Steuerliches Zu- und Abflussprinzip bei Rehabilitationsgeldern bei Pensionsnachzahlungen verfassungswidrig?
Steuerliches Zu- und Abflussprinzip bei Rehabilitationsgeldern bei Pensionsnachzahlungen verfassungswidrig?
Mit 1.1.2014 wurde das Rehabilitationsgeld gem § 143a ASVG eingeführt und ersetzt für Personen, die ab 1.1.1964 geboren sind, die befristete Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension. Bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit erhalten Geburtenjahrgänge ab 1964 daher keine Pension mehr, sondern eine mit dem Krankengeld vergleichbare Leistung. Abseits sozialrechtlicher Aspekte ergeben sich daraus insb bei rückwirkend zuerkannter unbefristeter Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension steuerliche Konsequenzen. Folgender Beitrag soll die Rechtslage und Problematik vor allem im Lichte des verfassungsrechtlichen Gleichmäßigkeitsgebots darlegen.500
Liegt bei einer ab 1.1.1964 geborenen Person eine Erwerbsunfähigkeit vor, ist ein Antrag auf Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspension zu stellen. Je nach voraussichtlich eingeschätzter Dauer der Erwerbsunfähigkeit wird Rehabilitationsgeld oder allenfalls die beantragte Pension gewährt. Wird keine Erwerbsunfähigkeit festgestellt, wird kein Bezug zuerkannt. In diesem Fall bleiben die bisherigen Bezüge, in sehr vielen Fällen Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe, aufrecht. Sowohl Rehabilitationsgelder als auch Pensionen stellen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 25 EStG dar und sind bei laufender Auszahlung im Zuflusszeitpunkt entsprechend der einschlägigen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes zu versteuern. Auch Bezüge aus der AlV fallen unter den Tatbestand des § 25, doch sind diese gem § 3 Abs 1 Z 5 lit a EStG steuerfrei.
Bezugspunkt der Einkommensbesteuerung ist das Einkommen des betreffenden Kalenderjahres. Fließen die genannten Bezüge bereits in jenem Jahr zu, in dem der/die Steuerpflichtige Anspruch darauf hat, treten keine Verzerrungen ein, weshalb letztlich keine steuerlichen Probleme vorliegen.
Anders verhält es sich jedoch, wenn ein bisher zugeflossenes Einkommen zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend durch einen anderen Bezug ersetzt wird. Dies ist insb dann gegeben, wenn rückwirkend ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld oder auf die Pension anerkannt wird, zB aufgrund eines Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht. Bei nachträglicher Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes muss ein in der Zwischenzeit bezogenes Arbeitslosengeld zurückbezahlt werden. Gleiches gilt bei Bezug von Rehabilitationsgeld und nachträglicher Gewährung der Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspension. Auch in diesem Fall ist das bisher bezogene Rehabilitationsgeld zurückzuzahlen. Der zurückzuzahlende Betrag wird durch den rückwirkenden Bezugsanspruch ersetzt.
Dies alleine ist steuerrechtlich noch unbedenklich, da steuerpflichtige Einnahmen, die zurückbezahlt werden müssen, als Werbungskosten die Steuerbemessungsgrundlage reduzieren. Dies gilt im Zusammenhang mit der Zuerkennung von Rehabilitationsgeld entsprechend der Rsp des VwGH* auch für das prinzipiell steuerfreie Arbeitslosengeld. Dh dem Grunde nach ersetzt auch steuerlich die Nachzahlung den bisherigen Bezug. Problematisch wird es jedoch dann, wenn die Nachzahlung und Rückzahlung bisheriger Einnahmen in verschiedenen Kalenderjahren zu berücksichtigen sind. Ob ein Sachverhalt in dem Jahr zu berücksichtigen ist, in dem ein Anspruch auf die Zahlung besteht oder im Zu- bzw Abflussjahr, wird durch § 19 EStG bestimmt.
Das grundlegende Prinzip der Einkommensbesteuerung ist das Leistungsfähigkeitsprinzip. Hieran knüpft der Gedanke, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erst zu jenem Zeitpunkt eintritt, in dem ein Bezug zufließt. Als zugeflossen gilt ein Bezug, wenn der/die Steuerpflichtige die rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht über den Bezug erhält. Umgekehrt mindern Ausgaben erst im Zeitpunkt des Verlustes der rechtlichen und wirtschaftlichen Verfügungsmacht, dh dem Abflusszeitpunkt, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Aus diesen Überlegungen heraus postuliert § 19 EStG, dass Bezüge im Jahr des Zuflusses zu versteuern und Ausgaben im Jahr des Abflusses steuermindernd zu berücksichtigen sind. Hinsichtlich abfließender Bezüge, zB rückbezahlter Rehabilitationsgelder oder anderer Einkünfte, wie zB Krankengeld, sieht § 19 Abs 2 EStG grundsätzlich keine Ausnahmen vor.
Bezüglich Einnahmen enthält § 19 Abs 1 EStG allerdings taxativ aufgezählte Ausnahmen vom Zuflussprinzip. Grundsätzlicher Zweck dieser Ausnahmen ist vor allem die Verhinderung eines steuerlichen Nachteils aufgrund der übermäßigen Steuerprogression, die entsteht, wenn Einkünfte, die üblicherweise verteilt auf mehrere Jahre bezahlt werden, aufgrund einer Verzögerung, die nicht im Einflussbereich des/der Steuerpflichtigen liegt, in einem späteren Jahr zusammengeballt zufließen. Die Ausnahmen des § 19 Abs 1 EStG* umfassen im Wesentlichen regelmäßig wiederkehrende Bezüge, die kurz vor oder nach dem Jahreswechsel zufließen, Nachzahlungen von Pensionen, über die bescheidmäßig abgesprochen wird, Nachzahlungen im Insolvenzverfahren sowie Förderungen und Beihilfen aus öffentlichen Mitteln. In diesen Fällen hat die Versteuerung nicht im Jahr des Zuflusses zu erfolgen, sondern in dem Jahr, in dem der rechtliche Anspruch auf die Zahlung entstand.
Da auch über Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspensionen mit Bescheid abgesprochen wird, ist eine Nachzahlung derselbigen ein Ausnahmetatbestand des § 19 Abs 1 EStG. Nicht umfasst sind bislang 501Nachzahlungen von Rehabilitationsgeldern. Dass Rehabilitationsgelder systematisch nicht Pensionen gleichzuhalten sind, hat der VwGH im oben genannten Erkenntnis bestätigt.
Wird daher das Rehabilitationsgeld aufgrund eines längeren Verfahrens für mehrere Jahre nachbezahlt, so ist der Gesamtbetrag im Jahr des Zuflusses steuerpflichtig, wohingegen eine rückwirkend zuerkannte Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspension nicht insgesamt im Zuflussjahr, sondern im Jahr des Anspruches versteuert werden muss. Die Frage, ob diese Differenzierung unsachlich ist und ob dies dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit widerspricht, hat unlängst den VfGH* beschäftigt. Dieser hat nun die Verfassungswidrigkeit des § 19 Abs 1 EStG, konkret die Wortfolge „von Pensionen“, erkannt und mit Wirkung ab 1.7.2022 aufgehoben. Demnach sind nun alle Bezüge, über die mit Bescheid abgesprochen wird, somit auch Rehabilitationsgelder, vom Ausnahmetatbestand des § 19 Abs 1 EStG umfasst.
Wenngleich die Differenzierung zwischen Pensionen und Rehabilitationsgeldern unsachlich war, hat doch die Besteuerung des Rehabilitationsgeldes nach dem Zuflussprinzip in der Mehrzahl der Fälle keinen eklatanten steuerlichen Nachteil im Vergleich zur Versteuerung nach dem Anspruchsprinzip verursacht, war doch das bisher bezogene Arbeitslosengeld bzw die Notstandshilfe als Werbungskosten im Zuflussjahr abzugsfähig. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive problematischer ist vielmehr ein Sachverhalt, bei dem zunächst Rehabilitationsgeld bezogen und in einem Folgejahr rückwirkend die Pension zuerkannt wird, wobei das bereits erhaltene Rehabilitationsgeld rückerstattet werden muss. Es trifft hier die Besteuerung der Einnahme nach dem Anspruchsprinzip und der Werbungskostenabzug gemäß des Zu- bzw Abflussprinzips zusammen.
In einer solchen Konstellation wird in einem Jahr Rehabilitationsgeld bezogen und als solches versteuert. Rückwirkend kommt der Pensionsanspruch hinzu. Da hinsichtlich der Ausgaben keine Ausnahmen im § 19 Abs 2 EStG verankert sind, kann das im späteren Jahr zurückbezahlte Rehabilitationsgeld im betreffenden Kalenderjahr nicht als Werbungskosten abgezogen werden. Folglich ist im Jahr des Pensionsanspruches sowohl das zugeflossene Rehabilitationsgeld als auch die Pension zu versteuern. In weiterer Folge ist im Jahr der tatsächlichen Pensionszahlung das zurückbezahlte Rehabilitationsgeld zur Gänze als Werbungskosten abzugsfähig. Die steuerliche Wirkung dieses Werbungskostenabzugs gleicht jedoch die Mehrbelastung der Doppelbesteuerung des Anspruchsjahres nicht aus.
Das Ausmaß der Mehrbelastung soll an einem simplifizierten Beispiel, bei dem allfällige Frei- oder Absetzbeträge und die Steuerbegünstigung für die sonstigen Bezüge unberücksichtigt bleiben, veranschaulicht werden. Im Jahr 2020 wurde Rehabilitationsgeld bezogen. Das steuerpflichtige Einkommen betrug € 15.000,-. Die Lohnsteuer beträgt entsprechend des Einkommensteuertarifs nach § 33 Abs 1 EStG € 800,-. Im Jahr 2021 wird rückwirkend ab Jänner 2020 die Pension zugesprochen. Die Pension beträgt jährlich € 18.000,-. Für das Jahr 2020 ist somit das bereits bezogene Rehabilitationsgeld und zusätzlich der Anspruch der Pension gemeinsam, das sind € 33.000,-, zu versteuern. Bei diesem Betrag beträgt die Lohnsteuer € 6.790,-. Im Gegenzug ist das erhaltene Rehabilitationsgeld an den Krankenversicherungsträger zurückzuerstatten, weshalb € 15.000,- im Jahr des Abflusses, dh 2021, abzugsfähig sind. Folglich setzt sich das steuerpflichtige Einkommen für 2021 aus der Pension von € 18.000,- abzüglich der Werbungskosten zusammen und beträgt € 3.000,-. Damit ergibt sich für 2021 keine Lohnsteuer. Die Lohnsteuer beider Jahre zusammen beträgt sohin € 6.790,-.
Das Problem hierbei ist ua, dass ein Einkommen bis € 11.000,- steuerfrei ist. Folglich hat der Werbungskostenabzug nur für den Einkommensteil zwischen € 11.000,- und € 18.000,- eine Wirkung. Der verbleibende Abzugsbetrag geht ins Leere. Weiters ist durch die Zusammenrechnung zweier Jahresbezüge die Progression im Jahr 2020 höher als jene, die sich bei periodengerechter Besteuerung ergäbe. Wäre sowohl 2020 als auch 2021 die Pension bezahlt worden und kein Rehabilitationsgeld in der Zwischenzeit geflossen, dann wäre in jedem Jahr der Betrag von € 18.000,- zu versteuern gewesen. Die Lohnsteuer wäre jährlich € 1.400,- und für beide Jahre zusammen € 2.800,-, also um € 3.990,- geringer.
Damit ergibt sich für Personen, die zunächst Rehabilitationsgeld erhalten und die Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspension einklagen müssen, im 502Vergleich zu jenen Personen, bei denen die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit sofort festgestellt wird, eine erhebliche steuerliche Mehrbelastung. Es ist grundsätzlich bei einem progressiven Steuertarif und dem Zu- und Abflussprinzip systemimmanent, dass bestimmte Sachverhalte aus steuerrechtlicher Perspektive zu einem ungünstigeren Ergebnis führen als andere Umstände. Das ist zB auch dann der Fall, wenn der/die Steuerpflichtige Fortbildungskosten tätigt, jedoch im Abflussjahr keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielt, mit denen die Werbungskosten gegengerechnet werden können. Doch ist in einem solchen Fall eine stringente Anwendung des Zu- und Abflussprinzips gegeben, welche alle Steuerpflichtigen in derselben Situation gleich betrifft. Ein Widerspruch zum Leistungsfähigkeitsprinzip, an welches auch das Prinzip der Gleichmäßigkeit anknüpft, ist hier nicht gegeben. Das Gebot der Gleichmäßigkeit bedingt, dass Personen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gleich und jene mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit differenziert behandelt werden müssen.
Genau hier setzen die verfassungsrechtlichen Bedenken bei rückwirkenden Pensionszuerkennungen und Rückzahlungen von Rehabilitationsgeld an. Eine Person, die ab Antragstellung die Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspension bezieht, hat selbst bei gleichem Einkommen und folglich gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eine geringere Steuerbelastung als eine Person, die aufgrund einer behördlichen Fehleinschätzung erst im Rechtsmittelverfahren die unbefristete Erwerbsunfähigkeit zuerkannt bekommt. Eine Differenzierung der Steuerlast in Abhängigkeit vom Verhalten einer Behörde ohne weiterer sachlicher Begründung widerspricht dem Wesen des Gleichmäßigkeitsgebotes. Auch dies hat der VfGH letztlich auch im zitierten Erkenntnis festgestellt.
Allerdings hatte der VfGH aufgrund des Umfangs der Normprüfung nur § 19 Abs 1 EStG, dh Ausnahmen vom Zuflussprinzip bei Einnahmen, zu beurteilen, nicht jedoch die Verfassungswidrigkeit von § 19 Abs 2 hinsichtlich der Ausgaben. Doch genau hier wäre eine Änderung notwendig. Um bei Sachverhalten, wie die hier beschriebenen, eine dem Gleichmäßigkeitsprinzip entsprechende und damit verfassungskonforme Lösung zu erreichen, bedarf es letztlich nicht nur der Gleichbehandlung von zufließenden Rehabilitationsgeldern mit Pensionen, sondern auch die Behandlung von Einnahmen und Ausgaben, die einander ersetzen, nach dem gleichen Prinzip.
Die eine Alternative, Pensionen und Rehabilitationsgelder in Zukunft nach dem Zufluss- und nicht nach dem Anspruchsprinzip zu versteuern, greift hier zu kurz. Es würde zwar die im geschilderten Sachverhalt ruhende Verfassungswidrigkeit beseitigen, doch würden wiederum Personen, die keine Einkünfte bis zur Entscheidung über den eigentlichen Bezug erhalten und daraus resultierend keine Werbungskosten im tatsächlichen Zuflussjahr haben, höher belastet werden, als jene, die Vorschüsse bekommen. Auch in diesem Zusammenhang hält der VfGH fest, dass diese Differenzierung sachlich nicht gerechtfertigt wäre.
Es ist daher vielmehr notwendig, den Ausnahmenkatalog des § 19 Abs 1 EStG in Abs 2 widerzuspiegeln, insb den Tatbestand der bescheidmäßig abgesprochenen Nachzahlungen. Würde eine solche Änderung umgesetzt werden, so könnte das Rehabilitationsgeld bereits im Jahr des nachträglich nicht mehr bestehenden Anspruches aus der Steuerbemessungsgrundlage ausgeschieden werden. Lediglich in diesem Fall wären BezieherInnen von Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspensionen einander unabhängig von behördlichen Verzögerungen gleichgestellt. 503