113Rechtsschutz bei Versagung von Leistungen aus dem Unterstützungsfonds
Rechtsschutz bei Versagung von Leistungen aus dem Unterstützungsfonds
Entscheidungen des Versicherungsträgers im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen aus einem Unterstützungsfonds sind sehr wohl einer Überprüfung zugänglich, und zwar im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der Kl beantragte bei der Österreichischen Gesundheitskasse einen Zuschuss aus Mitteln des Unterstützungsfonds für die von ihm getragenen Kosten einer Verhaltenstherapie in Höhe von € 5.280,-.
Die Bekl lehnte den Antrag mit einem formlosen Schreiben ab. Die Vorinstanzen wiesen die eingebrachte Säumnisklage mangels Zulässigkeit des Rechtswegs zurück.
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Kl wurde vom OGH zurückgewiesen.
„1.1 Eine Säumnisklage ist […] gemäß § 67 Abs 1 Z 2 ASGG nur in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 ASGG […] zulässig.
1.2 Gemäß § 65 Abs 1 Z 1 ASGG sind Sozialrechtssachen Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit dabei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen. Ausdrücklich verweist § 65 Abs 1 Z 1 ASGG auf § 354 Z 1 ASVG.
1.3 Leistungssachen sind gemäß § 354 Z 1 ASVG Angelegenheiten, in denen es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs 1 ASVG handelt, soweit nicht dabei die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15 ASVG), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 29a ASVG), die Leistungszugehörigkeit (§ 245 ASVG) oder die Leistungszuständigkeit (§ 246 ASVG) in Frage steht.
2.1 Gemäß § 367 Abs 1 ASVG ist ein Bescheid ua über den Antrag auf Zuerkennung einer Leistung aus der Krankenversicherung zu erlassen, wenn die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt (Z 2).
2.2 Die Leistungen der Krankenversicherung werden nach dem in § 117 ASVG enthaltenen Leistungskatalog gewährt. […] Nicht im Leistungskatalog des § 117 ASVG enthalten sind Leistungen aus einem Unterstützungsfonds eines Trägers der Krankenversicherung gemäß § 84 ASVG.
2.3 Die Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung werden entweder als Pflichtleistungen (§ 121 Abs 1 Z 1 ASVG) oder als freiwillige Leistungen gewährt (§ 121 Abs 1 Z 2 ASVG). Pflichtleistungen sind gemäß § 121 Abs 2 ASVG Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Freiwillige Leistungen sind nach dieser Bestimmung hingegen Leistungen, die auf Grund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Vorschriften gewährt werden können, ohne dass auf sie ein Rechtsanspruch besteht.
2.4 Es entspricht der […] Rechtsprechung, dass bei Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch […] gegen eine Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers beim Arbeits- und Sozialgericht Klage wegen gesetzwidriger Ermessensübung erhoben werden kann (RS0117386). […]
3.1 § 84 Abs 1 ASVG ermöglicht den Versicherungsträgern die Einrichtung eines Unterstützungsfonds. […] Gemäß § 84 Abs 6 ASVG können die Mittel des Unterstützungsfonds in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen verwendet werden, insbesondere in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des zu Unterstützenden.
3.2 Bei den Leistungen aus einem Unterstützungsfonds eines Trägers der Krankenversicherung handelt es sich nicht um eine Leistung aus der Krankenversicherung im Sinn der §§ 117, 121 ASVG. Dies ergibt sich schon aus der systematischen Stellung des § 84 ASVG in Abschnitt V des Ersten Teils des ASVG (‚Mittel der Krankenversicherung‘), während die Leistungen der Krankenversicherung im Zweiten Teil des ASVG geregelt sind. § 84 ASVG bietet die gesetzliche Grundlage für finanzielle Unterstützungsmaßnahmen der Sozialversicherungsträger, die in den allgemeinen beitrags- und leistungsrechtlichen Vorgaben nicht vorgesehen sind. Auch in § 116 ASVG findet sich kein Hinweis darauf, dass Leistungen aus dem Unterstützungsfonds gemäß § 84 ASVG eine Pflichtaufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung wären. […]
3.3 Der Antrag auf Gewährung einer freiwilligen Leistung aus dem Unterstützungsfonds ist daher keine Leistungssache im Sinn des § 354 ASVG, weil er nicht auf die Feststellung des Bestandes, des 250 Umfangs oder des Ruhens eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung oder eine Feststellung nach § 367 Abs 1 ASVG gerichtet ist. Nach der Generalklausel des § 355 ASVG gehören alle nicht gemäß § 354 ASVG als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach § 352 ASVG die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der §§ 352 bis 356 ASVG gelten, zu den Verwaltungssachen nach § 355 ASVG. § 352 ASVG weist die Durchführung der und damit aller Bestimmungen des ASVG den Verwaltungssachen zu, soweit nicht eine der dortigen Ausnahmen eingreift (8 Ob 55/18y). Eine der in § 352 ASVG genannten Ausnahmen liegt im vorliegenden Fall nicht vor.
3.4 Die Pflicht der Versicherungsträger, in Verwaltungssachen einen Bescheid zu erlassen, richtet sich nicht nach § 367 ASVG, sondern nach § 410 ASVG. Entscheidungen des Versicherungsträgers im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen aus einem Unterstützungsfonds sind entgegen der Rechtsansicht des Revisionsrekurswerbers daher sehr wohl einer Überprüfung zugänglich, und zwar im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl § 414 ASVG; zur Gewährung einer Leistung aus den Mitteln des Unterstützungsfonds der Pensionsversicherungsanstalt vgl VwGH2013/08/0029).“
In der KV gibt es Pflichtleistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht und freiwillige Leistungen (§ 121 ASVG). Bei den Pflichtleistungen der KV ist ein Bescheid zu erlassen, wenn die Leistung ganz oder zum Teil abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt (§ 367 Abs 1 Z 2 ASVG). Es liegt eine Leistungssache vor (§ 354 Z 1 ASVG), dagegen kann eine Klage beim Sozialgericht erhoben werden (§ 65 Abs 1 Z 1 ASGG). Bei Pflichtaufgaben der Krankenversicherungsträger besteht zwar kein individueller Rechtsanspruch, aber nach der Rsp ist mit Bescheid zu entscheiden und eine Klage wegen gesetzwidriger Ermessensausübung ist möglich.
Gem § 84 ASVG können Versicherungsträger einen Unterstützungsfonds einrichten; das Gesetz sieht vor, welche Teile des Gebarungsüberschusses bzw der Erträge dem Unterstützungsfonds zugewiesen werden können (§ 84 Abs 2 ASVG für den Bereich der KV). Abs 6 regelt, dass die Träger in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen Unterstützungen nach Maßgabe der vom Verwaltungsrat (bis 31.12.2019 des Vorstands) zu erlassenden Richtlinien gewährt werden können. Der OGH hält fest, dass es sich nicht um Leistungen der KV iSd §§ 117, 121 ASVG handelt. Er verweist zutreffend auch auf die systematische Einordnung des § 84 ASVG in den Abschnitt „Mittel der Krankenversicherung“ (korrekt eigentlich „Mittel der Sozialversicherung“) und nicht in den Teil über die Leistungen. Daraus folgert der OGH, dass keine Leistungssache iSd § 354 ASVG vorliegt und die Klage daher unzulässig ist.
Einigermaßen überraschend sind die anschließenden Ausführungen des OGH, dass nämlich dennoch eine Überprüfbarkeit der Entscheidung des Trägers gegeben ist. Aus der Generalklausel des § 355 ASVG, wonach alle nicht in § 354 ASVG als Leistungssachen definierten Angelegenheiten Verwaltungssachen sind, wird die Gewährung von Leistungen aus dem Unterstützungsfonds den Verwaltungssachen zugerechnet. Die Pflicht, einen Bescheid zu erlassen, richtet sich laut OGH daher nach § 410 ASVG, weshalb die Überprüfbarkeit im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit mittels Beschwerde an das BVwG gem § 414 ASVG gegeben sei.
Gegenstand der vom OGH zuletzt zitierten VwGH-E vom 20.3.2014, 2013/08/0029, war ein Begehren auf Ausfolgung der Richtlinien und Auskünfte nach dem Auskunftspflichtgesetz. Lediglich in einem Halbsatz seiner abweisenden E führt der VwGH im Konjunktiv aus („sollte ein Bescheid ergehen“
), dass dann eine Verletzung des Parteiengehörs in einem Rechtsmittel gegen einen Bescheid geltend zu machen wäre. Auch die Literatur war bisher überwiegend der Auffassung, dass die Gewährung von Leistungen aus dem Unterstützungsfonds nicht im Rechtsweg überprüfbar ist: Die Ausübung des Ermessens kann nur im Rahmen der internen Kontrolle des Versicherungsträgers (§ 436, ab 1.1.2020 § 433 Abs 1 Z 2 und Abs 2), der Aufsicht (§ 449) und der Kontrolle durch den Rechnungshof (§ 20 RHG) überprüft werden (siehe Neumayr in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 84 ASVG [Stand 1.1.2020, rdb.at]).