99Orientierung am Kollektivvertrag bei der Beurteilung der Angemessenheit des Entgelts auch bei freiem Dienstvertrag
Orientierung am Kollektivvertrag bei der Beurteilung der Angemessenheit des Entgelts auch bei freiem Dienstvertrag
Die Kl war für den Bekl – einen als Belegarzt in einer Privatklinik operierenden Unfallchirurgen – im Zeitraum von Herbst 2013 bis Mitte Oktober 2015 (mit einer Unterbrechung vom 13.12.2013 bis 15.9.2014) als OP-Assistentin beschäftigt. Mit ihrer Klage begehrte sie die Zahlung des (restlichen) Entgelts von € 5.115,38 brutto sowie – im Wege einer Stufenklage – Rechnungslegung durch Offenlegung sämtlicher während ihrer Beschäftigungszeit vom Bekl an Privatpatienten gelegten Honorarnoten samt den dazugehörigen Eingängen und Zahlung des daraus resultierenden Entgelts, in eventu die Zahlung von € 89.987,72 brutto.
Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht wies das Klagebegehren mangels Vorliegens persönlicher Abhängigkeit gänzlich ab. Die gegen die Entscheidung des Berufsgerichts an den OGH gerichtete außerordentliche Revision wurde gem § 508a Abs 2 ZPO mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückgewiesen.
Der OGH hielt in seiner Begründung fest, dass die Frage, ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit bei der gebotenen Gesamtbetrachtung überwiegen und daher ein echter Arbeitsvertrag vorliegt, einer Einzelfallbetrachtung unterliegt. Nachdem die zweite Instanz ihrer Entscheidung die vom OGH entwickelten Abgrenzungskriterien zugrunde gelegt hat, verwirklicht die Anwendung dieser Kriterien auf den jeweiligen Einzelfall – abgesehen von unvertretbaren Fehlbeurteilungen – keine qualifizierte Rechtsfrage gem § 502 Abs 1 ZPO.
Beide Vorinstanzen haben im gegenständlichen Fall das Vorhandensein eines Arbeitsverhältnisses verneint, weil es im Belieben der Kl stand, eine Anfrage des Bekl für eine Assistenztätigkeit jederzeit abzulehnen, sie weder Urlaubstage noch Krankenstände bekanntzugeben hatte, kein Mindestarbeitspensum zu erfüllen war, und die Kl ihre Arbeitszeit frei einteilen konnte.
Unstrittig ist, dass der Kl nach § 1152 ABGB mangels vertraglicher Vereinbarung ein angemessenes 230 Entgelt für ihre Tätigkeit zusteht. Angemessen iSd § 1152 ABGB ist jenes Entgelt, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme auf das ergibt, was unter ähnlichen Umständen geleistet wird oder wurde, sodass der Terminus „angemessen“ vor allem auf das ortsübliche Entgelt verweist. Ortsüblich ist das Entgelt, das in dem relevanten einheitlichen Arbeitsmarkt üblich ist, wobei als Richtschnur kollektivvertragliche Löhne für vergleichbare Arbeiten oder bestehende Tarife in Betracht kommen, sofern diese unter ähnlichen Umständen tatsächlich bezahlt werden. Zu berücksichtigen sind jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalls, weshalb sich bei der Prüfung der Angemessenheit des Entgelts grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung stellt.
Nach den Feststellungen lässt sich die Hälfte der Belegärzte, die in derselben Privatklinik wie der Bekl operieren, einen Prozentsatz ihres von der Klinik eingenommenen Arzthonorars an ihre Mitarbeiter auszahlen. Die andere Hälfte der Ärzte lässt entweder von der Privatklinik statt des Prozentsatzes einen Fixbetrag auszahlen oder bezahlt ihre Mitarbeiter direkt. Die Kl vertritt die Meinung, dass sie aus den festgestellten Prozentsätzen einen Anspruch auf prozentuelle Beteiligung an den vom Bekl eingenommenen Honoraren habe und begründet auch damit den gegenüber dem Bekl geltend gemachten Rechnungslegungsanspruch.
Die Feststellungen belegen jedoch nur, dass die Belegärzte der Privatklinik drei unterschiedliche Abrechnungsmethoden anwenden, die als üblich angesehen werden können. Ein Anspruch der Kl auf eine Abrechnung mit einem bestimmten Prozentsatz lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.
Insofern ist nach Ansicht des OGH nicht beanstandungswürdig, dass sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage der Angemessenheit an bestehenden Kollektivverträgen – hier: KollV für Operationsassistenten – orientiert hat. Die Kl verfügte zwar über ein abgeschlossenes Medizinstudium, aber über kein ius practicandi, die von ihr ausgeübten Tätigkeiten standen dem Berufsbild einer Operationsassistentin näher als einer Turnusärztin und sie hätten auch von Studenten durchgeführt werden können.
Vor diesem Hintergrund gelangte das Berufungsgericht zu der Auffassung, dass die Tätigkeit der Kl für den Bekl mit dem ihr bereits unstrittig bezahlten Entgelt jedenfalls angemessen abgegolten wurde. Ein nachvollziehbarer Grund, warum hier ein noch höheres Entgelt angemessen wäre, sah der OGH als nicht gegeben.