Die Relevanz des Alters bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit
Die Relevanz des Alters bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit
Kündigungsanfechtungen wegen Sozialwidrigkeit sind für die damit befassten Rechtsanwälte, Betriebsräte und Parteien eine Herausforderung. Eine besondere Relevanz spielt das Alter des AN, der die Kündigung anficht. Die gesetzgeberischen Vorgaben zur Berücksichtigung des AN-Alters waren Gegenstand mehrerer Novellierungen in den letzten Jahren. Diese Novellierungen zeigen das sozialpolitische Dilemma des Gesetzgebers im Zusammenhang mit dem Alter des AN: Der Gesetzgeber will verhindern, dass AN am Ende ihres Erwerbslebens ihre Arbeitsplätze verlieren. Ebenso unerwünscht ist allerdings, dass AG vor der Einstellung älterer Personen wegen erschwerter Kündbarkeit zurückschrecken. Im Bemühen beiden dieser Ziele gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber die Relevanz des Alters bei der Kündigungsanfechtung verstärkt und wieder abgeschwächt. Das Ergebnis ist ein für den Rechtsanwender schwer verständlicher Gesetzestext. Klarstellungen durch den OGH sind daher wichtig und liegen (teilweise) auch bereits vor.
Für die Prüfung, welche Auswirkung das Alter des AN konkret hat, muss der Rechtsanwender zunächst die für den Anfechtungsfall anwendbare Rechtsschicht „herausschälen“.
Die relevante Gesetzesbestimmung, § 105 ArbVG, wurde in den letzten zwei Jahrzehnten nahezu alle paar Jahre geändert. Um einen konkreten Kündigungsanfechtungsfall zu prüfen, kann der Rechtsanwender nicht einfach auf die aktuellste Fassung zurückgreifen, sondern muss erst die relevante Rechtslage herausfinden. In der Praxis bedeutet das: Der Rechtsanwender muss sich die Übergangsregelungen, die zu den einzelnen Novellen ergangen sind, ansehen (diese findet man derzeit in § 264 ArbVG).
Aus den Übergangsregeln ergibt sich zB, dass § 105 Abs 3b letzter Satz idF BGBl I 2017/37BGBl I 2017/37, also die aktuellste Fassung, für AN gilt, die nach dem 30.6.2017 eingestellt wurden (§ 264 Abs 31 ArbVG). Sieht man sich die OGH-Rsp zu § 105 ArbVG an, dann ist ebenfalls mit zu berücksichtigen, zu welcher Fassung diese ergangen ist.
Eine Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit setzt voraus, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, weil sie wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt. Dabei hat ein erhöhtes Alter des AN je nach anwendbarer Fassung des § 105 ArbVG andere Auswirkungen.
Sind wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt, dann muss der AG das Vorliegen personenbezogener oder betrieblicher Gründe nachweisen, die die Kündigung dennoch rechtfertigen. AN- und AG-Interessen sind dann abzuwägen. Auch für die Gründe, die der AG erfolgreich einwenden kann, spielt das Alter des AN eine Rolle.
Bereits seit langem* räumt der Gesetzgeber dem höheren Lebensalter einen besonderen Stellenwert bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit ein. 1993 wurde der Altersschutz etwas verstärkt,* 2004 teilweise abgeschwächt* und im Jahr 2011* ein eigener Abs 3b eingeführt, der Vorgaben macht, in welchem Ausmaß und unter welchen Voraussetzungen ein höheres Lebensalter des AN zu berücksichtigen ist.* Altersgrenzen für die Kündigungsanfechtung zieht der Gesetzgeber nicht ein.*
Zunächst sollen die Prüfungsschritte nochmals kurz dargelegt werden.
In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der AN durch die Kündigung in seinen Interessen erheblich beeinträchtigt ist. Dies ist der Fall, wenn durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen.*
Beweispflichtig im Verfahren ist dafür der AN. Für den Rechtsanwender bedeutet das: Er muss eine 263Prognose darüber vornehmen, wie sich die Kündigung für den AN auswirken wird, und zwar nach dem Wissensstand zum Kündigungszeitpunkt.*
In einem Gerichtsverfahren wird das Gericht für die Zukunftsprognose einen Sachverständigen bestellen. Dessen Ergebnis wird im Verfahren entscheidend sein. Nach stRsp ist eine Gesamtbetrachtung ausschlaggebend. In der Praxis kann man daher nicht anhand feststehender Kriterien beurteilen, wann eine erhebliche Interessenbeeinträchtigung vorliegt. In Vorbereitung eines Prozesses sollte sich der AN aber die Leitsätze der Rsp zur Interessenbeeinträchtigung vergegenwärtigen und alle Aspekte darlegen, die (nach der Rsp) und im eigenen Fall für eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Interessen sprechen.
Der AG ist zwar nicht beweispflichtig, hat aber natürlich Interesse daran, Aspekte darzulegen, die nach der Rsp gegen die Interessenbeeinträchtigung sprechen. Diese wechselseitigen Vorbringen bereiten dann den Boden für das Sachverständigengutachten.
Was sind nun die Leitsätze der Rsp zur erheblichen Interessenbeeinträchtigung? Betrachtet wird die gesamte wirtschaftliche und soziale Situation des AN.* Kriterien nach der Rsp sind zB die Ausbildung des AN, die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, die Möglichkeit, einen neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden, Unterhaltspflichten, Zahlungsverpflichtungen oder das Einkommen eines Ehepartners. Auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das (höhere) Alter spielen eine Rolle.* Die zu erwartenden Einkommenseinbußen wird ebenfalls ein Sachverständiger erheben (Nettoeinbußen von 10 % sind idR zu akzeptieren, Einkommenseinbußen von über 20 % sind idR sozial beeinträchtigend).*
Scheitert der AN im Verfahren am Nachweis einer erheblichen Interessenbeeinträchtigung, dann muss der AG keine Gründe für die Kündigung mehr darlegen. Das Verfahren ist dann zu Ende und die Kündigung nicht erfolgreich angefochten.
Wenn das Verfahren eine erhebliche soziale Beeinträchtigung des AN ergibt, kann sie der AG rechtfertigen, wenn Kündigungsgründe vorliegen, die in der Person des AN begründet sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren, oder wenn betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des AN entgegenstehen. Beweispflichtig hierfür ist der AG.
In einem Anfechtungsverfahren wird der AG idR nur dann erfolgreich sein, wenn er bereits vor Ausspruch der Kündigung Überlegungen zu Gründen angestellt hat, die die Kündigung rechtfertigen können und diese auch dokumentiert hat. In der Praxis ist für AG die Schwierigkeit, dass Kündigungen ja grundsätzlich grundlos möglich sind und zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung auch noch nicht klar ist, ob eine Anfechtung erfolgt. AG sei daher empfohlen, zu überlegen, wie „anfechtungsgeneigt“ die geplante Kündigung ist.
Personenbedingte Rechtfertigungsgründe sind zB: fehlende Fähigkeiten, mangelhafte Arbeitsleistung, Pflichtverletzungen, mangelnde Loyalität, Konflikte mit dem AG oder Kollegen sowie häufige, weit überdurchschnittliche oder sehr lange Krankenstände.* Bringt der AG Krankenstände als personenbedingten Kündigungsgrund vor, bedeutet das in einem Gerichtsverfahren wieder die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens, in dem eine medizinische Prognose über die in Zukunft zu erwartenden Krankenstände erfolgt.
Rechtfertigt der AG die Kündigung mit einem Verhalten des AN, dann muss dieses in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung stattgefunden haben.* In der Praxis macht dieser Unverzüglichkeitsgrundsatz AG regelmäßig Schwierigkeiten. Wieder gilt daher, dass der AG bei Anfechtungsgeneigtheit Vorfälle im Arbeitsverhältnis, die die Kündigung rechtfertigen, sofort zum Anlass für die Kündigung nehmen muss und nicht erst Monate später. Als Gründe für die Rechtfertigung der Kündigung sind auch valide Gründe sonst mitunter verwirkt. Anderes gilt nur bei Dauerzuständen, wie zB Krankenständen, da hier die Gründe ja weiterhin vorliegen.*
Konkret nachweisen muss der AG auch, weshalb die in der Person des AN gelegenen Gründe betriebliche Interessen nachteilig berühren.
Betriebsbedingte Rechtfertigungsgründe sind zB wirtschaftliche Gründe wie Rationalisierungsmaßnahmen, Kosteneinsparungen, Umstrukturierungen oder ein Rückgang der Auftragslage.
Erheblich eingeschränkt wird dieser Rechtfertigungsgrund für den AG aber dadurch, dass betriebliche Gründe nur greifen, wenn sie im Interesse des Betriebes wirklich notwendig sind.* Dies ist der Fall, wenn die Weiterbeschäftigung des AN im Betrieb nicht möglich ist, also zB keine Beschäftigungsalternative besteht.
Den AG trifft zudem eine soziale Gestaltungspflicht.* Er hat die Pflicht, Arbeitsplätze nach 264 Möglichkeit zu erhalten und Alternativen zur Kündigung zu suchen, indem er zB Aufgaben anders verteilt, AN versetzt etc. Die soziale Gestaltungspflicht des AG spielt in der Anfechtungspraxis eine wichtige Rolle. Schenkt der AG ihr im Verfahren bzw bei der Kündigung zu wenig Aufmerksamkeit, kann dies dazu führen, dass er zwar Kostenersparnis und Rationalisierung erfolgreich nachweist, aber die Kündigungsanfechtung dennoch erfolgreich ist, weil der AG nicht dargelegt hat, weshalb der AN im gesamten Betrieb nicht mehr beschäftigt werden kann. Im Ergebnis bedeutet das, dass ein Austausch von AN ohne triftige Gründe nicht zulässig ist.*
Ist das Ergebnis im Verfahren, dass der AN durch die Kündigung erheblich sozial beeinträchtigt ist, aber auch valide AG-Gründe für die Kündigung vorliegen, dann hat das Gericht die Interessen beider Parteien abzuwägen. Dies ergibt sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut, ist aber stRsp.*
Als weiterer Prüfungsschritt erfolgt (unter bestimmten Voraussetzungen) ein Sozialvergleich, also die Prüfung, ob die Kündigung für andere AN sozial weniger hart wäre. In der Anfechtungspraxis spielt der Sozialvergleich praktisch keine Rolle mehr und wird daher hier nicht weiter behandelt.
Ein höheres Lebensalter des AN spielt bei der Kündigungsanfechtung in der Praxis eine große Rolle. Allgemein gilt: Bei älteren und lange beschäftigten AN ist ein strenger Maßstab anzulegen.*
Was das genau heißt, kann der Rechtsanwender den in § 105 Abs 3b ArbVG verankerten Schutzverstärkungen für Ältere mit langjähriger Betriebszugehörigkeit entnehmen. Leider zeichnet sich Abs 3b – wohl auch aufgrund zahlreicher Novellierungen – nicht gerade durch leichte Verständlichkeit aus. Die Kündigung eines älteren AN ist jedenfalls nicht automatisch sozialwidrig.*
§ 105 Abs 3b Satz 1 ArbVG betrifft Prüfungsschritt 2, also die Gründe des AG für die Kündigung, und zwar jene, die durch die Person des AN bedingt sind. Bei älteren AN ist die Latte für valide personenbedingte Kündigungsgründe höher als bei anderen AN. Will der AG die Kündigung mit personenbedingten Gründen rechtfertigen, die mit einem höheren Lebensalter des AN zu tun haben (zB altersbedingt verminderte Leistungsfähigkeit, geringere Flexibilität, Anpassungs- und Lernschwierigkeiten, typische altersbedingte Erkrankungen oÄ), muss er nachweisen, dass eine Weiterbeschäftigung des AN seine betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigen würde. Die geforderte Intensität der Beeinträchtigung des AG durch die personen- und altersbedingten Kündigungsgründe ist also eine höhere. In der Praxis bedeutet das, dass der AG bei älteren, langjährig beschäftigten AN nachweisen muss, dass ihm eine Weiterbeschäftigung praktisch unzumutbar ist.
§ 105 Abs 3b Satz 2 und 3 ArbVG betrifft Prüfungsschritt 1, also die Prüfung der erheblichen Interessenbeeinträchtigung des AN durch die Kündigung. Nach der aktuell gültigen Fassung des Abs 3b* sind bei der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber gibt für die zu erstellende Zukunftsprognose und Gesamtbetrachtung also vor, dass die Wiedereingliederungsschwierigkeiten langjähriger älterer AN ein besonderes Gewicht haben sollen.
Allerdings schränkt er diese Vorgabe im letzten Satz des Abs 3b sofort wieder ein: Diese besondere Berücksichtigung („dies“) hat nicht zu erfolgen, wenn die Anfechtung durch AN erfolgt, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben. Dies soll AG die Scheu davor nehmen, AN über 50 einzustellen.
Um es noch komplizierter zu machen, sah die vorher in Geltung stehende Fassung des Abs 3b* (anwendbar für AN, die vor dem 30.6.2017 eingestellt wurden) die Verstärkung des Sozialwidrigkeitsschutzes (also die besondere Berücksichtigung des Alters bei der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung) für nach dem 50. Lebensjahr eingestellte AN erst nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit vor.*
Im Zusammenhang mit dieser Fassung (BGBl I 2010/101) hat der OGH mittlerweile klargestellt, dass Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei nach dem 50. Lebensjahr eingestellten AN, die noch nicht zwei Jahre dem Betrieb zugehörten, zwar nicht in „besonderem“ Ausmaß zu berücksichtigen sind, womit aber eine „normale“ Berücksichtigung wie auch sonst verbleibt.*265
Das Alter des anfechtenden AN spielt auch bei der in der Praxis so wichtigen sozialen Gestaltungspflicht des AG eine wichtige Rolle. Der AG darf gerade AN, bei denen altersbedingt personenbezogene Kündigungsgründe vorliegen, nicht einfach ersetzen, sondern muss versuchen, eine alternative Beschäftigung zu finden. Bei betriebsbedingter Kündigung älterer langjähriger AN muss der AG nach der Rsp versuchen, einen seinen „verminderten Kräften“ entsprechenden Arbeitsplatz zu finden.* In einem Verfahren muss der AG daher konkret vorbringen und nachweisen, warum eine solche alternative Beschäftigung nicht möglich war.
Ein erhöhtes Lebensalter hat in der Anfechtungspraxis eine große Bedeutung. Für den AG bleibt das Risiko einer erfolgreichen Kündigungsanfechtung bei älteren AN – ungeachtet der vom Gesetzgeber teilweise vorgenommenen Abschwächung des Schutzniveaus bei älteren AN – größer als bei Jüngeren.
Die Interessen von AG und AN sollen bei der Kündigungsanfechtung zwar gleichwertig berücksichtigt werden. Es besteht aber eine soziale Gestaltungspflicht des AG, die gerade bei älteren AN zugunsten des AN ausschlägt.
AG in Unternehmen mit BR sei daher empfohlen, die Möglichkeiten der Mitbestimmung des BR zu nützen und die Kündigung zB durch das Angebot einer alternativen Beschäftigung zu vermeiden oder in Fällen der absoluten Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung die Zustimmung des BR zur Kündigung einzuholen (vgl § 105 Abs 6 ArbVG).
Politische Lenkungseffekte, wie die Förderung der Anstellung älterer AN durch Ausnahmen und Gegenausnahmen bzw Vorgaben zur Gewichtung des Alters bei der Interessenabwägung, sind zweifelhaft.
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Ein höheres Alter des AN spielt bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit als Kriterium für die Interessenbeeinträchtigung eine besondere Rolle und hat Auswirkungen auf die Möglichkeit des AG, die Kündigung zu rechtfertigen. Je nach Fassung des § 105 ArbVG macht der Gesetzgeber unterschiedliche Vorgaben für die Berücksichtigung des Alters. Dies sowie auch die bereits ergangene Rsp ist bei Kündigungsanfechtungsverfahren zu berücksichtigen.