Die Gesetzgebung anlässlich Covid-19 – ein Rückblick
Die Gesetzgebung anlässlich Covid-19 – ein Rückblick
Seit die Anzeigepflicht nach dem EpidemieG mit Verordnung des Gesundheitsministers Ende Jänner 2020 auf das Coronavirus erstreckt wurde, waren Verordnungs- und Gesetzgeber gleichermaßen gefordert, die Auswirkungen der bevorstehenden Pandemie mit rechtlichen Instrumenten entsprechend aufzufangen. Der folgende Beitrag fasst die seither gesetzten Maßnahmen – mit gezieltem Fokus auf das Arbeitsrecht – kompakt zusammen. Die in Folge angeführten Datumsangaben beziehen sich dabei auf das Inkrafttreten der jeweiligen Bestimmungen.
Als Ende Jänner 2020 bereits 14.380 Covid-19-Krankheitsfälle aus China gemeldet wurden, wurde klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich die Erkrankung auch in Europa bemerkbar machen würde. Mit Verordnung des Gesundheitsministers, BGBl II 2020/15BGBl II 2020/15, wurde daher bestimmt, dass sich die Anzeigepflicht nach dem EpidemieG 1950 nun auch auf Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle von 2019-nCoV („2019 neuartiges Coronavirus“) erstrecken sollte.
Damit wurden Fälle von Covid-19 in den Geltungsbereich des EpidemieG aufgenommen, womit sich die Öffentlichkeit eine abschließende Klärung rechtlich relevanter Sachverhalte erhoffte.
Um eine umfassende Anwendbarkeit des EpidemieG zu gewährleisten, war auch eine Erweiterung der in § 7 EpidemieG normierten Verordnung betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger (AbsonderungsV) notwendig. Mit BGBl II 2020/21BGBl II 2020/21konnten somit fortan Kranke oder krankheitsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen bestünde, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden könnte.
Damit war der Weg frei, um bei Auftreten der ersten Coronafälle in Österreich gegenüber Einzelpersonen auch umfassende Quarantänemaßnahmen verhängen zu können.
Die ersten positiven Testergebnisse vom 25.2.2020 in Tirol veranlassten den Verordnungsgeber 273 schließlich dazu, zusätzlich die Möglichkeiten des § 20 Abs 1 bis 3 EpidemieG für den Fall des Auftretens von 2019-nCoV (bzw zu diesem Zeitpunkt bereits „SARS-CoV-2“) auszuschöpfen.
Mit Verordnung des Gesundheitsministers, BGBl II 2020/74BGBl II 2020/74, wurde es daher auch im Zusammenhang mit dem Coronavirus möglich, den Betrieb einzelner gewerbsmäßig betriebener Unternehmungen zu beschränken oder die gänzliche Schließung von Betriebsstätten zu verfügen bzw einzelnen Personen das Betreten von Betriebsstätten zu untersagen.
Die Möglichkeiten der Gesundheitsbehörden wurden damit massiv ausgeweitet, können auf Grundlage des § 20 Abs 1 bis 3 EpidemieG doch nicht nur einzelne Betriebe unter Quarantäne gestellt, sondern auch das Betreiben bestimmter Gewerbe in ganzen Gebieten flächendeckend untersagt werden.
Zahlreiche Bezirksverwaltungsbehörden in Tirol und Vorarlberg verhängten in den darauffolgenden Tagen auf ebendieser Grundlage Schließungen von Hotel- und Seilbahnbetrieben.
Das wirtschaftliche Risiko derartiger Beschränkungen wurde zu diesem Zeitpunkt kaum thematisiert: Immerhin gewährte § 32 EpidemieG natürlichen und juristischen Personen, also AN und ihren AG, einen Kostenersatzanspruch für aus den verhängten Beschränkungen resultierende Vermögensnachteile (etwa Entgeltfortzahlungsansprüche von AN), die in letzter Konsequenz aus Bundesmitteln getragen worden wären.
Noch bevor die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 12.3.2020 den Ausbruch von Covid-19 zur globalen Pandemie erklärte, standen auf den Seiten des Außenministeriums vor allem zwei Regionen ganz oben auf der Liste der sogenannten „Risikogebiete“: Ost-Asien und Italien. Gestützt auf § 25 EpidemieG erließ der Gesundheitsminister in Folge einschlägige Verordnungen, die die bisher gelebte Reisefreiheit massiv einschränkten:
Während mit BGBl II 2020/86BGBl II 2020/86der Schienenverkehr zu Italien gänzlich eingestellt und mit BGBl II 2020/87BGBl II 2020/87die Einreise aus Italien (bzw ab BGBl II 2020/149BGBl II 2020/149aus allen Nachbarstaaten) nur noch mit einem negativen Covid-19-Attest zugelassen wurde, entzog BGBl II 2020/83BGBl II 2020/83kommerziellen Flugzeugen, die aus oben angeführten Risikogebieten abflogen, die Landeerlaubnis für Österreich. Für Drittstaatsangehörige, die sich in den letzten 14 Tagen vor Reiseantritt in einem Risikogebiet aufhielten, wurde mit BGBl II 2020/80BGBl II 2020/80die Verpflichtung verordnet, bei jedweder Einreise nach Österreich ein ärztliches Zeugnis über ihren Gesundheitszustand mit sich zu führen und vorzuweisen, dass der molekularbiologische Test auf SARS-CoV-2 negativ ist, andernfalls die Einreise verweigert oder Maßnahmen nach dem EpidemieG verhängt werden konnten (zB Quarantäne).
Der Generalverdacht wurde mit BGBl II 2020/81BGBl II 2020/81zudem mit einem Auffangnetz versehen: Sämtliche ein- und durchreisende Personen wurden verpflichtet, sich auf Anordnung der Gesundheitsbehörde einer medizinischen Überprüfung zur Beurteilung eines Krankheitsverdachts an Covid-19 zu unterziehen. Die Maßnahme umfasste neben der Erhebung der Reisebewegungen und allfälliger Kontakte mit Erkrankten auch die Messung der Körpertemperatur.
Sämtliche in diesem Zusammenhang ergangene Verordnungen stellten zugleich klar, dass österreichischen Staatsbürgern und Personen, die ihren Haupt- bzw Nebenwohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, die Einreise jedenfalls zu gestatten ist, sofern sie sich verpflichten, sich unverzüglich einer 14-tägigen selbstüberwachten Heimquarantäne zu unterziehen.
Mit Erlass des Bildungsministers vom 12.3.2020 wurde klargestellt, dass der Unterricht an Schulen der Sekundarstufe II ab 16.3.2020 vorerst bis zum Beginn der Osterferien ausgesetzt werden würde. Volksschulen, Schulen der Sekundarstufe I und Sonderschulen sollten ab 18.3.2020 folgen. Zeitgleich erging ein Erlass des Gesundheitsministers an alle Landes-hauptleute zur Einschränkung der Betreuungsmöglichkeiten in Kindergärten.
Im Einklang mit der medialen Ankündigung der Bundesregierung, österreichweit eine flächendeckende Kinderbetreuung sicherzustellen, stellten die Erlässe zudem klar, dass Kindergärten und Lehranstalten zwar geöffnet bleiben, die SchülerInnen aber von zu Hause aus die Lehrplaninhalte wiederholen und vertiefen würden, wobei sie grundsätzlich den Einrichtungen fernbleiben sollen.
Etwas unglücklich betonte der Erlass, dass diese Betreuungsmöglichkeit insb Kindern zugutekommen sollte, deren Eltern beruflich unabkömmlich sind, wobei im darauffolgenden Absatz eine Aufzählung sogenannter „systemrelevanter“ Berufsfelder folgte.
Dass die Aufzählung nur demonstrativ war und der gegenständliche Satz in weiterer Folge „bzw. Eltern, die keine Möglichkeit der Betreuung zu Hause haben“
lautete, ging in der praktischen Anwendung schnell unter, was in den darauffolgenden Wochen zu zahlreichen Schieflagen führte.
Auf Grundlage eines vom Bildungsminister veröffentlichten Etappenplans vom 24.4.2020 sollte der Unterricht im Übrigen erst am 3.6.2020 flächendeckend, wenn auch unter Einschränkungen, wieder aufgenommen werden. 274
Spätestens Mitte März, als die Dynamik der Pandemie mit täglich mehreren hundert Neuerkrankungen in Österreich drastisch zunahm, wurden Rufe nach einer Novelle des EpidemieG lauter. Mit seinen nur punktuellen Maßnahmen für zu kleinteilig befunden, wurde zudem deutlich, dass etliche bereits getroffene Verfügungen – so etwa die erfolgten Schulschließungen – nur per Analogieschluss unter das Gesamtgefüge des Gesetzes subsumierbar waren.
Der Gesetzgeber entschied sich demgegenüber – durchaus unerwartet – für einen Sonderweg. Mit (zahlreichen, wie sich später herausstellen sollte) Covid-19-Gesetzespaketen sollten laufend neue legistische Maßnahmen getroffen werden, die die konkrete Entwicklung der Pandemie berücksichtigen und der Verbreitung des Coronavirus in Österreich wirksam entgegentreten sollten.
Der Grundstein hierfür wurde mit dem ersten Covid-19-Gesetz, BGBl I 2020/12BGBl I 2020/12, gelegt, das insb folgende Maßnahmen vorsah:
Covid-19-MaßnahmenG:
Das Herzstück des österreichischen Weges bildete fortan das BG betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 (Covid-19-MaßnahmenG). Es sollte mit seinen weitreichenden Verordnungsermächtigungen die gewünschte Flexibilität bieten, die das EpidemieG nicht mehr gewährleisten konnte.So sollte durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren- und Dienstleistungen untersagt werden dürfen, sofern dies zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 erforderlich wäre.
Die weitaus umfassendere Verordnungsermächtigung fand sich jedoch in § 2 leg cit, wonach das Betreten von bestimmten Orten gänzlich untersagt werden konnte, wobei der Gesetzestext unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass sich derartige Betretungsverbote auch auf das gesamte Bundesgebiet erstrecken konnten.
Bis zu dreiwöchige Sonderbetreuungszeit mit teilweisem Kostenersatz für den AG:
Die durchaus unklare Formulierung der Erlässe vom 12.3. und 13.3. und der fast gebetsmühlenartige Appell der Bundesregierung, Kinder vorzugsweise zu Hause zu betreuen, führte zu einer unbefriedigenden Schieflage: Während zahlreiche Eltern von Fällen berichteten, in denen ihnen die (offiziell flächendeckende) Kinderbetreuung verweigert wurde, weil ihre berufliche Tätigkeit nicht systemerhaltend sei, mangelte es an einer arbeitsrechtlichen Bestimmung, die derart lange Dienstverhinderungen wegen der notwendigen Kinderbetreuung mit einer entsprechenden Entgeltfortzahlung ermöglichen würde.
Es lag auf der Hand, dass § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB schnell ausgeschöpft wären, während die Bestimmungen in § 16 ff UrlG ohnedies kaum anwendbar waren.
Das erste Covid-19-Gesetz brachte mit einem neuen § 18b AVRAG AG die Möglichkeit, ihren Beschäftigten iZm der Schließung von Schulen und Kindergärten eine bis zu dreiwöchige Sonderbetreuungszeit zu gewähren. Im Gegenzug sollten AG ein Drittel des während der Maßnahme fortgezahlten Entgelts aus Bundesmitteln rückerstattet bekommen.
Leider sollte die Inanspruchnahme nur AN ermöglicht werden, die nicht in einem versorgungskritischen Bereich tätig sind, womit erneut eine unsachgemäße Differenzierung vorgenommen wurde. Zudem wurden Eltern von Kindern, die üblicherweise in Einrichtungen der Behindertenhilfe betreut und unterrichtet werden, im Anwendungsbereich nicht berücksichtigt, ebenso wenig Angehörige von pflegebedürftigen Personen, deren Betreuungskraft bzw persönliche Assistenz in Folge von Covid-19 nicht mehr sichergestellt war. Es sollte bis zum Inkrafttreten des 3. Covid-19-Gesetzes (BGBl I 2020/23BGBl I 2020/23) dauern, bis diese Schieflagen beseitigt würden.
Der Gesundheitsminister nahm das neu geschaffene Covid-19-MaßnahmenG noch am selben Tag zum Anlass, um zwei Grundsatzverordnungen zu erlassen, die in den kommenden Monaten die wesentlichste Grundlage bei der Bekämpfung des Coronavirus in Österreich bilden sollten:
VO über vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19: Gegenstand dieser VO, BGBl II 2020/96BGBl II 2020/96, war das Verbot des Betretens des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben, jeweils zum Zweck des Erwerbs von Waren und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Das Verbot wurde überdies auf sämtliche Betriebsstätten des Gastgewerbes ausgedehnt.
Es erscheint durchaus erwähnenswert, dass sich der Geltungsbereich tatsächlich nur auf den Kundenverkehr erstreckte und das Betreten der betroffenen Betriebe durch den Betriebsinhaber und seine Beschäftigten weiterhin zulässig war. Diese mE wesentliche Differenzierung ging insb in der öffentlichen Debatte zu dieser Zeit weitgehend unter.
§ 2 der VO schaffte zudem einen Katalog von besonders systemrelevanten Bereichen (so etwa des Lebensmittelhandels), die von den Verboten gänzlich ausgenommen waren.
VO gem § 2 Z 1 des Covid-19-MaßnahmenG:
Die – vom Anwendungsbereich weitaus umfassendere – VO, BGBl II 2020/98BGBl II 2020/98, untersagte in ihrem § 1 allgemein das Betreten öffentlicher Orte. Dabei ist auf § 2 Z 1 des ErmächtigungsG 275 hinzuweisen, wonach lediglich das Betreten bestimmter öffentlicher Orte verboten werden kann, sodass für ein generelles, unbestimmtes Betretungsverbot wohl zu keinem Zeitpunkt eine Rechtsgrundlage bestand.
Gleichzeitig schaffte § 2 der VO einen taxativen Katalog von Ausnahmen: Während Z 1-4 an bestimmte Zwecke des Betretens öffentlicher Orte anknüpfte, etwa die Deckung notwendiger Grundbedürfnisse des täglichen Lebens oder berufliche Pflichten, erfasste Z 5 das Betreten öffentlicher Orte im Freien alleine oder mit haushaltszugehörigen Personen und normierte (lediglich) die Verpflichtung, gegenüber anderen Personen einen Sicherheitsabstand einzuhalten.
Dieser – offensichtlich an keinen subjektiven Zweck geknüpfte – Aufenthalt im Freien wurde von Vertretern der Bundesregierung in zahlreichen Pressekonferenzen an den (ungeschriebenen) Zweck des „Luftschnappens“ geknüpft, dies mit dem offensichtlichen Ziel, aufschiebbare Hausbesuche während der Pandemie möglichst hintanzuhalten. Schon zu diesem Zeitpunkt lag es auf der Hand, dass die getroffene Regelung nicht dem in Art 18 B-VG normierten Bestimmtheitsgebot entsprach.
Auf Grundlage der von der Bundesregierung vorgegebenen Rechtsauslegung wurden in den darauffolgenden Wochen zahlreiche Verwaltungsstrafen gegenüber Einzelpersonen verhängt, ehe mit Erk des LVerwG NÖ vom 12.5.2020 zur Geschäftszahl LVwG-S-891/001-2020 klargestellt wurde:
„Die Verordnung sieht keine Beschränkung des Zweckes für ein Betreten des öffentlichen Ortes nach der Ausnahmebestimmung des § 2 Z 5 vor, auch wenn medial immer nur das ,Luftschnappen‘ oder ,Sport‘ als zulässig dargestellt wurden.“
Beide Verordnungen waren bis zu ihrem Außerkrafttreten mit Ablauf des 30.4.2020 Gegenstand zahlreicher Erweiterungen und Lockerungen und gingen mit Inkrafttreten der Covid-19-LockerungsVO, BGBl II 2020/197BGBl II 2020/197, zum Teil neu auf.
Das mit 44 Artikeln weitaus umfassendere Gesetzespaket, BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16, brachte insb folgende Klarstellungen:
Verlängerung der Funktionsperiode von Betriebsräten:
Mit einer Novelle des Arbeitsverfassungsgesetzes wurde in § 170 Abs 1 bestimmt, dass sich die Tätigkeitsdauer von Betriebsräten bzw Behindertenvertrauenspersonen, die im Zeitraum von 16.3. bis 30.4.2020 geendet hätte, bis zur Konstituierung eines nach dem 30.4.2020 neu gewählten Organs verlängert.Auf Grund des Fortschreitens der Pandemie wurde dieser Zeitraum in weiterer Folge mit dem 3. Covid-Gesetz, BGBl I 2020/23BGBl I 2020/23, bis zum 31.10.2020 erstreckt.
Dabei ist anzumerken, dass es sich hierbei nach hL um eine bloße Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Organe der Belegschaft handelt, nicht jedoch um eine absolut wirkende ex-lege-Verlängerung der Funktionsperiode, die die Abhaltung von Betriebsratswahlen auch in diesem Zeitraum verbieten würde.
Das erschien besonders wichtig, zumal gerade in Zeiten einer Krise die Organe der Arbeitnehmerschaft und ihre Funktionsfähigkeit unbestritten von besonderer Bedeutung sind. Sie sind nicht nur bei Vereinbarungen zur Kurzarbeit eingebunden, sondern müssen auch vor allem in für AN und Betriebe gleichermaßen schwierigen Zeiten eine geordnete Ausübung der sonstigen betrieblichen Mitwirkungsbefugnisse sicherstellen. Da aber zu dieser Zeit der Zugang zu Betrieben in vielen Fällen eingeschränkt war, konnte auch die geregelte Durchführung von Betriebsratswahlen sowie Wahlen anderer Organe der betrieblichen Interessenvertretung nicht gewährleistet werden.
Fristenhemmung für Kündigungs- und Entlassungsanfechtungen:
Ebenfalls Teil der Novelle war die Hemmung des Fortlaufs von Anfechtungsfristen nach §§ 105 Abs 4 bzw 107 ArbVG. Im neuen § 170 Abs 2 ArbVG wurde demnach geregelt, dass der Fortlauf dieser Fristen, die am 16.3. bereits laufen oder nach diesem Tag zu laufen beginnen, bis 30.4.2020 gehemmt werden. Vor dem Hintergrund zahlreicher Beendigungserklärungen, die zu Beginn der Krise ausgesprochen wurden, erschien auch diese Regelung zweifelsohne zielführend.Klarstellung zum Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 1155 ABGB:
Die möglicherweise größte Reichweite erfuhr die Novelle des § 1155 ABGB mit der Schaffung der neuen Abs 3 und 4.Fast zeitgleich mit der Verhängung der ersten Betriebseinschränkungen und Schließungen wurden seitens mancher Anwälte die Stimmen nach einer sogenannten „neutralen Sphäre“ laut, die vom Vorliegen höherer Gewalt ausgingen, für die, mangels Zurechenbarkeit des Verschuldens am Unterbleiben der Arbeitsleistung, betroffenen AN auch keine Entgeltfortzahlung gebühren würde.
Gleichzeitig wurden zu diesem Zeitpunkt, bis auf wenige Einzelfälle in Tirol und Vorarlberg, die meisten Betriebsschließungen nur noch auf Grundlage des neuen Covid-19-MaßnahmenG verhängt, das – anders als das EpidemieG – keine automatische Entgeltfortzahlung für betroffene 276AN und keinen diesbezüglichen Kostenersatz für AG vorsah.
Die arbeitsrechtlichen Auswirkungen dieser Rechtsmeinung hätten rasch eine enorme Rechtsunsicherheit bei den Betroffenen bewirkt, die es in diesem Ausmaß zu vermeiden galt.
Aus diesem Grund entschied sich der Gesetzgeber zu einer Klarstellung, wonach sämtliche Maßnahmen auf Grundlage des Covid-19-MaßnahmenG, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führen, dem AG zuzurechnen sind und dieser demnach zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist.Zur Abfederung der daraus erlittenen Nachteile der AG wurde iVm Abs 4 leg cit bestimmt, dass AN, deren Arbeitsleistungen auf Grund solcher Maßnahmen nicht zustande gekommen sind, auf Verlangen des AG in dieser Zeit bis zu acht Wochen an Urlaubs- und Zeitguthaben verbrauchenmüssen.
Die Regelung war naturgemäß nicht unumstritten, handelte es sich um eine Aufweichung des immerwährenden Grundsatzes, wonach der Verbrauch von Urlaub grundsätzlich zwischen AN und AG zu vereinbaren ist.
Neben weiteren, bereits erwähnten Änderungen in § 18b AVRAG (Sonderbetreuungszeit) brachte dieses Gesetzespaket, BGBl I 2020/23BGBl I 2020/23, insb eine (lang überfällige) Regelung für berufstätige Personen, die vor einer Infektion mit Covid-19 ganz besonders zu schützen waren: sogenannte „Risikogruppen“:
Versuch einer arbeitsrechtlichen Abhilfe für „Risikogruppen“:
Wie kurz zuvor von der Bundesregierung angekündigt, sollte das dritte Covid-19-Gesetz eine wesentliche Verbesserung der arbeitsrechtlichen Situation von Beschäftigten herbeiführen, die aufgrund von Vorerkrankungen einer (noch zu definierenden) Covid-19-Risikogruppe zuzurechnen wären.Die attestierte Zugehörigkeit zur Risikogruppe sollte gemäß dem neuen § 735 ASVG den Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Entgelts begründen, sofern diese Arbeitsleistung nicht ohnedies im Homeoffice erbracht werden könnte bzw die Arbeitsbedingungen im Betrieb nicht derart umgestaltet würden, dass eine Ansteckung mit Covid-19 mit größtmöglicher Sicherheit ausgeschlossen wäre. Dabei sollten auch sämtliche Gefahren auf dem Arbeitsweg mitberücksichtigt werden. AG sollten für den Fall der bezahlten Freistellung von Risikopersonen einen vollen Ersatz ihrer Personalkosten aus Bundesmitteln erhalten.
Mit der Definition dieser Risikogruppe sollte unverzüglich eine Expertengruppe des Arbeitsministeriums und des Gesundheitsministeriums betraut werden, die nach medizinischen Erkenntnissen und aus der Einnahme von Arzneimitteln durch die Betroffenen herleiten sollte, ob mit einem komplizierten Krankheitsverlauf bei einer potenziellen Infektion mit Covid-19 zu rechnen ist.
Betroffene Personen sollten schließlich mit Schreiben des Krankenversicherungsträgers über die getroffene „Vorauswahl“ informiert werden. (Nur) Auf Grundlage dieses Schreibens sollte der behandelnde Arzt schließlich die konkrete Risikosituation beurteilen und gegebenenfalls ein offizielles Covid-19-Risikoattest ausstellen.
In welcher Form die von der Expertengruppe getroffene Definition Allgemeingültigkeit er-langen sollte, wurde im Gesetzestext genauso wenig geklärt, wie die Frage, ob Betroffene auch ein Covid-19-Risikoattest bekommen können, wenn sie zuvor kein Informationsschreiben des Krankenversicherungsträgers erhalten haben.
Außerdem sollte die Möglichkeit der Freistellung nach § 735 ASVG nicht jenen Betroffenen zugutekommen, die in Bereichen der „kritischen Infrastruktur“ beschäftigt sind.
Der Gesetzestext sorgte in der öffentlichen Wahrnehmung, wohl nicht unbegründet, für Unmut und Enttäuschung, wurde dessen Praktikabilität ob der zahlreichen Einschränkungen doch klar in Frage gestellt.
So sollte es bis zum neunten Covid-19-Gesetz, BGBl I 2020/31BGBl I 2020/31, dauern, bis eine greifbare Lösung für Risikogruppen erarbeitet werden würde.
Mit sinkenden Infektionszahlen in Österreich und einem allgemeinen Abflachen der Erkrankungskurve in Europa wuchs in der Bevölkerung auch der Ruf nach spürbaren Lockerungen der geltenden Ausgangs- und Betretungsbeschränkungen.
Die seit 16.3.2020 geltenden Verordnungen auf Grundlage des Covid-19-MaßnahmenG wurden mit deren Auslaufen am 30.4.2020 schließlich nicht mehr verlängert.
Stattdessen trat mit 1.5.2020 eine konsolidierte Covid-19-LockerungsVO, BGBl II 2020/197BGBl II 2020/197, in Kraft. Im Wesentlichen wurde ein Großteil der bisherigen Verbote aufgehoben und das Betreten von öffentlichen Orten und Kundenbereichen von Betriebsstätten mit Abstandsregeln und der Verpflichtung zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes versehen.
Dies traf auch auf sämtliche Orte der beruflichen Tätigkeit zu, wobei der Verordnungsgeber in § 3 Abs 2 der VO klarstellte, dass das Tragen einer Schutzmaske, sofern nicht auf Grund anderer Rechtsvorschriften verpflichtend, nur im Einvernehmen zwischen AG und AN zulässig ist.
Von den Lockerungen ausdrücklich ausgenommen wurden hingegen Hotel- und Gastgewerbebetriebe sowie etwa Sport-, Freizeit- und Kultureinrichtungen. 277 Diese sollten erst mit späteren Lockerungen der LockerungsVO, insb mit BGBl II 2020/207BGBl II 2020/207(Gastgewerbe) und BGBl II 2020/231BGBl II 2020/231(Beherbergung und Sportstätten), den Weg in Richtung Normalität – wenn auch unter Auflagen – beschreiten dürfen.
Tatsächlich war es erst nach Inkrafttreten der ersten LockerungsVO, dass die Anwendbarkeit der zuvor angestrebten Regelungen für Risikogruppen ermöglicht wurde.
Mit dem 9. Covid-19-Gesetz, BGBl I 2020/31BGBl I 2020/31, wurde der einen Monat zuvor erlassene § 735 ASVG mit zahlreichen Änderungen und unter besonderer Mitwirkung der Sozialpartner novelliert.
Während in den Geltungsbereich auch geringfügig Beschäftigte und zuvor ausgeschlossene Beschäftigte aus der sogenannten „kritischen Infrastruktur“ aufgenommen wurden, konnten behandelnde Ärzte Covid-19-Risikoatteste nun auch unabhängig vom Vorliegen eines Informationsschreibens des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger (zuvor: Krankenversicherungsträger) ausstellen.
Fast zeitgleich folgte eine VO des Gesundheitsministers zur endgültigen Definition der Covid-19-Risikogruppe, BGBl II 2020/203BGBl II 2020/203, die in ihrem Abs 2 gleichfalls betonte, dass die genannten Indikationen deklarativen Charakter haben und die Ausstellung eines Risikoattests auch bei ähnlichen Erkrankungen geboten ist, sofern diese einen ebenso schweren Krankheitsverlauf von Covid-19 annehmen lassen.
Dieser Auffangtatbestand sollte eine gewisse Flexibilität bei der Beurteilung der Risikogefahr ermöglichen und folgte demnach dem eindringlichen Wunsch der AN-Vertreter, auch atypische Erkrankungen bei der Zuordnung zur Risikogruppe zu berücksichtigen.
Die Möglichkeit einer mit Kostenersatz für den AG verbundenen Freistellung wurde vorerst mit 31.5.2020 terminiert. Mit VO des Gesundheitsministers, BGBl II 2020/244BGBl II 2020/244, wurde dieser Zeitraum in Folge bis (vorerst) 30.6.2020 erstreckt.