238

Vergleichbarkeit der Meldesysteme von Tschechien und Österreich für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld

SOPHIAMARCIAN

Es kommt für die Anwendung der Anspruchsvo­raussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ iSd § 2 Abs 6 KBGG lediglich darauf an, ob im jeweils zu betrachtenden Mitgliedstaat ein dem österreichischen Melderecht vergleichbares System existiert, nach dem einer Person die Meldung oder Registrierung des Hauptwohnsitzes möglich ist.

SACHVERHALT

Die Kl, ihr Ehegatte und das gemeinsame Kind leben in einer Mietwohnung in Tschechien. Der Ehemann der Kl ist in Österreich berufstätig und pendelt täglich zwischen dem Wohn- und Arbeitsort, seine hauptwohnsitzliche Meldung ist an seiner Arbeitsstätte in Österreich. Die Kl und ihr Sohn sind an derselben Adresse in Tschechien gemeldet, dabei handelt es sich allerdings nicht um die Mietwohnung, in der die Familie tatsächlich lebt, sondern um ihr Elternhaus. Anlässlich der Geburt ihres Sohnes beantragte die Kl im Zeitraum von 27.8. bis 31.12.2017 Kinderbetreuungsgeld. Bis Jänner 2018 bezog der Ehegatte die Familienbeihilfe, danach wurde es von der Kl bezogen.

VERFAHREN

Die bekl KV lehnte den Antrag der Kl mittels Bescheides ab und begründete dies damit, dass die Kl und ihr Ehemann unterschiedliche hauptwohnsitzliche Meldungen haben und sie daher für einen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld die Familienbeihilfe in eigener Person beziehen müsse, da die Bestimmungen über getrenntlebende Eltern iSd § 2 Abs 8 KBGG anzuwenden seien.

Dagegen richtete sich die Klage der Antragstellerin mit der Begründung, die Familie lebe tatsächlich nicht getrennt, sondern zusammen in der Mietwohnung in Tschechien, es sei ihr aber nicht möglich gewesen, dort eine hauptwohnsitzliche Meldung vorzunehmen, da der Vermieter seine Zustimmung hierfür nicht erteilt hatte.

Im ersten Rechtsgang (30.7.2019, 10 ObS 45/19v) hob der OGH die E der Vorinstanzen auf und verwies an das Erstgericht zurück, da keine ausreichenden Feststellungen getroffen wurden, ob es nach tschechischem Recht für die Kl möglich gewesen wäre, eine hauptwohnsitzliche Meldung in der Mietwohnung vorzunehmen.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren der Kl statt. Im Urteil wurde rechtlich gefolgert, dass sich die Kl und ihr Kind nach den geltenden Rechtsvorschriften in der Mietwohnung auch ohne Zustimmung des Vermieters hätten anmelden können, das tschechische Melderecht aber nicht mit dem österreichischen vergleichbar sei, da die Meldepflicht des Mieters und die damit verbundene Verpflichtung zur Unterzeichnung des Meldezettels durch den Vermieter – wie es in Österreich besteht – im tschechischen System nicht vorgesehen ist. Das Erstgericht hielt in seiner Entscheidung fest, dass die Kl nach tschechischem Recht eine legale Vorgehensweise gewählt habe, indem sie sich am Wohnsitz ihrer Eltern gemeldet habe, um nicht das Wohlwollen ihres Vermieters zu riskieren.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagsabweisenden Sinn ab, es ließ jedoch die Revision an den OGH zu, da noch keine oberstgerichtliche Rsp dazu existiert, ob das tschechische System mit dem österreichischen Meldewesen vergleichbar ist. Das Berufungsgericht begründete die Abweisung des Klagebegehrens damit, dass es nicht wesentlich sei, warum die Kl keine hauptwohnsitzliche Meldung vorgenommen hatte, sondern dass es nach den rechtlichen Rahmenbedingungen auch ohne Zustimmung des Vermieters möglich gewesen wäre. Mangels übereinstimmender Wohnsitzmeldungen mit dem Kind am tatsächlichen Wohnort (Mietwohnung) sei daher die Voraussetzung des § 2 Abs 6 KBGG von der Kl nicht erfüllt.

Dagegen richtete sich die Revision der Kl. Der OGH beurteilte die Revision als zulässig, aber nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE

„1. Der Oberste Gerichtshof hat in dem im vorliegenden Fall ergangenen Aufhebungsbeschluss bereits klargestellt, dass es für die Anwendung der Anspruchsvoraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ im Sinn des § 2 Abs 6 KBGG lediglich darauf ankommt, ob im jeweils zu betrachtenden Mitgliedstaat ein dem österreichischen Melderecht vergleichbares System existiert, nach dem einer Person die Meldung oder Registrierung des Hauptwohnsitzes möglich ist (RIS-Justiz RS0132841RS0132841), wobei der Begriff des Hauptwohnsitzes im Sinn des § 1 Abs 7 MeldeG zu verstehen ist (10ObS45/19v&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 45/19v SSV-NF 33/44; 10ObS41/19f&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 41/19f).

Nach § 1 Abs 7 MeldeG ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. Trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.490

Hingegen berührt die Frage, ob eine Meldepflicht besteht oder nicht, den Begriff des Hauptwohnsitzes im Sinn des § 1 Abs 7 MeldeG nicht.

Dass der dem Hauptwohnsitz gemäß § 7 Abs 1 MeldeG entsprechende Ort des (tatsächlichen) Mittelpunkts der Lebensinteressen der Revisionswerberin und ihres Kindes am Ort ihrer Mietwohnung liegt, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Die Revisionswerberin bestreitet auch nicht, dass ihr an diesem Ort – jedenfalls zum hier relevanten Zeitpunkt ab der Geburt des Kindes am 27.8.2017 – eine Erfassung eines „ständigen Wohnsitzes“ möglich gewesen wäre, ohne dass der Vermieter dazu seine Zustimmung hätte erteilen müssen.

Es besteht daher keine rechtliche Grundlage für die Annahme, dass die Revisionswerberin allein aufgrund ihres Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat als Österreich (in der Tschechischen Republik) vom Bezug des Kinderbetreuungsgeldes deshalb ausgeschlossen wäre, weil ihr die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 6 KBGG, dass der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind, nach tschechischem Recht unmöglich wäre. Dass die Revisionswerberin von der ihr offen stehenden Möglichkeit einer Meldung ihres „ständigen Wohnsitzes“ an jenem Ort, an dem sich der Mittelpunkt ihrer (und des Kindes) Lebensinteressen tatsächlich befanden, abgesehen hat, beruhte vielmehr ausschließlich auf ihrem eigenen, von wirtschaftlichen Erwägungen geleiteten Entschluss.

Daher steht es der vollen Wirksamkeit der VO (EG) 883/2004 auch nicht entgegen, von der Klägerin zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gemäß § 2 Abs 6 KBGG die Meldung des „ständigen Wohnsitzes“ nach dem tschechischen Gesetz Nr 133/2000 über die Erfassung der Einwohner an der Adresse des tatsächlichen Lebensmittelpunktes zu verlangen.

Darauf, ob das nationale tschechische Recht eine Erfassung an dieser Adresse zwingend vorschreibt, kommt es für die hier zu beurteilende Frage der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts (vgl RS0109951RS0109951; RS0075866RS0075866) hingegen nicht an.

Zutreffend kam das Berufungsgericht daher zum Ergebnis, dass von der Voraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ der Klägerin und ihres Kindes am Ort ihres gemeinsamen Haushalts gemäß § 2 Abs 6 KBGG nicht abzusehen war.“

[…]

ERLÄUTERUNG

Wie bereits im Aufhebungsbeschluss des OGH im Vorverfahren (30.7.2019, 10 ObS 45/19v) knüpft der Gerichtshof auch in dieser E für die Frage einer Vergleichbarkeit zweier Meldesysteme lediglich an der Tatsache an, ob eine hauptwohnsitzliche Meldung (rechtlich) überhaupt vorgenommen werden kann. Es ist demnach nicht von Bedeutung, ob hierzu auch eine Verpflichtung besteht oder ob die Meldung aus privaten Motiven faktisch nicht gegen den ­Willen des Vermieters vorgenommen werden konnte.

Dass die Kl (rechtlich) die Möglichkeit zu einer Meldung (auch gegen den Willen des Vermieters) gehabt hätte, auch wenn ein Unterlassen keine Konsequenzen nach sich gezogen hat, reicht für die Vergleichbarkeit der beiden Meldesysteme aus. In weiterer Folge ist die Voraussetzung des § 2 Abs 6 KBGG daher auch auf diesen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden. Da die Kl und ihr Kind zu keinem Zeitpunkt über mit dem tatsächlichen Ort der Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft übereinstimmende Meldungen verfügten, war der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld mangels Erfüllung dieser Voraussetzung zu versagen.