Dürfen die Arbeiterkammern Solo-Selbständige/EPU beraten bzw vertreten?

JOHANNKRIEGNER
1.
Einleitung

Der europaweit zu beobachtende Strukturwandel in der Wirtschaft (Stichworte: Dezentralisierung, Globalisierung, Flexibilisierung der Arbeitswelt etc) und der in Interaktion dazu stehende Wandel von Lebensstilen führt zum Entstehen neuer Arten von hybriden Erwerbstätigkeiten zwischen unselbständiger und selbständiger Arbeit. In diesem Zusammenhang ist es wenig überraschend, dass auch sogenannte Solo-Selbständige bzw Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene in den letzten zehn Jahren zunehmend in den Blickpunkt der öffentlichen und politischen Diskussion, aber auch des operativen Wirtschaftslebens gerückt sind.* Solo-Selbständige/EPU werden in der arbeitsrechtlichen Literatur und Judikatur unter dem Begriff der Scheinselbständigkeit kritisch beäugt, birgt doch der Einsatz von diesen Unternehmen die Gefahr in sich, dass dies zur Umgehung des Arbeitsrechts geschieht.* Da Gesetze und Kollektivverträge die Rechte der AN ausführlich, meist durch einseitig zwingende Normen regeln 266 und so bestimmte Kosten des Leistungsempfängers festlegen, versuchen Leistungsempfänger nicht selten, Arbeitsverhältnisse* durch freie Dienstverträge oder Werkverträge zu ersetzen. Dies geschieht vor allem bei Soloselbständigen/EPU, die idR im Wesentlichen nur ihre Arbeitskraft einsetzen.* Aus Sicht der Arbeiterkammern ist bei diesen neuen Arten der Erwerbstätigkeiten in der Praxis wichtig zu wissen, wen sie in welcher Problematik beraten bzw vertreten dürfen. Der Personenkreis, den die Arbeiterkammern beraten und vertreten dürfen, ergibt sich aus dem Arbeiterkammergesetz (AKG). Beraten und vertreten dürfen die Arbeiterkammern in arbeitsund sozialrechtlichen Angelegenheiten jedenfalls ihre Mitglieder (§ 7 Abs 1 AKG). Als erstes zu beurteilen gilt es daher, welche Solo-Selbständigen/EPU AK-Mitglieder sind.

2.
Welche Solo-Selbständigen/EPU sind AK-Mitglieder?

§ 10 Abs 1 AKG regelt die Zugehörigkeit zur AK:

„Der Arbeiterkammer gehören alle Arbeitnehmer an. Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind nach Zi. 7 auch freie Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, in der jeweils geltenden Fassung, einschließlich geringfügig beschäftigter freier Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 4 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 ASVG …“

Zu beurteilen ist daher, ob bzw unter welchen Voraussetzungen Solo-Selbständige/EPU als AN oder freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG einzuordnen sind. Vorauszuschicken ist dabei, dass die Abgrenzung in der Praxis oft nur schwer durchzuführen ist, was wiederum die Tendenz verstärkt, anstatt eines Arbeitsvertrages tatsächlich freie Dienstverträge oder Werkverträge zu schließen. Friedrich weist darauf hin, dass es sich in Wirklichkeit bei einem EPU/Solo-Selbständigen im Einzelfall gerade um keinen selbständigen Unternehmer, sondern um einen unselbständigen AN nach den Bestimmungen der §§ 1151 ff ABGB handeln könne.* Ob dem so ist, kann jedenfalls nur aufgrund der Beurteilung des konkreten Vertrages und dessen Durchführung beurteilt werden.

2.1.
Sind Solo-Selbständige/EPU AN?

Ohne auf detaillierte Abgrenzungsfragen einzugehen, kann eine Abgrenzung grundsätzlich nach der persönlichen Abhängigkeit vorgenommen werden. Während sich Dienstleistende im Arbeitsvertrag zu Diensten in persönlicher Abhängigkeit verpflichten, sind freie DN und Werkunternehmer nicht persönlich abhängig und damit rechtlich selbständig tätig.* Selbständigkeit und daher Unternehmertum liegt demnach grundsätzlich vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Unabhängigkeit, dh keiner Weisung insb hinsichtlich Arbeitszeit, ‑ort und ‑ausführung, erbracht wird.*

Vertragsrechtlich wird in diesem Fall idR ein Werkvertrag oder allenfalls ein freier (unternehmerischer) Dienstvertrag vorliegen (zum freien Dienstvertrag siehe sogleich Pkt 2.2.). Liegt hingegen das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit beim Leistungserbringer vor, so wird ein Solo-Selbständiger/EPU idR nicht als selbständiger Unternehmer, sondern als AN einzuordnen sein bzw wird ein Arbeitsvertrag vorliegen.* Das Vorliegen eines Arbeitsvertrages und sohin die Einordnung als AN wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitende eine Gewerbeberechtigung hat, welche die zu leistenden Dienste erfasst.* Ein solcher persönlich abhängiger Solo-Selbständiger/EPU mit Gewerbeberechtigung ist dann nach § 10 Abs 1 erster Satz AKG AK-Mitglied.* Aber auch wenn der Solo-Selbständige/EPU als selbständiger Unternehmer einzustufen ist und daher eine AK-Mitgliedschaft grundsätzlich nicht vorliegt, kann eine solche dennoch auch bei einem Unternehmer gegeben sein und zwar hinsichtlich einer einzelnen Arbeitsleistung. Selbst ein Unternehmer kann nämlich bestimmte Leistungen auf Grund eines Arbeitsvertrages erbringen.* Dies dann, wenn er die konkrete Arbeitsleistung eben in persönlicher Abhängigkeit 267 erbringt, dh in Bezug auf Arbeitszeit, Arbeitsort und arbeitsspezifisches Verhalten weisungsunterworfen ist, sodass er dann hinsichtlich dieses konkreten Vertrages eben kein Unternehmer, sondern AN ist. In diesem Fall ist der Solo-Selbständige/EPU daher einerseits WKO-Mitglied und andererseits für den konkreten Auftrag zugleich auch AK-Mitglied nach § 10 Abs 1 erster Satz AKG.* Betreffend dieses konkreten Arbeitsvertrages darf die AK daher jedenfalls auch Solo-Selbständige/EPU, die grundsätzlich als Unternehmer einzustufen sind, beraten und vertreten.

2.2.
Sind Solo-Selbständige/EPU freie DN?

Bei der Abgrenzung zum echten Dienstvertrag ist vor allem die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit des freien DN zu prüfen. Vom AN unterscheidet sich der freie DN daher, dass letzterer die Dienstleistungen nicht in persönlicher Abhängigkeit erbringt. Der freie DN arbeitet daher überwiegend selbständig und ist frei von Beschränkungen des persönlichen Verhaltens. Insb die Möglichkeit, den Ablauf der Tätigkeit selbst zu regeln und jederzeit zu ändern, spricht für das Vorliegen eines freien Dienstvertrages.* Die wirtschaftliche Abhängigkeit wird grundsätzlich durch die Anzahl der Auftraggeber, die Vertretungsbefugnis und die Zurverfügungstellung von Betriebsmitteln bestimmt. Da für die hier interessierende Aufgabenstellung aber der freie DN-Begriff gem § 10 Abs 1 Z 7 AKG zu beurteilen ist und diese Norm auf § 4 Abs 4 ASVG verweist, ist notwendigerweise konkreter auf diese Bestimmung einzugehen. § 4 Abs 4 ASVG unterscheidet bei freien DN dienstnehmerähnliche und andere freie DN (meist unternehmerische genannt), wobei nur erstere § 4 Abs 4 ASVG unterliegen und somit AK-Mitglieder sind. Dienstnehmerähnliche freie DN sind im Wesentlichen persönlich tätig und verfügen über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel.* Wer von den Solo-Selbständigen/EPU erfüllt nun diesen Begriff des dienstnehmerähnlichen DN? In der Praxis gibt es nach Rebhahn folgende Gruppen von Solo-Selbständigen, die freie Dienstverträge als persönlich Arbeitende abschließen:* (1) Solo-Selbständige, die laufend am Produktmarkt für verschiedene Auftraggeber tätig werden, oder (2) Solo-Selbständige, die kontinuierlich, aber nur für einen oder zwei Auftraggeber tätig werden, oder (3) Solo-Selbständige, die nur gelegentlich tätig werden. Auch hier gilt, dass eine rechtliche Einordnung nur für den Einzelfall möglich ist. Solo-Selbständige aus der Gruppe 1 werden aber idR dann als dienstnehmerähnliche freie DN einzustufen sein, wenn sie eben über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen. Auch die Solo- Selbständigen aus den Fallgruppen 2 und 3 werden mE idR – wenn sie nicht bereits AN sind – zumindest als dienstnehmerähnliche DN iSd § 4 Abs 4 ASVG einzuordnen sein.* Im Hinblick auf eine allfällige AK-Mitgliedschaft kann aber eine Abgrenzung zwischen einem dienstnehmerähnlichen freien DN iSd § 4 Abs 4 ASVG und einem AN im Einzelfall notwendig sein.* § 4 Abs 4 ASVG verlangt nämlich für das Vorliegen einer Pflichtversicherung auch noch, dass die (unbefristete oder auch befristete) Dienstleistungspflicht gegenüber bestimmten DG (insb gewerblich Tätigen oder Vereinen bzw einer Gebietskörperschaft) besteht und keine der vorrangigen Ausnahmen vorliegen. Ausgenommen von der Versicherungspflicht nach § 4 Abs 4 sind beispielsweise solche Aufträge, die von Gewerbetreibenden nach dem GSVG im Rahmen ihrer Gewerbeberechtigung erbracht werden (§ 4 Abs 4 Z 2 lit a ASVG). Da viele Solo-Selbständige/EPU über eine erforderliche Gewerbeberechtigung verfügen und daher Mitglieder der entsprechenden Fachverbände und -gruppen der Wirtschaftskammer sind, führt dies zur Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 1 GSVG und schließt daher die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG aus.* Dies hat wiederum zur Folge, dass kein freier Dienstvertrag nach § 10 Abs 1 Z 7 AKG vorliegt und damit keine AK-Mitgliedschaft. MaW, wenn Solo-Selbständige/EPU als dienstnehmerähnliche freie DN mit Gewerbeberechtigung arbeiten, dann sind sie keine AK-Mitglieder. Verfügen sie hingegen über keine Gewerbeberechtigung, dann wird umgekehrt eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG vorliegen und daher eine AK-Mitgliedschaft. Zu beachten ist dabei aber auch immer, ob der Solo-Selbständige/EPU im Einzelfall tatsächlich als dienstnehmerähnlicher freier DN oder doch bereits als AN einzuordnen ist und daher AK-Mitgliedschaft vorliegend wäre.

Als letztes soll die Frage beantwortet werden, ob die Arbeiterkammern Solo-Selbständige/EPU beraten und vertreten dürfen, auch wenn sie nicht AK-Mitglieder sind. 268

3.
Wen dürfen die Arbeiterkammern über die AK-Mitglieder hinaus beraten bzw vertreten?

Welchen Personenkreis die Arbeiterkammern grundsätzlich beraten bzw vertreten dürfen, darüber gibt § 4 Abs 1 AKG Auskunft: „Die Arbeiterkammern sind berufen, alle zur Interessenvertretung der Arbeitnehmer – einschließlich der zuvor als Arbeitnehmer beschäftigten Arbeitslosen und Pensionisten – erforderlichen und zweckmäßigen Maßnahmen zu treffen“ (siehe auch § 1 AKG).

Die Regelung des § 4 Abs 1 AKG umschreibt den von der AK vertretenen Personenkreis mit AN einschließlich der Arbeitslosen und PensionistInnen.* In § 4 Abs 1 AKG werden die Arbeiterkammern somit berechtigt, ihre Aktivitäten über AN hinaus, auch auf Arbeitslose und Pensionisten, unabhängig von der Kammerzugehörigkeit zu erstrecken.* Die Interessenvertretung von Arbeitslosen und Pensionisten knüpft aber an ein vorher bestandenes Arbeitsverhältnis und die dadurch gegeben gewesene Kammerzugehörigkeit an.* Anknüpfungspunkt für eine Beratung bzw Vertretung durch die Arbeiterkammern ist daher (gewesene) Kammerzugehörigkeit, sohin für den hier interessierenden Personenkreis der Solo-Selbständigen/EPU das Vorliegen des AN- oder freien DN-Begriffs nach § 10 Abs 1 AKG. Wie aber in diesem Beitrag klar ersichtlich wurde, ist die Beurteilung, ob eine Person als AN, freier DN oder Werkunternehmer einzuordnen ist, oftmals nicht mit sicherer Gewissheit festzustellen. Schon aufgrund dieser Tatsache muss dann, wenn sich im Einzelfall keine sichere Abgrenzung treffen lässt, eine Beratung und allenfalls auch eine Vertretung durch die Arbeiterkammern erlaubt sein. Ansonsten würden die Arbeiterkammern oftmals zu Unrecht Rechtsschutz nach § 7 Abs 1 AKG verweigern.

Im Übrigen können sich die Arbeiterkammern mE auch auf ein Urteil des OGH berufen, um allenfalls auch Nichtmitglieder beraten und vertreten zu können.* In diesem Fall wurde eine AK geklagt, die auch Nichtmitglieder in Angelegenheiten des Verbraucherschutzes beraten und vertreten hat. Die klagende Rechtsanwaltskammer war der Auffassung, dass die AK nur im Rahmen ihres gesetzlichen Wirkungsbereiches tätig werden dürfe, der nur AN und zuvor als AN beschäftigte Arbeitslose oder Pensionisten erfasse. Der OGH urteilte hingegen, dass die weite Aufgabenumschreibung in § 4 AKG dahin verstanden werden könne, dass sie beim Verbraucherschutz auch die Beratung und Betreuung von Nichtmitgliedern erfasse. Er führte dazu Folgendes weiter aus: „Zwar seien die Arbeiterkammern dazu nur in Durchführung der Interessenvertretungsaufgabe gem § 4 Abs 1 AKG berufen. Die AK habe aber zutreffend aufgezeigt, dass es aus generalpräventiven Gründen durchaus im Interesse der Kammermitglieder liegen könne, wenn sie beim Konsumentenschutz auch für Nichtmitglieder tätig werde. Dieses Angebot spreche zweifellos Kreise an, die auf eine mit Kosten verbundene Prüfung und Durchsetzung allenfalls bestehender Ansprüche verzichten würden. Dadurch erhöhe sich der Druck auf die Marktgegenseite und auch das Problem- und Rechtsbewusstsein der Verbraucher steige. Beides sei geeignet, die Einhaltung von Verbraucherschutzbestimmungen ganz allgemein zu fördern. Das liege auch im Interesse der von der AK unmittelbar vertretenen (aktuellen und ehemaligen) AN, die die wohl größte Gruppe unter den Verbrauchern bilden würde.“

Diese Begründung für eine Beratung und Vertretung im Aufgabenbereich des Verbraucherschutzes kann mE auch für die Beratung und Vertretung von Solo-Selbständigen/EPU herangezogen werden, bei denen zweifelhaft ist, ob sie kammerzugehörig sind oder nicht. Aus generalpräventiven Gründen liegt es mE jedenfalls auch im Interesse der kammerzugehörigen Solo-Selbständige/EPU, wenn betreffend der Abgrenzung zwischen AN, dienstnehmerähnlichem freien DN und Werkunternehmer, auch Nichtmitglieder beraten bzw vertreten werden. Denn erst dadurch ist es einerseits überhaupt möglich, kammerzugehörige Solo-Selbständigen/EPU zu identifizieren und ihnen den entsprechenden arbeitsrechtlichen Schutz zukommen zu lassen, bzw wird eine Beratung/Vertretung ganz generell darauf hinwirken, dass Leistungsempfänger bei der Vertragswahl Gesetze und Kollektivverträge zum Schutz der AN weniger umgehen. Dh, dass durch eine entsprechende Beratung bzw Vertretung hingewirkt werden kann, dass beispielsweise anstatt eines Werkvertrages ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird und sich dadurch auch der Druck auf die Leistungsempfänger erhöht, (arbeits-)rechtskonforme Verträge abzuschließen. 269