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Höhe der Witwenpension für geschiedene Ehegattin: Teilverzicht auf vereinbarten Unterhaltsanspruch vom Versicherungsträger zu behaupten und zu beweisen

ALEXANDERPASZ
§§ 258 Abs 4 Z 1 lit a, 264 Abs 8 ASVG

Die Höhe der Witwenpension des früheren Ehegatten hängt nicht von dem zur Zeit des Todes des Versicherten tatsächlich geleisteten, sondern vom geschuldeten Unterhalt ab. Der bloße Umstand der Einkommensminderung, die der Verstorbene im Zeitpunkt des Pensionsantritts hinnehmen musste, ändert an der Maßgeblichkeit des Unterhaltstitels nichts.

Der Gefahr eines Missbrauchs kann dadurch begegnet werden, dass der Versicherungsträger den Abschluss einer Unterhaltsvereinbarung zum Schein oder den – vollständigen oder teilweisen – Verzicht auf den vereinbarten Unterhaltsanspruch behauptet und nachweist. Wird ein Verzicht auf einen Teil der Unterhaltsforderung vom Versicherungsträger jedoch weder ausdrücklich behauptet, noch ergibt sich eine solche Behauptung aus den von ihm vorgebrachten anspruchsbegründenden Tatsachen, so kann ihm ein solcher im Verfahren auch nicht zugutekommen.

SACHVERHALT

Am 22.1.2020 verstarb der frühere Ehegatte der Kl. Die Ehe zwischen dem Verstorbenen und der Kl wurde mit Urteil im Jahr 2004 aus dem überwiegenden Verschulden des Verstorbenen gem § 49 EheG geschieden. Im Jahr 2008 erging ein weiteres Urteil, mit dem der Verstorbene zur Zahlung eines Unterhalts von monatlich € 2.314,50 ab 1.1.2008 verpflichtet wurde. Der Unterhaltsanspruch der Kl basierte auf einem Monatsverdienst des Verstorbenen von durchschnittlich € 7.618,64 im Jahr 2006 und € 7.014,57 im Jahr 2007.

Nachdem der Verstorbene seiner Zahlungsverpflichtung nicht nachkam, führte die Kl in weiterer Folge Exekution gegen den Verstorbenen, wobei die Kl im Exekutionsverfahren nur mehr einen Teil des Unterhaltstitels iHv € 1.015,64 monatlich geltend machte.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Kl beantragte die Witwenpension nach ihrem am 22.1.2020 verstorbenen ehemaligen Gatten. Mit Bescheid vom 12.3.2020 anerkannte die Bekl ab dem 23.1.2020 den Anspruch der Kl auf ­Witwenpension nach dem Verstorbenen. Sie be481stimmte die Höhe der Pension mit monatlich € 1.015,64.

Mit ihrer Klage begehrte die Kl die Witwenpension ab 23.1.2020 in Höhe von monatlich € 2.849,52 mit der Begründung, der Anspruch ergebe sich aus dem maßgeblichen Unterhaltstitel vom 21.5.2008. Zudem sei der Unterhaltsanspruch gem § 108 Abs 4 ASVG auch aufzuwerten.

Das Erstgericht gab der Klage vollumfänglich statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und verpflichtete die Bekl, der Kl beginnend mit 23.1.2020 eine Witwenpension in Höhe von € 1.015,64 monatlich zu zahlen, da die Kl teilweise auf den titelmäßigen Unterhaltsanspruch verzichtet habe. Die begehrte Aufwertung habe zudem keine gesetzliche Grundlage.

Die Kl brachte in weiterer Folge eine außerordentliche Revision ein, mit der sie die Stattgebung ihres Klagebegehrens anstrebte. Die Revision war zulässig und teilweise berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. […] Die Witwenpension gebührt – nach Maßgabe der Abs 1 bis 3 des § 258 ASVG – gemäß § 258 Abs 4 Z 1 lit a ASVG ua auch der Frau, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) aufgrund eines gerichtlichen Urteils zu leisten hatte. Der Anspruch auf Witwenpension nach dieser Bestimmung hängt also nicht von dem zur Zeit des Todes des Versicherten tatsächlich geleisteten, sondern von dem geschuldeten Unterhalt ab […]. Hier blieb nach den Verfahrensergebnissen das rechtskräftige Urteil des Bezirksgerichts L* vom 21.5.2008 bis zum Tod als Unterhaltstitel aufrecht bestehen. Eine auf Unterhaltsherabsetzung gerichtete Klage hat der Verstorbene nicht eingebracht. Der bloße Umstand der Einkommensminderung, die der Verstorbene im Zeitpunkt des Pensionsantritts hinnehmen musste, ändert an der Maßgeblichkeit dieses Unterhaltstitels nichts (10 ObS 34/09f).

1.1 Der Gefahr eines Missbrauchs kann dadurch begegnet werden, dass der Versicherungsträger den Abschluss einer Unterhaltsvereinbarung zum Schein oder den – vollständigen oder teilweisen – Verzicht auf den vereinbarten Unterhaltsanspruch behauptet und nachweist […]. Einen solchen Verzicht auf einen Teil der Unterhaltsforderung hat die Beklagte jedoch weder ausdrücklich behauptet, noch ergibt sich eine solche Behauptung aus den von ihr vorgebrachten anspruchsbegründenden Tatsachen […].

1.2. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich lediglich, dass die Klägerin Exekution über einen Betrag geführt habe, der „relativ genau“ der materiellen Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen bei Pensionsantritt entsprochen habe. Die Klägerin habe im Exekutionsantrag angeführt, dass sich die Unterhaltszahlung (gemeint: -verpflichtung) „zum Teil“ durch eine Einkommensminderung des Verstorbenen reduziert habe. Selbst wenn man darin noch das Vorbringen einer Verzichtserklärung sehen wollte, so erfolgt der Verzicht nach herrschender Rechtsprechung durch Vertrag […] und bedarf daher der Annahme durch den Schuldner, die auch konkludent erfolgen kann (A. Heidinger in Schwimann/Kodek VI4 § 1444 ABGB Rz 8 ff). Es genügt, dass der Schuldner die Verzichtserklärung schweigend entgegennimmt […]. Die Beklagte hat aber gar nicht vorgebracht, dass ein allfälliges Angebot der Klägerin, auf einen Teil des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Verstorbenen zu verzichten, von diesem ausdrücklich oder konkludent angenommen worden wäre. Darüber hinaus ist auch die schlüssige Annahme des Verzichts eine zugangsbedürftige Willenserklärung (3 Ob 227/19g mwH; Bollenberger in KBB6 § 862a ABGB Rz 1). Die Beklagte hat kein Vorbringen erstattet, dass eine Annahmeerklärung des Verstorbenen der Klägerin wiederum zugegangen wäre. […]

1.3 Die Grenzen der Entscheidungsbefugnis werden durch den Verfahrensgegenstand, also nicht nur durch den Inhalt des Sachantrags, sondern auch durch das begründende Tatsachenvorbringen abgesteckt (RS0124048). Derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, hat auch die rechtsbegründenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen […]. [...] Da die Beklagte einen Verzicht der Klägerin auf einen Teil ihres Unterhaltsanspruchs nicht geltend gemacht hat, kann ihr ein solcher im vorliegenden Verfahren daher nicht zugute kommen.

2. Grundsätzlich gebührt die Witwenpension in einem Prozentsatz der Pension des Verstorbenen (§ 264 Abs 1 ASVG). Die Höhe der Witwenpension kann dabei maximal 60 % der Pension des verstorbenen Versicherten erreichen (§ 264 Abs 2 Satz 4 ASVG). Die Höhe der Witwenpension des früheren Ehegatten (§ 258 Abs 4 ASVG) berechnet sich grundsätzlich gleich wie bei einer zum Zeitpunkt des Todes eines Ehegatten aufrechten Ehe. Allerdings ist die Pensionshöhe (auch) mit der Höhe des Unterhaltsanspruchs begrenzt (§ 264 Abs 8 ASVG). Maßgeblich ist in den Fällen des § 258 Abs 4 lit a bis c ASVG […] der Unterhaltsanspruch in dem Monat, in den der Tod des Versicherten fällt.

2.1 Schon aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen kann die Höhe der von der Klägerin begehrten Witwenpension im vorliegenden Fall sich nicht am – noch am Aktivverdienst des Verstorbenen bemessenen – Unterhaltstitel vom 21.5.2008 orientieren. Sie ist vielmehr ausgehend von der – unter dem Aktivverdienst liegenden – Pension des verstorbenen Ehegatten zu berechnen. Darauf hat bereits das Berufungsgericht hingewiesen und ausgeführt, dass sich der höchstmögliche Pensionsanspruch der Klägerin mit 1.821,69 EUR bemisst (60 % der Bruttopension des Verstorbenen von 3.036,16 EUR). […]

3. Das Berufungsgericht hat weiters dargelegt, dass die von der Klägerin begehrte Aufwertung 482für den Zeitraum 2008 bis 2020 keine Deckung im Gesetz findet. Eine Aufwertung ist gemäß § 264 Abs 8 ASVG nur zwischen Todesjahr und späterem Pensionsanfall vorgesehen (Neumayr in SV-Komm [281. Lfg] § 264 ASVG Rz 16). […]“

ERLÄUTERUNG

Gegenstand dieser E war die Höhe einer Witwenpension nach Auflösung der Ehe. Nach den besonderen, in § 258 Abs 4 lit a bis d ASVG taxativ aufgezählten Voraussetzungen ist eine Hinterbliebenenleistung auch für den überlebenden Ex-Ehegatten möglich. Die Witwenpension soll den Unterhaltsausfall abgelten, der nach dem Tod des Ex-Ehegatten entstehen kann. Der Anspruch auf Witwenpension setzt entweder einen – wie in der vorliegenden E – formalen, titulierten Unterhaltsanspruch gem lit a bis c leg cit (Urteil, gerichtlicher Vergleich oder vertragliche Vereinbarung) oder gem lit d leg cit die faktische Leistung von Unterhalt voraus. Der Gefahr eines Missbrauchs kann der Pensionsversicherungsträger nach herrschender Rsp (RS0085312) nur dadurch begegnen, wenn er behauptet und nachweist, dass eine Unterhaltsvereinbarung zum Schein oder ein – vollständiger oder teilweiser – Verzicht im Hinblick auf einen titelgemäßen Unterhaltsanspruch abgeschlossen bzw vereinbart wurde.

Strittig war im vorliegenden Fall die Pensionshöhe. Sie berechnet sich im Falle einer Witwenpension nach Auflösung der Ehe grundsätzlich wie bei einer zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls des Todes aufrechten Ehe, folglich mit einem Prozentsatz der Pension des Verstorbenen. In den Fällen eines titelmäßig bestehenden Unterhaltsanspruchs wird die Witwenpension jedoch gem § 264 Abs 8 ASVG durch die Höhe des Unterhaltsanspruchs begrenzt.

Das Erstgericht zog als Bemessungsgrundlage für die Witwenpension die Höhe des Unterhaltstitels vom 21.5.2008 heran. Die genaue Berechnung kann aus der vorliegenden E nicht festgestellt werden.

In zweiter Instanz entschied das Berufungsgericht, dass einerseits die Witwenpension der Höhe nach maximal mit 60 % der vom Verstorbenen bezogenen Pension iHv € 3.036,60, daher mit einem Betrag von € 1.821,69 begrenzt ist, und andererseits, dass es auch auf die Höhe des Unterhaltsanspruchs der Kl gegenüber dem Ex-Gatten zum Todeszeitpunkt ankommt. Dass die Kl im Exekutionsantrag ausdrücklich ausgeführt hatte, die Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen müsse sich aufgrund seiner Pensionierung an seine geänderten Einkommensverhältnisse anpassen, könnte iSe Willenserklärung gedeutet werden, auf einen Teil ihres Unterhaltsanspruchs zu verzichten. Dem Verstorbenen war diese Willenserklärung, durch Zustellung der Exekutionsbewilligung, auch zugegangen. Das Berufungsgericht hatte deshalb einen teilweisen Verzicht auf den Unterhalt angenommen und lediglich einen Unterhaltsanspruch iHv € 1.015,64 zugesprochen.

Die Argumentation des Berufungsgerichts ist grundsätzlich schlüssig, doch hätte die Bekl einen Unterhaltsverzicht der Kl in erster Instanz vorbringen müssen, wie der OGH entschied. Es fehlte insb am Vorbringen, der Verstorbene hätte ein allfälliges Angebot der Kl, auf einen Teil ihres Unterhaltsanspruchs zu verzichten, ausdrücklich oder konkludent angenommen, da ein Verzicht nach herrschender Rsp durch Vertrag erfolgt. Zudem hielt der OGH in seiner E unter Verweis auf Rsp und Literatur fest, dass auch die schlüssige Annahme des Verzichts eine zugangsbedürftige Willenserklärung ist. Auch ein solches Vorbringen fehlte von Seiten der Bekl.

Nachdem die Bekl ein entsprechendes Tatsachenvorbringen zu einem Verzicht der Kl auf einen Teil des Unterhaltsanspruchs verabsäumte, konnte ihr ein solcher Verzicht auch nicht im Verfahren zugutekommen, weshalb der außerordentlichen Revision teilweise Folge zu geben war. Der OGH änderte schlussendlich die E der Vorinstanzen dahingehend ab, dass die Witwenpension der Kl mit € 1.821,69 festgesetzt wurde.

Im Hinblick auf die von der Kl begehrte Aufwertung des Unterhaltstitels vom 21.5.2008 war die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt, womit es bei der richtigen Beurteilung des Berufungsgerichts blieb. Nachdem die Bestimmung des § 264 Abs 8 ASVG eine Aufwertung lediglich zwischen Todesjahr und späterem Pensionsanfall (wohl im Falle einer späteren Antragstellung) vorsieht, hätte eine Anwendung dieser Bestimmung, wie von der Kl begehrt, keine gesetzliche Grundlage gehabt.