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Einvernehmliche Lösung trotz Verstoß gegen Frühwarnsystem wirksam?

ANDREASGERHARTL (WIEN)
  1. Vom AG initiierte einvernehmliche Auflösungen zählen zwar für die Berechnung des Schwellenwertes gem § 45a Abs 1 AMFG, die Nichtigkeitssanktion des § 45a Abs 5 AMFG gilt aber nur für AG-Kündigungen.

  2. Beendigungsarten, die nach der RL 98/59/EG den Kündigungen gleichgestellt werden, sind nur für die Berechnung des Schwellenwertes ausschlaggebend, es erfolgt aber keine allgemeine Gleichstellung mit Massenkündigungen.

  3. Da weder das Vorliegen einer ungewollten Lücke noch die Notwendigkeit eines europarechtlich gebotenen ausdehnenden Verständnisses indiziert ist, ist der Anwendungsbereich des § 45a Abs 5 AMFG auf Kündigungen zu beschränken.

Die Kl war ab 25.11.2019 für die Bekl in deren Hotel in I* auf Vollzeitbasis als „Chef de Partie“ [...] beschäftigt; auf dieses Arbeitsverhältnis, das vereinbarungsgemäß vom 25.11.2019 bis 6.5.2020 dauern sollte, kommt ua der KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung. Im Dienstvertrag wurde ua vereinbart, dass das befristete Arbeitsverhältnis durch Zeitablauf endet, sofern es nicht bis einen Monat vor Zeitablauf von einem der Vertragspartner unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 14 Kalendertagen gekündigt wird.

Am 12.3.2020 waren im Betrieb der Bekl 50 bis 57 Mitarbeiter beschäftigt, ein BR war nicht errichtet. Am 12.3.2020 übermittelte der Geschäftsführer der Bekl der Geschäftsstelle des AMS in * folgendes Schreiben:

„Sehr geehrte Damen und Herren, mit heutigem Tag mussten wir eine Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG an die Regionalstelle I* erstatten. Wir ersuchen darum, die Zustimmung zum Ausspruch der Kündigungen vor Ablauf der Frist des § 45a Abs 2 AMFG und zwar möglichst sofort zu erteilen. Leider zwingen uns wichtige gesundheitliche und wirtschaftliche Gründe dazu. Bedingt durch die staatlichen Maßnahmen, welche zur Eindämmung des SARS-COV-2 (Coronavirus) zunächst in Italien, nunmehr jedoch in Österreich und speziell in unserem Gebiet getroffen wurden, haben wir innerhalb kürzester Zeit einen äußerst massiven Einbruch unserer Auftrags- bzw Buchungslage bzw einen kompletten Ausfall der noch laufenden Wintersaison erfahren. Dies ist eine absolute Notsituation, die nicht absehbar war. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“

Am Morgen des 13.3.2020 verrichtete die Kl wie gewohnt ihren Dienst in der Küche und wurde im Lauf des Vormittags vom Geschäftsführer zu einem Einzelgespräch an den Personaltisch gebeten. Bei diesem Gespräch legte er ihr eine von ihm formulierte Auflösungsregelung vor, nach der das Arbeitsverhältnis „einvernehmlich zum 14.3.2020 aufgelöst“ wird.

Diese Auflösungsregelung wurde vom Geschäftsführer aufgrund der herrschenden COVID-19-Situation initiiert und von der Kl am 13.3.2020 unterschrieben. Vorab wurde mit der Kl nicht über eine etwaige Auflösung des Arbeitsverhältnisses gesprochen bzw wurde diese nicht darüber informiert. Im Lauf des Vormittags des 13.3.2020 legte der Geschäftsführer noch einer Vielzahl von wei-61teren Mitarbeitern der Bekl Auflösungsregelungen vor und ging bei diesen Auflösungen wie bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Kl vor. [...] Mit Bescheid vom 21.3.2020 erteilte das Arbeitsmarktservice (AMS) Tirol die Zustimmung zum Ausspruch von Kündigungen vor Ablauf der Frist des § 45a Abs 2 AMFG und sprach aus, dass Kündigungen ab sofort rechtswirksam ausgesprochen werden können.

Die Kl begehrte die Zahlung von 7.206,79 € brutto sA. Da das AMS erst mit Bescheid vom 21.3.2020 auf die Einhaltung der Wartefrist verzichtet habe, sei die bereits am 13.3.2020 erfolgte einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses iSd § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam. Das Arbeitsverhältnis sei somit bis 6.5.2020 aufrecht gewesen bzw sei in eventu durch das Festhalten an der Beendigung eine ungerechtfertigte vorzeitige Auflösung durch die Bekl geschehen; eine Eventualkündigung sei nicht erfolgt.

Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen die Unanwendbarkeit des § 45a Abs 5 AMFG ein, weil die Bestimmung nur Kündigungen erfasse.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil § 45a Abs 5 AMFG nach dem Gesetzeszweck auch für einvernehmliche Auflösungen auf Initiative des AG heranzuziehen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Der Norm des § 45a Abs 5 AMFG könne weder bei richtlinienkonformer noch bei nationaler Interpretation unterstellt werden, dass auch einvernehmliche Auflösungen von der Rechtsunwirksamkeit betroffen sein sollten. Die ordentliche Revision wurde zur Frage der Auslegung dieser Bestimmung für zulässig erklärt. [...]

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt. [...]

2. Die Grundsätze der Auslegung von Gesetzen nach ihrem Wortlaut, der subjektiv-historischen Absicht des Gesetzgebers, objektiv-teleologischen Aspekten und nach ihrer Richtlinienkonformität wurden schon vom Berufungsgericht umfassend dargelegt; darauf ist zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Für die Auslegung des § 45a Abs 5 AMFG sind demnach folgende Erwägungen anzustellen:

3.1. Nach dem klaren Wortlaut des § 45a Abs 1 AMFG wird die Verständigungspflicht schon dann ausgelöst, wenn ein AG beabsichtigt, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen. [...]

3.2. Eine Unterscheidung nach der Art der Auflösung der Arbeitsverhältnisse enthält Abs 1 nicht. Dass neben Kündigungen auch vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösungen von Dienstverhältnissen darunter zu subsumieren sind, wurde schon in der E 8 ObA 258/95 festgehalten. [...]

3.3. Davon geht auch die Lehre aus (zB Löschnigg/Standeker, Einvernehmliche Auflösung und Kündigungsfrühwarnsystem, RdW 2008/518 mwN; zuletzt Geiblinger, Das Angebot des Arbeitgebers zur einvernehmlichen Auflösung im Kontext des Frühwarnsystems, DRdA 2019/22; Kühteubl/Posch, Die Tücken des Frühwarnsystems nach § 45a AMFG, ecolex 2020, 721; Gerhartl, Das Frühwarnsystem – Fallstricke und Hürden, ASoK 2021, 57; Eichmeyer/Andreewitch, COVID-19-bedingte Beendigung von Arbeitsverhältnissen, RdW 2021/52).

4. Dagegen ist die Nichtigkeitssanktion des § 45a Abs 5 AMFG nach ihrem klaren Wortlaut nur auf Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd Abs 1 bezwecken, bezogen. [...] Zu prüfen bleibt damit die Frage, ob hier eine bewusste Differenzierung vorgenommen werden sollte oder ob Abs 5 eine planwidrige, im Wege der Analogie zu schließende (Umsetzungs-)Lücke enthält.

5. Der unterschiedliche Wortlaut der Abs 1 und 5 des § 45a AMFG spricht zunächst für eine Differenzierung der Rechtsfolge ja nachdem, ob eine Kündigung mit dem Zweck einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses iSd Abs 1 vorliegt oder nicht.

6. Der Gesetzeszweck, dem AMS durch die Einhaltung der 30-Tage-Frist zu ermöglichen, der durch die Freisetzung der AN verursachten Belastung des Arbeitsmarktes gegenzusteuern, legt dagegen eine Einbeziehung einvernehmlicher Auflösungen nahe. Denn aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ist es unerheblich, ob die Freisetzung durch AG-Kündigungen oder durch einvernehmliche Auflösungen erfolgt, weil in beiden Fällen eine Überlastung des Arbeitsmarktes entstehen kann und die betroffenen AN unter Umständen neu vermittelt werden müssen. Aus objektiv-teleologischer Sicht wäre eine betriebsbedingte oder sonst vom AG initiierte einvernehmliche Auflösung der AG-Kündigung gleichzuhalten (Löschnigg/Standeker, aaO; Eichmeyer/Andreewitch, aaO). Unter teleologischen Aspekten ist aber auch zu bedenken, dass sich eine arbeitsmarktpolitisch relevante Zahl beendeter Arbeitsverhältnisse auch zB bei Massenkündigungen oder -austritten von AN ergeben kann. Aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung kommt eine Ausdehnung des temporären Kündigungsverbots und der Nichtigkeitssanktion auf andere Beendigungsarten nur in Betracht, wenn der Gesetzeswortlaut entgegen der Absicht des Gesetzgebers zu kurz greift oder wenn sie einer möglichen richtlinienkonformen Auslegung geschuldet ist.

7. In historischer Hinsicht liegt § 45a Abs 5 AMFG die Vorläuferfassung des § 45a Abs 2 AMFG idF BGBl 1979/109 zugrunde. [...]

Gesetzgeberische Absicht war, die bereits vorgesehenen Meldepflichten „durch ähnliche Sanktionsvorschriften abzusichern wie sie für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften durch eine Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen schon seit längerer Zeit vorgesehen sind. Nach dieser Richtlinie werden die der zuständigen Behörde anzuzeigenden beabsichtigten Massenentlassungen erst nach Verstreichen einer bestimmten Frist nach Eingang der dieser Behörde zu erstattenden Anzeige wirksam. Hingegen sieht der Gesetzesentwurf die Rechtsunwirksamkeit vorzeitig (vgl ...) ausgesprochener Kündigungen vor“ (137/A/XIV. GP Initiativantrag S 6). Die Sanktion der Rechtsunwirksamkeit62der Kündigung beruhte sohin auf keiner Vorgabe jener RL. Nur aus den Erläuternden Bemerkungen ergibt sich weiter, dass „aus allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen“ „auch eine durch eine ungerechtfertigte Entlassung das Arbeitsverhältnis nicht gelöst wird, wenn die Entlassungserklärung während jenes Zeitraums erfolgt, in dem eine Kündigung nicht rechtswirksam ausgesprochen werden kann“.

8. Mit § 45a AMFG idF BGBl 1993/18 erfolgte in Vorbereitung zum Beitritt Österreichs zu den EG eine Anpassung des Abs 1 an genannte Massenentlassungs-RL („beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse ... aufzulösen“). Nach den bezughabenden Erläuternden Bemerkungen (RV 823 BlgNR XVIII. GP S 5) sollte für die iSd RL vorzunehmende Begriffsbestimmung maßgeblich sein, „dass für die zu treffenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht die Form der Auflösung des Arbeitsverhältnisses entscheidend ist, sondern die frühzeitige Kenntnis über die Größenordnung und die persönlichen Umstände der betroffenen AN. Als Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses soll daher sowohl der Ausspruch der Kündigung als auch der Entlassung sowie der Zeitpunkt der Einigung über die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gelten“. Die Nichtigkeitssanktion des Abs 5 blieb dennoch nur auf Kündigungen bezogen [...]. Die Annahme einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Lücke in Abs 5 liegt damit nicht vor.

9. Die nachfolgende Massenentlassungs-RL 98/59/ EG brachte folgende Erweiterung in Teil I („Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich“) Art 1 Abs 1: „Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Abs 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrages gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.

Nach dem EuGH (Rs C-55/02, Kommission/Portugal)unterscheiden sich Entlassungen von Beendigungen des Arbeitsvertrages, die unter den in diesem Unterabsatz des Art I Abs 1 der RL genannten Voraussetzungen den Entlassungen gleichgestellt werden, durch die fehlende Zustimmung des AN (Rn 56). Da einvernehmliche Auflösungen eine Zustimmung des AN voraussetzen, sind sie als gleichgestellte Beendigungen iSd Unterabsatzes anzusehen.

Die darin enthaltene weitere Voraussetzung, dass „die Zahl der Entlassungen mindestens 5 beträgt“, ist nach dem EuGH (Rs C-422/14, Rivera) dahin auszulegen, dass sie sich nicht auf Beendigungen des Arbeitsvertrages bezieht, die einer Entlassung gleichgestellt werden, sondern nur auf Entlassungen im eigentlichen Sinn. Liegen demnach nicht mindestens fünf Entlassungen iSd Art I Abs 1 RL vor, kommt es zu keiner Gleichstellung von Beendigungen, die auf Veranlassung des AG und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person des AN liegen, erfolgen.

Selbst wenn dieser Schwellenwert von fünf Entlassungen überschritten wird, sind gleichgestellte Entlassungen nach diesem Unterabsatz nur für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gem Art I Abs 1 lit a i-ii ausschlaggebend (so auch ErwGr 8 RL). Es erfolgte aber keine allgemeine Gleichstellung mit Massenentlassungen iSd Art I Abs 1 lit a RL. Löschnigg/Standeker (aaO) führen aus, dass eine Anwendung des II. Teils (Information und Konsultation der AN-Vertreter) und des – hier interessierenden – III. Teils der RL (behördliches Massenentlassungsverfahren) auf die gleichgestellten Entlassungen von der RL nicht vorgeschrieben ist. Das ist insb mit Blick auf die Rechtsfolgenseite nicht von vornherein sinnwidrig, weil nicht alle Arten gleichgestellter Entlassungen zweckmäßige Handlungs- und Konsultationsmöglichkeiten für den AG oder die Behörde eröffnen [...]. Dies gilt auch bei einvernehmlichen Auflösungen, wird doch ein beiderseits vereinbartes Ende des Dienstverhältnisses vor Ablauf der Wartefrist auch dann, wenn die Auflösung auf Initiative des AG zustande kommt und ihr Grund nicht in der Person des AN liegt, vom Willen des AN mitgetragen, bedarf seiner Zustimmung und kann von ihm auch nachhaltig gewünscht sein. Fallbezogene Beratungs- und Problemlösungstätigkeiten gingen insoweit aber ins Leere. Schließlich erfordert die Massenentlassungs-RL als Folge einer Verletzung des Massenentlassungsverfahrens weiterhin nicht die Unwirksamkeit der Auflösungserklärung, sondern ordnet lediglich an, dass die beabsichtigten Massenentlassungen frühestens 30 Tage nach Eingang der Anzeige (mit Option zur Fristverkürzung) wirksam werden. Aus der RL ergibt sich danach nicht, dass die Sanktionsanordnung des § 45a Abs 5 AMFG in richtlinienkonformer Interpretation auf arbeitgeberseitig initiierte einvernehmliche Auflösungen angewandt werden müsste.

10. Da sohin insgesamt weder das Vorliegen einer ungewollten Lücke noch die Notwendigkeit eines europarechtlich gebotenen ausdehnenden Verständnisses des § 45a Abs 5 AMFG auf vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösungen indiziert ist, ist die Auslegung der Bestimmung nach ihrem Wortlaut („Kündigungen“) vorzunehmen. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Es handelt sich um die erste höchstgerichtliche Entscheidung zur Frage, ob eine gegen das Frühwarnsystem verstoßende, vom AG initiierte einvernehmliche Lösung iSd § 45a AMFG rechtsunwirksam ist. In der Lehre war dies – zumindest bislang – umstritten (für die Einbeziehung einvernehmlicher Auflösungen in den Anwendungsbereich des § 45a Abs 5 AMFG bspw Löschnigg/Standeker, Einvernehmliche Auflösung und Kündigungsfrühwarnsystem, RdW 2008, 541; Eichmeyer/Andreewitch, COVID-19-bedingte Beendigung von Arbeitsverhältnissen, RdW 2021, 34; dagegen etwa Olt, Das Frühwarnsystem bei „Massenkündigungen“ nach § 45a AMFG, ARD 6448/5/2015). Der OGH hat die Frage nunmehr verneint. In der Literatur wurde die63Entscheidung bislang zustimmend aufgenommen (Lanner, AMS-Frühwarnsystem, RdW 2021, 638; Tomandl, Einvernehmliche Auflösungen im Frühwarnsystem, ZAS 2021, 240).

Es handelt sich bei der zu lösenden Frage in erster Linie um ein methodisches Problem (vgl etwa Bydlinksi, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 [2011] 428 ff; Zippelius, Juristische Methodenlehre11 [2012] vor § 1; Engisch, Einführung in das juristische Denken12 [2018] 129 ff). Die einzelnen Interpretationsmethoden sind dabei grundsätzlich gleichrangig; da die Auslegung am Normtext ansetzt, wird aber mit der verbalen Interpretation begonnen (vgl etwa Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre3 [2018] 107 ff). Im Folgenden wird daher versucht, die einschlägigen Auslegungsmethoden auf die hier interessierende Problemstellung anzuwenden.

2.
Verbale (grammatikalische) Interpretation
2.1.
Wortinterpretation

§ 45a Abs 5 AMFG spricht von „Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd Abs 1 bezwecken“. Dass zu den Auflösungen iSd Abs 1 leg cit auch vom AG initiierte einvernehmliche Beendigungen zählen, ist mittlerweile nicht mehr zweifelhaft (zB OGH9 ObA 119/17s ZAS 2018/59 [Prankl] = DRdA 2019/22 [Geiblinger]). Dieser Umstand muss allerdings (ebenfalls) erst auf interpretativem Weg ermittelt werden, da Abs 1 zwar keine Einschränkung auf bestimmte Beendigungsarten vornimmt, aber auch nicht dezidiert aufzählt, welche Beendigungen von dieser Bestimmung umfasst sind. Die unterschiedlichen Formulierungen legen daher die Vermutung nahe, dass beide Absätze unterschiedliche Sachverhalte erfassen.

Als Synonym für die Bezeichnung „einvernehmliche Lösung“ bzw „einvernehmliche Auflösung“ ist im Allgemeinen aber ua auch der Begriff „einvernehmliche Kündigung“ gebräuchlich (vgl zB unter https://www.ams.at/arbeitsuchende/topicliste/einvernehmliche-kuendigunghttps://www.ams.at/arbeitsuchende/topicliste/einvernehmliche-kuendigung oder https://www.bruttonetto-rechner.at/arbeit/einvernehmliche-kuendigung-vorschriften-ansprueche-vorlage/https://www.bruttonetto-rechner.at/arbeit/einvernehmliche-kuendigung-vorschriften-ansprueche-vorlage/). Die Bezeichnung „Kündigung“ in Abs 5 könnte demnach unter Zugrundelegung dieses Begriffsverständnisses nicht bloß als Teilmenge der in Abs 1 genannten Beendigungsarten, sondern auch als Oberbegriff sowohl für einseitige als auch für einvernehmliche Beendigungen aufgefasst werden.

2.2.
Legaldefinition?

Dagegen könnte eingewendet werden, dass dies nicht der vom Gesetzgeber üblicherweise gebrauchten Terminologie, wonach die Bezeichnung „Kündigung“ für einseitige Auflösungserklärungen verwendet wird (zB § 20 AngG, § 1159 ABGB), entspricht. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass gem § 6 ABGB bei der Interpretation „auf die eigentümliche Bedeutung der Worte“ abzustellen ist. Es kommt daher (zunächst) auf das herkömmliche Begriffsverständnis an, also darauf, welche Bedeutung ein/e durchschnittliche/r AdressatIn einer bestimmten Formulierung beimisst.

Dieser Grundsatz kommt zwar dann nicht zum Tragen, wenn ihm eine Legaldefinition entgegensteht, also der Gesetzgeber ausdrücklich feststellt, wie ein bestimmter Begriff (ausschließlich) zu verstehen ist, dies ist hier aber nicht der Fall: Dass es sich bei einer einseitigen und einer beiderseitig vereinbarten Beendigung um zwei unterschiedliche Auflösungsarten handelt, ist nicht strittig. Dass eine (ordentliche) einseitige Auflösungserklärung idR als „Kündigung“ bezeichnet wird, ebenso wenig. Dies schließt aber (wie oben ausgeführt) nicht aus, den Begriff „Kündigung“ auch für Beendigungen, die im beiderseitigen Einvernehmen getroffen werden, zu verwenden. Diese Möglichkeit steht auch dem Gesetzgeber zur Verfügung: Gerade vor dem Hintergrund, dass einvernehmliche Auflösungen vom Geltungsbereich des § 45a Abs 1 AMFG erfasst sind, obwohl sie dort nicht ausdrücklich angeführt werden, erscheint es nicht unplausibel, dass der Gesetzgeber in Abs 5 leg cit von seiner üblichen Terminologie abweicht und mit dem Begriff „Kündigung“ alle von Abs 1 erfassten Auflösungsarten bezeichnen wollte.

Die Einbeziehung von vom AG initiierten einvernehmlichen Auflösungen in den Anwendungsbereich des Abs 5 ist daher vom Wortlaut der Bestimmung nicht ausgeschlossen. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil dieses Ergebnis somit ohne Analogieschluss (und damit ohne den Nachweis des Vorliegens einer planwidrigen Gesetzeslücke) erzielt werden kann.

2.3.
Systematisch-logische Interpretation

Die grammatikalische Interpretation erschöpft sich nicht in der Auslegung eines bestimmten Wortes bzw einer bestimmten Passage, sondern erfordert die Berücksichtigung des Zusammenhangs, in den das betreffende Wort bzw die betreffende Wortfolge eingebettet ist (systematisch-logische Interpretation). Demzufolge ist gem § 6 ABGB die Bedeutung der Worte „in ihrem Zusammenhang“ ausschlaggebend. Ausgehend vom (die Grenzen der Interpretation absteckenden) Wortlaut einer Bestimmung ist daher deren Wortsinn zu ermitteln. Wie notwendig die Verwendung dieser Methode bei der Interpretation des § 45a AMFG ist, unterstreicht mE der Umstand, dass bei ausschließlicher Wortinterpretation nicht einmal zweifelsfrei feststünde, dass AG-Kündigungen vom Anwendungsbereich des Abs 1 leg cit erfasst sind (das Wort „Kündigung“ kommt darin nicht vor).

Eine systematische Betrachtung legt mE die Einbeziehung von arbeitgeberinitiierten einvernehmlichen Auflösungen in Abs 5 nahe, da dieser bestimmt, welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen die in Abs 1 normierte Verpflichtung nach sich zieht. Da in Bezug auf diese Rechtsfolgen nicht nach unterschiedlichen Auflösungsarten differenziert wird, wäre es konsequent, diese auf alle Auflösungen zu beziehen, die der Meldepflicht nach Abs 1 unterliegen. Diese Schlussfolgerung erscheint demnach plausibler als die Annahme, dass vom64AG initiierte einvernehmliche Auflösungen zwar für das Auslösen der Meldepflicht relevant sind, ein Verstoß gegen die Meldepflicht in Bezug auf diese Auflösungsart aber keine Rechtsfolgen auslöst (sodass diese ausschließlich für Kündigungen zum Tragen kommen). Die Bedeutung der Worte in Abs 1 und 5 „in ihrem Zusammenhang“ stützt daher die Annahme, dass Abs 5 auch für vom AG initiierte einvernehmliche Auflösungen gilt.

3.
Teleologische Interpretation
3.1.
Arbeitsmarktpolitische Zielsetzung

Darin, dass dieses Ergebnis auch arbeitsmarktpolitisch zweckmäßig wäre, ist dem OGH zuzustimmen. Dies gilt mE sogar uneingeschränkter, als es der OGH sieht, denn dass sich eine arbeitsmarktpolitisch relevante Zahl beendeter Arbeitsverhältnisses auch durch andere Beendigungsarten wie Massenkündigungen oder -austritte von AN ergeben kann, spricht unter teleologischen Aspekten nicht dagegen, den Anwendungsbereich des Abs 5 möglichst weit zu halten. Abgesehen vom Umstand, dass AN, die weiterhin auf dem Arbeitsmarkt verbleiben, bei typisierter Betrachtungsweise idR ihr Arbeitsverhältnis erst dann lösen, wenn sie bereits eine neue Beschäftigung gefunden haben, können Lösungen des Arbeitsverhältnisses durch den AN vom AG im Normalfall nicht antizipiert werden und daher keine Meldepflicht iSd Abs 1 auslösen. Dies ist daher kein Argument dagegen, dass es zweckmäßig wäre, alle jene Auflösungsarten, die vom Abs 1 erfasst sind, auch in den Anwendungsbereich des Abs 5 miteinzubeziehen.

Auch den Ausführungen, wonach fallbezogene behördliche Beratungs- und Problemlösungstätigkeiten bei Beendigungen (wie einvernehmliche Lösungen auf Initiative des AG), die vom Willen des AN mitgetragen sind und von ihm auch nachhaltig gewünscht sein können, kann mE nicht zugestimmt werden. Da die angeführten behördlichen Tätigkeiten (zumindest in eventu) auf die Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes gerichtet sind, hängen sie nicht davon ab, auf welche Weise das derzeitige Arbeitsverhältnis beendet wird. Im Übrigen müsste dies konsequenterweise zur Folge haben, dass für diese Fälle § 45a Abs 6 und 7 AMFG (die regeln, welche Aktivitäten das AMS nach Einlangen der Frühwarnmeldung durchzuführen hat) nicht zur Anwendung kommen, besagt hingegen nicht, dass es zweckmäßig wäre, Verstöße des AG gegen ihm nach § 45a AMFG auferlegte Verpflichtungen bei diesen Auflösungsarten nicht zu sanktionieren.

3.2.
Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis kann damit festgehalten werden: Bei teleologischer Interpretation ist es naheliegend, § 45a Abs 5 AMFG auch auf vom AG initiierte einvernehmliche Lösungen anzuwenden und der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Eine isolierte Betrachtung des Wortes „Kündigung“ indiziert zwar eine andere Auslegung, eine systematisch-grammatikalische Interpretation unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges stützt hingegen das auch bei teleologischer Interpretation erzielte Ergebnis. Es muss folglich mE weder geprüft werden, ob der Gesetzeswortlaut entgegen der Absicht des Gesetzgebers zu kurz greift noch, ob Abs 5 in richtlinienkonformer Interpretation auf vom AG initiierte einvernehmliche Lösungen anzuwenden ist. Vielmehr ist zu fragen, ob eine Auslegung dieser Bestimmung unter Verwendung anderer Methoden dem Festhalten am Zwischenergebnis entgegensteht.

4.
Andere Auslegungsmethoden
4.1.
Subjektiv-historische Interpretation

Aus den Materialien lässt sich entnehmen, dass einvernehmliche Auflösungen durch BGBl 1993/18 jedenfalls in den Geltungsbereich des § 45a Abs 1 AMFG einbezogen werden sollen (RV 823 BlgNR 18. GP 5). Unter Zugrundelegung des Ergebnisses der systematisch-logischen sowie der teleologischen Interpretation sind einvernehmliche Auflösungen somit auch vom Anwendungsbereich des Abs 5 leg cit umfasst. Für eine – gegensätzliche – Absicht des Gesetzgebers, einvernehmliche Auflösungen bewusst vom Abs 5 leg cit auszunehmen, finden sich mE in den Materialien keine Anhaltspunkte. Aus der subjektiv-historischen Interpretation folgt daher nicht, dass § 45a Abs 5 AMFG ausschließlich auf AG-Kündigungen zu beziehen ist.

Entlassungen (iSd innerstaatlichen Terminologie) erfolgen im Normalfall anlassfallbezogen sowie ohne Einhaltung von Fristen und Terminen und fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des § 45a AMFG (da der AG nicht im Vorhinein beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis aufzulösen). Eine Problematik iZm dem Frühwarnsystem kann sich dabei daher nur stellen, wenn der AG das Instrument der Entlassung benutzt, um eine Kündigung zu umgehen, also die Beendigung des Arbeitsverhältnisses plant, sie aber in die Rechtsform einer Entlassung kleidet. In diesem (wohl seltenen) Fall sind daher – um zu verhindern, dass der Umgehungsabsicht ein Erfolg beschieden ist – auch diese Entlassungen für die Berechnung der Schwellenwerte gem § 45a Abs 1 AMFG heranzuziehen.

In Bezug auf die damit verbundenen Rechtsfolgen ist es aber denkunmöglich, dass § 45a Abs 5 AMFG zur Anwendung kommt, da das Arbeitsverhältnis ja bereits (zu Unrecht) beendet wurde und daher kein Retardierungseffekt mehr eintreten kann. Die Unwirksamkeit einer solchen Entlassung muss daher auf Umgehungsgesichtspunkte gestützt werden (vgl zB Tamussino, Die Umgehung von Gesetzes- und Vertragsnormen [1990] 15 ff).

All diese Überlegungen treffen aber auf arbeitgeberinitiierte einvernehmliche Auflösungen, die ohnehin in den Geltungsbereich des § 45a Abs 1 AMFG einbezogen sind und folglich nicht erst zur Vermeidung einer Umgehung darunter subsumiert werden müssen, nicht zu. Aus dem in den Materialien enthaltenen Verweis darauf, dass die Unwirksamkeit von – zur Umgehung des Frühwarnsystems vorgenommenen – Entlassungen auf65(allgemeine) arbeitsrechtliche Grundsätze gestützt werden muss, kann daher (ebenfalls) auf keine Absicht geschlossen werden, arbeitgeberinitiierte einvernehmliche Auflösungen von den Rechtsfolgen des § 45a Abs 5 AMFG auszunehmen.

4.2.
Richtlinienkonforme Auslegung

Dass die Massenentlassungs-RL nicht gebietet, die Unwirksamkeitssanktion auch auf einvernehmliche Auflösungen zu erstrecken, ist – soweit ersichtlich – unstrittig. Der nationale Gesetzgeber ist aber nach Art 5 der RL auch nicht daran gehindert, diesen Schritt zu setzen. Da die Massenentlassungs-RL selbst bei vor Ablauf der 30-tägigen Sperrfrist vorgenommenen AG-Kündigungen als Sanktion nicht deren Unwirksamkeit, sondern „lediglich“ fordert, dass diese frühestens nach 30 Tagen wirksam werden, geht § 45a Abs 5 Z 2 AMFG ohnehin über die Mindestanforderungen der RL hinaus.

Diese „Übererfüllung“ zeigt sich auch daran, dass einvernehmliche Auflösungen weder dem II. noch den III. Teil der RL unterliegen, aber in die korrespondierenden Bestimmungen des AMFG einbezogen sind. So müssten nach der RL weder die AN-VertreterInnen noch die zuständigen nationalen Behörden über einvernehmliche Auflösungen informiert werden, in den Abs 1-4 des § 45a AMFG ist diese Verpflichtung aber verankert. Es ist daher unstrittig, dass Österreich die RL übererfüllt hat. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts steht daher einer weiteren Übererfüllung durch Anordnung der Unwirksamkeit auch bei arbeitgeberinitiierten einvernehmlichen Auflösungen nicht entgegen.

5.
Ergebnis

Dem OGH ist zuzugestehen, dass das erzielte Ergebnis sowohl vom Wortlaut des § 45a AMFG als auch von der RL 98/59/EG gedeckt ist. Trotz dieses Umstandes wäre mE bei Heranziehung aller Auslegungsmethoden dennoch einer anderen Auslegungsvariante der Vorzug zu geben.