36Keine unionsrechtlichen Auswirkungen auf die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach § 4 Abs 5 UrlG?
Keine unionsrechtlichen Auswirkungen auf die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach § 4 Abs 5 UrlG?
AN, die als Scheinselbstständige beschäftigt werden, obwohl die wesentlichen Merkmale ihrer Beschäftigung einem Arbeitsverhältnis entsprechen, steht mit der Feststellungsklage ein effizienter Rechtsbehelf zur Verfügung, der ihnen die gerichtliche Klärung ermöglicht, ob ihr Vertragsverhältnis den arbeitsrechtlichen Bestimmungen unterliegt.
Nur wenn der/die AG die gerichtliche Geltendmachung des Urlaubsanspruchs innerhalb der dreijährigen Frist durch Handeln wider Treu und Glauben verhindert hat, können AN einem Verjährungseinwand die Replik der Arglist entgegensetzen.
Konsumierter Urlaub ist vom ältesten beim Urlaubsantritt noch unverjährt offenen Urlaubsanspruch abzuziehen.
Der Kl war bei der Bekl vom 14.1.2014 bis 31.3.2017 als Call-Center-Mitarbeiter beschäftigt. Nach der Bezeichnung des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrags und der Anmeldung zur SV sollte er freier DN sein. Seine Entlohnung belief sich zuletzt auf 11 € brutto pro Stunde. Dem Kl wurden nur die tatsächlichen Arbeitszeiten bezahlt. Das Vertragsverhältnis wurde einvernehmlich aufgelöst.
Der Kl brachte vor, er sei kein freier DN gewesen, sondern seine Beschäftigung habe die wesentlichen Merkmale eines echten Arbeitsverhältnisses aufgewiesen. Das Klagebegehren ist auf Nachzahlung von Differenzen zum kollektivvertraglichen Mindestentgelt gerichtet, weiters auf Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum vom 14.1.2014 bis 31.3.2017 im Ausmaß von 64 Arbeitstagen. Zur Berechnung dieses Anspruchs brachte der Kl vor, er habe im Jahr 2015 drei Wochen „Gebührenurlaub“ konsumiert, die er von seinem gesamten Urlaubsanspruch abgezogen habe.
Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass das Vertragsverhältnis nicht als freier Dienstvertrag, sondern als echter Arbeitsvertrag zu qualifizieren war.
Das Erstgericht [...] sprach auch die geltend gemachte Urlaubsersatzleistung zur Gänze zu.
Das Berufungsgericht änderte die E [...] dahin teilweise ab, dass es auch den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für das Urlaubsjahr vom 14.1.2014 bis 13.1.2015 im Ausmaß von 25 Arbeitstagen (1.929,38 € brutto) abwies. Für diesen Zeitraum sei der Urlaubsanspruch bereits vor Beendigung des Dienstverhältnisses und vor der im Juli 2017 eingebrachten Klage verjährt gewesen. [...]
Rechtliche Beurteilung
[...] Als echtem AN stand dem Kl [...] ein nach § 2 iVm § 12 UrlG unabdingbarer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub im Ausmaß von jährlich 30 Werktagen zu. [...]
Kommt es vor Verbrauch des Urlaubs zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so ist der offen gebliebene Anspruch in Geld abzufinden. Der Anspruch auf Urlaubsersatzleistung ist ein vermögensrechtlicher Anspruch auf Erfüllung des in der Vergangenheit liegenden, noch offenen, bisher nicht erfüllten Urlaubsanspruchs (RS0028685; Reissner aaO § 10 UrlG Rz 4 mwN). Für einen nicht verbrauchten Urlaub aus vorangegangenen Urlaubsjahren gebührt die Ersatzleistung in vollem Ausmaß des noch ausständigen Urlaubsentgelts, soweit der Urlaubsanspruch noch nicht verjährt ist.
2. Der Urlaubsanspruch verjährt gem § 4 UrlG erst nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Für den tatsächlichen Verbrauch des Naturalurlaubs eines Jahres stehen damit insgesamt drei Jahre zur Verfügung. Die Übertragung von nicht konsumierten Urlaubsansprüchen auf die folgenden Urlaubsjahre ist so lange möglich, als sie nicht verjährt sind. Auf die Gründe für das längere Stehenlassen des Urlaubs kommt es dabei nicht an (RS0077520 [T2] ua).
3. Die dargestellte Rechtslage entspricht dem gemeinschaftsrechtlichen Verständnis des Urlaubs nach der RL 2003/88/EG vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (in der Folge: ArbeitszeitRL). Danach sind der Anspruch auf Jahresurlaub und jener auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs zu behandeln (vgl EuGH Rs C-350/06 und C-520/06, Schultz-Hoff ua, Rn 60; C-155/10, Williams, Rn 26; C-385/17, Hein, Rn 24; C-539/12, Lock, Rn 17 mwN; C-214/16, King, Rn 35; 8 ObS 2/18d). Der Urlaubsanspruch wird nicht erfüllt, wenn der AG zwar den Konsum von Freizeit ermöglicht, für diese Zeit aber nichts bezahlt.
In der Rsp des EuGH wurde wiederholt betont, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub aufgrund der ArbeitszeitRL als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, dessen Umsetzung durch die nationalen Stellen nur in den Grenzen erfolgen kann, die in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehen sind (Rs C-214/16, King, Rn 32; C-178/15, Sobczyszyn, Rn 19; C-277/08, Vicente Pereda, Rn 18; C-131/04und C-257/04, Robinson-Steele u.a., Rn 48ua).
Aber sogar eine nationale Regelung, die für die Ausübung des mit dieser Richtlinie verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums beinhalten, ist nicht ausgeschlossen. Sie wird unter der Voraussetzung für zulässig erachtet, dass der AN bis dahin tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Anspruch auszuüben (EuGH Rs C-619/16, Kreuziger, Rn 41, 42; C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft, Rn 35; C-350/06 und C-520/06, Schultz-Hoff ua, Rn 43).
Falls eine nationale Regelung nicht im Einklang mit Art 7 der ArbeitszeitRL und Art 31 Abs 2 der378 Charta ausgelegt werden kann, hat das mit einem Rechtsstreit befasste nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen, dass der AN für den nicht genommenen Jahresurlaub eine finanzielle Vergütung erhält (EuGHC-569/16 und C-570/16, Stadt Wuppertal/Bauer, Willmeroth/Broßonn).
4. In der Rs C-214/16, Kinghat der EuGH festgehalten, dass Art 7 der RL 2003/88 und das in Art 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dahin auszulegen sind, dass sie es im Fall einer Streitigkeit zwischen einem AN und seinem AG über die Frage, ob der AN Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der erstgenannten Vorschrift hat, verbieten, dass der AN seinen Urlaub zunächst nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat. Der AG, der einen AN nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, hat danach die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen (Rn 63). Ließe man unter diesen Umständen ein Erlöschen der vom AN erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub zu, würde man damit nämlich im Ergebnis ein Verhalten bestätigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des AG führt und dem eigentlichen Zweck der Richtlinie, die Gesundheit des AN zu schützen, zuwiderläuft (Rn 64). Art 7 der RL 2003/88 ist nach dieser Entscheidungsbegründung dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen es einem AN verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des AG, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln.
Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass nach dem anzuwendenden Recht
jener Urlaub, auf den ein AN Anspruch hat, nur in dem Bezugszeitraum genommen werden konnte, in dem er zu gewähren war (C-214/16, Rn 11), ferner dass
wenn dem AN die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs verwehrt wurde, dies vom Arbeitsgericht nur innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten ab (spätestens) dem beantragten Urlaubsantritt überprüft werden konnte,
wobei diese Frist lediglich im Fall der praktischen Unmöglichkeit ihrer Einhaltung vom Gericht angemessen verlängert werden konnte (C-214/16, Rn 13),
keine Übertragung von Jahresurlaub über den Bezugszeitraum, für den der Urlaub gebührt, zulässig war.
Ein AN konnte danach einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Jahresurlaub nur geltend machen, wenn sein AG ihn überhaupt keinen Urlaub – bezahlt oder unbezahlt – nehmen ließ. Er hätte sich nicht vor Gericht auf seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub als solchen berufen können, sondern wäre zunächst gezwungen gewesen, unbezahlten Urlaub zu nehmen, um dann dessen Bezahlung einklagen zu können. Die Geltendmachung einer Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub war nicht vorgesehen.
Auf dieser Grundlage gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, dass wenn es einem AN verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des AG, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln, sich der AG, der die rechtzeitige Urlaubskonsumation durch sein Verhalten verhindert hat, nicht auf Verjährungsbestimmungen berufen kann. Es müsse nämlich ein wirksamer staatlicher Rechtsbehelf für die Durchsetzung des Mindesturlaubsanspruchs gewährleistet werden (C-214/16, King, Rn 41; vgl auch C-439/14 und C-488/14, Star Storage ua, Rn 46). Der Anspruch auf Ersatzleistung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht konsumierten Urlaub darf nicht davon abhängen, ob der AN im Vorfeld einen vergeblichen Urlaubsantrag gestellt hatte (EuGHC-214/16, King, Rn 62; C-118/13, Bollacke, Rn 27-28 ua).
5. Angewandt auf den hier zu entscheidenden Fall ergibt sich Folgendes:
[...] Es kommt darauf an, ob dem Kl ein effektiver Rechtsbehelf zur Durchsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub innerhalb einer angemessenen Frist zur Verfügung gestanden hätte.
Im Unterschied zu der dargestellten besonderen Rechtslage, auf deren Grundlage die Entscheidung C-214/16, King, ergangen ist, kann der Jahresurlaub nach § 4 Abs 5 UrlG auf zwei Folgejahre vorgetragen werden. Insgesamt stehen damit drei Jahre zum Verbrauch eines jeden Jahresurlaubs zur Verfügung.
[...] Bei Beendigung des Dienstverhältnisses ist nicht verbrauchter Urlaub nach § 10 Abs 1 UrlG durch eine Ersatzleistung für den der Dauer der Dienstzeit in diesem Urlaubsjahr im Verhältnis zum gesamten Urlaubsjahr entsprechenden Urlaub abzugelten. Für nicht verbrauchten Urlaub aus vorangegangenen Urlaubsjahren gebührt anstelle des noch ausständigen Urlaubsentgelts eine Ersatzleistung in vollem Ausmaß des noch ausständigen Urlaubsentgelts, soweit der Urlaubsanspruch noch nicht verjährt ist (§ 10 Abs 3 UrlG). Die Abgeltung hängt nicht davon ab, dass der AN während des Dienstverhältnisses vergeblich einen Naturalurlaub beantragt hat. Es besteht grundsätzlich keine Obliegenheit des AN, den Urlaub zu verbrauchen, und zwar auch nicht in einer längeren Kündigungsfrist (RS0120368).
Nach § 228 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechtes Klage erhoben werden, wenn der Kl ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder Recht durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
Einem DN, der als Scheinselbstständiger oder in einem als solches bezeichneten freien Dienstverhältnis beschäftigt wird, obwohl die wesentlichen Merkmale seiner Beschäftigung einem Arbeitsverhältnis entsprechen, steht mit der Feststellungsklage ein effizienter Rechtsbehelf zur Verfügung, der 379 ihm die gerichtliche Klärung ermöglicht, ob sein Vertragsverhältnis den arbeitsrechtlichen Bestimmungen, insb dem UrlG, unterliegt. Durch Geltendmachung des Anspruchs innerhalb des Zeitraums des § 4 Abs 5 UrlG wird nach § 1497 ABGB auch die Verjährung unterbrochen (RS0118906).
6. Wenn der AG jedoch die gerichtliche Geltendmachung des Urlaubsanspruchs innerhalb der dreijährigen Frist durch Handeln wider Treu und Glauben verhindert hat, kann der AN einem Verjährungseinwand die Replik der Arglist entgegensetzen (RS0077943; RS0014838; RS0034537 [T1, T4]). Von Arglist ist allgemein auszugehen, wenn es der AG geradezu darauf anlegt, die Anspruchsdurchsetzung durch den AN zu verhindern (RS0014838 [T9]). Einen solchen Einwand hat der Kl hier nicht erhoben. Die unterschiedliche Auffassung über die rechtliche Qualifikation eines Beschäftigungsverhältnisses, die von einer Gesamtbetrachtung der für und gegen das Arbeitsverhältnis sprechenden Merkmale im Einzelfall abhängt (RS0021284), begründet den Vorwurf der Arglist im Regelfall nicht, sofern die abweichende Rechtsansicht nicht von vornherein unhaltbar erscheint.
Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung daher zutreffend § 4 Abs 5 UrlG auf den Anspruch des Kl angewandt.
7. Aus Anlass der zulässigen Revision war die angefochtene E allerdings in jeder rechtlichen Hinsicht zu überprüfen. [...]
Die Übertragung eines nicht verbrauchten Urlaubskontingents auf das Folgejahr erfolgt grundsätzlich ohne weiteres Zutun, es wird daher automatisch immer zunächst der „alte“ Urlaub vor dem „neuen“ verbraucht (RS0077513; RS0077453 [T1]). Bei der Berechnung des verjährten Urlaubsteils des Kl ist darum der 2015 konsumierte Urlaub nicht vom Jahresurlaubskontingent des laufenden Jahres 2015, sondern vom ältesten beim Urlaubsantritt noch unverjährt offenen Urlaubsanspruch abzuziehen. Aus dem ersten Beschäftigungsjahr 2014 sind daher nicht 25 Arbeitstage Urlaub offen geblieben, die bei Beendigung des Dienstverhältnisses im März 2017 bereits verjährt waren (RS0077943), sondern nur zehn Tage. [...]
In der gegenständlichen E hatte sich der OGH – ausgehend von der Klage eines „Scheinselbständigen“ (ua) auf Urlaubsersatzleistung (§ 10 UrlG) – mit der Frage der Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Maßgabe des § 4 Abs 5 UrlG zu beschäftigen. Dazu stellt er zum einen überzeugend ein weiteres Mal klar, dass verbrauchter Urlaub bei Bestehen von Resturlauben aus Vorjahren nicht auf den Urlaub des aktuellen Urlaubsjahres anzurechnen, sondern vom ältesten beim Urlaubsantritt noch nicht verjährten Urlaubsanspruch in Abzug zu bringen ist. Zum anderen gelangt er zum Ergebnis, dass ein Teil der vom Kl begehrten Urlaubsersatzleistung wegen bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetretener Verjährung des Urlaubsanspruchs nicht zu Recht bestand, die Revision daher insoweit unberechtigt war.
A priori trifft der OGH damit eine völlig unspektakuläre, ja angesichts der Verjährungsdogmatik geradezu selbstverständliche Entscheidung. Denn dass sich AG bei Nichterfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche grundsätzlich unabhängig von Abhängigkeit und/oder Wissensstand der betroffenen AN auf die Verjährungsbestimmungen berufen können, ist weitgehend unbestritten. Immerhin setzt der Beginn des Laufs von Verjährungsfristen, so auch jener nach § 4 Abs 5 UrlG, nach einhelliger Ansicht nur (aber doch) die objektive Möglichkeit der Geltendmachung voraus. Die Verjährungsfrist beginnt demnach unabhängig von der Kenntnis des Anspruchs zu laufen, sobald der Geltendmachung kein rechtliches Hindernis mehr entgegensteht (vgl nur R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 [2018] § 1478 Rz 14 f; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB VI4 [2016] § 1478 Rz 3, 6).
Vereinzelt wird zwar die Ansicht vertreten, dass die Verjährung dann (doch) nicht zu laufen beginnt, wenn dem/der RechtsinhaberIn die Untätigkeit nicht einmal objektiv zum Vorwurf gemacht werden kann (so Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2012] § 1478 Rz 4). Dem folgend schiene auch die Annahme einer Hemmung des Beginns des Laufs der Verjährung (oder auch des Verfalls) arbeitsrechtlicher Ansprüche bis zur Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses in Fällen von „Scheinselbständigkeit“ keineswegs völlig abwegig (interessant ist hier insb auch OGH8 ObA 78/15aDRdA 2016/32, 274 [Ziehensack ], wo wegen „Scheinselbständigkeit“ von der Unmöglichkeit eines Urlaubsverbrauchs und deshalb von einer Verlängerung der geltenden gesetzlichen Verfallsfrist um ein Jahr ausgegangen wurde). Auch sprächen an sich durchaus gute Gründe dafür, bei „Scheinselbständigkeit“ den Verjährungseinwand nach Maßgabe des § 879 ABGB (schon) dann nicht zuzulassen, wenn das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses – und damit entsprechender arbeitsrechtlicher Ansprüche – (nur) für den/die AG erkennbar war (vgl näher schon Auer-Mayer, [Keine] Verjährung arbeitsrechtlicher Ansprüche? DRdA 2018, 299 [306 f mwN]). Dass der OGH derartige Überlegungen nicht anstellt, vermag aber angesichts der gefestigten Auffassung zur Verjährung (und der überaus großzügigen Rsp zur Zulässigkeit verjährungsverkürzender Verfallsfristen im Arbeitsverhältnis; vgl nur OGH9 ObA 1/14h ecolex 2014, 728 [krit Eypeltauer] = DRdA 2015/4, 34 [krit Grillberger] = ZAS 2015/5, 32 [zust Graf-Schimek]; OGH8 ObA 86/11xDRdA 2013/22, 243 [krit Eypeltauer]) nicht zu überraschen.
Schon der Umstand der Zulassung der ordentlichen Revision durch das Berufungsgericht (und die Billigung dieser E durch den OGH) deutet freilich darauf hin, dass die gegenständliche E des OGH dennoch eine nähere Betrachtung verdient. Grund dafür ist – wieder einmal – das Unionsrecht und vor allem die Judikatur des EuGH. 380
Die Mitgliedstaaten sind nach Art 7 Abs 1 Arbeitszeit-RL 2003/88/EG (AZ-RL) auch unionsrechtlich zur Sicherstellung eines bezahlten Jahresurlaubs – konkret von jährlich mindestens vier Wochen – verpflichtet. Diese Anordnung steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt „der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung ... die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind“
. Dies hat den EuGH jedoch, nicht zuletzt angesichts der zusätzlichen Verankerung des Rechts auf Jahresurlaub in Art 31 Abs 2 GRC, keineswegs dazu veranlasst, sich urlaubsrechtlich in Zurückhaltung zu üben. Im Gegenteil hat dessen Rsp gerade auch im Urlaubsrecht wiederholt für Aufsehen gesorgt. Dabei wurde in jüngerer Zeit vor allem auch die Frage der Zulässigkeit eines „Verfalls“ von Urlaubsansprüchen bei Nichtkonsum aufgeworfen.
Diesbezüglich hat der EuGH mehrfach betont, dass die unionsrechtlichen Vorgaben zwar nationalen Regelungen nicht entgegenstehen, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines „Bezugszeitraums“ oder festgelegten „Übertragungszeitraums“ beinhalten; dies jedoch nur, wenn die betroffenen AN auch tatsächlich die Möglichkeit hatten, den Urlaub zu konsumieren (zB EuGHC-350/06 und C-520/06, Schultz-Hoff und Stringer ua, ECLI:EU:C:2009:18; EuGHC-579/12, Kommission gegen Strack, EU:C:2013:570; EuGHC-337/10, Neidel, ECLI:EU:C:2012:263). Selbst für den Fall der krankheitsbedingten Unmöglichkeit eines zeitgerechten Verbrauchs hielt der EuGH aber angesichts der Notwendigkeit, den/die AG vor Ansammlung zu langer Abwesenheitszeiträume zu schützen, die Festlegung von „Übertragungszeiträumen“ unter dem Vorbehalt für zulässig, dass letztere die Dauer des „Bezugszeitraums“, für den der Urlaub gewährt wurde, deutlich überschritten. Ein Zeitraum von 15 Monaten genügte diesen Anforderungen (EuGHC-214/10, KHS AG, ECLI:EU:C:2011:761).
Auf den ersten Blick scheint die insgesamt dreijährige Verjährungsfrist des § 4 Abs 5 UrlG vor diesem Hintergrund völlig unproblematisch. Der OGH musste sich jedoch insb im Lichte der Ende 2017 – spezifisch zum Fall eines „Scheinselbständigen“ – gefällten E des EuGH in der Rs King (C-214/16, ECLI:EU:C:2017:914) doch näher mit der Thematik der Verjährung beschäftigen.
Der damalige Kl war über 13 Jahre ausschließlich auf Provisionsbasis tätig und erhielt aufgrund seiner „Scheinselbständigkeit“ keinen bezahlten Urlaub. Bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses verlangte er für den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung eine finanzielle Vergütung für den nicht gewährten bezahlten Jahresurlaub. Mit diesem Begehren drang er jedoch vor den nationalen Gerichten vor allem deshalb nicht durch, da das streitgegenständliche englische Recht eine Übertragung nicht verbrauchten Urlaubs in Folgeperioden nicht vorsah.
Der EuGH sah es in weiterer Folge jedoch als mit Art 7 AZ-RL und Art 31 Abs 2 GRC unvereinbar an, wenn die nationalen Rechtsvorschriften AN bei Verweigerung des bezahlten Urlaubskonsums durch ihre AG keine Übertragung des Urlaubs ermöglichen. Er beurteilte somit auch die (bloße) Nichtgewährung bezahlten Urlaubs durch den/die AG als vom Willen des/der AN unabhängigen Grund für die Unmöglichkeit eines zeitgerechten Urlaubskonsums. Damit aber nicht genug, hielt er auch die für Krankheitsfälle gebilligte Feststellung von „Übertragungszeiträumen“ in der gegebenen Konstellation für unzulässig. Anders als bei krankheitsbedingtem Nichtverbrauch komme es nämlich für AG bei Verweigerung des Urlaubs zu keinen organisatorischen Schwierigkeiten durch Ausfall von MitarbeiterInnen. AN müsse in einer Konstellation wie der des Ausgangsverfahrens daher nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine finanzielle Vergütung in Höhe des gesamten nicht verbrauchten Urlaubs zustehen. Jede andere Interpretation würde ein Verhalten des/der AG bestätigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung führe und dem Zweck der RL zuwiderlaufe (vgl EuGH Rs King).
Ich selbst habe diese E aus dogmatischer Sicht stark kritisiert (vgl Auer-Mayer, DRdA 2018, 299 [301 f]), daraus aber, ebenso wie andere AutorInnen, dennoch den Schluss gezogen, dass die Annahme einer Verjährung nach § 4 Abs 5 UrlG in Fällen der „Scheinselbständigkeit“ bzw der Nichtermöglichung des Urlaubsverbrauchs durch den/ die AG unionsrechtlich unzulässig ist (vgl Mair, Nichtverbrauch von Urlaub – Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, DRdA 2019, 420; Risak/Grossinger, Verjährung des Urlaubsanspruches bei Scheinselbständigkeit, JAS 2018, 154; Grillberger/Weber, Unbegrenzte Urlaubsersatzleistung bei Scheinselbständigkeit, wbl 2018, 312; zur Umsetzung im deutschen Recht Münder, Zeitlich unbegrenzter Urlaubsanspruch für Scheinselbständige? ZfA 2019, 71 ff).
Der OGH sieht dies freilich in der gegenständlichen E völlig anders und bejaht im Fall des Kl eine uneingeschränkte Anwendung des § 4 Abs 5 UrlG. Dabei weist er zunächst zu Recht darauf hin, dass der Verlust des Urlaubsanspruchs unionsrechtlich zulässig ist, wenn der/die AN bis dahin tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Anspruch auszuüben. In weiterer Folge gibt der OGH einige zentrale Passagen der E in der Rs King wieder, die er aber im Ergebnis für bedeutungslos hält. Dies vor allem deshalb, weil nach dem englischen Recht von vornherein gar keine Übertragung des Urlaubs in Folgeperioden und auch keine Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub vorgesehen war und überdies 381 keine Möglichkeit bestand, ohne vorangehende (unentgeltliche) Inanspruchnahme von Urlaub auf dessen Gewährung zu klagen. Insoweit mangelte es an einem wirksamen Rechtsbehelf. Demgegenüber stünden, so der OGH, nach § 4 Abs 5 UrlG insgesamt drei Jahre zum Verbrauch eines jeden Jahresurlaubs zur Verfügung. Auch hänge der Anspruch auf Urlaubsersatzleistung innerhalb der Grenzen der Verjährung gerade nicht davon ab, dass der/ die AN zuvor vergeblich Naturalurlaub beantragt habe. Nicht zuletzt wäre dem Kl in Gestalt einer Klage auf Feststellung des Vorliegens eines, den arbeitsrechtlichen Bestimmungen und damit insb auch dem UrlG unterliegenden, Arbeitsverhältnisses ein effektiver Rechtsbehelf zur Durchsetzung des Anspruchs innerhalb der Verjährungsfrist zur Verfügung gestanden. Schließlich könne einem Verjährungseinwand des/der AG zwar die Replik der Arglist entgegengehalten werden, wenn er/ sie die gerichtliche Geltendmachung innerhalb der Verjährungsfrist durch Handeln wider Treu und Glauben verhindere; abgesehen davon, dass der Kl einen solchen Einwand nicht erhoben habe, begründe allein die unterschiedliche Auffassung über die rechtliche Qualifikation eines Beschäftigungsverhältnisses einen solchen Vorwurf jedoch im Regelfall nicht.
Aus Sicht der österreichischen Dogmatik ist dieses Ergebnis, wie dargelegt, durchaus konsequent. Aus unionsrechtlicher Sicht vermag die E des OGH dennoch nicht zu überzeugen.
So sei zunächst darauf hingewiesen, dass sich der EuGH in der Rs King zwar auch mit der Frage des Bestehens eines wirksamen Rechtsbehelfes beschäftigt hat, auf die Problematik der Durchsetzbarkeit aber bei Beantwortung der weiteren, den „Verfall“ des Urlaubs betreffenden Fragen keinerlei Bezug genommen hat. Er stellte insoweit vielmehr einzig auf die Verweigerung bezahlten Urlaubskonsums durch den/die AG ab und hielt es auch für unerheblich, ob der/die AN überhaupt Urlaub beantragt hat. Schon dies spricht dafür, dass die Möglichkeit einer Klage aus Sicht des EuGH gerade nichts an der „Übertragungspflicht“ bezüglich des verweigerten Urlaubs ändert (deutlicher GA Tanchev, C-214/16, King, ECLI:EU:C:2017:439, Rn 53 ff, 73, der das Erfordernis einer Klage durch den/die AN explizit ablehnt).
Vor allem aber hat es der EuGH im Herbst 2018 in den Deutschland betreffenden Rs Kreuziger (C-619/16, ECLI:EU:C:2018:872) und Max-Planck-Gesellschaft/Shimizu (C-684/16, ECLI:EU:C:2018:874) auch als unionsrechtlich unzulässig beurteilt, ohne eine vorherige Prüfung dahingehend, ob der/die AN durch den/die AG tatsächlich in die Lage versetzt wurde, seinen Anspruch auf Urlaub wahrzunehmen, schon allein deshalb einen Anspruchsverlust vorzusehen, weil der/die AN keinen zeitgerechten Urlaubsantrag gestellt hat. Dabei betonte der EuGH insb, dass der/ die AN die schwächere Partei des Arbeitsvertrags sei und daher davon abgeschreckt werden könne, seine Rechte ausdrücklich geltend zu machen. Es sei daher eine Situation zu vermeiden, in der die Aufgabe, für die Wahrnehmung des Anspruchs zu sorgen, zur Gänze auf den/die AN verlagert werde.
Es liegt folglich nach Ansicht des EuGH an dem/ der AG, konkret und in völliger Transparenz – ua durch zeitgerechte förmliche Aufforderung zum Urlaubskonsum und Hinweis auf den sonst eintretenden Verfall – dafür zu sorgen, dass der/die AN tatsächlich in der Lage ist, seinen Jahresurlaub zeitgerecht zu konsumieren. Nur dann, wenn der/die AN seinen/ihren Urlaub aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht genommen hat, steht den zitierten Entscheidungen zufolge das Unionsrecht dem Verlust des Anspruchs nicht entgegen. Die Beweislast trägt diesbezüglich der/der AG.
Vor diesem Hintergrund mutet der Verweis des OGH – bei aller Kritik, die man berechtigterweise an den Entscheidungen des EuGH üben kann – auf die Möglichkeit einer Feststellungsklage (und zwar zunächst auf Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses!) fast schon kurios an. Denn wenn der EuGH sogar das bloße Erfordernis eines eigeninitiativen ANAntrags als problematisch beurteilt, würde es doch sehr überraschen, hielte er jenes einer gerichtlichen Geltendmachung für zulässig. Da er der Festlegung einer „Übertragungsfrist“ vergleichbar jener in Krankheitsfällen bei Verweigerung des Urlaubskonsums bereits in der Rs King ausdrücklich eine Absage erteilt hat, vermag auch der allfällige Hinweis auf die in Deutschland wesentlich engeren Voraussetzungen für eine Urlaubsübertragung nichts an der Relevanz der Aussagen des EuGH für das österreichische Recht zu ändern (aA Rauch, Aufklärungspflichten des Arbeitgebers, ASoK 2019, 108 f).
Wenn der Urlaub mangels Ermöglichung des Verbrauchs durch den/die AG bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu übertragen und in weiterer Folge abzugelten ist, kann dies wohl nur bedeuten, dass er zuvor (auch) nicht verjähren darf. Entgegen dem OGH ist daher eine Verjährung des Urlaubs in allen Konstellationen als unionsrechtlich unzulässig anzusehen, in denen AN der Urlaubskonsum vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht effektiv ermöglicht wird. Der Ausgangssachverhalt, in dem der Kl mittels vermeintlich freien Dienstvertrages in einem Call-Center (und nicht etwa als einflussreiche und daher vielleicht weniger schutzwürdige Führungskraft) beschäftigt wurde, erweist sich hier geradezu als Paradebeispiel.
Die gegenständliche E des OGH mag bei Betrachtung allein des nationalen Rechts nicht überraschen. Unter Berücksichtigung der bisher ergangenen urlaubsrechtlichen Entscheidungen des EuGH erweist sie sich jedoch im Ergebnis als falsch.
Auch ganz unabhängig davon ist die E des OGH jedoch kritisch zu sehen. So wird zunächst gänzlich davon abgesehen, sich mit den für den konkreten Fall maßgeblichen Aussagen des EuGH in den Rs Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft und deren möglicher Bedeutung für Österreich auseinanderzusetzen. Entgegen der sonst vom OGH „gewohnten“ Vorgangsweise unterbleibt auch jegliche Bedachtnahme auf die einschlägige Literatur. 382
Nicht zuletzt unterlässt der OGH die Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens, obwohl nicht nur vor dem Hintergrund der vorhandenen EuGHRsp, sondern auch angesichts der gegenteiligen Auffassungen in der Literatur die Annahme eines „acte clair“ wohl kaum zu begründen war. All dies bestärkt – auch in Zusammenschau mit den Entscheidungen des OGH zur Bemessung des Urlaubs bei Änderung des Arbeitszeitausmaßes (vgl OGH8 ObA 35/12yDRdA 2013/34, 337 [Gerhartl] = DRdA 2014, 398 [Klein]; OGH9 ObA 20/14bDRdA 2015/24, 190 [Kozak]) – den Eindruck, dass der OGH eine Preisgabe der Grundsätze des nationalen Urlaubsrechts infolge unionsrechtlicher Vorgaben mit allen Mitteln verhindern möchte. Dieses Ansinnen mag im Hinblick auf die Erhaltung eines gut funktionierenden Urlaubssystems nachvollziehbar sein. Aus rechtsdogmatischer Sicht sollten Entscheidungen wie die vorliegende dennoch keine Vorbildfunktion für künftige Judikate entfalten.