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Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch nach einvernehmlicher Lösung – Krankengeld ruht

ELISABETHHANSEMANN

§ 5 Abs 1 EFZG sieht nunmehr ausdrücklich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auch bei einer einvernehmlichen Beendigung während aufrechter Arbeitsunfähigkeit vor. Für eine teleologische Reduktion des § 5 Abs 1 EFZG dahin, dass nur vom AG ausgehende oder im Interesse beider Vertragsparteien liegende einvernehmliche Auflösungen während einer Arbeitsverhinderung den Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen, besteht keine Grundlage.

SACHVERHALT

Der Kl war am 24.6.2019 (neuerlich) arbeitsunfähig, worauf der AG am selben Tag die Entlassung aussprach. Das vom Kl gegen den AG angestrengte arbeitsgerichtliche Verfahren endete mit einem Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis durch einvernehmliche Auflösung zum 12.7.2019 enden sollte. Zugleich verpflichtete sich der AG zur Zahlung von € 3.000,- an Lohn und Weihnachtsremuneration. Sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis sollten dadurch bereinigt und verglichen sein. In Folge war der Kl noch bis 28.7.2020 arbeitsunfähig.

Die Österreichische Gesundheitskasse leistete dem Kl für den Zeitraum 31.7. bis 28.8.2019 halbes Krankengeld und im Zeitraum 29.8.2019 bis 28.7.2020 Krankengeld in voller Höhe des gesetzlichen Ausmaßes.

Mit Bescheid vom 21.4.2020 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Zahlung des Krankengeldes für den Zeitraum von 13.7. bis 28.8.2019 ab.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Kl begehrte mit seiner Klage die Auszahlung des Krankengeldes im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum 13.7. bis 30.7.2019 zur Gänze und für den Zeitraum 31.7. bis 28.8.2019 zur Hälfte. Die vergleichsweise getroffene Vereinbarung löse kein Ruhen des Krankengeldanspruches aus.

Die Bekl beantragte die Klagsabweisung. Der Vergleich ändere nichts an dem gesetzlichen Anspruch des Kl auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem AG. Der Krankengeldanspruch des Kl ruhe daher für den Zeitraum 24.6. bis 30.7.2019 zur Gänze und für den Zeitraum 31.7. bis 28.8.2019 zur Hälfte.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Leistung des Krankengeldes im halben Ausmaß für den Zeitraum 30.7. bis 28.8.2019 und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der vom Kl erhobenen Berufung Folge und änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, dass es die Bekl zur Leistung des Krankengeldes für den Zeitraum 13.7. bis 30.7.2019 in vollem und für den Zeitraum 31.7. bis 28.8.2019 in halben gesetzlichem Ausmaß verpflichtete. § 5 Abs 1 EFZG sei teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des AG vereinbart würden. Da die gegenständliche einvernehmliche Auflösung in beiderseitigem Interesse der Parteien gelegen sei, sei sie von § 5 EFZG nicht erfasst.

Die Revision der Bekl war zulässig und iS einer Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes durch Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

[…]

3.5. Mit der mit 1.7.2018 in Kraft getretenen Novelle BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153 wurde § 5 Abs 1 EFZG um folgenden Satz ergänzt:

„Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bleibt auch bestehen, wenn das Arbeitsverhältnis während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 einvernehmlich beendet wird.“

[…]

5. Zur Auslegung des § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153

5.1 § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153 (wie auch § 9 Abs 1 AngG idF BGBl I 2017/153) sieht nunmehr ausdrücklich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auch bei einer einvernehmlichen Beendigung während aufrechter Arbeitsunfähigkeit vor. Ihrem Wortlaut nach nimmt die Regelung keine Rücksicht darauf, aus welchen Motiven oder auf wessen Initiative die einvernehmliche Beendigung vereinbart wurde.

5.2 Das Berufungsgericht vertritt – ebenso wie der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung – die Rechtsauffassung, § 5 EFZG (bzw § 9 Abs 1 AngG) sei dennoch nicht auf sämtliche einvernehmlichen Auflösungen des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung anzuwenden, sondern sei teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des Arbeitgebers abgeschlossen würden.

5.3 Die Gesetzesmaterialien (IA 2306/A BlgNR 25. GP; 9897/BlgBR 25. GP) geben keine Hinweise auf das Verständnis des Gesetzgebers vom neuen § 5 EFZG bzw § 9 Abs 1 AngG. Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Anwendungsbereich der novellierten Bestimmungen im Fall einer 37einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses liegt noch nicht vor.

[…]

5.9. […]

Nach der Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2017/153 sollten die Entgeltfortzahlungsbestimmungen des § 5 Abs 1 EFZG bzw § 9 Abs 1 AngG (nur) verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst […]. Wie sich aus dem klaren Wortlaut ergibt, kann seit der Novellierung der Bestimmungen (BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153) nicht mehr (allein) von diesem Normzweck ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich der Bestimmung ausdrücklich um einvernehmliche Auflösungen während einer Arbeitsverhinderung analog zur Arbeitgeberkündigung sowie um einvernehmliche Auflösungen im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung erweitert. Damit wurden eindeutig auch Konstellationen unter den Schutz der Entgeltfortzahlungsbestimmungen gestellt, die vom bisherigen Normzweck nicht erfasst waren. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Novelle bloß „die bisherige Entwicklung in der Rechtsprechung nachzubilden“ versucht hätte, „dabei jedoch über die Grenzen legistisch hinausschoss“ (Stella, ecolex 2018, 8 [10]) bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte.

6. Ergebnis

Für eine teleologische Reduktion des § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153 dahin, dass nur bestimmte Arten der einvernehmlichen Auflösung (vom Arbeitgeber ausgehende oder im Interesse beider Vertragsparteien liegende) während einer Arbeitsverhinderung den Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen, besteht keine Grundlage.

7. Zur Anwendung auf den vorliegenden Fall

7.1 Die (rückwirkend) vereinbarte einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterliegt der Bestimmung des § 5 EFZG, weil der Endtermin unstrittig in den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit des Klägers fällt. Im Hinblick auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung bestand der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem früheren Arbeitgeber gemäß § 5 Abs 1 EFZG auch über das Ende seines Dienstverhältnisses mit 12.7.2019 hinaus weiter.

7.2 Dass der Kläger mit seinem früheren Arbeitgeber im Vergleich vom 8.10.2019 sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis „abschließend bereinigt und verglichen“ hat (also einschließlich seines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung über den 12.7.2019 hinaus), führt zu keinem anderen Ergebnis:

Für das Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG kommt es nur auf das Bestehen eines gesetzlichen oder vertraglichen (Rechts-)Anspruchs auf Weiterleistung der Geldbezüge und Sachbezüge in entsprechender Höhe an, nicht aber darauf, in welcher Höhe dieser Anspruch verglichen oder gar liquidiert wurde […].

ERLÄUTERUNG

§ 143 Abs 1 Z 3 ASVG normiert das Ruhen des Krankengeldanspruches für die Dauer eines gesetzlichen oder vertraglichen Anspruchs auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge. Dabei gilt ein strenges Anspruchsprinzip: Ob die Leistung tatsächlich bezogen wird oder bereits verglichen oder gar liquidiert wurde, spielt keine Rolle, relevant ist nur der Anspruch darauf. Die Auslegung dieser Bestimmung war nicht Gegenstand der vorliegenden E. Die vom OGH zu klärende Frage bezog sich alleine darauf, ob ein – das Ruhen des Krankengeldanspruchs auslösender – gesetzlicher Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- oder Sachbezüge nach dem EFZG bestand.

Da der Endtermin des Beschäftigungsverhältnisses unstrittig in den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit fällt, unterliegt im gegenständlichen Fall die rückwirkend vereinbarte einvernehmliche Auflösung der Bestimmung des § 5 EFZG. § 5 EFZG normiert, in welchen Fällen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausnahmsweise auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterbesteht.

Die novellierte Fassung des § 5 EFZG ist seit 1.7.2018 in Kraft und daher auf das am 12.7.2019 einvernehmlich gelöste Arbeitsverhältnis anzuwenden.

Vor der Novelle war nicht ausdrücklich geregelt, dass bei einer einvernehmlichen Lösung im Krankenstand ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung weiter bestehen bleibt. Eine Entgeltfortzahlungspflicht über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus bestand nach § 5 EFZG (und der inhaltsgleichen Bestimmung des § 9 Abs 1 AngG) nach alter Rechtslage nur bei bestimmten, der Sphäre des DG zurechenbaren Arten der Beendigung des Dienstverhältnisses. Es musste eine der in § 5 EFZG genannten Beendigungsarten vorliegen, die einvernehmliche Beendigung war im § 5 EFZG bis 1.7.2018 aber nicht erwähnt.

In der novellierten Fassung sieht der Gesetzgeber nun vor, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch dann bestehen bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis während oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gem § 2 EFZG (Krankheitsfall) einvernehmlich beendet wird. Nach Lehrmeinung vonStella (Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung während Dienstverhinderung – bleibt alles beim Alten? ecolex 2018, 8) würde die 38Anwendung auf sämtliche einvernehmliche Auflösungen zu einer unsachlichen und willkürlichen Ausdehnung der erfassten Beendigungsarten zu Lasten der DG führen. Daher sei eine teleologische Reduktion auf jene einvernehmlichen Auflösungen vorzunehmen, die auf Initiative des DG abgeschlossen wurden. Diese Lehrmeinung blieb angesichts des klaren Wortlautes des Gesetzgebers allerdings eine Einzelmeinung, der auch der OGH nicht folgte. Vielmehr schloss sich dieser – nach ausführlicher Wiedergabe der Literatur – der gegenteiligen Ansicht an, wonach der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 5 EFZG auch über dessen ursprünglichen Normzwecke erweitert und die Entgeltfortzahlungspflicht generell auf einvernehmliche Auflösungen ausgedehnt hat, ohne dass danach zu differenzieren wäre, was das Motiv für die einvernehmliche Auflösung war bzw von wem die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen ist.