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Gemeinsamer Wohnsitz iSd KBGG kann in Auslandsfällen auch ohne Hauptwohnsitzmeldung bestehen

KRISZTINAJUHASZ
§ 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG; Art 5 lit b, Art 1 lit j VO (EG) 883/2004 iVm Art 11 DVO EG 987/2009

Die Kl beantragte aus Anlass der Geburt ihres Kindes am 2.9.2019 bei der Österreichischen Gesundheitskasse (damals Wiener Gebietskrankenkasse) das pauschale Kinderbetreuungsgeld. Sie ist indonesische Staatsangehörige und lebt seit 1.9.2018 gemeinsam mit ihrem Ehemann und seit Geburt der Tochter auch mit dieser in Slowenien. Der Ehemann geht in Österreich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach. Die Kl ist in Slowenien mit einem vorübergehenden Wohnsitz gemeldet, da die Anmeldung eines ständigen Wohnsitzes in Slowenien erst dann möglich ist, wenn eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung erteilt wird. Nach dem slowenischen Fremdengesetz kann ein Fremder, der Drittstaatsangehöriger ist, aufgrund Familienangehörigeneigenschaft nach zwei Jahren einen unbefristeten Aufenthaltstitel erlangen.

Die Bekl lehnte den Antrag der Kl ab. Das Erstgericht gewährte hingegen das Kinderbetreuungsgeld und ging davon aus, dass die Kl einen Anspruch geltend machte, welcher sich von der Beschäftigung des Ehemannes in Österreich ableitet. Der persönliche Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 war somit für die Kl als Familienangehörige (Art 1 lit i VO [EG] 883/2004) eröffnet (Art 2 VO [EG] 883/2004). Im Anwendungsbereich der Koordinierungsverordnung ist im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gem § 2 Abs 6 KBGG zu prüfen, ob ein dem österreichischen Meldesystem vergleichbares Meldesystem im Wohnsitzmitgliedstaat vorhanden ist. Ein solch vergleichbares System existiert in Slowenien nicht. Die Kl habe freilich den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen seit über zwei Jahren in Slowenien. Ihr Wohnort in Slowenien sei daher einem gemeldeten Hauptwohnsitz in Österreich gleichzuhalten. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und gab der Berufung der Bekl nicht Folge.

Die außerordentliche Revision der Bekl wurde vom OGH als unzulässig zurückgewiesen.

Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht dann, wenn gem § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG der antragstellende Elternteil mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer Haushalt liegt nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in 49einer dauerhaften (mindestens 91 Tage durchgehend) Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Es liegt aber auf der Hand, dass ein Elternteil, dessen Hauptwohnsitz nicht in Österreich liegt, keine hauptwohnsitzliche Meldung nach dem österreichischen MeldeG erlangen kann (OGH 30.7.2019 10 ObS 45/19v).

Im grenzüberschreitenden Kontext ist bei der Auslegung des § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG auf die Gleichstellungsregel des Art 5 lit b der VO (EG) 883/2004 Bedacht zu nehmen. Hat der Eintritt bestimmter Sachverhalte (hier: die melderechtliche Meldung) nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats (hier: Österreich) Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Slowenien) eingetretenen entsprechenden Sachverhalte, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären.

Der Zweck des Erfordernisses der melderechtlichen Dokumentation nach dem KBGG liegt vor allem in der Klarstellungsfunktion und in der Verwaltungsentlastung. Die Kl hat in Slowenien genau diesen Schritt gesetzt und die Meldung ihres Wohnsitzes vorgenommen. Dass die rechtliche Benennung eine andere als in Österreich ist, schadet ihr im Hinblick auf das Gleichstellungserfordernis nach Art 5 lit b der VO (EG) 883/2004 nicht.

In Art 1 lit j der VO (EG) 883/2004 wird der Ausdruck „Wohnort“ als der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes einer Person definiert. Es handelt sich um einen unionsrechtlichen und nicht um einen nationalen Begriff, der für alle Mitgliedstaaten in der Anwendung der Verordnung maßgeblich ist. Um den Trägern die Abgrenzung zu erleichtern, erhält Art 11 der Durchführung der VO EG 987/2009 zudem Hilfskriterien. Die im konkreten Fall festgestellten Kriterien (Dauer des Aufenthalts, gemeinsames Wohnen mit Ehemann und Kind, Absicht, in Slowenien wohnhaft zu bleiben) weisen darauf hin, dass die Kl ihren Wohnort in Slowenien und nicht mehr – wie die Bekl annahm – in Indonesien hat. Dass die Kl entsprechend der slowenischen Rechtslage derzeit nur über einen vorübergehenden Wohnsitz in Slowenien verfügt, führt nicht dazu, dass ihr Wohnort iSd VO (gewöhnlicher Aufenthaltsort) als nicht in Slowenien liegend anzunehmen ist.