26Aufenthaltsrecht naher Angehöriger ohne Unterhaltszahlung – kein Anspruch auf Ausgleichszulage
Aufenthaltsrecht naher Angehöriger ohne Unterhaltszahlung – kein Anspruch auf Ausgleichszulage
Der Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt setzt somit einen fünf Jahre langen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt iSd in der RL 2004/38/EG festgelegten Bedingungen im Aufnahmemitgliedstaat voraus. Ein im Einklang mit dem Recht eines Mitgliedstaats stehender Aufenthalt, der jedoch nicht die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 RL 2004/38/EG erfüllt, kann nicht als „rechtmäßiger“ Aufenthalt iS von Art 16 Abs 1 dieser Richtlinie angesehen werden [...]. Dies gilt auch für den Erwerb des unionsrechtlichen Rechts auf einen Daueraufenthalt durch einen Familienangehörigen eines Unionsbürgers [...].
Der Kl ist polnischer Staatsangehöriger und lebt seit April 2011 als Pensionist in Österreich. In Österreich war er selbst nie erwerbstätig. Seit 2011 bezieht er österreichisches Pflegegeld. Zusätzlich bezieht er eine polnische Pension iHv € 200,- bis € 250,- und eine polnische Pflegeleistung iHv € 40,-, diese wird auf das österreichische Pflegegeld angerechnet. In Österreich leben die Tochter und drei Söhne des Kl. Die Tochter pflegte den Kl und unterstützte diesen gemeinsam mit zwei seiner Söhne finanziell, jedoch leistet keines der Kinder einen laufenden Unterhalt.
Die Bekl lehnte mit Bescheid vom 12.12.2017 den Antrag des Kl vom 23.9.2014 auf Zuerkennung einer Ausgleichszulage ab. Gegen diesen Bescheid brachte der Kl die Klage mit der Begründung ein, er habe ein Aufenthaltsrecht als sonstiger Angehöriger gem § 52 Abs 1 Z 5 lit c Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erworben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, da mangels ausreichender Existenzmittel kein Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG vorliege und der Kl als Verwandter in gerade aufsteigender Linie dem Tatbestand des § 52 Abs 1 Z 3 NAG unterliege. Dieser ist jedoch mangels Leistung des Unterhalts durch die Kinder nicht erfüllt. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Kl an den OGH, mit der er die Stattgebung der Klage anstrebt. Der OGH hielt zwar die außerordentliche Revision zur Klarstellung der Rechtslage für zulässig, jedoch nicht für berechtigt.
„[…]
[21] Mit einem abgeleiteten Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern nach den Z 4 und 5 in § 52 Abs 1 NAG hatte sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht abschließend auseinanderzusetzen, da die Tatbestände dieser Bestimmungen jeweils nicht erfüllt waren [...].
[23] Der Kläger, selbst Unionsbürger, verfügt zwar über eine Anmeldebescheinigung nach § 51 Abs 1 Z 2 NAG vom 13.10.2015 (Blg ./E). Er beruft sich in der Revision jedoch nicht auf ein originäres Aufenthaltsrecht aufgrund der RL 2004/38/EG nach dieser Bestimmung. Ausreichende Existenzmittel im Sinn dieser Bestimmung sind nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen nicht vorhanden.
[24] Der Kläger macht in seiner Revision vielmehr geltend, dass ihm zumindest ab 11.4.2016 – zu diesem Zeitpunkt sei er fünf Jahre in Österreich aufhältig gewesen – ein Aufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG zukomme. [...]
[26] Der Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt setzt somit einen fünf Jahre langen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinn der in der RL 2004/38/EG festgelegten Bedingungen im Aufnahmemitgliedstaat voraus. Ein im Einklang mit dem Recht eines Mitgliedstaats stehender Aufenthalt, der jedoch nicht die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 RL 2004/38/EG erfüllt, kann nicht als „rechtmäßiger“ Aufenthalt im Sinn von Art 16 Abs 1 dieser Richtlinie angesehen werden [...].
[27] Dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, stellt er in der Revision nicht mehr in Frage. Der bloße Umstand, dass sich der Kläger allein mehr als fünf Jahre in Österreich aufgehalten hat, hat nicht zur Folge, dass er ein (unionsrechtliches) Recht auf Daueraufenthalt im Sinn des Art 16 Abs 1 RL 2004/38/EG erworben hat [...]. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, 44dass der Kläger kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht im Sinn des Art 16 Abs 1 RL 2004/38/EG (§ 53a Abs 1 NAG) als Anspruchsvoraussetzung im Sinn des § 292 Abs 1 ASVG geltend machen kann.
[28] Der Kläger, dem kein originäres unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, macht weiters geltend, dass er seinen Kindern nach Österreich nachgezogen sei, weil nur diese ihn pflegen könnten, sodass er ein – vom Vorhandensein existenzsichernder Mittel bzw von Unterhaltsleistungen unabhängiges – Aufenthaltsrecht im Sinn des § 52 Abs 1 Z 5 lit c NAG erworben habe.
[29] [...] Nach § 52 Abs 1 Z 5 lit c NAG sind aufgrund der RL 2004/38/EG EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a NAG) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind, bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen. [...]
[31] Ein darüber hinausgehendes (innerstaatliches) Aufenthaltsrecht kann § 52 NAG schon nach seinem Wortlaut nicht vermitteln, weil diese Bestimmung – wie ausgeführt – nur unionsrechtliche Aufenthaltsrechte bestimmter, in Art 2 Z 2 RL 2004/38/EG genannter Familienangehöriger dokumentiert. [...]
[34] Zwischenergebnis: Der Kläger kann sich als Voraussetzung für den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichszulage nur dann auf ein Aufenthaltsrecht im Sinn des § 52 NAG berufen, wenn ihm dieses aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie, also unionsrechtlich, zusteht.
[35] Nach der – für die Auslegung des Fremdenrechts maßgeblichen – Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs sind die verschiedenen „Kategorien“ von Familienangehörigen – einerseits nach § 52 Abs 1 Z 1 bis 3 NAG und andererseits nach § 52 Abs 1 Z 4 und Z 5 NAG – zu unterscheiden [...]. Ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht räumt die RL 2004/38/EG gemäß ihrem Art 2 Z 2 nur den in § 52 Abs 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Familienangehörigen ein. Hingegen sind die in § 52 Abs 1 Z 5 lit c NAG genannten Angehörigen eines EWR-Bürgers „Berechtigte“ gemäß Art 3 Abs 2 RL 2004/38/EG. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht dazu, den dort genannten Personen (Familienangehörigen im weiteren Sinn) ein Aufenthaltsrecht zuzuerkennen, sondern lediglich, Einreise und Aufenthalt zu erleichtern (EuGHC-83/11, Rn 23). [...]
[36] Ausgehend davon könnte sich der Kläger allenfalls als Verwandter in gerader aufsteigender Linie auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als Angehöriger im Sinn des § 52 Abs 1 Z 3 NAG zur Begründung seines Anspruchs auf Ausgleichszulage berufen, weil diese Personengruppe in Art 2 Z 2 lit d RL 2004/38/EG genannt ist. Der Kläger beruft sich jedoch nicht auf ein solches unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, weil ihm von seinen Kindern tatsächlich kein Unterhalt gewährt wird, sodass er kein Angehöriger nach dieser Bestimmung ist.
[37] Dies schließt zwar nicht aus, dass sich der Kläger dessen ungeachtet auf eine Angehörigeneigenschaft im Sinn des § 52 Abs 1 Z 5 lit c NAG berufen kann [...]. Dem Kläger käme jedoch als Angehöriger nach dieser (deklaratorischen) Bestimmung, weil er danach (lediglich) als „Berechtigter“ im Sinn des Art 3 Abs 2 lit a RL 2004/38/EG anzusehen wäre, kein im Unionsrecht begründetes Aufenthaltsrecht zu, auf das allein er sich nach § 52 Abs 1 Z 5 lit c NAG zur Begründung seines Anspruchs auf Ausgleichszulage berufen könnte.
[38] Ergebnis: Ein EWR-Bürger, der Angehöriger eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers (§§ 51, 53a NAG) ist, kann sich nicht auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als sonstiger Angehöriger im Sinn des § 52 Abs 1 Z 5 lit c NAG aufgrund der RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) zur Begründung eines Anspruchs auf Ausgleichszulage berufen.“
Die Ausgleichszulage hat den Zweck, PensionsbezieherInnen ein gewisses Mindesteinkommen sicherzustellen. Anspruch auf die Ausgleichszulage besteht jedoch nur, wenn ein rechtmäßiger und gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich besteht.
Unionsrechtlich gilt die Ausgleichszulage zwar als beitragsunabhängige Sonderleistung iSd VO 883/2004, die für wirtschaftlich aktive wie inaktive UnionsbürgerInnen gleichermaßen gilt; dennoch kann eine derartige Leistung gleichzeitig unter den Begriff der Sozialhilfeleistungen iSd RL 2004/38/EG (sogenannte „Unionsbürger-RL“) fallen. Um zu verhindern, dass Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch genommen werden, ermächtigt die Unionsbürger-RL die Mitgliedstaaten, Beschränkungen für wirtschaftlich inaktive Personen in Bezug auf die Gewährung von Sozialhilfeleistungen festzulegen. Von dieser Möglichkeit hat der österreichische Gesetzgeber Gebrauch gemacht: Gem § 51 Abs 1 Z 2 NAG sind wirtschaftlich inaktive EWR-BürgerInnen zu einem Aufenthalt in Österreich von mehr als drei Monaten berechtigt, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen.
Dieser Grundsatz gilt auch für EWR-BürgerInnen, die ihr Aufenthaltsrecht nach § 52 Abs 1 Z 2 und 3 NAG aus ihrer Eigenschaft als Angehörige in gerader aufsteigender oder absteigender Linie zu einem in Österreich rechtmäßig Aufenthaltsberechtigten ableiten. Auch hierbei wird das Aufenthaltsrecht des Angehörigen davon abhängig gemacht, ob deren Existenz gesichert ist, indem diesen tatsächlich Unterhalt gewährt wird, der wiederum staatliche Versorgungsleistungen entbehrlich 45macht. Der OGH hat bereits in der E vom 19.7.2016, 10 ObS 31/16f, ausgesprochen, dass § 292 ASVG iSd § 52 Abs 1 Z 3 NAG auszulegen ist. Solange kein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a NAG begründet wird, führt daher das bloße Aufenthaltsrecht als Angehöriger nach § 52 Abs 1 Z 2 und 3 NAG zu keinem Anspruch auf Ausgleichszulage.
Beachtlich ist die vorliegende E deshalb, weil der OGH sich bisher noch nicht mit dem abgeleiteten Aufenthaltsrecht nach § 52 Abs 1 Z 5 NAG im Zusammenhang mit der Ausgleichszulage auseinandergesetzt hat. Diese Bestimmung betrifft das Aufenthaltsrecht „sonstiger Angehöriger“, das gem lit c auch dann bestehen kann, wenn auf Grund schwerwiegender gesundheitlicher Pflege persönliche Pflege erforderlich ist. Der Kl hatte sich im konkreten Fall auf diesen Tatbestand gestützt, da er keinen Unterhalt von seinen Angehörigen bezog und somit die Z 3 nicht einschlägig war. Der OGH hat nun allerdings klargestellt, dass es für den Anspruch auf Ausgleichszulage erforderlich ist, dass auch ein rechtmäßiger Aufenthalt nach dem Unionsrecht vorliegt. Ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht räumt die RL 2004/38/EG allerdings nur den in § 52 Abs 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Familienangehörigen ein. Alle anderen, insb jenen nach der Z 5, denen tatsächlich kein Unterhalt gewährt wird, kommt hingegen nach dem Unionsrecht bloß der Status als Berechtigte zu. Dh, sie genießen lediglich Erleichterungen bei der Einreise und beim Aufenthalt. Da der Kl also kein Aufenthaltsrecht nach dem Unionsrecht hatte und sich auch nicht auf ein sonstiges innerstaatliches Aufenthaltsrecht berufen hatte, kam ihm kein Anspruch auf Ausgleichzulage zu.