14EuGH: Urlaubsersatzleistung auch bei unberechtigtem vorzeitigem Austritt
EuGH: Urlaubsersatzleistung auch bei unberechtigtem vorzeitigem Austritt
Ein AN war vom 25.6. bis 9.10.2018 bei einem Unternehmen als Arbeiter beschäftigt. Am 9.10. 2018 beendete er das Arbeitsverhältnis durch unberechtigten vorzeitigen Austritt. Da er im Beschäftigungszeitraum bereits vier Urlaubstage verbraucht hatte, betrug sein offener Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 3,33 Arbeitstage. Die Urlaubsersatzleistung wurde dem AN unter Verweis auf die Bestimmung des § 10 Abs 2 UrlG, wonach keine (Urlaubs-)Ersatzleistung gebührt, wenn der AN ohne wichtigen Grund vorzeitig aus dem Dienstverhältnis austritt, nicht ausbezahlt.
Der AN begehrte mit seiner Klage die offene Urlaubsersatzleistung. Er vertrat den Standpunkt, dass die Bestimmung des § 10 Abs 2 UrlG gegen Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art 7 Arbeitszeit-RL 2003/88/EG verstoße und daher nicht zur Anwendung komme.
Nachdem die Vorinstanzen die Klage unter Hinweis auf § 10 Abs 2 UrlG abgewiesen hatten, reichte der OGH ein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH ein.
Der EuGH erkannte nun zu Recht, dass Art 7 der RL 2003/88/EG iVm Art 31 Abs 2 GRC dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn ein AN das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig beendet. Der nationale Richter braucht nicht zu prüfen, ob der Verbrauch der Urlaubstage, auf die der AN Anspruch hatte, für diesen unmöglich war.
Der EuGH wies auf den Zweck des durch Art 7 Abs 1 der Arbeitszeit-RL jedem AN eingeräumten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub hin. Dieser besteht darin, es dem AN zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser Zweck, durch den sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von anderen Arten des Urlaubs mit anderen Zwecken unterscheidet, beruht auf der Prämisse, dass der AN im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat.
Außerdem stellt der Anspruch auf Jahresurlaub nur einen der beiden Aspekte des als unionssozialrechtliches Grundrecht verankerten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub dar. Dieses Grundrecht umfasst somit auch einen Anspruch auf Bezahlung und – als eng mit diesem Anspruch auf „bezahlten“ Jahresurlaub verbundenen Anspruch – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.
Wenn das Arbeitsverhältnis endet, ist es nicht mehr möglich, tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Um zu verhindern, dass dem AN wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller Form, verwehrt wird, sieht Art 7 Abs 2 der Arbeitszeit-RL vor, dass der AN Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat.
Der EuGH führte weiters aus, dass Art 7 Abs 2 der Arbeitszeit-RL für das Entstehen des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung aufstellt als die, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der AN nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Somit ist der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nicht maßgeblich.
Im vorliegenden Fall hat der AN während des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet. Er hat somit einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erworben, von dem ein Teil bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbraucht worden war. Die finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage wurde ihm allein deshalb verweigert, weil er das Arbeitsverhältnis vorzeitig und ohne wichtigen Grund beendet hat. Der Umstand, dass ein AN sein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet, hat jedoch keine Auswirkung darauf, dass er gegebenenfalls eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub beanspruchen kann, den er vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchen konnte.
Da § 10 Abs 2 UrlG aufgrund des EuGH-Urteils unangewendet zu bleiben hat, haben AN, denen die Urlaubsersatzleistung aufgrund eines unberechtigten Austritts vorenthalten wurde, nun somit die Möglichkeit, diesen Anspruch bei ihren ehemaligen AG geltend zu machen und gegebenenfalls innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist einzuklagen. Etwaig vorhandene kürzere einzel- oder kollektivvertragliche Verfallsfristen sind allerdings zu beachten. 30