtet der Beschlussmängel verbindlich, solange dieser nicht erfolgreich von AN-Seite bekämpft worden ist. Der AG hat dann seine Zahlungen an den Betriebsratsfonds erst einzustellen, wenn von AN-Seite eine rechtskräftige Feststellung erwirkt wurde, dass die Beschlussfassung wegen entsprechender Beschlussmängel nicht wirksam erfolgt ist, und ihm dies entweder vom Betriebsratsvorsitzenden (in Vertretung des BR bzw Betriebsratsfonds) mitgeteilt – wobei wohl eine entsprechende Verpflichtung zu dieser Mitteilung anzunehmen ist – oder sonst verlässlich bekannt geworden ist. Auch insoweit gilt wie sonst bei Vertretungsakten des Betriebsratsvorsitzenden, dass der AG grundsätzlich auf dessen Erklärungen vertrauen darf, solange er nicht weiß oder auf Grund einer der Kenntnis gleichzustellenden Evidenz wissen muss, dass diese falsch sind (vgl mwN bloß Neumayr in Jabornegg/Resch, ArbVG § 67 Rz 5 ff; siehe zur Judikatur die Nachweise in RIS-Justiz RS0051490).366